Fromme Vereine

Wenn irgend Jemand in der Welt, so wissen die „Schwarzen“ das Vereinswesen ganz tüchtig auszubeuten. „Einigkeit macht stark“ und die Ultramontanen sind einig und halten zusammen wie Schusterpech, besser als die tirolischen Liberalen, welche kaum die Anfangsgründe einer Parteidisziplin kennen. Was haben wir nicht in Tirol für eine Menge Vereine, Bruderschaften und ähnlichen Firlefanz? Da gibt es einen katholischen Männerverein, dort einen Herz-Jesu-Verein, dann einen Katholiken-Verein, endlich eine Rosenkranz-Bruderschaft und zahllose Jungfrauen-Vereine, obwohl gerade Tirol die meisten unehelichen Kinder hat; durch diese Vereine hat man die verstandeslose Menge leicht am Gängelbande und der Verdummungsprozess kann leicht ad infinitum fortgesetzt werden. Es ist dies um so leichter möglich, als die Leute hier ohnehin meinen, die Priester seien die Kirche, und man so über das ganze Land ein Netz spannt, in welchem sich die Gimpel leicht fangen lassen. Vor allem ist es auf die Weiber abgesehen, die ohnehin durch die Nonnenerziehung eine mystische, frömmelnde Richtung bekommen und auch auf die Männer einwirken, welche um des lieben Hausfriedens endlich doch nachgeben. Das wissen die Pfaffen ganz genau und suchen deshalb soviel als möglich die Weiber zu betören. Die Weiber stellen auch das meiste Geld für den Peterspfennig, und werden die armen Dienstboten förmlich „gepresst“, um sich einen Sitz im Himmel zu erobern, bei welchem Manöver oft Mittel angewendet werden, die eben nur der Jesuitismus billigen kann. So wandern alljährlich viele Tausende nach Rom aus dem armen Lande Tirol und die wälschen Pfaffen lachen sich ins Fäustchen über die blöden Tedeschi, über das alberne Volk, welches hinter den Bergen wohnt und Tausende für die Erhaltung der päpstlichen Zuaven beisteuert, eines Corps, das tatsächlich meistens aus Leuten und Vagabunden besteht, die in der eigenen Heimat nichts rechtes mehr anzufangen wissen. Wäre der Peterspfennig eine Liebesgabe, welche reiche Leute spenden, so hätte die Sache weiter nichts zu bedeuten. Allein es wird von armen Dienstboten und Bauern gesammelt und in riesigen Summen nach Rom gesendet. So haben neulich mehrere Algunder Bauern eine Pilgerfahrt nach Rom unternommen und 50.000 Frcs. in Gold außer Land geführt. Als der Papst hörte, dass mehrere Tiroler Bauern mit Geld da seien, sagte er schmunzelnd: „sie sollen nur geschwind kommen!“ Würde dieses Geld für Gemeindezwecke angewendet, es müsste besser um Tirol stehen. Aber da ist nun einmal alles „verlottert“. Wenn ein Angehöriger einer Landgemeinde in einem Stadtspital krank war und der betreffende Magistrat sich wegen Krankenkosten an die Gemeinde wendet, hat er seine liebe Not, die wenigen Kreuzer zu erhalten. Geld für den Bau einer Schule, Verbesserung der Wege, überhaupt für Gemeindeangelegenheiten ist keines da, aber Geld für die italienischen Pfaffen. Das sind die erfreulichen sozialen Zustände. Der Schullehrer hungert, die Gemeinde ist arm, die Klagen über Steuern sind groß — aber für Rom hat man Geld in Hülle und Fülle. Wenn wird Tirol sich aus den römischen Fesseln loslösen, wenn wird es Einkehr bei sich halten und aus der geistigen Lethargie erwachen, in welche es hirnverbrannte Priester versetzt haben. Hier gilt nur eine Radikalkur: Schulen, Schulen und nochmals Schulen! Weniger Militärs und mehr Schulmeister, kleinere Kasernen und größere Schulhäuser, weniger Pfaffen und mehr Männer, welche ein Herz für das Volk haben: dann kann Tirol, dann kann Österreich neu erblühen. Alles andere ist Flickwerk!

Eine ganz feine und sehr schlau ausgesonnene Geschichte sind die Gesellenvereine. Die Grundidee, nämlich den Handwerker dem wüsten Wirtshausleben zu entfremden, hat etwas für sich; allein wie wird diese Idee hier in Tirol durchgeführt. Statt dem Gesellen Unterricht im Zeichnen, Rechnen, Rechtschreibung und ähnlichen nützlichen Dingen zu erteilen, wird er von seinem geistlichen Prinzipal auf Wallfahrten, Prozessionen etc. mitgeschleppt, also zum perfekten Betbruder herangebildet, fortwährend nach ultramontanem Kommando gedrillt und endlich noch überdies zum Komödianten herangebildet, da die tirolischen Gesellenhäuser den Theaterdirektionen faktisch Konkurrenz machen. Es ist eine feststehende Tatsache, dass diese „Gesellenhäusler“ auch gewöhnlich spottschlechte Arbeiter sind, und es gibt Meister, welche keinen dieser frommen Gesellen aufnehmen, weil diese eben mehr ans „Komödiespielen“, denn an die Arbeit denken. Wie soll der Geselle überhaupt Sinn für sein Geschäft haben, wenn er die Woche über nur daran denken muss, seine Rollen zu erlernen, mit Theaterproben geplagt wird; wenn er sich ferner schon im Geiste auf der Bühne und applaudiert sieht, wie ein großer vielbewunderter Mime. Und auf welch' schauderhafte Weise endlich Komödie gespielt wird, mit dem unausweichlichen Tiroler Deutsch, mit „bischt“ und „hascht“ und ähnlichen Meißner Anklängen! Komisch wirken diese Gesellenhaus-Komödien auch noch durch den Umstand, dass kein Frauenzimmer darin vorkommt. Werden Tableaux gegeben, dann stellt irgend ein Hafner- oder Bindergeselle die h. Maria oder h. Genoveva vor.


Die Katholiken-Vereine, deren Ausbreitung gegenwärtig angestrebt wird, haben den Zweck, das katholische Leben in Tirol zu wecken. Ist das nicht zum Totlachen? In Tirol will man noch ein katholisches Leben wecken, wo es ohnehin Leute gibt, welche täglich 4 — 5 Stunden in der Kirche sitzen, keine Messe und keinen Segen versäumen und sich mit dem Rosenkranze schlafen legen. Freilich ginge es nach dem Wunsche des Bischofs von Brixen, dann müsste jeder Laie einen Klosterhabit anziehen und ganz Tirol wäre ein Kloster, vom letzten Dienstboten angefangen bis zum Statthalter hinauf nach irgend einer Ordensregel lebend. So wäre Tirol erst recht das auserlesene Pfaffenparadies!

Die Katholikenvereine werden auch ganz besonders von weltlichen „Pfaffenknechten“ gefördert, wie sie in jeder Stadt und in jedem Dorfe zu finden sind. Diese Ultras wollen päpstlicher als der Papst sein und kämpfen mit Händen und Füßen für die Erhaltung der Priesterherrschaft in Tirol, weil sie in den Bischöfen und Dekanen, wie überhaupt in jedem Priester die verkörperte katholische Religion sehen, während der Bischof und seine Anhängsel doch nur Diener der Kirche sind. Die Kirche besteht allerdings aus den Bischöfen, allein gewiss auch aus den Bekennern oder der Gemeinde, denn ein Bischof ohne Gemeinde ist wohl denkbar, aber in der Praxis ein Unding.

Eine dritte feine Komödie ist die Errichtung eines katholischen Pressebureaus, welches die liberalen Zeitungen, seien es inländische oder die Wiener „Judenblätter“, gleich den Ratten, Mäusen und Wanzen vertilgen will, damit nur die Saat des „Volksfreundes“, der „Tiroler Stimmen“ und ähnlichen heiligen Unsinns grüne und blühe. Das waren noch Zeiten, als die tonsurierten Herren das Monopol des Schreibens besaßen und nicht die „verfluchte“ Buchdruckerkunst erfunden war. Ja, wenn man den Leuten nur das Pränumerieren der liberalen Zeitungen gesetzlich verbieten könnte, aber das geht eben nicht. Zwar wird von den Kanzeln fürnehmlich gegen die „Neue freie Presse“ aus allen Tonarten gedonnert, aber es hilft nichts, sie wird doch gelesen und das Gift der Aufklärung kommt in die glaubenseinheitlichen Berge, man mag anstellen, was man will. So hält auch ein Wirt in Mühlbach dieses Journal, der zufällig vor wenigen Tagen eine neue Weinpresse bekam, als am Sonntag darauf der Herr Curat gar entsetzlich gegen die „Neue Presse“ loszog. Das Dienstpersonal des Wirtes war auch zugegen und als es nach der Predigt nach Hause kam, da ging es als Deputation zum Wirt und bat ihn, er möchte doch die neue Presse weggeben, weil sich der Herr Curat gar so darüber ärgert. Der Wirt, welcher sogleich den Zusammenhang begriff, beruhigte die Leute. Aus dieser wahren Tatsache kann man ersehen, dass dem Volke Dinge gepredigt werden, die es gar nicht versteht und die nur geeignet sind, es irre zu führen. Derselbe Lärm wird hier mit den Freimaurern geschlagen. Welcher Bauer weiß eigentlich was ein Freimaurer ist und welcher Capuzinerpater hat je einen Freimaurer gesehen? Aber man muss irgend ein Steckenpferd haben, um die Menge in Atem zu halten, ebenso wie die Pfaffen dem Volke so lange den Teufel an die Wand malen, bis es an ihn glaubt. Auch die landwirtschaftlichen Vereine sind mit dem Ultramontanismus so verquickt, dass man sie eigentlich landwirtschaftliche Rosenkranz-Vereine nennen könnte. Wer den Vorstand des Innsbrucker Zentral-Vereins kennt, der weiß auch, dass die Landwirtschaft durch solche Männer nicht gehoben wird. Man lese nur z. B. irgend eine Zuschrift dieses Vereins und man wird aus dem barocken Stile, aus den seltsamen vorsündflutlichen Satzstellungen sich wie von Dokumenten aus den Zeiten Friedrichs mit der leeren Tasche angemutet fühlen. Die landwirtschaftlichen Vereine werden unter solchen Voraussetzungen gar nichts nützen. Will die Regierung etwas tun — und sie wird die Initiative ergreifen müssen —, so errichte sie eine landwirtschaftliche Lehranstalt, die geradezu eine Lebensfrage Tirols ist. Der Bauer in Südtirol hat einen prachtvollen Wein, allein er weiß ihn nicht zu behandeln, nicht exportfähig zu machen. Auch die Viehzucht lässt vieles zu wünschen übrig, desgleichen die Butter- und Käsebereitung. Hier ist noch ein weites Feld, das aber nicht mit Rosenkranzbeten, sondern durch Intelligenz bearbeitet werden muss.

Was endlich die Frömmigkeit anbelangt, so wird sie durch Vereine, Bruderschaften, Andachten, Prozessionen etc. stets frisch erhalten. Bald wird in dieser Kirche eine Heiligsprechung gefeiert, dann kommt wieder bei den Franziskanern eine Andacht für den Papst, bei den Kapuzinern ein vierzigstündiges Gebet, darauf wieder die Mai-Andacht, welche einen ganzen Monat dauert, endlich die Andacht für die armen Seelen im Fegefeuer u. s. f., kurz die Leute kommen aus dem Beten nicht heraus und mancher Bauer betet so viel, dass seine Wirtschaft darüber zu Grunde geht. Aber eines mutet dem Nordländer seltsam an, dass die Friedhöfe nicht wie überall in Deutschland mit Blumen geschmückt, sondern die Gräber kahl, öde und schmucklos, einfache Erdhaufen sind, auf denen jedes Liebeszeichen fehlt. Es mangelt den Leuten an Poesie, die sich doch so leicht in der Natur finden lässt, wenn sie dafür ein offenes Auge hätten.

Ein großes volkswirtschaftliches Übel sind die sogenannten Bauernfeiertage. Die katholische Kirche hat ohnehin mehr Sonn- und Feiertage, als sich mit dem gesunden Menschenverstande vereinbaren lässt. Sie sind der Arbeit, dem Nationalwohlstande verloren. Die Schwarzen freilich möchten, es wäre alle Tage Sonntag und das Volk strömte in die Kirchen, um Predigt und Messe zu hören, die für das ewige Seelenheil viel notwendiger sind als Arbeiten und Geldverdienen. Die Bauernfeiertage aber sind nebst den gebotenen Sonn- und Feiertagen Tage der Ruhe, an welchen der Knecht oder die Magd nicht arbeitet, wallfahrten geht oder den Jahrmarkt besucht, der im nächstgelegenen Städtchen abgehalten wird. So sind z. B. die Jahrmärkte prächtige Rendezvous für Mägde und andere Bauermädchen, welche ihre Reize feilbieten und gute Geschäfte machen wollen. In Tirol sind die Bordelle verpönt, die Geistlichkeit würde die Leute fanatisieren, und es könnte sich ereignen, dass man diese Häuser bei helllichtem Tage anzündet. Aber heimlich darf gesündigt werden, soviel Jeder will, und Gelegenheit und versteckte Orte gibt es genug. Wer sich davon überzeugen will, besuche den Jahrmarkt in Meran oder den Blumenmarkt am 1. Mai in Bozen, wo er „fahrende Dirnen“ genug findet. So gehen Bigotterie und Unzucht, Frömmelei und Wollust Hand in Hand. Wer den Schein wahrt und sich wie ein raffinierter Dieb nicht ertappen lässt, bleibt ein ehrenwerter Mann. Man muss ein Pharisäer sein und gesenkten Blickes herum gehen, scheinheilig die Augen verdrehen und keine Messe und keinen Rosenkranz versäumen — dann darf man tun und treiben was man will.

Da ich vorhin gerade von Wallfahrten sprach, so existiert der Ort Weißenstein in Südtirol, wo sich eine wundertätige Madonna und ein Servitenkloster befindet. Kaiser Josef II., der überhaupt kein Freund der Pfaffen und der Wallfahrten war, weil es da oft nicht sehr fromm zugeht und die Wallfahrtsorte auch fleißig als Stelldicheins der Liebesleute betrachtet werden, wie z. B. Mariazell und Mariaschein, überhaupt die Madonna in X ebenso kräftig sein muss, wie jene in Y, und die Leute nur umsonst die kostbare Zeit vertrödeln, hob einfach das Kloster auf. Später freilich, als in der Hofburg in Wien wieder fromme Luft wehte und die Jesuiten wieder Oberwasser hatten, konnten auch die Serviten ihr altes Geschäftslokal wieder beziehen. Die Prozessionen fingen an neuerlich in Flor zu kommen, die Leute ließen Messen lesen und das den Serviten gehörige Wirtshaus in Weißenstein macht brillante Geschäfte, da ein vierstündiger Marsch hungrig und durstig macht. Nun hatten aber einmal die geistlichen Herren bei einer gut besuchten Wallfahrt den pfiffigen Einfall, den Wasserbrunnen abzusperren, damit die Wallfahrer sich desto eifriger an dem Brunnen des etschländischen Rebensaftes erquicken. Das machte bei einigen Leuten, welche einen Trunk frischen Wassers genießen wollten, viel böses Blut und es sind da einige Schimpfwörter auf die hochwürdigen Herren gefallen, wie sie seinerzeit Luther auf den Papst gebrauchte, im Munde von glaubenseinheitlichen Bauern und anderen frommen Katholiken sich aber recht seltsam ausnahmen.

So wird denn überall mit dem lieben Gott Handel getrieben und auf die Dummheit der Menschen spekuliert, welche Spekulation sich bis jetzt als die ausgiebigste und lohnendste bewiesen hat. Wir haben zwar keinen Tetzel mehr, aber viele tausende moderner Tetzels, welche um wenige Groschen vollkommenen Ablass, ja das Himmelreich verkaufen. Man mußte z. B. die Feier der japanesischen Franziskanerheiligen sehen, wo vor den Kirchen ein förmlicher Jahrmarkt abgehalten wurde, Pfarrer Augustin, Baron Giovanelli, aber damals jene berühmte Predigt über die Eitelkeit der Weiber hielt und behauptete, dass sehr viele „Damen mit Crinolinen herumgehen, aber darunter kein ganzes Hemd anhaben,“ welche kulturhistorische Bemerkung ihm damals sehr übel vermerkt wurde. „Das Südtiroler Volksblatt“ wollte die Sache verbessern und meinte, der Herr Pfarrer habe nur auf die „Damen zweifelhafter Stände“ gedeutet, was von einigen Satirikern nun dahin ausgelegt wurde, dass der hochwürdige Herr auch die Bozner Demi-Monde kennen müsse, da er ja sonst so etwas nicht behaupten könnte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Lande der Glaubenseinheit