Ein Kapitel von der Klerisei

Es hat bis jetzt keinen Schriftsteller gegeben, welcher bei der Beschreibung des Landes Tirol nicht auch dem Klerus ein ausgiebiges Kapitel gewidmet hätte. Die Ursache liegt ganz einfach darin, dass er eine festgeschlossene Macht ist, welche über das Volk herrscht und einen unberechenbaren Einfluss auf dasselbe ausübt; das wissen die „Schwarzen“ sehr wohl und deshalb hüten sie mit Argusaugen diesen Schatz, damit kein Unberufener in das Heiligtum eindringe. Das Volk soll nicht aus seinem glaubenseinheitlichen Traum erwachen, es soll überhaupt nicht erwachen, sich die Augen reiben und hinter den Pfaffentrug kommen. Das Alles ist seit undenklicher Zeit sehr schlau angelegt. Schon das Rekrutierungssystem dieser Glaubensstreiter ist darauf berechnet, dass die Tiroler stets bei dem Autoritätsglauben beharren und deshalb konnte auch ein bekannter Missionsprediger, den wohl Niemand wegen seines Liberalismus verdächtigen wird, mit Recht behaupten, dass er auf seinen weiten Reisen noch nirgends einen so ungebildeten Klerus gefunden habe, als in Tirol. Man höre irgend einen Franziskanerpater in Innsbruck oder anderwärts an, wie er von der Kanzel donnert und sich einer rohen, pöbelhaften Sprachweise bedient, die auswärts nicht einmal bei „gebildeten Hausknechten“ üblich ist. Man wird da unwillkürlich die Frage stellen, ob diese Herren wirklich studiert haben, oder nur verkleidete Bauern sind.

Der Grund dieser eigentümlichen Erscheinung liegt in dem mangelhaften Volksunterrichte, welchen die Jugend hier genießt und in der mangelhaften häuslichen Erziehung. Der Bauernbursche, wenn er auch einige Winter in die Schule gegangen ist, kann doch nur notdürftig lesen und schreiben, oft nur den Namen schreiben und nur „Gedrucktes“ lesen. In den Städten sieht es wohl etwas besser aus; allein man revidiere nur die Schneiderkontos und Dienstzeugnisse, welche selbst Bürger aus den sogenannten besseren Ständen ihren Lehrjungen ausstellen und man wird finden, dass die Volksschule vieles, recht vieles zu wünschen übrig lässt. Der Bauer hört es ja täglich vom Curaten, dass Vielwissen Kopfweh verursacht und dass für das ewige Leben das fleißige Kirchengehen und das emsige Rosenkranzbeten hinreichend, das übrige aber Teufelswerk ist.


Der Klerus rekrutiert sich hier wohl teilweise aus den Städten, allein sehr stark aus der Landbevölkerung, da es für den Bauer kein größeres Glück auf dieser Welt gibt, als wenn sein Sohn ein geistlicher Herr wird. Dies ist auch der Grund, dass die geistlichen Herren vornehmlich auf den Bauernstand zu wirken suchen und ihn mit sich fortziehen, und in den klerikalen Zeitungen, die von Geistlichen redigiert sind, die Herrn Tiroler Bauern fortwährend auf die unverschämteste Weise mit der Schaumseife der Schmeichelei eingepinselt werden.

Mit eben nicht reichlichen Vorstudien versehen, kommt der Schüler ans Gymnasium. Mit Ausnahme zweier Gymnasien werden diese Anstalten hier in Tirol von geistlichen Herren geleitet, entweder Franziskanern oder Benediktinern. Nicht als ob ich behaupten wollte, dass die tirolischen von den Patres geleiteten Gymnasien schlecht wären — allein schon die Kutte und der exklusive Standpunkt, den diese Herren einnehmen, bringt es mit sich, dass ihre Lehrmethode und viele andere Dinge sehr einseitig betrieben werden. Man denke sich nur wie z. B. Geschichte tradiert oder besser gesagt gefälscht wird. Die tirolischen Geistlichen sind nämlich der Ansicht, jeder protestantische Geschichtsschreiber, wäre er auch ein Mucker oder Reaktionär ersten Ranges, wie z. B. Leo, sei ein ganz ehrenwerter Mann, wenn sich in seinen Schriften auch nur ein halb verhülltes Lob des Katholizismus findet. Denn, so argumentieren diese Herren, wäre es nicht ein unparteiischer Mann, so könnte er als Protestant nicht die katholische Religion loben. Diese Ansicht entsteht dadurch, dass man in Tirol die Protestanten nicht einmal für Christen gelten lassen will. Wenn ein Kapuzinerpater übrigens einmal ein gottgefälliges Werk zu verrichten gedenkt, so zerzaust er in einer Sonntagspredigt den Martin Luther und richtet den Protestantismus so zu, dass der Bauer alle Abende dem lieben Gott dankt, der alleinseligmachenden Kirche anzugehören; eher noch mag man den Juden leiden, aber die Lehre Luthers fürchtet man, denn sie könnte Licht in die tirolischen Köpfe bringen, und dieses Unheil muss um jeden Preis vermieden werden. Von den tirolischen Franziskanerprofessoren werden ganz erbauliche Historien erzählt. War z.B. früher der Namenstag irgend eines Professors, so wurde ein kleiner Ausflug auf das Land unternommen und öfters so tüchtig gezecht, dass man den hochwürdigen Herrn auf einem Wagen hätte nach Hause fahren mögen. Besonders aber war es verboten mit Frauenzimmern zu sprechen. In einer Stadt war einmal eine sehr schöne Putzmacherin, welche ihr Gewölbe unter den Lauben hatte. Damit nun die Gymnasiasten nicht unnötigerweise in Versuchung geführt werden, durften sie unter den Lauben nur bis zu jenem Hause gehen, wo die besagte Putzmacherin residierte. Wer die Linie passierte, war in die geistliche Acht erklärt. Diese Tatsache ist vollkommen wahr. Gegenwärtig ist es in diesem Punkte etwas besser geworden, obwohl noch genug Curiosa zu verzeichnen wären.

