I. Aus dem alten Kaukasus. Geographische, ethnographische und geschichtliche Notizen

Was einstweilen dem Geschichtsschreiber zu Gebote steht, sind hauptsächlich die zerstreuten Nachrichten über den Kaukasus, welche wir bei den alten griechischen und römischen Schriftstellern finden (die armenischen und grusinischen kommen, als der späteren Zeit angehörend und wenig glaubwürdig, kaum in Betracht), Die Nachrichten jener Alten in Kürze zusammenzufassen , ist Zweck dieser Abhandlung, welche für einen weiteren Kreis von Lesern bestimmt ist, für die das Detail von geringem Interesse sein dürfte. Man muss wirklich Respekt gewinnen vor den alten Schriftstellern, wenn man die großen Erfolge bedenkt, welche Schliemann und andere berühmte Archäologen an der Hand derselben erzielt haben. Es ist ein angenehmes Gefühl zu wissen, dass man den Alten bis zu einem gewissen Grade trauen kann, und mit mehr Interesse dringt man in ihre Schriften ein. Wir finden auch über den Kaukasus bei ihnen ziemlich reichliches Material, aber leider fehlt uns noch ein zweiter Schliemann, der mit gleicher Energie und ebenso so großem Verständnis sich hier ans Werk der Ausgrabungen machte.

Nicht alle Teile des Kaukasus freilich waren, wie das die Sache selbst mit sich bringt, den Alten in gleichem Maße bekannt. Die westlichen, der damaligen zivilisierten Welt näher gelegenen Teile zogen zuerst die Aufmerksamkeit auf sich. Homer schon erwähnt den Zug der Argonauten in das Land, das er „Aia" nennt. Er stellt sich dasselbe vor als eine Insel am Rande der Welt, wo die rosenfingrige, nebelgeborene Morgenröte ihren Wohnsitz habe und von wo der glänzende Helios aufgeht, der nimmer aufhört zu leuchten. Gebieter im Lande ist König Aietes. Seit Pindar, welcher den Zug der griechischen Helden näher beschreibt, nahm man an, dass Homer unter „Aia" Kolchis verstanden habe, das Land mit den fabelhaften Reichtümern am Pontus Euxinus. Die Mär von diesen Reichtümern war es wohl auch, welche die unternehmenden Griechen an den Ufern von Kleinasien, besonders die Mileter anreizte, das schwarze Meer zu befahren. Die Schiffe derselben drangen vom 8. — 6. Jahrhundert v. Chr. in die östlichen Winkel des Meeres vor; Handelsbeziehungen wurden angeknüpft und zu deren Förderung Kolonien gegründet. Der Pontus Axinus — „der ungastliche" — wurde seitdem ein Euxinus, ein „gastfreundlicher". Leider aber hatten jene Kaufleute mehr Interesse für Handel als für Geschichte und Geographie, und so haben sie keine Nachrichten über jene Gegenden hinterlassen. Bei Hekatäus und Äschylus findet sich zum ersten Male der Name Kaukasus, ihre sonstigen Angaben sind spärlich. Zur selben Zeit gibt uns etwas ausführlichere Nachrichten Skylax von Karianda, aber wieder hauptsächlich über Kolchis und den Phasis (Rion).


Der Vater der Geschichte, Herodot, gibt uns zuerst eingehender Aufschluss über unser Land, das er teilweise aus eigener Anschauung kannte; bei ihm treffen wir wertvolle Notizen über den Ursprung der kaukasischen Völker, ihre Sitten und Gebräuche, sowie ihre Handelsbeziehungen. Xenophon und andere haben für unsern Zweck wenig Bedeutung, dagegen müssen wir die Argonautica des Apollonius von Rhodus (250 — 210 v. Chr.) erwähnen. Zwar lässt der Dichter seiner ungebändigten Phantasie freien Lauf und in seinem Heldengedicht ist viel mehr Dichtung als Wahrheit, aber diese Phantasiegebilde entbehren doch nicht ganz der reellen Unterlage; dem Dichter müssen die und jene Beschreibungen von Land und Leuten in Kolchis zur Verfügung gestanden haben. Dem Geographen Strabo gebührt das Verdienst, eine eingehendere Beschreibung der kaukasischen Länder gegeben zu haben, welche bei manchem Fehlerhaften, das mitunterläuft, doch recht wertvolles Material gibt*). Er selbst war auch im Lande. Später haben im Kriege mit Mithridates römische Heere die Landenge zwischen den beiden Meeren durchquert, dann folgten die Zusammenstöße mit den Albanern, Iberern und andern kaukasischen Stämmen, so dass Plinius und Ptolemäus**) schon reichen Stoff zur Verfügung hatten. Die späteren Kämpfe der Römer und der Legionen des byzantinischen Reichs mit den Persern um die Oberherrschaft in Iberien und Kolchis, welche sich hier in den ersten Jahrhunderten nach Christus mit wechselndem Kriegsglück abwickelten, haben die byzantinischen Schriftsteller beschrieben, unter denen Prokopius und Agathias die fruchtbarsten waren.

*) Er nennt z. B. das Kaspische Meer einen Teil des nördlichen Eismeeres, führt den Araxes als selbständigen Fluss an, welcher nicht weit von der Mündung der Kura ins Meer fällt, etc.

**) Die unrichtigen Gradbestimmungen des Ptolemäus sind erst im 18. Jahrhundert richtig gestellt worden. Seine Fehler kommen daher, dass er den Erdumfang um 1/6 zu klein angab, während schon Eratosthenes (276 — 196 v. Chr.) denselben fast richtig gefunden hatte.


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Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Kaukasus