Abschnitt 2

08 Durch die Schweiz nach Italien. Idylle am Comersee. München.


Nach Vollendung dieses Auftrages ließ ich mir Leinwand aus Mailand kommen und begann mein zweites großes Bild, die „Schlacht von St. Michael“. In demselben trat die Landschaft sehr hervor. Die Gebirge um Blevio, welche mit denen von St. Michael viele Aehnlichkeit haben, kamen mir dabei sehr zu statten. Man arbeitet mit viel mehr Wärme, wenn man sich bei der Natur Rath erholen kann. Ich schritt deßhalb mit dieser Arbeit bis zum Herbste sehr weit voran.


Auf Artarias Villa verlebte ich vier Monate des schönen Sommers 1811 unter sehr angenehmen Verhältnissen; diese Zeit zählt zu den herrlichsten Tagen meines italienischen Lebens. Der Comersee bietet ja bei längerem Aufenthalte ungemein viel Reizendes. Dazu kam noch, daß der Landschaftsmaler Rebell 1) sich damals mehrere Monate in Blevio aufhielt und ich also die Freude genoß, mit einem Künstler verkehren zu können. Mein philosophischer Hauswirth Artaria hatte ebenfalls viele Freude an der Kunst; seine Gemahlin war eine Virtuosin auf dem Claviere und gewährte uns mit diesem manche Erheiterung; kurz, es fehlte nichts, als der Friede im Herzen. Aber mit diesem unruhigen Ding konnte ich gar nicht fertig werden. Ich liebte und wollte es mir nicht eingestehen. Das Komische war dabei, daß ich immer in der Flucht mein Heil suchte, wodurch das Uebel um gar nichts besser wurde. Besonders in Mailand, wohin ich mich ein paarmal begab, schien die abermalige Trennung keine angenehmen Wirkungen hervorgebracht zu haben.

Mein immer gleich treuer Freund de Saive veranlaßte mich, eine Reise in die Schweiz zu machen. An der Seite dieses trefflichen Menschen erlebte ich abermals frohe, glückliche Tage.

Wir gingen von Como über das freundlich gelegene Varese, den Luganersee, Lago Maggiore, Bellinzona nach Airolo am Fuße des St. Gotthard. Von da nahmen wir unsere Richtung durch ein Thal, das sich am Fuße der Gebirge hinzieht, welche das Walliserland begränzen. Mein Freund hatte eine vorzügliche Gebirgskarte bei sich, nach der er behauptete, es müsse von Airolo ein Weg über jene Gebirge in das Wallis führen. In Airolo aber wollte niemand etwas von einem solchen Wege wissen, doch wurde uns bemerkt, daß wir einige Stunden links ein kleines, fast von lauter Gebirgsjägern bewohntes Dorf finden würden, welche uns vielleicht bessere Auskunft geben könnten. Wir fanden in diesem in der That fast jedes Haus mit Emblemen erlegter Bären, Wölfe und Luchse geziert und nach langem Umfragen auch einen alten, stämmigen Jäger, welcher uns sagte, nach Wallis zu kommen wäre wohl möglich, aber von einem Weg sei keine Rede. Er selbst sei vor vielen Jahren einmal hinübergegangen; wenn wir den Muth dazu hätten und ihn gut bezahlten, so wolle er uns führen. Dabei betrachtete er aber mit mitleidigem Lächeln und Kopfschütteln unsere Garderobe, besonders unsere Fußbekleidung; die Herren, meinte er, schienen ihm eben gar zu fein für eine solche Parthie.

Diese Bedenklichkeilen reizten uns aber mehr, als sie uns abschreckten; wir beide, de Saive und ich, fanden Geschmack an wagehalsigen und abenteuerlichen Dingen, und somit wurde die Reise angetreten. Zuerst führte der Weg über Stock und Stein, inzwischen über glatte, sehr steile Grasmatten bis zu einer bedeutenden Höhe, dann aber kamen wir in einen großen Lärchenwald, dessen Bäume meist schon ganz kahl standen. Die Oberfläche des Bodens bestand aus herabgefallenen Nadeln und war glatt wie Glas, so daß man zwei Schritte vorwärts und einen wieder dabei rückwärts machte, von Zeit zu Zeit aber auch über und über stürzte, was sehr ermattete, zumal die Steigung stets sehr steil blieb und diese Passage lange dauerte. Hieraus ging es über ungeheueres Geröll und schroffe Felsenmassen bis zu einer Höhe, wo alle Vegetation ein Ende hatte. Weiße Felsen ragten hier in pyramidaler Form in Spitzen endend und einem gothischen Bau nicht unähnlich in das dunkle Blau des Himmels empor, kein Wölkchen zeigte sich am Horizont und das Blau schien beinahe schwarz, die Mittagssonne brannte fürchterlich auf diese lichten Felsen, so daß es uns das Wasser aus den Augen trieb. Zuletzt geriethen wir auf eine ungeheure Schneefläche; diese aber hätte uns beinahe das Leben gekostet. Wir kamen an eine ziemlich stark ansteigende Stelle, bei welcher der Schnee durch einen furchtbaren Riß gespalten war, der in eine unergründliche, schwarze Schlucht blicken ließ. Diesen mußten wir umgehen, der Führer ermahnte uns, möglichst tief in den Schnee einzutreten, um nicht zu rutschen und bemerkte, wer da hinunterfiele, würde das Tageslicht nie mehr erblicken!

Zur größeren Vorsicht gab er mir seinen großen Gebirgsstock, da er auf meine Fußbekleidung nicht viel Vertrauen setzte, die Sohlen ohne Nägel waren glatt geworden. Ich glitt aus, fiel und rutschte nun eine geraume Strecke bergab, schnurgerade der unheimlichen Kluft zu, hatte aber noch soviel Geistesgegenwart, im Rutschen fortwährend den Stachel des Stockes in den Schnee hineinzustoßen. Endlich hielt er fest, der Führer rief mir zu, mich um Gotteswillen nicht zu bewegen, er werde mich holen. Er trat mit seinen großen Bergschuhen eine förmliche Treppe in den Schnee, hob mich auf und führte mich wieder herauf. So rettete mich die Vorsicht dieses Mannes und sein Stock vor dem furchtbaren Tode, lebendig begraben zu werden.

Von jener Stelle an hatten wir bald den höchsten Punkt erstiegen, dann ging es abwärts. Nun befiel uns der Muthwillen, auf einem Stocke reitend bergab zu kutschiren. Das ging auch einige Zeit recht lustig, plötzlich aber verschwand de Saive, welcher voraus war, sich nicht mehr halten konnte und über eine ungefähr 20 Fuß hohe Felswand hinabstürzte. Er that sich sehr weh und setzte nicht ohne Beschwerden den Weg weiter fort. Tiefer unten stellte sich uns ein ziemlich breiter, wilder Bergstrom entgegen, der voll von Felsstücken und grobem Gerölle war. Unser Führer trug uns einen nach dem andern auf dem Rücken hinüber. Mein Pudel, der sonst gerne in das Wasser ging, bemerkte wohl, daß er einer solchen wilden Strömung nicht Widerstand leisten könnte und lief unter jämmerlichem Geheul am Ufer auf und ab. Als aber ich hinübergetragen und kaum am anderen Ufer angelangt war, stürzte er sich mit einem gewaltigen Sprung in den Bergstrom, der ihn mit sich fortgerissen hätte, wenn ihm nicht unser Führer zu Hilfe gesprungen wäre. Gegen Abend kamen wir nach Guttannen, wo wir unser Nachtquartier aufschlugen und de Saive mehrere Tage in Folge seines Sturzes das Bett hüten mußte. Von hier nahmen wir den Weg dicht über die Furka nach dem schönen Haslithale mit seinen prächtigen Wasserfällen (den Aarfall hatten wir vorher schon aufgesucht), gingen über den Brienzer und Thuner See und kehrten über den Simplon, Domo d’Ossola und den schönen Lago Maggiore nach Mailand zurück.

Diese Gegenden, besonders das Haslithal, haben nicht umsonst einen so großen Ruf; nirgends fand ich soviel Großartiges auf einem Punkte vereinigt: wunderschöne Matten, üppige Gründe von Bächen durchzogen, mit Obst- und anderen Bäumen übersäet, reinliche, hübsche Wohnhäuser, sehr wohlgenährtes Vieh auf den Weiden, ein kräftiger, gut gekleideter, stattlicher Menschenschlag erregte auf dieser Wanderung die angenehmsten Eindrücke. Großartige Wasserfälle und majestätische Berge, wie die Jungfrau und andere, die nah und fern ihre stolzen Häupter in die Wolken emporheben, fügen zu dem Anmuthigen das Ernste und Imposante.

Damals war dieses schöne Gebirgsland noch nicht ein Promenadeplatz für ganz Europa geworden: Engländer, welche alles vertheuern und mit dem rothen Buch in der Hand reisen, sah man gar nicht. Das Landvolk in der Schweiz hatte damals noch viel von der Einfachheit der guten, alten Sitten behalten und man fühlte sich in ihren reinlichen Behausungen recht behaglich. Selbst jetzt nach 48 Jahren denke ich darum gerne an diese Reise zurück.




1) Joseph Rebell, geb. zu Wien 11. Januar 1787, ging 1809 in die Schweiz und von dort nach Mailand, wo er einen Theil des Jahres 1810 und 1811 zubrachte und mancherlei Aufträge für den Prinzen Eugen Beauharnais (z.B. Ansicht der Uebergangsbrücke der französischen Armee in die Lobau) ausführte und Landschaften vom Comersee für Ferd. Artaria in Mailand malte. Rebell ging dann nach Neapel und Rom, erhielt 1824 die Direktorstelle an der kaiserl. Belvedere-Gallerie zu Wien, starb aber schon auf einer Reise zu Dresden 18. Dezember 1828. Vgl. Nagler 1842, XII. 351 und Wurzbach, Biogr. Lexicon 1873, XXV. 78 ff.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers