Die 'Aisâwi's

Wer im Winter, Freitag abends gegen vier Uhr, die Straße unsere Hafenstadt durchwandert, die zu den interessanten Bazaren hinaufführt, vernimmt schon beim Seetor einen eigentümlichen Lärm, einer wilden Musik nicht unähnlich, die von Zeit zu Zeit durch monotone Ausrufe und schrille Rohrpfeifentöne unterbrochen wird. Geht man dem Lärmen nach, so gelangt man zur kleinen Moschee Sidi Sâda, vor deren Tore rot- und grünseidene Fahnen wehen. Die Genossenschaft hält eben eine Vorstellung daselbst ab!

Auch wir wollen uns den Neugierigen anschließen, die durch das weit geöffnete Tor in die Moschee streben; doch eine schriftliche Bekanntmachung, die wir an der Mauer erblicken, hält uns vom Eintritte ab, denn es wird uns dort mitgeteilt, dass nur Mohammedaner das Recht haben die Moschee zu betreten und derartigen Aufführungen innerhalb dieser Moschee beizuwohnen.
Doch lässt sich ja auch von den Fenstern und der Türe des Bethauses aus dieses Schauspiel absonderlicher, doch recht interessanter Äußerung islamischen Lebens beobachten. Soeben hat die Vorstellung begonnen! Wir versuchen sie im folgenden zu schildern.


Mitten im Bethaus sitzen in zwei Reihen, die ernsten Gesichter einander zugekehrt, ältere und jüngere Männer, — mit ihrem Scheich. Rings um sie herum hocken, stehen und liegen Leute aus allen Ständen, in jedem Lebensalter: die Zuschauer, welche sich immer sehr zahlreich einzufinden pflegen. Der Scheich, ein würdig aussehender Alter mit ruhigem Blicke, hat soeben das Aufsagen einiger Suren des Koran beendigt, womit jede hádra eingeleitet wird; die neben ihm sitzenden Bruderschaftsgenossen bearbeiten ihre Musikinstrumente aus vollen Kräften und veranstalten jenes monotone und doch recht aufregende Konzert, dessen eigenartige Töne uns hierher gelockt haben.

Betrachten wir uns die Spielleute und ihre Instrumente! Einige fanatische Männer schlagen das bendir, — ihnen zur Seite sitzen Leute, die die târbûqâ schlagen. Andere spielen das tár (über diese Instrumente 8. oben S. 17). Von Zeit zu Zeit legen diese sonderbaren Musikanten ihre Instrumente auf ein Feuerbecken, um sie zu erwärmen und dadurch zu bewirken, dass sie heller tönen. Dazwischen ertönen heilige Lieder zu Ehren des Heiligen ben-aisa, des Stifters der Genossenschaft; die Verse der Lieder werden vom Spiele einer äußerst schrill klingenden Flöte begleitet. Dieser Lärm dauert ungefähr zwanzig Minuten; dann erhebt sich ein Sänger und preist Gott, den Propheten in einem langen Liede, — und damit ist der erste Akt der hádra beendet

Mit dem Beginne des zweiten, der alsobald folgt, ändert sich das Bild wesentlich. Die Musik beginnt wieder, die heiligen Gesänge werden fortgesetzt, mächtige Weihrauchwolken steigen zur gewölbten Decke empor. Dann erhebt sich ein Gläubiger nach dem andern, stellt sich in eine Reihe mit seinen Genossen, fasst die Hände seines Nachbarn und presst seine Schultern und Hüften fest an die des anderen. Eine fest geschlossene Kette stehen sie nun da, und mit dem Gesicht den Sängern zugewandt, beginnen sie unter der Leitung eines Aufseher) den eigentümlichen Tanz ihres Ordens. Alle Teilnehmer wiegen nach dem Takte der ohrenbetäubenden Musik den Oberkörper nach vorn und rückwärts, indem sie bald das eine, bald das andere Knie leicht beugen. Nach und nach werden
diese Bewegungen lebhafter, Brust und Kopf werden vor- und rückwärts geworfen; da fällt manchem der Turban vom Kopfe! Der lange Haarbüschel, den sich viele 'Aisâwis oben auf dem sonst glatt rasierten Kopfe stehen lassen, flattert wild in der Luft und verleiht dem Träger, der bereits einem Trunkenen gleicht, ein noch wilderes Aussehen. Nun beginnen Alle, ermuntert durch Handbewegungen des Schâusch ihr Allah, allâh! zu rufen. Nach weiteren zehn Minuten stimmen sie den Ruf „er ist Gott“ an, während die Sänger sie immer lauter und eindringlicher mit ihren Liedern zu ermuntern scheinen. Dieser Lärm vereinigt sich mit den Weihrauchwolken und der eigenartigen Umgebung zu einem sinnverwirrenden Ganzen. Nach und nach nimmt die Begeisterung wieder ab, die Musik wird ruhiger, die Lieder verstummen, und während heilige Verse begleitet von der zikra vorgetragen werden, führen die sich eben noch wie wild Gebärdenden wieder gleichmäßigere Bewegungen aus.

Auch der dritte Akt, der nun sofort beginnt, wird durch Musik und Gesang eingeleitet, während der Tanz wieder an Lebhaftigkeit zunimmt.
Dann tritt der der Stellvertreter des Scheichs vor die Kette der Tänzer und schlägt mit einem kleinen Tamburin den Takt zu den Gesängen, während er zugleich durch Erheben seiner Arme die Verzückten zu stärkeren Beugungen und sprungartigem Erheben des Oberkörpers auffordert. Die Leute lassen dabei ein dumpfes Grunzen hören und beschleunigen das Tempo ihres Tanzes derartig, dass die ganze Reihe konvulsivisch zu zucken scheint. Wenn sich der Moqâddem dann zurückzieht, treten wieder die Schâusche vor, leiten die Allâh- und Hûa-allâhrufe aufs neue ein und muntern mit Wort und Gebärde die Tänzer zur Fortsetzung ihrer Übungen auf. Diese selbst befinden sich bereits in voller Ekstase.

Die blutrot gedunsenen Köpfe baumeln unablässig vor- und rückwärts; die Glieder zittern; die Allâhrufe kommen heiser von ihren Lippen. Alles ist eingehüllt in Weihrauchwolken, und durch diesen Nebel hindurch sieht man, wie verschiedene Gegenstände und Werkzeuge zum Gebrauche vorbereitet werden. Denn in dieser Nûba sollen die Gläubigen ihre Hauptproduktionen vollführen, sie sollen den versammelten Gläubigen beweisen, dass sie durch die Macht ihres Heiligen die Fähigkeit erhalten, sich zu schneiden und zu stechen, ohne verwundet zu werden, Nägel zu schlucken, Schlangen und Skorpione zu verzehren, ohne Schaden an ihrer Gesundheit zu leiden, und selbst der Wirkung des Feuers zu widerstehen. Zu diesem Zwecke wählt der Schâusch einen aus der verzückten Schar aus, führt ihn einige Schritte vor diese und übergibt ihm eine alte Waffe, die heutzutage eigentlich nur noch bei diesen Vorführungen Verwendung findet. Die hárba besteht aus einem, ungefähr anderthalb Meter langen scharfen eisernen Spieße, an dessen oberen Ende eine Holzkugel angebracht ist, von welcher mehrere kurze Riemen zum Halten herunterhängen. Der hárbâwi (wie man den nennt, der sich dieser mittelalterlichen Waffe bedient) setzt sich nun die Spitze des Spießes in die Grube oberhalb des Brustbeines und sucht durch rasches Drehen sich diese Spitze einzubohren, dann fällt er auf die Knie, und ein Schâusch beginnt mit einem Holzstück nach dem Takte der Musik derbe Schläge auf die Kugel zu applizieren. Dann erhebt sich der Aisâwi wieder und lässt das Marterwerkzeug frei herunterfallen: die eiserne Spitze hat sich so fest in das Fleisch eingebohrt, dass sie in ihm hängen bleibt, trotz der Bewegungen, in die der Mann das Instrument versetzt Der Schâusch nimmt dem Helden jetzt die hárba ab und drückt seinen Finger auf die Wunde; kein Tropfen Blut ist geflossen! Er führt den Mann in die Reihe der Tänzer zurück, und wählt einen andern aus, der ähnliche Manöver mit der hárba ausführt, sie jedoch in der Leistenbeuge ansetzt. Ein dritter dreht sich hernach die Eisenspitze in den Nabel; ein vierter in die Lippen usw.

Später produzieren sich noch andre Leute mit kleineren hárbas, die sie durch Zunge und Wangen, durch aufgehobene Hautfalten an Hals, Brust und Bauch stechen, ohne dass jemals ein Tropfen Blut aus der Wunde flösse. Selbst Kinder nehmen an diesen Übungen teil: wir sehen, wie die Schâusche ihnen die Spieße durch die Backen stoßen, ohne dass die Kleinen auch nur die geringste Schmerzensäußerung täten. Nach diesen hárba-Leuten werden die sîf-Leute aus den Reihen der Tanzenden geholt, so genannt nach dem Werkzeug ihrer Vorführungen, dem Schwerte. Auf Befehl des Schâuch tritt der
seijäf vor und entkleidet seinen Oberkörper vollständig. Der Schâusch ergreift dann eine Art altertümlichen Schwertes mit großer Klinge, zieht es aus der Scheide, schwingt es nach den vier Himmelsgegenden und übergibt es nun den seijäfa, die damit ihre Produktionen beginnen. Der eine von ihnen stellt die Spitze der Waffe auf seine Zunge und balanciert sie daselbst; ein anderer führt mit ihr Schläge gegen seinen nackten Oberleib; ein dritter kniet auf die Schneide der Waffe; wieder andere stoßen sich das Schwert durch die Wangen. Endlich bringen sich manche mit diesem Schwerte Stiche in Arme und Beine bei, oder legen sich nackt über die Waffe, um sich von ihren Genossen auf der Schneide des Schwertes aufliegend emporheben zu lassen.

Nachdem alle wieder in die Kette der Tanzenden zurückgetreten sind, werden Kohlenbecken herbeigetragen, auf denen fingerdicke eiserne Stäbe liegen, die schon seit einiger Zeit über der Glut geruht haben. Man nennt diese Instrumente wardât (wörtl.: Rosen!) und davon den, welcher sich ihrer bei der hádra bedient, den wardâwi. Wieder wählt der Schâusch einen wardâwi nach dem anderen aus den Genossen aus, der sich nun die heißen Eisenstäbe auf Wangen, Hand und Füße legt, oder sie zwischen die Zähne nimmt, so dass der Geruch von verbranntem Fleisch sich mit dem Dufte des Weihrauchs mischt — Den Schluss des dritten Akts bildet das Verzehren von Eisennägeln, Skorpionen und Schlangen.
Der einzelne verzehrt dabei drei bis fünf lange eiserne Nägel, oder zwei bis drei Skorpione, oder eine Schlange, von der er sich vorher an verschiedenen Stellen seines Körpers beißen lässt.

Nachdem diese Aufführungen beendet sind, beginnt sofort der vierte Akt, die sog. „die Berauschende“.
Die mhámmra wird eingeleitet durch Gesänge, welche die Teilnehmer stark zu erregen scheinen; denn die Musikanten bearbeiten immer schneller und energischer ihre Tamburine; die zikra gellt immer öfter darein; die Tanzenden bewegen sich ungemein rasch; die Quaste der Schäschîja fliegt vor- und rückwärts; man hört ein unterdrücktes Seufzen und Stöhnen, während die Musik in rasendes Trommeln ausklingt und dann mit einem Schlage abbricht

Da öffnet sich die Reihe und die exaltierten 'Aisâwis stürmen wie wilde Bestien auseinander, Löwen, Tiger, Katzen und Bären in Schreien und Gebahren nachahmend. Sie wollen sich auf die Anwesenden stürzen, werden aber von den Schâuschen und dem Moqáddem zurückgehalten. Scheint die Wildheit eines von ihnen so groß geworden zu sein, dass sie für die Zuschauer gefährlich werden könnte, so tritt der Scheich an ihn heran und flüstert ihm ein Wort ins Ohr, das ihn sofort zur Besinnung zurückbringt; der eben noch Rasende geht jetzt ruhig hinaus, nachdem er seine, in wilder Unordnung an ihm hängende Kleidung geordnet hat.
Manche der Genossen liegen noch längere Zeit in konvulsivischen Krämpfen am Boden, erheben sich aber schließlich auch, sodass nach Ablauf von fünf Minuten die Schar, die sich so wild gebärdete, ruhig und friedlich die Moschee verlässt.

Unwillkürlich drängt sich nach dem Besuche einer solchen hádra die Frage auf: was sind die 'Aisâwis? Was ist der Zweck ihrer Vereinigung? In welcher Beziehung stehen sie zum Islam? Sind ihre Produktionen Taschenspielereien, oder bedienen sie sich — bewusst oder unbewusst — geheimer Kräfte, die bis jetzt von der Naturwissenschaft noch nicht genügend erklärt worden sind?

Ich habe Gelegenheit gehabt und habe sie noch, mit solchen Leuten zu verkehren, sie als Arzt zu behandeln, und mit jetzigen oder ehemaligen Anhängern dieser Vereinigung über ihre Genossenschaft zu sprechen.
Ich habe ihren Aufführungen viele, viele Male und in verschiedenen Städten beigewohnt Es sei mir daher erlaubt, eine Erklärung der soeben beschriebenen Vorgänge zu geben und solche auf Fragen. — teils eigene, teils mir aus arabischem Munde überlieferte Erklärungen vorbringend — zu antworten!

Die 'aisâwîja sind eine Bruderschaft, wie es solche eine Unzahl im
Islam gibt und gegeben hat, — eine Genossenschaft von Männern, die sich dem Dienste und der Verehrung eines bestimmten Heiligen widmen, der durch seinen Eifer für die Religion oder durch Wundertaten die Aufmerksamkeit seiner Zeit auf sich zog. Den Namen haben sie (wie schon gesagt) von sidi ben-'âisa (sidi heißt wörtlich „mein Herr" und ist Bezeichnung für die muhammedanischen Heiligen), einem Marokkaner aus der Gegend von Marrâkesch, der zur Zeit der arabischen Invasion in Nordafrika predigend und wundertuend in den unwirtlichen Steppen und Wüsten umherzog. Einst hatte er seine Jünger in ein so unwirtliches Gebiet geführt, dass der Mangel an genießbarer Nahrung diese dem Hungertode preiszugeben drohte. Da empfahl er ihnen — im Vertrauen auf seine Wunderkraft — sich von den dort zahlreich vorkommenden Skorpionen und Schlangen zu nähren, ohne dass sie befürchten sollten, an ihrer Gesundheit Schaden zu erleiden. In der Tat bekam ihnen diese absonderliche Nahrung ganz gut; und daher soll es kommen, dass die 'Aisâwi's solches giftiges Ungeziefer ohne Schaden noch heute verzehren können.

'Aisâwi kann jeder Muhammedaner werden. Es genügt, dem Scheich den Wunsch der Aufnahme in die Bruderschaft vorzutragen, dann zu schwören, dass er ein getreuer Diener und Verehrer seines Heiligen sein und die Übungen gerne, regelmäßig und im guten Glauben mitmachen, ferner, dass er die Geheimnisse des Ordens bewahren wolle. Hierauf nennt ihm der Scheich ein Tier (Tiger, Löwe, Bär u. ä.), das der Jünger nachahmen solle, und macht ihm die Übungen namhaft, die er vorzunehmen habe. Letztere bestehen hauptsächlich in dem oftmaligen und regelmäßigen Hersagen von religiösen Formeln.

Welchen Zweck verfolgen diese Leute? Ich glaube keinen ausgesprochenen! Was sie treibt, ist wohl der, allen Menschen mehr oder weniger bestimmt eingeborene Drang zum Außerordentlichen, das abseits liegt vom gewöhnlichen Alltagsleben. Dass dies bei einer Bevölkerung, die geistig noch völlig im Mittelalter steht, ganz wilde und barbarische Formen annehmen muss, ist begreiflich. Mit dem Dogma des Islam haben die 'äisâwija, wie mir viele strenggläubige, jedoch gebildete Muhammedaner versicherten, gar nichts zu schaffen.

Man hat oft versichert, die Aufführungen der 'Aisâwis seien nichts anderes, als Vorstellungen von mehr oder weniger geschickten Taschenspielern. Nun, die großen hádra's in Tunis und Kaiman, hauptsächlich der Fremden wegen angestellt werden und auch klingenden Lohn einbringen, mögen diesen Vorwurf verdienen. Ebenso die jener wandernden Truppen, die nach Europa ziehen und dort in den großen Städten die Produktionen der Mitglieder des „Stammes (!) der Aissaoua" aufführen! Ich las von solchen Aufführungen in Wiener Zeitungen — und lachte darüber, dass man den Europäern solchen Aufputz vorsetzen kann!

Völlig anders verhalten sich die Dinge aber in den kleinen Orten Tunesiens, also z. ß. in Sfax, wo selbst nicht muhammedanische Zuschauer die Moschee — wie gesagt — gar nicht betreten dürfen.

Ich meine: die Vorführungen der Aisâwi's lassen sich durch Hypnose und durch Autosuggestion am besten erklären! Die Leute werden durch die Musik der Instrumente, durch die Lieder und hauptsächlich durch die stundenlangen einförmigen Bewegungen, durch das beständige Vor- und Rückwärtswerfen des Kopfes in einen Rausch versetzt, in welchem sie von Vorgängen an ihrer eignen Person oder in ihrer Umgebung nichts mehr spüren. Anhänger der Bruderschaft, die ich darum befragte, bestätigten mir dies sämtlich und meinten, zum Gelingen ihrer Produktionen sei das feste Denken an ihren Heiligen unerlässlich; ferner versicherten sie mir, dass die Wunden, deren Narben sie mir zeigten, ihnen nie den geringsten Schmerz verursachten, wenn sie sich dieselben im Zustande der bei der hádra eintretenden Berauschung beibrächten.

Das Fehlen von Blut lässt sich leicht durch einen Krampf der Gefäße erklären; solche Dinge sind Ärzten eine bekannte Tatsache. Das Verzehren von Skorpionen und giftigen Schlangen ist nicht so gefährlich als das von ihnen Gebissenwerden, das ich übrigens auch sah. Vielleicht haben sich die Leute langsam an das Gift dieser Tiere gewöhnt, nach der Art mancher Schlangenbeschwörer, die sich zuerst von sehr wenig giftigen, dann von giftigeren und schließlich von sehr giftigen Reptilien beißen lassen, und sich auf diese Weise Immunität gegen solche Gifte erwerben. Auch das Nägelverschlucken wird verständlich, wenn wir daran denken, was für Dinge oft von hysterischen Frauen und Geisteskranken dem Magen zugeführt werden, ohne dass sich hernach erhebliche Nachteile für die Gesundheit zeigten. Baron Lumbroso, der ehemalige Leibarzt des Bey von Tunis, meinte einst mir gegenüber, die Erklärung für diese Tatsache liege darin, dass sich die Nägel im Magen unter dem Einflusse stärkerer Salzsäuresekretion auflösen. Was mich betrifft, so ist mir trotz meiner ausgedehnten Praxis unter den hiesigen Eingeborenen nie vorgekommen, einen Krankheitsfall zu konstatieren, der auf die Anwesenheit von solchen eisernen Fremdkörpern im Magen oder im Darm hätte schließen lassen. Anderseits kenne ich viele, völlig glaubwürdige Leute, die mir versicherten, dass sie die Nägel tatsächlich verschluckten.

Im gewöhnlichen Leben sind die 'Aisâwi's, deren ich sehr viele kenne, durch Nichts von ihren Religionsgenossen verschieden. Sie arbeiten als Handwerker, Feldarbeiter, Barbiere, Lastträger usw., wie andere Sterbliche. Doch ist ihr Geist durch die Übungen und das beständige Denken an ihre Heiligen derart beeinflusst, dass sie nicht widerstehen können, wenn die dumpfen Töne des bendîr sie zur hádra rufen. Ihr Scheich scheint auf sie einen großen persönlichen Einfluss zu haben; denn manche erzählten mir, sie könnten nur unter diesem oder jenem ihre Produktionen ausführen, die unter der Leitung eines andren Scheichs völlig misslingen würden.

In früheren Zeiten sollen sich einzelne Mitglieder dieser Bruderschaft ganz besonders hervorgetan haben. So erzählt man noch heute von einem Ordensgenossen, der in der Berauschung völlig dem Tiger gleich war, den er nachahmte, und der Gräueltaten ausübte, so dass er in Ketten herumgeführt wurde. Einmal aber habe er, trotz aller Vorsichtsmaßregeln, ein Kind buchstäblich zerrissen. Als dies dem Bey bekannt wurde, verurteilte er den Mann zum Tode, falls nicht etwa erwiesen werden könne, dass er die Untat in völliger Unwissenheit, nur folgend seinem Raubtiertrieb, den ihm sein Heiliger ins Herz gelegt habe, begangen habe. Man brachte daher dem Mann bei der nächsten hádra sein eigenes Kind, — und er zerfleischte es auf dieselbe grausame Art!
Auch ein salomonisches Urteil!

Jetzt sind die Zeiten, und mit ihnen die 'Aisâwi's milder geworden!

Möge dieser Aufsatz dazu beitragen, die Kenntnisse, die wir über diese absonderlichen Äußerungen orientalischen Denkens und Fühlens haben, etwas zu erweitern!