Der tirolische Gymnasiast, der sich zum geistlichen Stande vorbereitet, ist entweder selbst aus einer gottesfürchtigen Familie, die in jedem Pater einen Halbgott sieht und jeden Tag den Rosenkranz betet, oder er kommt in eine solche Familie, oder er ist ein armer Teufel, der seine Studien nicht fortsetzen kann und keinen anderen Ausweg weiß, als Geistlicher zu werden, weil er im Seminarium versorgt ist. Ist er nun gar ein Bettelstudent und wird er vom Pfarrer seiner Heimat an die guten Häuser empfohlen, dann muss er sich ohnehin in den Mantel der Frömmigkeit hüllen. Während der Studienzeit liest er zu seiner Ausbildung nur jene Bücher, die ihm durch Zufall in die Hände fallen. Bei dem Mangel an Stadt- und Privatbibliotheken und dem Umstande, dass der Bürgerstand nur wenig Bücher kauft, kann man leicht den Schluss ziehen, welche universelle Bildung ein tirolischer Gymnasiast erlangen kann. Überdies sind die Gymnasialbibliotheken sehr karg bedacht und werden sich die Patres wohl hüten ein Werk anzuschaffen, welches ihnen, wie z.B. „Scherrs Deutsche Kulturgeschichte“ in den Augen der Jugend den Nimbus rauben könnte.

So unter halbem klerikalen Druck erzogen, treten sie in das Seminar in Brixen oder Trient oder in die von Jesuiten geleitete theologische Lehranstalt zu Innsbruck. Hier werden sie selbstverständlich von aller Welt abgesperrt und ganz nach jenem Muster gedrillt, wie es die Herren Bischöfe oder die Jesuiten für gut finden. Dass aber diese Anstalten nicht darnach angetan sind, die Welt mit Licht zu versorgen, ist eine bekannte Tatsache. Die Bischöfe von Brixen und Trient sind eben servile Römlinge, welche kein Herz für Österreich haben, sondern nur jene Gesetze anerkennen, die ihnen von Rom aus diktiert sind. Religiöse Unduldsamkeit, Ausrottung der liberalen Presse, Niederhalten jeder freien Regung auf allen Gebieten des Lebens: das sind die Prinzipien, welche diese Herren und der übrige Episkopat Österreichs auf ihre Fahne geschrieben haben. Sie kennen die neue Zeit nicht und setzen alles daran, die mittelalterliche Herrschaft aufrechtzuerhalten. Überall Schulbrüder, überall Nonnen, überall Jesuiten, überall Kapuziner und Franziskaner, damit das Volk den rechten Faden der Glaubenseinheit nicht verliere. Und in solchen Anstalten, wo diese Prinzipien in vollster Blüte stehen und als alleinseligmachend proklamiert werden, da wird der künftige Priesterstand Tirols herangebildet und es ist kein Wunder, wenn der Klerus einen so niederen Bildungsgrad besitzt, wenn er nur einen wilden Fanatismus kennt. Und merkwürdig genug, dass gerade die jüngsten Geistlichen die ärgsten Reaktionäre sind, ein Beweis, dass eben nur das Seminarium ihnen diese verkehrten Ansichten eingepflanzt hat.

Dass die Bettelmönche, Franziskaner und Kapuziner, die ärgsten Schreier sind und der Regierung jetzt die größten Verlegenheiten bereiten , ist eben nur die Folge, dass man diese unnützen Klöster wieder errichtete, weil man sie für eine Stütze des Absolutismus hielt. Nun der Absolutismus keinen Halt mehr hat, zeigt sich, wie verkehrt die Regierung handelte und wie sie sich selbst ins Fleisch geschnitten hat. Ist das Ordenswesen überhaupt eine abgetane Sache, die für unsere Zeit nicht mehr passt, so sind diese beiden Orden gar völlig überflüssig. Wer wird ein Kapuziner oder Franziskaner? Ein armer Teufel, der eine Versorgung sucht und selbst in eine so absonderliche Verkleidung kriecht, um nur leben zu können. Wenige wählen diesen Stand als Beruf, bei den meisten ist es ein Akt der Verzweiflung. So werden sie denn abgeschieden von aller Welt ebenfalls zu Rüstzeugen des Glaubens, zu Fanatikern herangezogen.

Man kennt ja die tirolischen Schwarzstrümpfe, welche bis jetzt noch keinen Schritt getan haben, um das in geistigen Banden seufzende Volk zu erlösen. Wie in Spanien steht hier das Land unter der Botmäßigkeit der Pfaffen. Von der Wiege an begleiten sie den Menschen bis zum Grabe; sie mischen sich in alle Familienangelegenheiten, die sie ohnehin aus dem Beichtstühle kennen, wissen durch Andachten, Marienfeier, Bruderschaften, Herz-Jesu-Vereine u. s. w. das arme Volk so zu beschäftigen, dass es faktisch niemals zu einem klaren Gedanken kommt. Vornehmlich wissen sie durch die Kanzel auf die blöde Menge zu wirken, da in Tirol der Bauer es zu seinen strengen Obliegenheiten zählt, Sonntags die Predigt zu besuchen. Da nun die Kanzel hier im Lande der Glaubenseinheit ein ausgezeichnetes Agitationsmittel ist, so haben sich namentlich Franziskaner und Kapuziner derselben bemächtigt. Unter den tirolischen Patern hat der glaubensstarke P. Josua Trolf eine gewisse Berühmtheit erlangt. Diese Berühmtheit datiert aber nicht etwa aus seiner Gelehrsamkeit, rhetorischen Schärft, aus dem Gedankenreichtum und der gewählten Sprache, welche die Zuhörer fesselt, sondern aus der tirolischen Derbheit und der gewaltigen urwüchsigen Rohheit, mit welcher er immer und überall seinen Stoff behandelt. Die Keckheit, mit welcher er über jede freiheitliche Entwicklung im Staatsleben, das man hier in Tirol mit dem Namen „Freimaurertum“ belegt, ohne dass jemals ein tirolischer Pater auch nur einen Freimaurer gesehen hat, die Arroganz, womit P. Trolf über Liberale, Protestanten, kurz Alles, was nicht in seinen Kram passt, loszieht, ist geradezu erstaunlich. So nannte er den Bozner Gemeindeausschuss, der eine Adresse gegen das Konkordat votierte, einfach Dummköpfe. Ganz unübertrefflich ist er in der Beschreibung der Hölle, über welche er so genau Bescheid weiß, als wäre er einmal dort gewesen. Was P. Kochem berüchtigten Andenkens in diesem Genre geleistet hat, ist nur ein Kinderspiel. P. Trolf weiß den Heizapparat der Hölle, den Hitzegrad derselben, die Adjustierung der Teufel und deren Schwanzlänge genau anzugeben. Auch meinte er einmal ganz ernsthaft, dass die Seelen der Verstorbenen mittelst Eisenbahn zur Hölle transportiert werden. In einer Predigt wollte er den Bauern, falls sie nicht an die Existenz des Teufels glaubten, den leibhaftigen Gottseibeiuns auf die Kanzel stellen. Wie schade, dass keiner der Bauern dieses Experiment sehen wollte. Sein Hauptthema aber, das er bis zur Ermüdung variiert, ist seine Warnung an die Zuhörer, keine schlechten Bücher und keine schlechten Zeitungen zu lesen. Schlechte Bücher und Zeitungen sind aber jene, welche über den Horizont eines Kapuziners gehen. Pater Trolf war als Bruder Studio ein ganz lustiger Geselle. Mit sich und der Welt zerfallen ging er in ein Kapuzinerkloster. Dort denkt er die ganze Woche über sein Schicksal nach, welches ihn in eine schmierige Kapuzinerkutte gesteckt hat und Sonntags lässt er in seinen Predigten den Zorn über sein verwünschtes Schicksal aus. Die Leute gehen in seine Predigten wie in ein Theater, sie wissen, dass sie sich da unterhalten. Dieser Mann, der jeden für einen Esel erklärt, der nicht an die Autorität des Papstes und die Notwendigkeit des österreichischen Konkordats glaubt, hat auf die tirolische Volksbildung einen üblen Einfluss, indem seine Zuhörer durch seine Extravaganzen so verwöhnt sind, dass ihnen eine ruhige, eine sogenannte „studierte“ Predigt, wie man in Tirol sagt, gar nicht mehr gefällt. Die Gemeindevorstehung in Bozen hatte Schritte getan, um diesem Eiferer das Handwerk zu legen; es entspann sich eine Korrespondenz mit dem Ordinariate in Trient und es war Hoffnung vorhanden, dass endlich ein anderer Mann die Kanzel besteige, ein Mann, der wie ein echter Priester das Wort Gottes verkündigt, aber nicht als patentierter Fanatiker all sonntäglich Gastrollen gibt. Allein die Ultramontanen und die Bauern machten eine Gegendemonstration; sie erklärten feierlich, dass sie dem Kloster keine Geschenke und keinen Wein mehr geben, wenn P. Trolf entfernt wird und die Sache blieb beim Alten. Nebenbei will ich nur bemerken, dass anderwärts der Pfarrklerus den Predigtstuhl besorgt; aber die Bozner Kapläne scheinen so viele Geschäfte zu haben, dass sie sich, um eben nicht in ihrem dolce far niente gestört zu sein, einen Kapuziner ausborgen, der sie des Studiums einer Predigt enthebt. Wie man sieht ist der dortige Pfarrklerus durchaus nicht ehrgeizig, sonst würde er die Kanzel selbst besorgen, obwohl die geistlichen Herren auch keine hohe Bildung besitzen. Wenn in einer tirolischen Stadt oder in einem Dorfe ein junger Geistlicher die Primiz feiert, d. i. die erste Messe liest, so ertönen bereits um fünf Uhr früh Böllerschüsse; diese Kanonade wird tagsüber öfters wiederholt, wie es überhaupt die Tiroler lieben, viel Pulver zu verschießen. Die Kirche wird innen und außen festlich geschmückt , kurz es ist ein Ereignis, als ob der Kaiser käme. Es kann überhaupt nichts Merkwürdigeres geschehen und eine Familie ist in dem siebenten Himmel des Propheten, wenn der Sohn in den geistlichen Stand tritt. Hat der junge Geistliche nicht die nötigen Mittel, dann finden sich schon „Guttäter“, welche Geld hergeben, um auch nötigenfalls eine gute Tafel herzurichten, denn die geistlichen Herren essen gern gut und viel, und für solche Sachen, für die Sache der Kirche — denn der Klerus ist in den Augen der Tiroler Pfaffen die Kirche — ist immer Geld da im heiligen Lande Tirol und sollte der Bauer sein letztes Hemd verkaufen müssen.

Trotz alledem und alledem wird aber nirgends mehr über die Pfaffen geschimpft als gerade in Tirol, da Druck bekanntlich Gegendruck erzeugt. Und noch hat das Volk nicht den Mut, sich aus den klerikalen Fesseln los zu lösen und seinen Beglückern die Zähne zu zeigen. Es fehlt eben an Männern. Der Tiroler weiß, wie Steub ganz richtig bemerkt , nur für die Freiheit zu sterben, aber nicht zu leben. Man verhält sich eben ganz passiv. Wie es mit der Bildung des tirolischen Klerus — wenige seltene Ausnahmen abgerechnet — beschaffen ist, mögen einige Beispiele beweisen. So ließ der Benefiziat Madreiter in Hall, der auch eine merkwürdige Geographie drucken ließ, die nackten Engel auf einem Altarblatte mit der nötigen Kleidung versehen. Es ist dies ein ganz besonderes Zeichen der Heuchelei, dass man in Tirol die nackten Figuren nicht liebt und z. B. Madonnen von Rafael, Murillo, auf welchen das Jesuskind und etwa Engel unbekleidet sind, wenig oder gar keine Käufer finden. Es kontrastiert dies recht seltsam mit dem statistischen Nachweise, dass gerade Tirol die meisten unehelichen Kinder hat: Wer einmal die Akten der tirolischen Gerichte durchforschen könnte, würde ein reiches Material über geschlechtliche Sünden finden, zu denen auch die ecclesia militans ein kleines Kontingent liefert, denn Mensch bleibt Mensch, mag er auch die Tonsur und Kanonenstiefeln tragen. So sah einmal ein Pfarrer im deutschen Südtirol ein Bauermädchen, welches größere Brüste hatte, als dies sonst landesüblich ist, und er sagte der Dirne, sie möge vorne das Kleid aufmachen, damit er sie untersuchen könne, ob sie nicht ausgestopft sei. Ob er dies aus wissenschaftlichem oder anderem Drange tun wollte, darüber schweigt die Geschichte; allein die Dirne ging dem hochwürdigen Herrn nicht auf den Leim, sondern erklärte fest, sie werde das Kleid nicht aufmachen, er möge sie nur von außen untersuchen.

Man kennt in Tirol recht gut die Skandalgeschichten, in welchen ein Pfarrer von Windisch-Matrei, ein Kurat von Moos und ein Katechet von Sterzing ziemlich schmutzige Rollen spielten. Widernatürliche Wollust, Notzucht mit unreifen Kindern, förmliche Serailszenen, das sind die Resultate jener unglückseligen Einrichtung, die man Zölibat nennt und welche notwendigerweise jene scheußlichen Laster mit sich führt. Freilich würde mit der Aufhebung des Zölibats die Geistlichkeit in das Treiben und die Bedürfnisse der Welt hineingezogen werden, die vielen Faulenzer, die Bettelmönche, würden vom Erdboden verschwinden, die Jesuiten und ähnliches Ungeziefer ausgerottet und die Kirche im Staate untergehen. Das will aber Rom nicht, darf es eigentlich der Selbsterhaltung wegen nicht wollen und deshalb bleibt das Zölibat aufrecht erhalten. Man erinnere sich an den Jesuiten Girard und seine Heilige in Frankreich. Ähnliche Szenen finden sich auch in Tirol, wo sie um so widerwärtiger werden, als der Mantel der Heuchelei, des Mystizismus und der Bigotterie darüber gebreitet ist. Hunderte von Kindern, ja eine ganze Generation wurde durch solche geistliche Wollüstlinge verpestet und moralisch verdorben. Man sperrt dann diese „Saumägen“ einfach in ein Korrektionshaus, sie sind vorläufig der Welt verborgen. Derlei Korrektionshäuser oder geistliche Strafanstalten bestehen gewöhnlich an den Sitzen der Bischöfe. Auf dem Brixener las man eines Morgens folgende Inschrift: A correctione Consistorii libera nos Domine. Man forschte nach dem Täter, konnte ihn aber nicht eruieren.

Unter den geschlechtlichen Ausschweifungen ist Päderastie in Tirol gar nicht selten und die Akten der tirolischen Gerichte wissen seltsame Dinge zu erzählen. So hatte auch ein Schullehrer in Südtirol sich dieses Verbrechens schuldig gemacht. Vom Pfarrer zur Rede gestellt und ihm angedroht, er werde es bei Gericht anzeigen, gab der Schullehrer keck zur Antwort: „S. Hochwürden möge nur zu Gericht gehen, er werde dort schon aussagen, wo er es gelernt habe“. Der Schullehrer hat bei Nacht und Nebel das Dorf verlassen und soll vom Pfarrer sogar die nötigen Reisegelder zur Flucht erhalten haben. Das sind Fälle, die zufällig im Publikum bekannt werden, man nehme nun aber jene hundert Facta, über welche „der Schleier der christlichen Liebe“ gezogen wird und die nicht zur Kenntnis des Publikums gelangen.

Ein Kurat bemerkte ganz ernsthaft, dass er jeden Arzt hasse, welcher dem Kranken noch irgend eine Hoffnung auf Besserung gebe, weil es unter solchen Verhältnissen ganz unmöglich sei, sich auf das Jenseits gehörig vorzubereiten. Der Bauer lässt auch, wenn er krank wird, früher den Geistlichen kommen, dann erst wird der Arzt gerufen. Ist ein halbwegs vermögender Bauer krank, so sieht man tagsüber sehr fleißig Kapuziner und Franziskaner aus und eingehen und liegt einer im Sterben, so ist es der allgemeine Brauch, einen, wenn nicht mehrere Geistliche kommen zu lassen, welche während des Todeskampfes beten, was man hier „die Seel' ausbeten“ heißt. Die Klostergeistlichen tun dies gern, weil sie dafür bezahlt werden und diese Herren trotz des Gelübdes der Armut doch wie alle Tiroler recht brav auf die „Kreuzer“ sehn. Die Klöster sind auch eigentlich die Brutstätten des finsteren Aberglaubens und der systematischen Volksverdummung. Der Novize selbst, wenn er in ein solches Kloster eintritt, muss seinen eigenen Willen ausziehen; er gehört dem Guardian und muss tun, was dieser befiehlt, selbst, wenn es gegen seine Überzeugung wäre. Abgeschlossen von der Welt, die für ihn nur seine enge Zelle ist, steht er außer allem Verkehr und seine ganze Geistesrichtung, sein ganzes Denken und Fühlen muss notwendigerweise im schreiendsten Gegensatze zur modernen Weltanschauung stehen. Was er liest, ist sein Brevier, eine theologische Fachzeitschrift und die berüchtigten „Tiroler Stimmen“, allenfalls ein anderes unschädliches Buch und die Bildung des Kapuziners ist abgeschlossen, nachdem er selbstverständlich die theologischen Studien vollendet hat, die er in irgend einem Kloster absolviert.

Dass die frommen Herren den Aberglauben des Volkes gewissenlos ausbeuten, mag das Faktum beweisen, dass einmal ein Bauer bei Meran „Würmer“ oder besser gesagt Raupen auf seinem Krautacker hatte. Er ging ins Kapuzinerkloster nach Meran, wo er ein Pulver und ein „Ignazi-Wasser“ erhielt. Beides gab er in einen großen Bottich, schüttete dann Wasser darauf und leerte den Bottich auf den Krautacker aus. Da nun der Acker des Bauern abschüssig gelegen war, so schwemmte das Wasser natürlicherweise alle Würmer weg. Der Bauer glaubte nicht, dass gewöhnliches Wasser ohne Kapuzinerpulver dieses Kunststück auch vollführt hätte, sondern schrieb die Wirkung ganz allein seiner Klosterspende zu. Solch eine Gewalt haben hier die Pfaffen und so verkommen ist mitunter das tirolische Volk, dass es jedes selbstständige Denken verlernt hat.

Einem andern Bauer war eine große Quantität Selchfleisch gestohlen worden. Er kam zum Kaplan, damit ihn dieser „den Dieb kommen macht“. Nachdem ihm nun der Geistliche vorstellte, dass er diesen Fall früher bei Gericht anzeigen müsse, so äußerte der Bauer den Wunsch, der Kaplan möge ihm wenigstens das Fleisch herbeischaffen, den Dieb wolle er nicht wissen. Der Kaplan erwiderte, dass er dies nicht könne und nun meinte der Bauer ganz treuherzig, er hätte S. Hochwürden dies zugetraut. Nicht jeder Geistliche habe vom Bischofe diese Gewalt, aber er, nämlich der Kaplan, besitze sie.

Den größten Unfug, nämlich das Wetterläuten, hat der tirolische Klerus auch auf seinem Gewissen, da er bis jetzt keine Schritte getan hat, diesem Aberglauben zu steuern, vielmehr denselben fortwährend begünstigt. Die Glocken, sagt der tirolische Bauer, sind geweiht und weil sie geweiht sind, können sie durch das Läuten das Gewitter vertreiben. Sobald nun eine Gewitterwolke im Anzüge ist, muss der Messner auf den Kirchturm steigen und Acht geben; wehe, wenn er z. B. Nachts von einem plötzlichen Gewitter überrascht nicht schnell bei der Hand ist. Kommt dann zufällig ein Hagelschlag, der auch mit Wetterläuten nicht ausgeblieben wäre, so trägt der Messner ganz allein die Schuld und um sein Neujahrsgeschenk, das mit einen Teil seiner Einkünfte bildet, ist es geschehen. Da diesem Wetterläuten eine große Wirkung zugeschrieben wird, so gibt es hier förmliche „Wetterkenner“, welche aus jedem Wölkchen herausspüren, ob ein Donnerwetter darin steckt, gleichwie die Auguren im heidnischen Rom aus dem Fluge der Vögel, dem Blitze und anderen Erscheinungen den Willen der Götter verkündigten. So war in Marling bei Meran ein solcher Wetterkenner, der sogleich, wenn irgend eine verdächtige Wolke am Himmel sichtbar wurde, auf den dortigen Friedhof ging, wo er eine prächtige Fernsicht hatte und in der angenehmen Lage war, kein herankommendes Gewitter zu versäumen. Das „Wetterläuten“ wird nicht nur von den Bauernburschen, selbst von erwachsenen Leuten mit einem Eifer betrieben, der einer besseren Sache würdig wäre.

Kommt nun wirklich ein Gewitter, muss der Geistliche mit der Monstranz vor die Kirche treten und in alle vier Weltgegenden den Segen, den sogenannten „Wettersegen“, erteilen.

Durch das Wetterläuten ist zwar schon viel Unheil geschehen und es sind hie und da mehrere glaubenseinheitliche Tiroler getötet worden, auch hat es in mehrere Kirchtürme eingeschlagen, die mit großen Kosten wieder erbaut werden mussten; allein all' diese guten Lehren sind an unseren Pfaffen spurlos vorübergegangen. Der Klerus lässt das Volk in seiner Dummheit und sucht die alberne Menge nicht zu belehren, dass das Läuten der Glocken nicht die Macht habe, eine physikalische Erscheinung hinwegzuzaubern, ja dass das Läuten bei einem Gewitter eine höchst gefährliche Sache sei und leicht Menschenleben kosten könne. Der Schullehrer lebt vom Bauer und ist auf die Unterstützung des Dorfes angewiesen; er wird sich wohlweislich hüten, eines schönen Morgens seine Schulkinder auf diesen Blödsinn aufmerksam zu machen, damit die Rangen dann zu Hause erzählen, wie der Herr Lehrer mit einem male „lutherische“ Ansichten habe und unter die Freimaurer gegangen sei. Der arme Präzeptor wäre seines Lebens nicht sicher.

Wäre das Wetterläuten nur auf den Dörfern üblich, wir würden uns darüber nicht sehr ereifern, obwohl Unsinn überall Unsinn bleibt, mag er in Kecskemet oder in Sterzing geschehen; allein auch in Städten, und das ist eben das Bezeichnendste für die Bildung des tirolischen Klerus — grassiert dieser Unfug.

Den richtigen Gradmesser aber für die Bildung der Geistlichen, mögen sie in brauner oder schwarzer Kutte stecken, gibt die Kanzel. Man findet zwar anderwärts auch Geistliche, die nicht das Zündnadelgewehr erfunden haben, allein man kann tausend gegen eins wetten, dass man nicht leicht so haarsträubende Kanzelredner finden wird, wie im Lande der Glaubenseinheit. Meistens wird die Kanzel zu politischen Zwecken missbraucht und wenn ja einmal keine Politik oder kein Leitartikel gepredigt wird, so wird das Volk mit allerlei Wundern und krausen Historien gefüttert, es wird ihnen die Unfehlbarkeit des Papstes und die große erhabene Macht der Bischöfe haarklein auseinandergesetzt, aber keineswegs die Lehre Christi, die allumfassende Liebe Gottes und die Pflicht der Nächstenliebe ans Herz gelegt.

Käme Christus heute nach Tirol er hätte ein großes Stück Arbeit, um seine Lehre von den Auswüchsen zu reinigen, mit welchen sie seine vermeintlichen Nachfolger umgeben haben.

Die mangelhafte Bildung des Klerus und ihr beschränkter Gesichtskreis ist wohl auch dem Umstande zuzuschreiben, dass die geistlichen Herren selten oder niemals aus Tirol hinauskommen und die Welt kaum durch ein Fernglas sehen. Reisen sie etwa doch, was auch nicht häufig geschieht, so führt sie der Weg nicht etwa nach Deutschland, um deutsche Sitte, deutsche Kultur und deutsche Anschauungen kennen zu lernen, sondern hinab nach Wälschland, nach Rom, zu den wälschen Pfaffen, die bekanntlich auf einer noch niedereren Bildungsstufe stehen, als ihre Amtsbrüder im Lande der Glaubenseinheit.

Der tirolische Klerus übt über die untergebenen Schäflein eine sehr sorgsame Kontrolle. Vor allem werden von den meisten Leuten die Fasttage gehalten, als ob der liebe Gott ihnen in den Magen sähe, was und wie viel sie essen. Wer die Fasten nicht halten kann oder will, der schreibt an den Bischof um eine Dispens, eine Sitte, die jedoch von „Jung-Tirol“ nicht mehr beachtet wird. In gut katholischen Wirtshäusern, selbst in Gegenden, wo ein großer Fremdenzug ist, z. B. in der Pertisau, bekommt man Freitags wohl auch Fleisch, wenn man nämlich sagt, man wäre kein Katholik und gewohnt täglich Fleisch zu essen. Will man jedoch auch nebst Fleisch einen Fisch essen, so wird man mit dieser Forderung abgewiesen. Entweder Fisch oder Fleisch, aber beides zugleich erlaubt der Bischof nicht. Diese merkwürdige Einrichtung, welche gegen alle Logik verstößt, hat schon manchen Reisenden in Zorn gebracht, allein der Bischof sagt es, und ein echter Tiroler weiß, was er in solchen Fällen zu tun hat. Um Ostern werden alljährlich die Beichtzettel eingesammelt; damit jedoch kein Betrug oder keine Fälschung geschehen kann, lässt der Herr Pfarrer alljährlich neue Zettel mit verändertem Teile drucken. Ein glaubensstarker Tiroler geht des Jahres zwölfmal beichten, und aus eben dieser Quelle erfahren die Schwarzen und die Klostergeistlichen alle Stadtneuigkeiten, obwohl sie mit der Welt nicht in Berührung kommen. Mit den Beichtvätern, die hier eine große Rolle spielen, wird alles verhandelt. Hat eine Tochter Lust ins Kloster zu gehen, fragt man früher den Beichtvater, der die entscheidende Stimme hat. Eine Predigt darf Sonntags nicht versäumt werden und diese dauert hier eine ganze Stunde, was nicht wenig sagen will und nur ein Zeugnis ablegt, welch' einen ästhetischen Magen man hier zu Lande besitzt, um eine solche Kapuzinerkost ohne Schaden vertragen zu können.

Die kirchlichen Zeremonien werden hier alle mit großem Pomp in Szene gesetzt. Ist Jemand zum Sterben, so geht anderwärts der katholische Priester ganz allein mit der heiligen Hostie zu ihm, um ihm das Abendmahl zu reichen. Im Lande der Glaubenseinheit gehen voran zwei Buben mit Laternen, ein anderer Knabe mit der Glocke, der Geistliche unter dem Himmel, der von vier Männern getragen wird; der Traghimmel wird jedoch bei armen Leuten weggelassen. In den Kirchen brennen während des heiligen Messopfers ungewöhnlich viele Kerzen; während man hier auf Verbreitung des „Lichtes“ wohl Bedacht nimmt, sucht man auf anderer Seite zu sparen oder den Leuten das Licht gar zu verkümmern. Auch die Begräbnisse werden hier sehr solenn in Szene gesetzt. In Oberösterreich z. B. wird man in Städten viele Begräbnisse sehen, welche nur von einem Geistlichen begleitet sind; in Tirol sieht der ärmste Mann darauf und borgt sich das Geld aus, um wenigstens drei Geistliche zu haben, weil die Leute meinen, dass durch viele Geistliche der Tote früher in den Himmel kommt. Unsere „Schwarzen“ befinden sich bei diesem Aberglauben ganz wohl, denn sie sind ganz famose Geschäftsmänner, welche keinen Gang umsonst machen. „Kein Geld, kein Schweizer“ ist auch ihr Sprichwort. In manchen tirolischen Städten muss der arme Teufel drei Geistliche haben, sonst dürfen in der Leichenkapelle keine Kerzen aus weißem Wachs brennen. O, es ist alles ganz fein ausstipuliert, um den Leuten das Fell über die Ohren zu ziehen. Für Geld kann man in einem großen Warengeschäfte Alles haben und es ist eine Fabel, dass der Tod alle gleich macht. Auswärts wird für den Verstorbenen, mag er arm oder reich sein, eben nur die Totenglocke geläutet und zwar für alle in gleichen, Rhythmus; in Tirol wird sie für den Reichen, der mehr bezahlt, ganz anders geläutet wie für den Armen und die Bewohner des Städtchens wissen sogleich, ob ein Krösus oder ein Lazarus aus diesem irdischen Jammertale geschieden ist. Die Glocken hängen überhaupt nicht umsonst in den tirolischen Kirchtürmen. Man muss dies z. B. in Meran erlebt haben, wo es eigene „Glockenkünstler“ gibt. Wer in Meran im Gasthause zur Post wohnt und Sonntags früh einen guten Schlaf genießen will, der hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Schon um vier Uhr früh beginnt das Geläute und es dauert fort bis Mittag, um dann nach dem Essen wieder zu beginnen. Man läutet aber nicht wie anderswo wenige Minuten, sondern viertelstundenlang; erst fängt eine Glocke an, dann folgt die zweite, weiter die dritte, vierte und sofort bis endlich alle Glocken uni sono zusammenschlagen, um plötzlich aufzuhören, was einen unbeschreiblich seltsamen Eindruck macht. Die Glocken, sagte der in Tirol vielgeschmähte, aber dennoch unsterbliche Kaiser Joseph II., sind die Artillerie der Kirche; aber es scheint mir, dass diese Artillerie hier weit über Gebühr angestrengt wird und dass etwas weniger auch genug wäre. Wer nicht in die Kirche gehen will, für den hat ein viertelstündiges Läuten auch keine magische Kraft und wer ohnehin das Gotteshaus besucht, für den sind wenige Schläge genug. Aber wie man nun einmal hier in geistlichen Dingen alles auf die Spitze treibt und die blöde Menge fortwährend zu beschäftigen weiß, wie unsere übereifrigen Pfaffen dem Volke vorspiegeln, dass die Glaubenseinheit das köstlichste Gut unter der Sonne sei, und der tirolische Katholizismus weit besser und kräftiger sei, als jener in Steiermark oder Kärnthen: so sucht man hier die Religion unter den Deckmantel der Zeremonie und Äußerlichkeit zu stellen und wehe dem, der an dem Geßlerhute der Frömmelei vorübergeht, ohne ihm eine tiefe Reverenz zu machen.

Dass es unter den tirolischen Pfaffen einzelne wenige Ausnahmen, weiße Raben gibt, will ich nur noch nebenbei bemerken. So hat im Jahre 1807 der hochwürdige Pfarrer Alois v. Sagburg in Girlan an das Landgericht in Bozen eine Eingabe gerichtet, die uns den Beweis liefert, dass man in Tirol in vielen Dingen jetzt nicht vorwärts, vielmehr rückwärts gegangen ist, und dass ein tirolischer Pfarrer es wohl heute nicht wagen möchte, eine ähnliche Eingabe abzusenden, die ihm einen sehr strengen Verweis der Oberen und den Geruch der Ketzerei unfehlbar eintragen würde. Der genannte Girlaner Pfarrer schreibt in seiner Eingabe: „Es besteht im Gericht Altenburg die Gewohnheit, dass die Gottesdienste in der Bittwoche wechselweiß in den Dörfern Girlan, Michael und Pauls abgehalten und von den Gemeinds-Einwohnern gegenseitig besucht werden. So angemessen und nützlich diese Einrichtung scheinen möchte, findet unterzeichneter doch, dass durchaus nichts minders als wahre Andacht, Auferbaulichkeit und gute Sitten erzielt, sondern vielmehr Gelegenheit zu Neckereien unter der Priesterschaft und zu Gespött und Raufhändel unter dem Volk gegeben, hauptsächlich aber das Dienstgesinde zum Müssigang, Trunkenheit und andern Polizey wiedrigen Handlungen verleitet wird. Nicht zu gedenken, dass bey diese auswertige Kreutzgänge, die von frühe Morgends bis Mittag dauern, manche Individuen durch Erhitzung, durch unzeitiges Wassertrinken und dergleichen Sich den Keim zu gefährliche Krankheit holen, und dass in dem bey sollche Kreutzgänge die Häuser meistentheils leer verbleiben, nicht selten schreckliche Feuersbrünste veranlaßt werden. Aus diesen wichtigen Ursachen haltet unterzeichneter es für Seelsorgerspfticht, sollche sowohl den Absichten der Kirche wiedrige, als dem bürgerlichen Wohl der Gemeinde nachtheilige Einrichtung abzuändern, die auswertigen Kreutzgänge zu unterlassen und die vorgeschriebenen Andachten nur im hiesigen Pfarrbezirk verbunden mit den gewöhnlichen Gottesdiensten und mit passende Unterrichtsreden abzuhalten. Er hofft ein k. Landgericht wird dies sein Vorhaben, da sollche Anstalt ganz nach dem Sinn der Allerhöchsten Verordnungen ist, in allen begnehmigen und gutheisen, auch im Fall eines Widerspruchs von Seiten des gegentheiligen Herrn Pfarrers von St. Pauls gütigst unterstützen.“

Dieses Dokument ist auch noch insofern interessant, als der hochwürdige Herr Pfarrer noch eine landesfürstliche Autorität anerkennt, unsere tonsurierten Herren aber nur den Papst in Rom und den jeweiligen Bischof anerkennen wollen, und einen prinzipiellen Kampf gegen den Satz: „Jeder Staatsbürger steht unter dem Gesetze“ führen, da es ihrer Meinung nach nur eine geistliche Gerichtsbarkeit gibt und sie nicht Angehörige des Kaiserstaates, sondern Roms sind. Deshalb wollen sie auch nicht mit demselben Maße gemessen werden, wie die Laien und wenn ein geistlicher Redakteur zu einer Arreststrafe verurteilt wird, so büßt er dieselbe nicht etwa in einer Frohnfeste wie ein anderer Redakteur ab, sondern in einem Kloster, wo er einen einfachen Hausarrest, sonst aber Essen und Trinken in Hülle und Fülle und vor allem einen guten Wein hat. Er lebt also dort wie unser Herrgott in Spanien und lacht die Narren aus, welche ihm diese Strafe diktiert haben. Hat er seine Strafzeit überstanden, wird er von der blöden Menge, welche in ihm selbstverständlich nur einen Märtyrer der guten Sache sieht, mit der Kirchenfahne in Prozession abgeholt, wie dies durch Tatsachen bewiesen werden kann. So lange das Volk also in jedem Menschen, der ein Kollar und Kanonenstiefeln oder Strümpfe und Schuhe trägt, ein privilegiertes Mitglied der Gesellschaft sieht, so lange kann von einer Besserung der tirolischen Verhältnisse absolut keine Rede sein.

Wie soll überhaupt Bresche in die Priesterherrschaft geschossen werden, wenn es noch viele Leute gibt, welche sagen: „Vor jedem Priester muss man niederknien“ und beim Eintritte eines Kapuziners in ein Haus meinen, es sei ihnen das größte Heil widerfahren. In früherer Zeit da gingen auch die Herren Franziskaner und Kapuziner fleißig in die Bürgerhäuser, weil sie sicher waren, stets ein gutes Glas Flaschenwein zu finden. Aber die Söhne dieser alten Herren haben von dem Drachengifte der Aufklärung gekostet und laden die Kuttenträger nicht mehr ein, den guten Wein zu trinken und die hochwürdigen Herren schimpfen nun auf die neue Zeit, die so verdorben ist, dass der alte fromme Glaube verloren ging. Ja, die neue Zeit, die aufgeklärte Zeit, welche auch langsam über Tirol hereinbricht, macht den hochwürdigen Herren viele Sorgen. Ein katholisches Pressekomité hat sich deshalb in Innsbruck unter dem Schutze des Bischofs von Brixen aufgetan, um darüber zu wachen, damit das Volk nur die „Tiroler Stimmen“ und das „Südtiroler Volksblatt“, auch nicht den amtlichen „Tiroler Boten“ liest und keineswegs die sehr zahm-liberalen tirolischen Journale, am allerwenigsten aber die Wiener Judenblätter in die Hände bekomme. In jeder Stadt, in jedem Dorfe ist der jeweilige Pfarrer oder Kurat als Presseagent aufgestellt, um die Verbreitung schlechter, d. i. liberaler Zeitungen zu verhindern und fleißig Umschau in den Häusern zu halten, damit diese Pest von Tirol fern bleibe. So beherrscht der Klerus auch die Gewissen und maßt sich ein Recht über den Willen des Individuums an, so wird die Geistesfreiheit fortwährend in Fesseln gehalten und die Verdummung des Volkes in Permanenz erklärt.

Warum das tirolische Volk diese Geißel der Pfaffenherrschaft, diesen Belagerungszustand des Geistes verdient hat, weiß ich nicht. Das Volk ist wacker und bieder, es ist nicht ohne natürliche Anlage, denn es hat viele tüchtige Männer, viele wackere Künstler und das Wort „tirolische Finsternis“ ist für die Städter nicht mehr am Platze. Was ließe sich aus diesem Volke machen, wenn es aus der geistigen Knechtschaft befreit würde! Ich fuhr unlängst mit einem Tiroler von Rosenheim nach Kufstein. Er war in einer Buchdruckerei in Salzburg seit zwanzig Jahren beschäftigt und ganz wütend auf die Pfaffen, welche seine Landsleute absichtlich aller Aufklärung berauben, um sie ihren Zwecken dienstbar zu machen. Er sagte mir ganz kategorisch, dass in nächster Zeit auch in Innsbruck eine protestantische Kirche gebaut werde. Als ich dem biederen Glaubenseinheitler bemerkte, dass doch früher in Innsbruck eine protestantische Gemeinde sein müsse, ehe man an den Bau einer kostspieligen Kirche denken könne und in Innsbruck nur wenige Protestanten leben, rief er ganz pathetisch: „O, es muss noch dahin kommen und glauben Sie mir, es werden noch mehr protestantische Kirchen in Tirol gebaut werden, denn das dumme Zeug, die Glaubenseinheit, muss aufhören“. Dann erzählte er mir, wie er oft in Salzburg den protestantischen Gottesdienst besucht habe und wie die Prediger dort ganz anders zu sprechen wissen von dem Evangelium und dem Christentume, als seine katholischen Kollegen in den Tälern Tirols.

Dieses etwa nicht von mir erfundene Faktum beweist, wie viel noch dem katholischen Klerus zu tun übrig bleibt. Das Landvolk ist nämlich hier durch die rohen ungeschlachten Ausbrüche der Kapuziner und Franziskaner verwöhnt und wenn ja einmal, was aber höchst selten geschieht, ein Geistlicher eine Predigt hält, worin nicht die Liberalen, Freimaurer und Pressejuden bis ins vierte Glied verflucht werden, so sagt das Volk, der geistliche Herr predige „lutherisch“ und man ist im Stande, ihn beim Bischofe der „Ketzerei“ anzuklagen. So armselig ist noch die Bildung des gemeinen Mannes bestellt und so tief ist die Lehre Christi ihres erhabenen Charakters entkleidet, dass man denjenigen steinigen würde, der den Mut hätte, ihr wahrer und echter Apostel zu sein.

Eine Predigt zu hören ist aber dem Tiroler zur Gewohnheit geworden, und die Bauern um Meran wissen recht gut, dass die protestantischen Geistlichen „schön“ reden können. Wenn daher ein protestantischer Kurgast in Meran stirbt, so kommen die Bauern von weit und breit her, um die Grabrede zu hören und sich an dem Worte Gottes zu erbauen, das ihnen der lutherische Pastor predigt. Bei einem solchen Begräbnisse standen einmal zwei alte Weiber neben mir und als der Pastor das Glaubensbekenntnis betete, und zu dem Passus kam, in welchem von Maria die Rede ist, flüsterte eine zur anderen: „Siehst du, die glauben ja doch an die heilige Maria“. Über diese Bemerkung darf man sich nicht wundern, weil ja der Protestantismus dem Volke in schwarzen Farben geschildert wird und man den Leuten sagt, dass die Protestanten wohl an Gott und an Jesus Christus, aber sonst an gar nichts glauben. Und in Tirol glaubt man eben zu viel, und Glauben und Wissen sind doch zwei grundverschiedene Dinge.

Die tirolischen Geistlichen — ich meine jedoch nur die Weltgeistlichen — haben endlich noch die eigentümliche Marotte, sich von aller Welt abzusperren. Einen geistlichen Herren anderwärts unter den Bürgern des Städtchens sitzen, auch gemütlich eine Zigarre rauchen und ein Glas Bier oder Wein trinken zu sehn, ist etwas ganz Gewöhnliches. Man findet dies auch begreiflich, denn ein Seelenhirte soll sich ja nicht von aller Welt absperren und er verliert nichts von seinem geistlichen Nimbus, wenn er sich der Gesellschaft anschließt. In Tirol wird man selten in einem Gasthause einen Geistlichen finden. Absonderlich wir ihr ganzes Treiben ist auch ihre soziale Stellung; sie leben wie die Dachse in ihrem Baue und da sie ihre Häuserinnen (Wirtschafterinnen) haben, genießen sie zu Hause ihr stilles Familienglück, wenn auch nicht der Storch bei ihnen einkehrt, was freilich auch, wie unverbürgte Gerüchte sagen, hie und da vorkommen soll, aber stets auf diplomatische Weise „vertuscht“ wird.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Lande der Glaubenseinheit