Abschnitt 1

08 Durch die Schweiz nach Italien. Idylle am Comersee. München.


Am 6. Mai 1811 reiste ich mit meinem Bruder von Nördlingen ab. Meinen Eltern fiel die Trennung sehr schwer, und auch mir ging sie sehr nahe. Als ich aber die Stadt verlassen, warf ich noch einen Blick zurück nach all den Freuden und Leiden, welche dort an mir vorübergezogen, sandte im Stillen noch ein Lebewohl an alle die Freunde und Lieben, in deren Umgang ich trauliche Stunden verlebt hatte, und richtete meine Blicke muthig vorwärts. Krank, in trüber Stimmung, fast hoffnungslos kam ich nach Nördlingen, kräftig und gesund gehe ich nun meiner weitern Bestimmung und einer schönen Thätigkeit entgegen. Gebe Gott, daß sich der Himmel nicht aufs neue verdüstere und ich mich nicht in neue Trübsal verirre, nachdem ich der alten so glücklich entronnen. Unter solchen Gedanken fuhren wir still Ulm zu, wo ich meine jüngere Schwester unterbrachte. Wir verweilten in der alten Stadt mit ihrem prachtvollen Münster einige Tage und setzten dann unsern Weg bei herrlichem Frühlingswetter durch das freundliche Schwabenland nach Lindau zu Fuße weiter fort, blieben hier wieder einige Tage, machten einige Ausflüge in die schönen Umge bungen des Bodensees und warteten die Ankunft unserer Koffer ab.


Ueber den Splügen war damals die Reise noch sehr beschwerlich, da bloß ein Saumweg, der an manchen Stellen zudem noch gefährlich aussah, über ihn führte. Man konnte diesen nur mit Saumthieren oder Pferden, welche an ihn gewöhnt waren, passiren. Zu diesem Behufe befand sich in Fussach, einem Lindau gegenüberliegenden Dorfe am Bodensee, eine recht gute Einrichtung. Alle Wochen einmal ging von dort ein Courier regelmäßig nach Mailand und umgekehrt. Diese Leute übernahmen die Reisenden sammt allem Gepäcke und vollständiger Verpflegung gegen den Preis von 5 Louisd’ors. Man war bei ihnen sehr gut aufgeboben und brauchte sich um gar nichts zu bekümmern. Bis Chur ging es im Wagen, von da zu Pferd oder Esel bis Chiavenna, dann über den Comersee und von diesem zu Wagen nach Mailand. Diese Reise trug einen poetischen und höchst pittoresken Charakter, denn abgesehen von den Naturschönheiten, welche der Splügen, besonders in der Via mala bietet, gewährte der Zug selbst die größte Abwechslung und die schönsten Gruppirungen auf den sich oft an schroffen Felswänden, oder an Schluchten und Abgründen wunderlich hinschlängelnden Wegen.

Hier ereignete sich unter anderm ein Vorfall, welcher verdient, erwähnt zu werden. Ich hatte einen schönen schwarzen Pudel größerer Art von ganz ungewöhnlichen Anlagen, den ich seiner Wachsamkeit wegen Cerberus nannte. Er bewachte seinen Herrn und dessen Gut mit einer unbeschreiblichen Aufmerksamkeit, ebenso wußte er Verlornes auf unglaubliche Weise zu finden. Am eigenthümlichsten aber war, daß er, so oft ich in Gesellschaft reiste, dieselbe Aufmerksamkeit jedem von meinen Gefährten zuwandte. Auf einem der schmalen Pfade, wo nur ein Pferd hinter dem andern gehen konnte, geschah es, daß Cerberus mit wildem Gebell um den ganzen Zug herum sprang, die Pferde aufzuhalten suchte, besonders das Pferd des Couriers, welcher als Führer voranritt. Dieser wurde zuletzt ungeduldig, hieb mehrmals mit der Peitsche nach dem Hunde und rief mir zu: „Wehren Sie Ihren Hund ab, wir können ja nicht weiter kommen!“ Allein so gehorsam dieser sonst war, mein Rufen war vergeblich, er leistete nicht Folge, so daß ich bedenklich wurde und fragte, ob Jemand etwas verloren habe oder fehle. Zugleich sah ich mich nach meinem Bruder um, welcher weit zurückgeblieben und auf seinem Pferde fest eingeschlafen war. Seinen Mantel, den er, ohne ihn zu befestigen leicht über das Pferd geworfen, hatte er verloren. Jetzt wußte ich, woran ich war. Mühsam wandte ich mein Pferd auf dem schmalen Wege und ritt zurück. Kaum hatte dies der Hund bemerkt, so lief er mir weit voraus, mein Bruder war aus seinem Mittagsschlaf indessen auch erwacht, und wir beide folgten jenem, der immer weit voraus war und von Zeit zu Zeit sich geschäftig umsah, ob wir nachkommen. Wir mußten eine ziemliche Strecke zurückreiten, bis wir dahin kamen, wo der Mantel lag. Cerberus, welcher lange vor uns angelangt war, versuchte den Mantel fortzuschleppen, aber alle Anstrengungen blieben umsonst, der Mantel war zu groß, der Hund trat im Gehen auf ihn, verwickelte sich und purzelte jedesmal ganz komisch über und über.

