Abschnitt 1

15 Der italienische Krieg 1848.


Nirgends waren wohl die segensreichen Wirkungen eines mehr als dreißigjährigen Friedens so fühlbar, wie auf dem Gebiete der Kunst. Allein gegen das Jahr 1848 umdüsterte sich der politische Horizont, und schon einige Jahre vorher blickte jeder Denkende mit Besorgniß dem Ausbruche jener Bewegung entgegen, welche, von einer allgemeinen Begriffsverwirrung ausgehend, alles Bestehende umzustürzen drohte.


Ein solch’ trüber Zustand wirkt doppelt nachtheilig auf den Künstler: er lähmt den bei seinen Arbeiten so wohlthätigen geistigen Aufschwung und bedroht seine Eistenz. Auch ich fühlte das; übrigens ließ ich mich durch die vielen traurigen Ereignisse, die jeder Tag des unheilvollen Jahres brachte, nicht bei meinen Arbeiten beirren. Der Muth verläßt mich nicht leicht. Ich lebte in meinem Atelier, malte fleißig und fand, daß es mir so am ersten möglich wurde, das unglückliche Treiben um mich her zu vergessen.

Ein großer, vielleicht der größte Theil der Münchener Künstler hatte Pinsel und Palette, Griffel und Meißel weggelegt und die Waffen in die Hand ge nommen, um zur Aufrechthaltung der Ordnung beizutragen. Sie bildeten ein nicht unbeträchtliches Corps für sich. Es wurde fleißig exercirt und man hielt in den Gesellschaftslokalen der Künstler patriotische Reden. Ich fand das recht schön, wenigstens war Zweck und Absicht gut, da ich aber selbst drei Söhne zu diesem Contingent stellte und in den Jahren vorgerückt war, so hielt ich mich für entschuldigt, daß ich mich nicht persönlich dabei betheiligte, und zog es vor, meine Palette fleißig zur Hand zu nehmen. Sie bewies sich auch jetzt als meine treueste Freundin, wie sie mich stets den Kummer leichter ertragen gelehrt und meine frohen Tage gewürzt hat.

Großen Antheil nahm ich an dem Unglücke der österreichischen Waffen in Italien und interessirte mich lebhaft für diese ebenso schöne als brave Armee. Oft genug war ich Zeuge ihrer Tapferkeit gewesen; es wollte mir gar nicht in den Kopf, daß sie jetzt von einem tollen Pöbel verhöhnt und aus Italien verdrängt werden sollte. Mit Begierde las ich alle Berichte aus Italien, ich ließ die Hoffnung nicht sinken, daß eine Wendung der Dinge eintreten werde. Als endlich eine Siegesnachricht nach der andern einlief, ließ es mir in München keine Ruhe mehr. Ich folgte der österreichischen Armee in Gedanken, sah ihre Bewegungen lebhaft vor mir, träumte davon und glaubte den Donner des Geschützes zu hören, so sehr war meine Phantasie in Aufregung.

Eines Morgens sagte ich beim Erwachen zu meiner Frau: „Höre, ich bin gesonnen, nach Italien zu gehen!“ – „Es könnte nicht übel gethan sein,“ war ihre Antwort. Wenige Tage darnach war ich reisefertig.

In Begleitung meines Sohnes Eugen reiste ich zu Anfang August von München ab nach Innsbruck. Hier bekamen wir einen Feldpater zur Gesellschaft, ein aufgeweckter Kopf, mit dem wir uns gut unterhielten; dieser hatte in der gefährlichen Lage der Dinge in Italien Reißaus genommen. Jetzt wollte er sich wieder einstellen, es war ihm aber nicht ganz wohl zu Muthe. Auch ein Italiener reiste mit uns, der ebenfalls davon gelaufen war und Haus und Hof, Frau und Kinder im Stiche gelassen hatte. Beide sahen überall Gespenster; ich hingegen, der alte Halbsoldat, behandelte alles mit großer Ruhe, und der Humor meines Sohnes richtete jene wieder auf.

So kamen wir bei heiterm Wetter über Brixen und Botzen nach Welschtirol. Hier wurde die politische Atmosphäre etwas schwül. In Roveredo, wo wir Abends anlangten, war eine Revolution ausgebrochen, die unsere Reisegefährten in große Angst versetzte. Der Conducteur des Eilwagens, mit welchem wir fuhren, wollte die Reise nicht fortsetzen; unter den Postbeamten herrschte Meinungsverschiedenheit, endlich kamen wir nach langem Streiten doch weiter. Ohne besondere Störungen fuhren wir die Nacht durch und kamen Tags darauf nach Verona, wo wir uns von den Reisegenossen trennten.

Da ich beabsichtigte, alle wichtigen Punkte zu besuchen, wo man sich geschlagen, so ließ ich mir von dem Kommandanten einen Paß geben, durch den ich die Erlaubniß erhielt, überall ungehindert zeichnen zu dürfen. Noch denselben Abend machte ich davon Gebrauch. Ein bedeutender Transport piemontesischer Gefangener, 500 an der Zahl, war angekommen, die in Kleidung, Haltung und Physiognomie ungemein pittoresk aussahen. Sie wurden im Stadtstockhause untergebracht, wo sie in dem großen Hofraum campirten. Unverzüglich begab ich mich mit meinem Sohne dorthin, und wir machten recht interessante Studien. Auch unterhielt ich mich mit ihnen sehr gut und erfuhr manches über die vorgefallenen Gefechte. Unter den Gefangenen befanden sich viele Savoyarden. Da ich mich mit ihnen in italienischer und französischer Sprache verständigen konnte, wurden sie ganz treuherzig, besonders als ich ihnen erzählte, daß ich mit der Napoleonischen Armee den russischen Feldzug mitgemacht habe. Es lag ein eigener Typus in diesen Leuten, der sehr von dem der Oesterreicher abstach. Gerne hätte ich Tage lang dort gezeichnet, aber leider brach die Nacht zu frühe herein, und beinahe wäre ich in die unangenehme Lage gerathen, dort campiren zu müssen, denn inzwischen war der Wachtposten abgelöst worden, und der neue wollte uns nicht herauslassen. Mein Freipaß, den aber der Unteroffizier, welcher die Wache hatte, nicht recht respektiren wollte, half mir zuletzt durch. Es kam ihm gar zu verdächtig vor, daß sich jemand stundenlang freiwillig einsperren ließ.

Am folgenden Tage begaben wir uns nach Santa Lucia, Peschiera, Castelnuovo. – Dort sah man überall die Spuren des Krieges, besonders in Castelnuovo, das beinahe ganz verwüstet und niedergebrannt war. Einen Tag noch trieb ich mich in Verona und Umgehung herum und begab mich dann nach dem inzwischen von den Oesterreichern besetzten Mailand. Mein Sohn aber, für den alles, was er um Verona sah, mehr Reiz der Neuheit bot, konnte sich nicht so schnell von dort trennen. Erst nach mehreren Tagen traf er mit interessanten Studien in Mailand ein.

An einem sehr schönen, aber heißen Morgen kam ich nach dieser Stadt. Es erregte in mir ein ganz eigenes Gefühl, als der Wagen durch die heitere Straße des Corso di porta orientale dahinrollte. Nach einer Abwesenheit von 33 Jahren betrat ich wieder diesen Ort, an den sich so viele, für mich bedeutungsvolle Erinnerungen knüpften.

Ich stieg im Hotel Reichmann ab, wo ich als alter Bekannter des Hauses freundlich aufgenommen wurde. Nach dem Frühstück durchwanderte ich trotz der lästigen Hitze die Stadt nach allen Richtungen, wobei unzählige Erinnerungen an frohe und trübe Tage in mir auftauchten. Wie ein Traumbild zog die Vergangenheit an mir vorüber. So lief ich herum, bis Hunger und Ermüdung mich mahnten, mein Hotel aufzusuchen.

Die Tafel war in diesem sonst sehr besuchten Gasthofe nicht besonders besetzt. Man hatte es dort während der Revolution mit beiden Parteien verdorben. Die Herrin des Hauses, eine Frau voll Verstand, war unter allen Verhältnissen gut österreichisch gesinnt, die Söhne hingegen hatten sich während der Revolution sehr compromittirt und viel ungeschicktes Zeug gemacht. Bei Tische hatte ich einen freundlichen, gebildeten, Offizier, einen Husaren-Major des Regimentes Radetzky, zum Nachbarn; als er zufällig meinen Namen hörte, bezeugte er große Freude über meine persönliche Bekanntschaft und frug im Laufe des Gespräches, was mich denn in dieser bewegten Zeit nach Mailand führe. „Der lebhafte Antheil,“ antwortete ich, „den ich an dem glorreichen Erfolge der österreichischen Waffen nehme und der Wunsch, den Feldmarschall Radetzky kennen zu lernen.“ – „Sind Sie dem Feldmarschall schon vorgestellt?“ fragte er weiter. „Ich bin erst seit wenigen Stunden hier und wün sche dazu bald Gelegenheit zu finden.“ – „Die Gelegenheit liegt sehr nahe,“ erwiderte Graf Ingelheim (so hieß der Major); „gleich nach Tisch wird mein Wagen vorfahren, und ist es Ihnen genehm, so führe ich Sie nach der Villa reale und stelle Sie dem Feldmarschall vor. Um diese Stunde nach Tische sieht er gerne Leute um sich. Ihr Name ist bei uns kein fremder. Sie dürfen eine freundliche Aufnahme erwarten.“ Daß mir dieses Anerbieten sehr willkommen war, ist denkbar. Bald fuhr ein eleganter Wagen mit zwei schönen Racepferden vor. Wir saßen ein und die leichtfüßigen Thiere brachten uns schnell nach der schönen Villa reale. In der Umgebung dieser Villa sah es sehr kriegerisch aus: Unter den üppigen Bäumen des Giardino publico bivouakirte eine große Anzahl von Fuhrwesen mit ihren Pferden, Wagen und Gepäck, rechts davon Cavallerie. Vor dem großen, eisernen Gitter, das den Hof des Palastes abschloß, lag eine Compagnie der schönen, ungarischen Grenadiere, lauter Riesengestalten; sie hatten sich’s dort bequem gemacht und ihr Bivouak aufgeschlagen. Wohin das Auge sah, erblickte es malerische Gruppen, genügend, um Tage lang dort zeichnen zu können. Durch den Hof führte der Weg in das Erdgeschoß, direkt in den Speisesaal und durch einen andern größern Saal auf die Terrasse, wo sich der greise Held unter einer großen Anzahl von Koryphäen aus jener Heldenzeit nach Tische in gemüthlicher Unterhaltung von der Last des Tages ausruhte. Lieblicher Duft wehte dem Eintretenden entgegen aus dem schönen Garten der Villa, und man konnte für Augenblicke hier vergessen, daß man sich mitten im Kriege befand und daß die halbgedämpfte Revolution noch immer ihre Zähne fletschte und knirschte und im Finstern brütete.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers