Die Werbung

Wenn ein junger Mann ein junges Mädchen heiraten will, so sendet er entweder seine Mutter, oder eine Frau aus seiner Behausung, oder eine Händlerin *, oder eine auswärtige Frau aus, manchmal auch eine ganze Anzahl Frauen. Die betreffende geht nun hin und besucht verschiedene Häuser, und sieht sich nach den heiratsfähigen Mädchen um, und wenn ihr eine gefällt, so fragt sie nach ihrer Abkunft **, nach ihrem Alter ***, nach ihren Fähigkeiten ****, und sie erkundigt sich auch nach ihrer Mitgift *****. Die Mitgift beträgt gewöhnlich 40 — 100 Mitkal Gold ****** und anderthalb oder zwei Pfund ******* Silber, ferner fünf bis zwanzig Schaumünzen, ferner Edelsteine, — ohne der Kleider Erwähnung zu tun. Hierauf geht die Frau hin und berichtet alles dem Brautwerber und seinem Vater, und wenn auch diese mit der Abkunft und Mitgift des Mädchens einverstanden sind, so schicken sie ein Schlachttier zur Feier der Verlobung hin *******.

*) dellâla „Händlerin“, — Die dellâla ist eine Hausiererin oder Verkäuferin, welche als solche leicht Zutritt in die Häuser hat. Sie besorgt den Verkauf von Schmuckgegenständen und dient eben nicht gar zu selten als Unterhändlerin bei unerlaubtem Verkehr zwischen Männern und Frauen verschiedener Familien. Strenggläubige, ernste Familien lassen daher nur ungern eine dellâla mit den Frauen ihrer Angehörigkeit verkehren. Es gibt übrigens auch vollkommen ehrbare dellâlât, und dieser bedient man sich gern bei der Werbung um ein Mädchen.


**) Auf die Abkunft wird bei einer Heirat sehr viel gehalten. Niemals gibt ein Sfaxer seine Tochter einem noch so reichen Nomaden, oder heiratet ein Nomadenmädchen. Man unterscheidet „gute" und „schlechte“ Familien ohne Rücksicht auf ihren Besitz und Einfluss. — Die Frauen, die zur Brautschau abgesandt werden, geben sich auf Betreiben des jungen Mannes, der sich verheiraten will, alle Mühe, die körperlichen und geistigen Eigenschaften des Mädchens auszukundschaften. Sie sind bestrebt, durch Besuche, die sie zu ganz ungewöhnlicher Stunde machen, dasselbe bei seinem gewöhnlichen Tun und Treiben zu beobachten. Man gibt genau acht, dass sie keine Narben oder Wunden, keine kranken Augen, keinen üblen Geruch aus dem Munde hat. Ich kenne einen Fall, wo sich die Großmutter des, eine Braut suchenden Jünglings mehrere Nächte hindurch unter irgend einem Vorwand mit dem Mädchen zur Ruhe begab um sie in allen Beziehungen kennen lernen zu können!

***) Das Alter wird immer nur geschätzt. Höchst selten ist es durch eine Aufzeichnung der Eltern genau zu bestimmen. Sehr gern dient heutzutage eventuell als Anhaltspunkt die Angabe, welches Alter das betreffende Mädchen zur Zeit der hátra, der Bombardierung Sfax's durch die Franzosen im Jahre 1881, ungefähr hatte.

****) Gemeint sind die Fähigkeiten des Mädchens im Nähen, in den Hausarbeiten, auch ihr Benehmen gegen Mutter, Freundinnen und Verwandte.

*****) „Mitgift“. bedeutet in Sfax den Betrag, welchen die Braut vom Bräutigam als Mitgift und Eigentum erhält und welcher ihr im Falle einer Scheidung ohne ihrerseitiges Verschulden wieder zufallen muss. Der syrt kann also wirklich in Gold und Silber usw. ausbezahlt werden, wird aber auch ersetzt durch ein Haus, einen Olivengarten o. ä. Ja, es kann vorkommen, dass gar nichts gegeben wird, sondern dass bloß im Heiratsvertrag angeführt wird, wieviel der Mann zu geben habe. Bei etwaiger Scheidung muss der Braut der betr. Betrag vom Manne ausbezahlt werden. Die Braut selbst erhält von ihren Eltern ihre eigene Mitgift, die immer ihr Eigentum bleibt. Hat sie keinen elterlichen Brautschatz, so sagt man, sie sei dem Manne „im Hemde“ gegeben worden.

******) „Mitkai Gold“. — Ein mitqâl dhéb ist ungefähr fünf Gramm gemünzten Goldes und entspricht einem Werte von 15 1/2 Francs.

*******) ist unser Pfund.

********) Das betr. Tier wird meist mit einem seidenen Taschentuche geschmückt, das man um seinen Hals bindet. Arme senden statt des Opfertieres einfach etwas Fleisch oder sonst ein Geschenk.