Man könnte von diesem merkwürdigen Thiere, bei dem diese und ähnliche Eigenschaften nicht eingeprügelt, sondern Naturanlagen, fast möchte man sagen, eine Art Hunde-Genialität waren, eine eigene Biographie schreiben, wenn es hier am Platze wäre. Ich werde jedoch bei meiner Reise nach Rußland zur Armee 1812 Veranlassung haben, nochmals darauf zurückzukommen.

Der Courier sagte nach dem soeben erzählten Vorfalle: „Fordern Sie für diesen Hund, was Sie wollen, wenn ich die Summe bezahlen kann, kaufe ich ihn!“

Am 16. Mai kamen wir nach einer langweiligen Fahrt in einer schwerbepackten, mit Menschen vollgestopften und nur mit zwei Pferden bespannten Kutsche in Mailand wohlbehalten an.

Nach dem, was im Verlaufe eines ganzen Jahres in Mailand an mir vorüber gegangen war, betrat ich diesen Ort mit einem eigenthümlichen Gefühl. Es war ein Gemisch von Furcht und Hoffnung, was mir viel Stoff zum Nachdenken gab.

Man betrachtete mich bei Hofe, da ich während einer siebenmonatlichen Abwesenheit keinem Menschen eine Zeile geschrieben und meinen Gehalt inzwischen hatte bei der Kasse stehen lassen, als einen vom Tode Auferstandenen. Ich wurde freundlich empfangen und bekam meinen rückständigen Gehalt in neuen, schöngeprägten Fünffrankenthalern ausbezahlt, was mir damals sehr gelegen kam.

Zwei Tage war ich in Mailand, als ich das Haus betrat, in welchem mir durch nur zu viele Liebe so oft Kummer und Sorge bereitet wurde. Ich hatte Erkundigungen eingezogen, wie es dort stehe und erfuhr, daß alles beim Alten sei, daß Magdalena jeden Antrag für eine Versorgung zurückweise und mit Festigkeit auf meine Rückkehr harre. Mein Betragen war nicht schön, das fühlte ich. Den eigenthümlichen Charakter dieses Mädchens hatte ich noch nicht verstehen gelernt; ich hätte ihr nicht so viel Beharrlichkeit zugetraut, rechnete auf Vergessen und hatte mich getäuscht. In dieser langen Abwesenheit wäre es nicht schwer gewesen, durch Briefe dieses Verhältniß ganz abzubrechen. Aber ich fand keinen genügenden Grund dazu, da von einer Verbindung gar nie die Rede war. Eine Kränkung dieser ehrenhaften Familie widerstand meinem feinen Gefühle, obwohl die Vernunft mir sagte, daß es besser wäre, sie nicht mehr zu sehen. Mit Herzklopsen näherte ich mich am dritten Tage meiner Ankunft diesem Hause. Der erste Empfang war eben kein sehr freundlicher. Aber nicht etwa mit Thränen, welche den Mädchen so leicht ankommen, wenn sie sich gekränkt fühlen, sondern mit einer Art stolzen Bewußtseins empfing mich Magdalena. Einigen wohlverdienten Vorwürfen über mein liebloses Betragen, sie sogar über meinen Gesundheitszustand, welcher ihr so viel Sorge bereitet hatte, so lange ohne Nachricht zu lassen, konnte ich nicht entgehen. Das dauerte aber nicht lange und in kürzester Zeit war wieder alles so ganz und gar beim Alten; ihr Herz hatte sich nun einmal entschieden, sie schien wirklich mit ehernen Banden an mich gefesselt. Wahre Liebe grollt nicht lange. Desto mißlicher aber wurde jetzt meine Stellung nach dieser harten Prüfung, welche sie bestanden hatte. Der Zufall kam mir zu Hilfe.

Die Vicekönigin beauftragte mich alsbald mit zwölf kleinen Aquarellzeichnungen aus dem Kriege von 1809; ich machte die Entwürfe in Mailand und nahm dann eine Einladung von meinem Freunde Francesco Artaria an, den Sommer in seiner Villa zu Blevio am Comersee zuzubringen. Hier vollendete ich die Zeichnungen: sie wurden sodann in Paris auf ein Ta felservice in Porzellan mit vielem Geschmack ausgeführt, womit die Prinzessin ihrem Gemahl auf Weihnachten eine Ueberraschung bereitete.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers