Abschnitt 1

09 Feldzug nach Rußland.


Schon seit Anfang des Frühjahres waren die Straßen Deutschlands von den ungeheuren Truppenmassen überschwemmt. Die schönste Armee, welche das Jahrhundert gesehen, drängte sich mit Hast und Eile ihrem entsetzlichen Untergange entgegen. Franzosen, Italiener, Deutsche, Polen, Holländer, Spanier, in einer compacten Masse vereinigt, mit den bedeutendsten Männern an ihrer Spitze, richteten alle ihre Blicke auf den einen Mann, auf den sie mit unbegränztem Vertrauen ihre Hoffnungen bauten. Sieggewohnt, muthvoll und von Ehrgeiz beseelt, trugen sie alle das Bewußtsein eines glücklichen Erfolgs in der Brust; den gefährlichsten Feind, die Elemente, brachte Niemand mit in Rechnung.


Der Abschied von meiner Gemahlin war ein sehr heroischer: keine Thräne wurde vergossen, wir setzten beide einen Werth darein, uns stark zu zeigen. Es lag dies damals in der Zeit. Bevor ich zu Pferde stieg, reichte ich ihr noch einmal die Hand und sagte: „In acht Monaten, wenn ich noch am Leben bin, komme ich zurück!“ gab dann dem Pferde die Sporen und jagte davon.

Die erste Strecke des Marsches von München bis Bayreuth machte ich zu Pferde in kleinen Militäretappen. Aus dem königl. Marstall wurden dem Prinzen Eugen auf seinen Wunsch sechs gute Reitpferde mit allem Zugehör und dreizehn Maulthiere mit zwei Fourgons verabreicht und sechs junge Leute aus dem königl. Stallpersonal und ein alter Thierarzt mitgesandt. Der Adjutant des Vicekönigs, Méjean, welcher mir den Befehl zum Abmarsche überbracht hatte, beging die Indiscretion, mich mit diesem Transport reisen zu lassen. Dem königl. Oberststallmeister, Baron von Kesling, war dieses jedoch sehr angenehm, er stellte den ganzen Zug unter meine Aufsicht und räumte mir eine große Vollmacht ein. So zog ich zum zweitenmale als functionirender Stallmeister von München in den Krieg, diesmal jedoch unter glänzendern Verhältnissen als drei Jahre früher.

Den ersten Tag ging alles gut von statten; das junge Volk war sehr vergnügt, der Stallluft und dem maschinenmäßigen, strengen Dienste entronnen zu sein; es sang und jubelte. So schlenderten wir sieben Stunden dahin und kamen frühzeitig in das Quartier zu Schwabhausen.

Das Reisen zu Pferde, obschon es manches Beschwerliche hat, machte mir stets Vergnügen: Meine Pferdeliebhaberei, mein Studium und der Umgang mit diesen edlen Thieren, die freie Bewegung, bei der man auf dem Wege alles sehen und beobachten und jeden schönen Fußpfad benützen kann, ohne an die Landstraße gebunden zu sein, hatte stets vielen Reiz für mich. Hierin mag zum Theil der Grund liegen, warum ich nicht gleich von Anfang die Nachtheile, welche diese Art zu reisen zur Folge hatte, in Erwägung zog. Der Mensch greift ja bei aller Vorsicht gar leicht nach dem, was seinen Neigungen entspricht und macht dadurch bisweilen Fehlgriffe. So ging es diesmal. Wäre mir nicht ein glücklicher Zufall und meine Entschiedenheit, rasch zu handeln, wenn es noth thut, rechtzeitig zu Hilfe gekommen, so dürften die Absichten, welche der gute Prinz Eugen mit mir hatte, zur Hälfte vielleicht vereitelt worden sein. Die nächsten Tage der Reise waren nicht mehr so heiter. Die Route ging überhaupt äußerst langsam nach den uns vorgeschriebenen Stationen vorwärts. In Donauwörth fand ich meinen Bruder Ferdinand und meine guten Eltern, welche mich zu sehen bei schlechtestem Wetter, sieben Stunden weit, zu Fuß von Nördlingen herübergekommen waren. Die Freude des Wiedersehens war groß. Bei einem gutbesetzten Tische und unter traulichen Gesprächen saßen wir bald recht fröhlich beisammen bis spät in die Nacht. Wären meine Eltern nicht gar so ermüdet gewesen, so hätten wir uns gar nicht zur Ruhe gelegt. Sehr frühe wurde ich wieder wach, und sobald sie mich hörten, verließen sie das Lager, wir nahmen ein kräftiges Frühstück, plauder ten noch ein Stündchen, wobei ich von meiner Frau nicht genug erzählen konnte; um 6 Uhr mußte ich die Reise jedoch fortsetzen.

Die Trennung von meinen Eltern griff mich weniger an als ihr Wiedersehen, das Reisen hatte solchen Reiz für mich, daß gar manches Gefühl zurücktrat, wenn es sich darum handelte, mich von etwas lossagen zu müssen, was mir lieb und theuer war.

Unser Weg führte über Monheim, Weissenburg, Roth nach Nürnberg, wozu uns drei Tagemärsche vorgeschrieben waren. In Nürnberg hatten wir sogar einen Rasttag, welchen ich gehörig ausnützte, um alle meine alten lieben Freunde und Bekannten wiederzusehen. Es gewährte mir großes Vergnügen, daß fast Niemand mich mehr erkannte; der arme Zuckerbäckerjunge, welcher vor acht Jahren nach Nürnberg gekommen, erschien jetzt als schmucker, eleganter italienischer Offizier. Selbst in der lieben Familie des würdigen Direktors Zwinger wurde ich nicht gleich erkannt. Dem alten Herrn wollte übrigens meine Metamorphose nicht besonders gefallen, sie vertrug sich nicht recht mit seinem ächt patriotischen Sinne. Er that etwas fremd, und es kostete Mühe, die alte Zutraulichkeit, die ich an ihm gewohnt war, wieder hervorzurufen.

Recht vielen Spaß machte mir das Zusammentreffen mit meiner frühern Prinzipalin, der Frau des Con ditors Braun: ich begab mich in ihren Laden, kaufte einiges Zuckerwerk und Chokolade, ließ mich mit der Frau, die sehr gerne plauderte, in ein Gespräch ein, und da noch mehrere von meinen frühern Kunstarbeiten im Laden gleichsam als Schaustücke aufgestellt waren, lenkte ich das Gespräch auf diese und ihren Urheber, wobei ich einige spitzfindige Bemerkungen gegen diesen mit einfließen ließ, was Veranlassung zu manchen gegenseitigen komischen Erörterungen bot. Aus allem ging hervor, daß die gute Frau sich gar nicht einfallen ließ, mit wem sie rede; ich aber genoß hiebei die Freude, zu bemerken, daß mein Andenken immer noch in ihrem Gedächtnisse lebte. Ihre kleine blauäugige Tochter stand während dieses Zwiegespräches etwas zurück und betrachtete mich fortwährend mit schelmischen Blicken. Zuletzt konnte sie sich nicht mehr halten und sagte zu ihrer Mutter: „Aber, Mama, kennen Sie denn den Herrn Adam nicht mehr?“ So endete das Gespräch mit einer heitern Scene.

Anderthalb Tage verweilten wir in dem mir früher schon so lieb gewordenen Nürnberg. Am 18. Mai wurde die Reise über Eschenau, Pegnitz, Bayreuth fortgesetzt, wozu uns abermals drei Tage vorgeschrieben waren. Zu Pegnitz traf ich auf der Post einen bayerischen Offizier, welcher von der Armee als Courier nach München gesandt wurde. Als dieser von mir vernommen hatte, ich sei angewiesen, mit diesem Transporte mich im Hauptquartier des Vicekönigs zu Glogau einzufinden, sagte er: „Lieber Freund, wenn Sie Ihre Reise auf diese Weise fortsetzen, so werden Sie den Vicekönig treffen, wenn der Krieg bald zu Ende ist. Von Glogau kann gar keine Rede sein, der Vicekönig befindet sich gegenwärtig schon mit seinem Armeecorps im Herzen Polens.“ Diese Nachricht traf mich wie ein Donnerschlag, es wurde mir klar, wie unrecht ich gethan, mich auf diese Art zu reisen, einzulassen. Dieser Offizier hatte ganz richtig geurtheilt: erst zu Surash an der Düna stieß der Pferdetransport zum Hauptquartiere, nachdem die wichtigen Schlachten von Ostrowno und Witebsk und andere bedeutende Ereignisse vorüber waren.

Nach einer unruhigen Nacht, welche mir die erhaltene Kunde verursachte, brachen wir bei Sonnenaufgang nach Bayreuth auf. Hier saß ich in einem angenehmen Quartiere der Post gegenüber eben bei einem guten Mittagsmahle, als ein französischer Courier rasch anfuhr. Ich lief, was ich konnte, hinüber und fragte ihn: „Woher?“ – „Von Constantinopel.“ –„Wohin?“ – „Ins Hauptquartier des Kaisers.“ – „Wollen Sie mich mitnehmen?“ – „Haben Sie Papiere?“ – „Ja.“ Er maß mich einen Augenblick mit raschen Blicken vom Kopf bis zu den Füßen und sagte dann: „Ich nehme Sie mit, wenn Sie schnell reisefertig sind.“ – „Können Sie mir eine halbe Stunde Zeit geben?“ – „Ja, wenn es sein muß, aber nicht eine Minute länger.“ Diese knappe Art zu reden und zu handeln lag ganz im Wesen dieser Leute, es waren äußerst energische, thatkräftige, verwegene Menschen, die oft in ihrem Dienste das Außerordentlichste leisteten. – Mein Gepäck war auf einen der Fourgons geladen, welche wir bei uns hatten; ich eilte dorthin, ließ alles abpacken, übergab dem Thierarzte meine Vollmacht und die übrigen, diesen Transport betreffenden Papiere. Nach einer halben Stunde war ich fertig und reiste mit dem Courier ab. Es ging freilich anders vorwärts: die Meilenzeiger flogen an uns vorbei und wir kamen nach Dresden, ohne daß ich recht wußte, wie. Ich unterhielt mich unterwegs sehr gut mit dem Courier, er hatte große Reisen durch ganz Europa gemacht und war ein lebendiges Erzählungsbuch.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers