Abschnitt 3

08 Durch die Schweiz nach Italien. Idylle am Comersee. München.


Auf dem Rückwege verweilten wir noch auf den borromäischen Inseln, trennten uns in Como und de Saive ging nach Mailand, ich nach Blevio, um mit frischem Muthe an meinem Bilde weiter zu arbeiten. Aber ganz wollte es mir nicht gelingen, jene Ruhe und Heiterkeit des Geistes festzuhalten, welche auf dieser Reise in mir wohnte. Ich erhielt aus Mailand beunruhigende Nachrichten über das Befinden meiner Freundin Magdalena, welche manche Stunde dieses schönen Aufenthaltes trübten. In der Schilderung dieses Verhältnisses wird vieles unbegreiflich erscheinen. Auf dem Standpunkte, wo wir Beide uns befanden, gibt es keine Halbheit. Nur ein Vorwärtsgehen oder ein gänzliches Abbrechen kann einem solchen Zustande ein Ende machen. Das Erstere wollte ich nicht, weil ich fand, daß es nicht an der Zeit wäre zu heirathen; das Letztere fiel mir zu schwer, weil es mit meinem Zartgefühle im grellsten Widerspruche stand. Der einzige Mittelweg schien mir eine lange Entfernung; deshalb suchte ich immer hierin mein Heil. Aber meine Abwesenheit war immer zu kurz und ich mußte doch wieder nach Mailand zurück, wenn ich Italien und meine Stellung nicht ganz verlassen wollte, was doch auch der Ueberlegung werth war.


Gegen Ende August machte ich mit de Saive einen zweiten Ausflug in die Schweiz. Diesmal führte uns der Weg über den St. Gotthard an den Vierwaldstäd ter See. Wir wohnten in Flüelen und machten von dort aus schöne Ausflüge in der Umgebung des Sees. Acht Tage verstrichen uns nur zu schnell, und wir mußten, da der Urlaub meines Freundes zu Ende ging, uns mit schwerem Herzen auf den Rückweg begeben.

Am Abend vor der Abreise verfiel ich in ein ernstes, tiefes Nachdenken. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft drängten sich zusammen und der Streit so vieler, theilweise widersprechender Gefühle führte zu dem Entschlusse, nicht mehr nach Italien zurückzukehren. Es kostete meinem Freunde, der dadurch in peinliche Verlegenheit versetzt wurde, große Ueberredung. Erst der nächste Morgen brachte eine ruhigere Stimmung. Ich stand am Scheidewege einer neuen Lebensperiode.

Schon längst hatte Artaria mir das häusliche Glück recht schön geschildert. Dies that er auch bei meiner Rückkehr nach Como. Ebenso redete mein Bruder, den ich immer noch bei mir hatte, mir ins Gewissen, das liebe Geschöpf doch nicht so lange zu quälen und mich dazu. Es war ihm unbegreiflich, wie ich, der doch in der Lage war, einen häuslichen Herd gründen zu können, die Sache so verzögern könne. Nach langem Ueberlegen und Kämpfen mit mir selbst beschloß ich, endlich einen entscheidenden Schritt zu thun.

Gegen Ende September begann die Weinlese des berühmten Eilferweines. Mein Freund Artaria, welcher im Hause ihrer Eltern nicht fremd war, lud in seinem und seiner Gemahlin Namen Magdalena ein, die Zeit der Weinlese bei ihnen zu verweilen. Er selbst mit seiner Frau wollte sie dann nach Mailand zurückbringen. Mein Bruder wurde mit diesem Briefe und einigen Zeilen von mir nach Mailand geschickt mit der Weisung, sie zu begleiten, im Falle die Eltern darauf eingingen.

Zwei Tage verstrichen. Am dritten saß ich ganz ruhig an meiner Staffelei und dachte: heute kommt sie auf keinen Fall, denn es stürmte fürchterlich und der See tobte und schäumte. Kein Schiff ließ sich auf dem ganzen See blicken. Plötzlich rief Artaria meinen Namen und ehe ich noch an das Ufer gelangen konnte, flog sie in meine Arme. Mit klopfendem Herzen lag sie an meiner Brust, ihre Wange glühte, ihr feuriges Auge strahlte; es waren seelenvolle Blicke, welche mehr sagten als tausend Worte. Welche Feder wäre fähig, die beseligenden Gefühle zu schildern, welche so lange in tiefer Brust verschlossen geblieben. In solchen Augenblicken bedarf es keiner Erklärungen, wo das Herz so laut spricht. So können auch nur Menschen lieben, deren Herzen sich rein erhalten haben, deren Neigung auf gegenseitiger Achtung und Vertrauen beruht und deren jugendliche Kraft sich in ihrer ganzen Schärfe erhalten hat.

