Die Nacht des Vollzugs der Ehe

Nach dem Abendgebete kommt der Barbier, macht das Bett des Bräutigams zurecht und kleidet ihn an; der Bräutigam und seine Freunde gehen dann hinaus vor das Haus, setzen sich dort auf Stühlen nieder und warten, bis die Braut kommt. Um neun Uhr gehen drei bis vier Frauen vom Hause des Bräutigams nebst einem Mann mit einer Laterne nach dem Hause der Braut um sie zu holen. Man hüllt sie ein 61, und es gehen drei bis vier Frauen mit ihr, zu denen sich noch Hochzeitshelferinnen gesellen, welche ihre Tamburine schlagen. Wenn sie fast bei dem Hause des Bräutigams angekommen sind, stellen sich 62 alle Frauen der Familie des Bräutigams in der Vorhalle 63 des Hauses in einer Reihe auf, während Hochzeitshelferinnen ihre Instrumente schlagen; nun empfängt man die Braut mit Ausdrücken wie „Márhaba!“ und „'Asselâma!“ 64 und führt sie hinein in das Zimmer des Bräutigams, während sie noch immer dieselben Kleider, doch nur ein Ehrenkleid, anhat. Bald darauf führt man sie wieder heraus und setzt sie auf einen Stuhl, und die Hochzeitshelferinnen beginnen sie wieder zu schmücken, wie sie sie im Hause ihres Vaters geschmückt haben. Dann rufen sie den Bräutigam und lassen ihn, während er auf einem Stuhle sitzt, die Braut betrachten, wie sie im Prunke erstrahlt 65. Und er spendet um der Braut willen Franc- und halbe Francstücke, die die Hochzeitshelferinnen für sich selber nehmen 66. Hernach geht er weg; die Braut aber führt man ins Brautgemach und lässt sie dort auf dem Bette 67 sitzen, während man den Bräutigam ruft. Dieser tritt nun in sein Zimmer und schließt es ab, begrüßt die Braut und nimmt dann eine flache irdene Schüssel 68 voll Maqrûd 69, trägt sie hinaus und verteilt den Inhalt unter seine Freunde; jedem gibt er ein Stück, und dann betritt er das Brautgemach 70. Manchmal veranstaltet der Bräutigam noch eine Nachtunterhaltung, nachdem er zu seiner Gemahlin eingetreten war.

61) Der große weiße wollene Mantel, den die Frauen zu tragen pflegen, wenn sie ausgehen, sie hüllen sich vollständig in ihn ein.


62) d. h. sie stellen sich in zwei Reihen einander gegenüber auf.

63) In der Vorhalle (oder Hausflur) des arabischen Hauses sieht man gewöhnlich die Tiere (Esel oder Maultiere) stehen; sie wird für die Hochzeitsfeierlichkeiten stets völlig gereinigt und neu geweißt.

64) bedeutet „möge es dir weit (gemütlich) sein!"; „mögest du wohlbehalten hier ankommen und bleiben!"

65) Der Bräutigam sitzt der Braut gegenüber und betrachtet sie. Sie steht aufrecht mit niedergeschlagenen Augen vor ihm und dreht sich langsam im Kreise, so dass er sie bequem betrachten kann; dabei hat sie die Hände in die Seiten gestemmt.

66) Der Bräutigam nimmt silberne Franc- oder halbe Francstücke, benetzt sie mit etwas Speichel und klebt sie auf die Stirn der Braut. Die Hochzeitshelferinnen nehmen sie von da herab und behalten sie für sich.

67) Unter dem Bette ist hier das große arabische Bett — das Himmelbett zu verstehen.

68) Eine große tönerne Schüssel mit Fuß, auf der gewöhnlich der Küsksi (denn so nennt man das bekannte Nationalgericht der Marrebiner in Tunisien, das wir meist in der französ. Schreibart couscoussou kennen) angerichtet wird.

69) Eine Art Grieskuchen.

70) Damit gilt die Ehe als vollzogen.