Aus dem Kurort Ilmenau in Thüringen

Aus: Zeitung für die elegante Welt. 40ter Jahrgang. 1840 (Karl Spazier)
Autor: Winter, Amalie (Amalie von Gross, Amalie von Seebach 1803-1879) deutsche Schriftstellerin, Erscheinungsjahr: 1840
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Thüringen, Ilmenau, Kurort, Kurgast, Thüringer Wals, Badegast, Brunnen, Ilmenau Hennebrunnen, Brunnenkur, Gesundbrunnen
An das freundliche Ilmenau im Thüringer Walde hat man doch nicht viel gedacht, obgleich es von jeher ein fleißiges Städtchen war, und die Produkte seiner Fabriken in ferne Gegenden sandte. — Jetzt aber lockt das Wasser, das doch schon seit Jahrtausenden da plätschert, dir Menge dahin, um die Wasserkur zu brauchen, die nun so allgemein Mode geworden. Wasser tut freilich nicht alles—aber doch viel, und unter den Leidenden, die man hier sieht, hat man die Freude, auch manche Genesende zu finden. — Elegante Damen, stattliche Herren, gehen mit dem Becher in der Hand von Brunnen zu Brunnen, und stürzen das kalte Element hinab, mit demselben Entzücken, womit sie sonst den Champagner und andere edle Weine genossen.

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Das Wasser ist aber auch so schön — so klar — so frisch — ganz ohne Beigeschmack, und unterscheidet sich wesentlich von den schwer verdaulichen Gewässern der Ebenen, welche zu Wasserkuren untauglich und oft sogar von nachtheiliger Wirkung sind, während die Quellen aus dem Urgebirge wahrhaft belebende Kräfte enthalten und durch ihre erfrischende Wirkung das Nervensystem anspannen, den Blutumlauf beschleunigen. „In solchem Zustande“, sagt Montesquieu, „fasst der Mensch mehr Zutrauen zu sich selbst, das Gefühl seiner Tatkraft flößt ihm Mut und Sicherheit ein, daher die Offenheit und Biederkeit der Bergbewohner, die weniger zu Argwohn, Verstellung, Ränken und Rache sich neigen, weshalb man so gern in ihrer Mitte verweilt.“ Wenn ich auch nicht wie Montesquieu dem Wasser so große Wirkung zuschreibe, so gebe ich doch der Bergstadt Ilmenau Recht, wenn sie mit ihrem Wasser kokettiert. Überall sind Brunnen angebracht; in den Straßen, auf den Spaziergängen, an den Bergen; überall sprudelt es aus der Erde heraus, so wasserreich ist das Land, und der Zauber der Wünschelrute findet hier nicht nur Glauben, sondern auch Bestätigung.

Hier bin ich also angelangt und wandle durch die Hauptstraße des Städtchens. Es ist Abend, die Kühe ziehen nach Hause und es läuten Hunderte von Glocken, die Herden sind groß; sie spenden den Badegästen Frühstück und Abendbrot, denn streng ist die bei der Kur vorgeschriebene Diät. — Sie kehren zurück von der Weide — aus den Bergen, und die Ilmenauer Bergbutter ist weit und breit berühmt. Vor allem geben sie aber der Stadt einen ländlichen Charakter und mahnen an das Dorf, wo der Mensch sich das Haustier nicht so fern hält als in der Stadt — wo man der Natur näher steht.

Hier vor allem ist man auf die Natur angewiesen, denn das Städtchen Ilmenau bietet dem verwöhnten, Vergnügen suchenden Fremdling weder Komforts, noch Genüsse. Klein sind die Häuser, eng die Stübchen, dunkel die Treppen, und nur langsam dringt der Luxus ein, den jedoch selbst der verwöhnteste Badegast leicht zu entbehren scheint.

Einförmig ist aber der Tag, Wasser! Beständig mit Wasser beschäftigt, und außerdem noch jeder mit seinem eigenen Körper, den man den ganzen Tag badet und begießt. Das Wasser ist der Hauptgegenstand der Konversation, es sprudelt aus Gedanken, ans Worten heraus, es scheint hier Leben und Lebenszweck zu sein. — Wie überall herrscht auch hier ein gewisser Charlatanismus — man erzählt von Wunderkuren, von unglaublichen Heilungen — und einem jeden Kranken spricht die Hoffnung auf Genesung mit dem klaren Wasser von Ilmenau entgegen. Ich eile in die Berge und in die Wälder, wo mir reiche Freuden und Genüsse erblühen.
Ja, es ist schön hier, herrlich schön. Es ist nicht Frühling, nicht Sommer, nicht Herbst, aber alles auf einmal. Noch nie sah ich das frische Grün so schön, wie in den engen Tälern, die sich zwischen dunkeln Wäldern hinziehen. Man schaut in dieselben hinein, immer tiefer, wie in ein Freundesauge; man meint, sie müssten den Blick bis in die Seele der Natur führen; sie erinnern mich an das ewig grüne menschliche Hoffen — man weiß nicht, wo dessen Ende ist, aber man blickt doch danach.

Aus solch einem grünen Hoffnungstal heraus plätschert der Freibach; er vereint sich mit der Lengwitz und bildet die Ilm; die liebe, so oft gepriesene und besungene Ilm, der in Geographie und Weltgeschichte eine so kleine Stelle angewiesen ist, und die in der Geschichte der Literatur eine so große Rolle spielt. Sei mir gegrüßt in deiner Wiege, Du klares Kind, das so ahnungslos im Manebacher Tal dahin strömt, der Berühmtheit entgegen. Dass an Deinen bebuschten Ufern die Herzogin Amalie und Carl August gewandelt, dass Goethe, Schiller, Wieland und Herder sich in Deinen Fluchen gespiegelt, dass vielleicht ein Tropfen Deines Gewässers die Tinte angefeuchtet, womit ein Faust, ein Wallenstein geschrieben ward! — Das sieht man Dir hier in Deiner Bescheidenheit nicht an. — Ich schöpfe aus Deinen klaren Fluten, es ist Weihwasser für meine Seele, es soll den guten Willen in mir erkräftigen, und den Mut, stets wahr zu sein! Wahr im Streben, wahr im Denken und wahr im Tun — das sei der Spruch meiner heiligen Ilmtaufe.

Der Mensch steht in stetem Wechselgeschäft mit der Natur, was er von ihr entlehnt, gibt er ihr wieder, die Steine, die er ihrem Schoß entriss, fügt er zu Häusern, die ihre Oberfläche zieren und beleben. Bei Dresden und in der sächsischen Schweiz tragen die Gebäude zur Verschönerung der Gegend bei, das kleinste, schlichteste, weiße Häuschen gereicht den dunkeln Fernen zum Schmuck, wie die Blume, die Perle dem Kopfputz einer schönen Frau; die Natur scheint dorr diesen Schmuck zu wünschen, des Menschen und dessen Treiben zu bedürfen, mit dessen Bewunderung zu kokettieren. — Hier ist es anders, hier scheint die Natur den Menschen nur zu dulden. Ängstlich schmiegen sich die Häuschen an die Berge, sie klammern sich an, sie scheinen Schutz zu stehen von den Starken. Die Bauernhäuser der sächsischen Schweiz geben Eindruck des Volkslebens, des Geselligkeitsbedürfnisses — hier scheint Einsamkeit die Haupttendenz; man denkt hier nur an ein Liebesglück in der Stille, an ein Asyl für Lebensmüde, an ein dem Nachdenken gewidmetes Dasein. Nicht der frohe Genuss — sondern stilles Entbehren scheint in diesen Hütten zu wohnen, bei denen die Baukunst der Schwalben vorherrschend ist.

Steigt man auf eine Anhöhe, so sieht man nur Berge, vielmehr waldbewachsene Gebirgswellen vor sich liegen; ein entsetzlicher antediluvianischer Sturm muss getobt haben — die Elemente waren empört über die Verirrungen der Engel und Menschen — Wogen türmten sich bergehoch, während unterirdische Riesenkräfte das feuerflüssige Urgebirge langsam und majestätisch emporhoben. — Dann erscholl plötzlich das mächtige Halt!, und sie blieben stehen felsenfest, für die Ewigkeit festgebannt; sie standen trauernd und schauten herab nach den zurückgedrängten Meeresgestaden, sich sehnend nach den verschwisterten Wellen im Meer, nach der gewohnten wogenden Bewegung. Da deckte die gütige Natur sie mit Erdschichten, dass sie nicht allzu sehr frieren möchten, und Bäume wuchsen dann darauf. Ich kann nie vor Wasser vorbei gehen, ohne mich hinab zu sehnen in die Tiefe, da ist ja Ruhe, und auch vor den festgebannten Wälderfluten siehe ich sehnend. Hinein, hinein! rufe ich, doch habe ich nicht den Mut, mich so allein hinein zu wagen, so gehe ich am Waldesrand hin und blicke in das Dunkel, so weit das Auge reicht; ich lasse mich nieder auf einen Stein. Ein Knabe sucht mir Beeren, deren hier verschiedene Arten in reichem Maße gedeihen, ich esse die Früchte mit ihm vereint und danke freundlich. — Dann entlasse ich ihn aber wieder, denn ich liebe zu träumen, so ins Waldesdunkel hineinzuträumen. Das darf man jetzt kaum gestehen, die Leute meinen, träumen sei Dampf, und zwar kein solcher, der Maschinen treibe, er sei zu nichts zu brauchen.

Ich sehe Blumen, die ich nie gesehen Unzählige schöne gelbe Blüten an hohen Stängeln; verlange nicht ihren botanischen Namen, den weiß ich nicht, ich weiß nur, dass der dicke Stiel die gelben Blüten an ganz dünnen, dem Auge beinahe unsichtbaren Stielchen um sich versammelt hat und dass sie wie Sterne aussehen, und die ganze Blume im dunkeln Wald sich wie ein Sternenhimmel ausnimmt.

Dann sah ich schöne Lilaglocken am hohen Stängel aufgereiht, die Pflanze schien den Bäumen nachzustreben, sie war viel größer als ich und die Lilaglocken waren ganz oben. Da war es mir, als müssten sie, wenn der Abendwind sie bewegte, mit den langen, weißen Staubfäden im Innern des Kelchs läutend anschlagen, wie kleine Glockentürme, und eine ganze kleine Welt von Käfern, Bienen und Insekten zur schuldigen Andacht zusammenrufen. Ich sah auch wirklich eine ganze Ameisenprozession, die sich dahin bewegte, dass ich ihren Gesang nicht vernehmen konnte, daran war das grobe menschliche Gehör schuld, das in meinem Ohre wohnt. Auch eine dicke Hummel summte vorbei, das musste der Pastor sein; zwei kleine Käferchen mit roten Pelerinen waren wohl die Chorknaben, sie eilten sehr, sie mochten sich verspätet haben. Der Hirschkäfer scheint der Landesherr zu sein, die Goldkäfer seine Livréebedienten, die Totengräber kamen zuletzt, die andern scheuten sich vor diesen, es krabbelte alles so lebendig um, vor, neben und hinter mir, überall Leben. Der Holzwurm bohrte im Holz und hielt seine Privatandacht, denn er konnte nicht zum öffentlichen Gottesdienst, sonst aber kroch alles aus der tiefen Erde heraus, der Schmetterling flatterte leicht wie meine Seele herbei — und am Ende lebte alles um mich her und alles hatte Bedeutung vor meinen Augen, überall sah ich den einen Zweck, das Lob, die Verherrlichung Gottes. — Ja wohl, das Träumen ist unnützer Dampf; er treibt keine Spinnmaschinen, keine Wagen, keine Schiffe, man kann keine Kartoffeln daran kochen, sich nicht einmal die Hände daran wärmen. Sie haben Recht, die Leute des neunzehnten Jahrhunderts, und doch ist das Träumen so übel nicht; es vertreibt Zeit und Grillen, es führt wie die Laterna magica buntwechselnde Gestalten vor die Seele und entrückt dieselben dem wirklichen Leben und dessen nagenden, peinigenden Angelegenheiten.

Ilmenau, Stadtansicht 2

Ilmenau, Stadtansicht 2

Ilmenau, Hennebrunnen

Ilmenau, Hennebrunnen

Ilmenau, Stadtansicht 1

Ilmenau, Stadtansicht 1

Ilmenau, Kickelhahn-Turm

Ilmenau, Kickelhahn-Turm

Ilmenau, Wasserheilanstalt

Ilmenau, Wasserheilanstalt