Von nun an verlebten wir hier während eines zwölftägigen Aufenthalts eine wahrhaft selige Idylle. Die grundsätzlich um mein Herz gezogene Eisrinde schmolz, die Arbeit ruhte. Daß diese Verwandlung die Geliebte unbeschreiblich glücklich machte, ist leicht denkbar. Auch ihr Charakter zeigte täglich neue Vorzüge und vor allem ein durchaus kindliches Gemüth und eine seltene Anmuth. Froh wie die Kinder durchwandelten wir mit ihrem älteren Bruder, welcher sie begleitet hatte, Hand in Hand die schöne Umgebung dieses Sees und die Gebirge, welche ihn umschließen. In den Frühstunden besuchten wir die Weingärten und labten uns an den vorzüglichsten Trauben. Die vollen Kehlen der Winzer schallten in munteren Liedern mit den ersten Strahlen der Morgensonne uns entgegen. Die Leute hatten ihre Freude an uns, weil wir beide so frisch und jung waren, und wer unser Verhältniß nicht kannte, hielt uns für Geschwister. Wir liebten uns, trugen es aber nicht zur Schau.

Das Wetter war fortwährend prachtvoll und jeder schöne Tag wurde zu Wasser und zu Lande ausgenützt.

Gleich den Tag nach ihrer Ankunft schrieb ich nach Mailand an die Eltern und bat um die Hand ihrer Tochter. Dann unterrichtete ich von diesem Schritte auch meine Eltern. Sie hatten längst schon gewünscht, daß diese Verbindung zu Stande kommen möchte. Mein gemüthlicher Hauswirth und seine Frau trugen redlich dazu bei, uns diese Tage so angenehm wie möglich zu machen. Auch hielten sie ihr Wort und begleiteten Magdalena nach Mailand.

Der Abschied war kein thränenreicher. Mit demselben vertrauensvollen Blicke, wie sie gekommen war, dankte sie, reichte mir treuherzig ihre kleine, feine Hand und sagte: „Auf baldig Wiedersehen!“

Ein paar Wochen verweilte ich noch in Blevio, um mein Bild möglichst vorwärts zu bringen. Lachen mußte ich jetzt über mich selbst, wenn ich an meine Heirathsscheu und meine Flucht über alle Berge dachte, um meine Freiheit nicht zu verlieren und mich nun so überaus glücklich fühlte. Unwillkürlich fielen mir die Verse ein:

Ueber die Berge mit Ungestüm
Vor der Liebe ein Jüngling lief,
Glaubte, sie wäre dicht hinter ihm –
Aber sie saß ihm im Herzen tief
Und ließ sich mit schelmischem Wonnebehagen
Ueber die Berge schaukeln und tragen.

Es war eine große Verwandlung in meinem Innern vor sich gegangen; einig mit mir selbst, wie ich es jetzt war, arbeitete ich noch ein paar Wochen eifrig und mit gutem Erfolge an meinem Bilde, packte dann zusammen und ging am 14. Oktober nach Mailand. Daselbst konnte ich aber nur wenige Tage verweilen, denn zu Montechiario, nahe bei Peschiera, wurde ein großes Lager bezogen, wohin Prinz Eugen sich begab und ich schicklicherweise nicht zurückbleiben konnte. In den ersten Tagen zeichnete ich, was ich für gut fand, dann trieb ich mich den größten Theil der Zeit in den schönen Umgebungen herum. Das köstliche Wetter und meine innerliche Heiterkeit machten mich außerordentlich glücklich. So herrlich glaubte ich Italien noch nie gesehen zu haben.

Da das Lager wider Vermuthen länger dauerte, so ging ich nach Mailand zurück, weil mir viel daran lag, mein Bild im Laufe des Winters zu vollenden. Ich arbeitete jetzt mit großem Eifer und nützte meine Zeit gut aus. Die Abendstunden verbrachte ich meistens im trauten Familienkreise meiner Braut.

Mein erstes Gesuch an den Vicekönig um Heirathsbewilligung wurde nicht genehmigt. Nun nahm sich mein theurer Freund de Saive der Angelegenheit ernstlich an, wartete einen günstigen Augenblick ab, in welchem er den Prinzen in einer recht guten Stimmung fand und erwirkte so die gewünschte Erlaubniß zu meiner Verbindung. De Saive traute übrigens der Entschiedenheit meines Charakters zu, daß wenn zu viele Schwierigkeiten gemacht würden, mir eines schönen Tages die Lust kommen könnte, zusammen zu packen, meine Braut mitzunehmen und meiner Stellung bei Hofe Lebewohl zu sagen. Ich hätte dies jetzt um so leichter thun können, als die Zukunft meiner Frau auch durch einiges Vermögen gesichert war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers