Aus der Landeshauptstadt

Wie ist doch Innsbruck seit den zehn Jahren ganz anders geworden, als ich das letzte Mal dort war. Zwar trug Dr. Haßelwanter auch schon damals seinen Demokraten-Vollbart nicht mehr und die „Tiroler Stimmen“ schimpften konsequenterweise auch damals wie Rohrspatzen über das Lumpengesindel von Liberalen und Freigeistern; aber es lag doch ein gewisser andächtelnder Nebel über die schöne Innstadt, und Professor Greuter ging mit dem süßen Bewusstsein schlafen, dass es doch etwas Herrliches sei um die Glaubenseinheit und dass der liebe Gott die Tiroler ganz eigens erschaffen habe für die schönen Berge.

Aber wie hat sich so Manches geändert. Professor Jäger heult jetzt unisono mit den Lichtfeinden, Professor Greuter blamiert sich im Reichsrate wöchentlich ein paar Mal und die Tiroler lachen herzlich über seine Reden; ja es gibt sogar einige Gottlose unter ihnen, welche ihn einen parlamentarischen Hanswurst nennen und in ihren photographischen Albums die ergötzliche Karikatur besitzen, wo der oberinnthatische Deputierte gravitätisch auf einem riesigen glaubenseinheitlichen Hute steht mit dem Parapluie und dem Konkordate unter dem Arme und der Hut getragen von ultramontanen Bauern, die einem verehrungswürdigen Publikum in zarter Perspektive nur die Mitternachtsseite ihres werten Ich's zukehren. Auch die famose „Wachstube“ hat ihren Nimbus eingebüßt und wurden darüber einige schlechte Witze gerissen, die ich aus Schonung für die Betreffenden hier verschweigen will. Nur Professor S. Moriggl schreibt fort und fort seine Traktätlein in einem schauderhaften abgekniffenen Tiroler Deutsch und angefüllt mit den fürchterlichsten Stupiditäten, welche es sehr befürchten lassen, dass der Verstand dieses guten Mannes längst Bankrott gemacht hat. Um aber das Maß voll zu machen, hat man jetzt gar einen konstitutionellen Verein gegründet, der zum Ärger der „Schwarzen“ grünt und blüht und auch mit daran Schuld ist, dass der Innsbrucker Bürgerausschuss jetzt eine überwiegende Mehrzahl von Liberalen hat. Dahin musste es aber kommen, weil die ultramontane Wirtschaft, die sich in Innsbruck auch in bureaukratischen Kreisen geltend machte, den Leuten doch zu toll wurde. Wie nun bei uns erst eine Brücke einstürzen und mehrere Menschenleben zu Grunde gehen müssen, ehe man an eine Reparatur denkt, so musste auch erst eine eklatante Defraudation geschehen und viele Missstände zu Tage treten, ehe die Spießbürger zu Kreuze krochen und ein anderes Regiment begehrten. Ein magistratisches „Königgratz“ half den Liberalen zu ihrem Siege.


Und dieser Sieg ist lange genug ausgeblieben. Vor allem war es der Beamte, der in Innsbruck eine konservative Gesinnung heuchelte. War doch sein Chef konservativ, hielt es mit den Jesuiten und betete fleißig den Rosenkranz; wie sollte der Subalterne es wagen eine andere Gesinnung zu haben, da er doch von der Gnade seines Chefs lebte, der ihn mit der Elektrisiermaschine seines Zornes niederschmettern konnte. So wurde Innsbruck, wo viele hundert Beamte leben, allmählich recht finster. Vom ersten Oberlandesgerichtsrate, welche Menschensorte noch heute in einem sehr trüben ultramontanen Dunstkreise schwebt, bis zum letzten Amtsdiener herab gab es nur Gutgesinnte, gab es Pfaffenknechte, welche mit ängstlicher Genauigkeit darüber wachten, dass kein frischer Luftzug die mit dem ausgesuchtesten Ultramontanismus geschwängerte Kanzleiatmosphäre zerstöre.

Das ist nun wie mit einem Zauberschlage anders geworden, seitdem auch der Statthalter Ritter von Toggenburg pensioniert wurde, und wieder eine Säule des Absolutismus gefallen ist. Auch der Beamte atmet nun freier im Schatten der Staatsgrundgesetze. Nur der tirolische Landtag liegt noch wie ein Alp auf dem Lande. Die Wahlen geschahen unter Belcredi's Einfluss und die Liberalen sind in der Minorität. Erst nach fünf Jahren werden Neuwahlen stattfinden. Bis dorthin muss sich die liberale Sache in Geduld fassen und sich der süßen Hoffnung hingeben, dass auch die Krüge der Herren Giovanelli und Greuter nur so lange zum Wasser gehen, bis sie brechen.

Innsbruck ist eine recht freundliche Stadt und hat namentlich eine schöne Umgebung, die man zu vielen der lohnendsten Ausflüge benutzen kann. Auch freundliche Leute findet man dort. Und gar der Gelehrte, der einen Universitätsprofessor besucht, kann auf gute Aufnahme rechnen, da die Herren von der Universität und vom Gymnasium ganz prächtige Männer sind, mit denen sich’s leben lässt. Sonst gibt es in Innsbruck allerlei Merkwürdigkeiten, die man in jedem Reisehandbuche beschrieben findet. Man braucht nicht lange Zeit, um sie zu sehen, es ist alles spezifisch tirolisch bis auf den botanischen Garten mit den sehenswerten Alpenpflanzen. In sozialer Beziehung ist Innsbruck jetzt eine große Bierkneipe. Der edle Gerstensaft absorbiert alles Andere und im Verein mit dem etschländischen Weine, den man hier in besserer Qualität als in Bozen und Meran trinkt, wird das ganze soziale Leben darin ersäuft. Wie jede Pflanze einen gewissen Fundort hat, so trifft man diesen oder jenen Herrn sicher beim Bierjörgl oder Bierwüastl. Das Wirtshausgehen ist hier so allgemein, dass jede Theatergesellschaft, welche Innsbruck mit dramatischen Genüssen zu versorgen gedenkt, sehr schlechte Geschäfte macht und in den Tagesjournalen der Curtius-Muth des jeweiligen Direktors bewundert wird, der nach den schmählichen finanziellen Niederlagen seiner Vorgänger noch immer das Wagnis unternimmt, mit dem Innsbrucker Thespiskarren weiter zu kutschieren. Einige zartbesaitete Seelen, deren Begeisterung für Literatur und Kunst durch den landeshauptstädtischen Sirocco noch nicht zur museumsreifen Mumie ausgetrocknet ist, wagen sich allabendlich in die „heiligen Hallen“; aber die Mehrzahl der Bürger liebt kompaktere Genüsse und ist über jene Ideale hinaus, welche die Brust eines Studenten bewegen. Dazu kommt noch der Umstand, dass in Innsbruck viele nicht unbemittelte pensionierte Beamte leben, welche in Ermangelung des früher so süßen Bureaudaseins nun den ganzen lieben Tag in diversen Kaffee- und Wirtshäusern zubringen, wo sie sicher sind gleichgesinnte Seelen zu finden.

Innsbruck hat außer dem Katholikenvereine, einem sehr stark ultramontan gefärbten Oberlandesgerichte, diversen Klöstern und Jesuiten auch noch ein merkwürdiges Klima. Man kann nämlich an einem einzigen Vormittage dreierlei Wetter erleben. Um 10 Uhr noch hübsch kühl, wird es um 11 Uhr plötzlich warm, bis endlich um 12 Uhr möglicherweise der siedendheiße Sirocco folgt, der dich in die Wüste Sahara versetzt. Dieser Wechsel der Temperatur, der gerade in Innsbruck sehr fühlbar wird, ist der dunkle Punkt in der sonst so prächtigen Landeshauptstadt, von welcher es ja auch indem alten Volksliede heißt: „Innsbruck, ich muss dich lassen“ und der Dichter offenbar nur andeuten wollte, welch' großen Schmerz ihm die Trennung von Önipontium verursachte.

Die freundliche Innstadt ist auch die Geburtsstätte mehrerer bedeutender Künstler und Schriftsteller, wie man überhaupt in Tirol nicht weit zu gehen braucht, um einen Maler oder Bildhauer zu finden, ein Beweis, dass die Tiroler recht anstellige Leute sind, welche für künstlerische und technische Beschäftigungen entschieden begabt sind. Ein Beweis dafür sind die Grödner Holzschnitzarbeiten, welche eine noch höhere Vollendung erlangen könnten, wenn die Leute gediegene Mustervorlagen bekämen. Kommt einmal ein besserer Volksunterricht ins Land und wird Tirol mit einsichtigeren Bischöfen beglückt, welche ihrem Klerus auch die Segnungen einer besseren Seminarbildung angedeihen lassen, dann kann es im Lande nicht fehlen. Im Übrigen sorgt aber der konstitutionelle Verein schon dafür, dass der Blödsinn der „Tiroler Stimmen“ Niemanden mehr einen erheblichen Schaden zufüge und die alttirolische Finsternis allmählich einem gesunden Licht Platz mache. Auch die sonderbaren Käuze, welche, wie der ehemalige Polizei-Oberkommissar Freiberger, als Witwer und in alten Tagen anfangen bei den Jesuiten Theologie zu studieren und nun Messe lesen, fangen allmählich an auszusterben. Sie ragen wie Ruinen in die neue Zeit hinein und werden bald nur mehr ein antiquarisches Interesse haben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Lande der Glaubenseinheit