Harbke.

Am 4. September brachen wir um acht Uhr früh von Potsdam auf. Als wir durch die toten Straßen von Potsdam fuhren, merkte man deutlich, wie sehr die Stadt unter der Abwesenheit der königlichen Familie leidet, die nur noch selten diese Residenz besucht. Bald nachdem wir die Stadt verlassen hatten, sahen wir zur rechten Hand das berühmte Schloss Sanssouci, in dem Friedrich der Große gestorben ist. Dieses Schloss wurde während eines jener Kriege gebaut, die Preußen verwüstet haben, und die keinen anderen Zweck hatten, als der Welt zu beweisen, dass im preußischen Staatsschatz kein Geldmangel herrsche. Der Name Sanssouci dürfte, glaube ich, in jener Zeit wenig den Tatsachen entsprochen haben.

Unser Ziel war heute Magdeburg, wo Nachtquartier genommen werden sollte. Eine der Stationen, auf denen wir die Pferde wechselten, trug die Inschrift „Post-Expedition”, dessen ungeachtet mussten die Pferde zu unserer Weiterbeförderung erst aus einem Erntewagen geholt werden. Man darf jedoch nie nach dem Scheine urteilen, zumal nicht, wo es sich um Pferde handelt, denn wir fuhren die nächsten neun Meilen in nicht ganz einer Stunde, allerdings war die Chaussee in ausgezeichneter Verfassung und die Gegend ganz flach. Dies gibt mir Veranlassung, den Anhängern der „alten Schule” ein Wort zu sagen, die den Aufsatzzügel verwerfen. Auf der einen Station wechselte gleichzeitig mit uns eine Eilpost die Pferde; von diesen zwölf Pferden – unsere vier und den Zug des Grafen Putbus mit eingerechnet – hatten acht aufgeschlagene Knie! Auf Sandwegen, wo man nur fünf Meilen in der Stunde fährt, mag es ohne Aufsatzzügel gehen, aber auf guten Chausseen, wo man sehr viel schneller fährt und mit Reisepferden, die nicht mehr ganz frisch auf den Beinen zu sein pflegen, ist die Folge des fehlenden Aufsatzzügels, dass jedes dritte Pferd auf dem Knie eine Narbe hat. Unser Wagen, der bis hierher im Ertragen von schlechten Wegen und unbeschreiblichem Pflaster Wunder geleistet hatte, gab uns hier Anzeichen, dass er demnächst der Reparatur bedürfen würde: die Radreifen waren lose geworden; mit Hilfe von Jemmy und einem Tischler gelangten wir jedoch glücklich bis Magdeburg. Unser Weg führte heute durch eine herrliche Gegend, die hoch in Kultur stand; trotz der Hitze waren Männer und Frauen dabei, den zweiten Schnitt Heu zu mähen. Ich sah wenig Rüben, aber viel Luzerne und Mangelwurzel.


Der Blick auf Magdeburg über die Elbe ist über jede Beschreibung schön. Auch diese Festung macht den Eindruck, als sei sie mit Menschenkräften nicht einzunehmen; allein, was die Kanonen nicht vermögen, erreicht das Geld: Die Stadt ergab sich nach drei Tagen den Franzosen durch den Verrat ihres Kommandanten, eines Greises, der sich seiner schimpflichen Beute nicht mehr lange erfreut hat. Unser Hotelwirt, bei dem wir vorzüglich aufgehoben waren, war ein wenig des Englischen mächtig, und ich machte ihm den Vorschlag, sich einen englischen Kellner zu halten, was bei den vielen Engländern, die heutzutage den Kontinent bereisen, sich sicherlich rentieren würde.

5. September. – Da es von Magdeburg zum Grafen Veltheim nur noch eine Fahrt von wenigen Stunden ist, so widmeten wir der interessanten Stadt noch einige Stunden. Zu diesem Zweck mieteten wir einen „lacquey de place”, d. h. einen französischen Führer, der uns zunächst die St. Moritz-Kathedrale zeigte; dann führte er uns auf die so g. „Prinzen-Schanze”, von wo man eine herrliche Fernsicht über das Land hat und zugleich die ganzen Festungswerke übersieht. Diese übertreffen in der Tat alles, was ich bisher für möglich gehalten hatte. Auf dem Rückwege zu unserem Hotel wurden wir noch auf die bedeutende Weinhandlung der Herren Siegfried aufmerksam gemacht. Als wir aus der Stadt fuhren, sahen wir die Bilder von vier Deserteuren, auf deren Ergreifung eine hohe Belohnung ausgesetzt war, diese Ankündigung war jedem Reisenden sichtbar an den Toren angeschlagen. Wir fuhren durch eine sehr fruchtbare Gegend, wo Rüben, Mohn, Luzerne und Klee prachtvoll standen. Das Getreide war meist schon eingefahren, nur etwas Hafer stand noch auf dem Felde. Unter anderen Merkwürdigkeiten dieses Tages muss ich noch die Wirtin des Kruges, an dem wir heute die Pferde tränkten, erwähnen. Sie hatte Hüften wie eine Kuh und war folgendermaßen angetan: Unter einem gestreiften Gewand trug sie einen roten Unterrock, mit einer buntfarbigen Borte, dazu Holzpantoffeln und rote Strümpfe; vom Kopf hingen ihr vier breite schwarze Bänder über den Rücken. So sehr ich Vögel mit roten Beinen schätze, so hoffe ich doch, dass die Tracht dieser rotbestrumpften Dame nicht in England eingeführt wird.

Die deutsche Frau der unteren Klassen ist nicht nur hässlich und plump, sondern auch sehr schmutzig. Allerdings würde auch eine Venus in der Bekleidung uns abschrecken. Namentlich die von den Bauernfrauen mit Vorliebe getragenen roten Strümpfe sind in meinen Augen geschmacklos.

Da wir unser Eintreffen in Harbke nicht vorher angekündigt hatten, so waren Graf Veltheim und seine Gemahlin bei unserer Ankunft ausgefahren, so dass wir uns ungestört umblicken konnten. Das Schloss, dass das Familienwappen über dem Portal trägt, ist 1480 erbaut worden. Selbst die Schwäne, die feierlich auf dem Wasser des Burggrabens einher glitten, schienen zu sagen: „Hier sind wir geboren, wie vor uns alle unsere Ahnen!” Mit einem Wort, es war ein Herrensitz im großen Stil.

Obwohl persönlich dem Grafen bisher unbekannt, wurden wir bei seiner Rückkehr auf das herzlichste von ihm begrüßt. Schon die Tatsache dieser Einladung bewies hinlänglich – was wir zur Genüge ja schon aus seiner Mitarbeit im „Sporting-Magazine” wussten –, dass wir in dem Grafen einen begeisterten Pferdefreund und Sportsman finden würden. Leider hat er, wie so viele, seine Passion teuer bezahlen müssen: Ein schwerer Sturz im Jagdfelde hat eine dauernde Verletzung des Rückgrates zur Folge gehabt, so dass Graf Veltheim heute nur noch seinen „shooting-pony” besteigen kann. Wie schwer ein solches Tier zu bekommen ist, erhellt daraus, dass Veltheim uns 1000 Mark bot (50 Guineas), wenn wir ihm einen „shooting-pony” aus England verschaffen könnten.

Augenblicklich standen nur sechs Reit- und Wagenpferde im Harbker Stalle; von den ersteren entsprachen leider nur drei meinen Erwartungen. Eine wundervolle Stute der echten alten Mecklenburger Zucht war Mr. Tattersalls und mein ganzes Entzücken; sie hatte alle Points für scharfe Arbeit. Eine Grauschimmelstute, die an den Hackney erinnerte, hätte in London einen hohen Preis gebracht; sie war ganz das Pferd, das heute für Straße und Promenade gesucht wird. Eine junge Schimmelstute mit brillanter Schulter und guter Aktion war leider vorn lahm, obwohl nichts zu entdecken war. Ein langschwänziger vierjähriger Schimmelhengst wurde uns vorgemustert, fand aber keinen Beifall; er stammte von einem kleinen Araber aus einer englischen Stute, war aber ein großes Pferd und wird in Berlin, wohin er zum Verkauf geschickt werden sollte, gewiss als Offizierspferd seinen Preis finden; als Jagdpferd würde er mit seinem inkorrekten Gange nie über die Gegend kommen. Noch größer war meine Enttäuschung in den Paddocks. Im Ganzen sahen wir dort 20 bis 30 Stuten, darunter zwei englische Vollblutstuten; allein mit Ausnahme eines zweijährigen Halbbluthengstes war nichts Rühmliches darunter. Der letztere war 1830 für Doberan genannt, und Baron Biel hatte versprochen, ihn ins Training zu nehmen. Im Übrigen hat sich Graf Veltheim entschlossen, die Zucht aufzugeben; aber seine Pferdepassion kommt augenscheinlich auch dem Ackerstall zugute: In diesem standen 50 Pferde, von denen einige 16 und 17 „hands” maßen und so viel Blut aufweisen mochten, wie unser altes englisches „coach horse”; als die leeren Wagen auf das Feld hinausfuhren, gingen die Pferde ein Tempo, dass unseren Landleuten das Maul offen geblieben wäre.

Ich muss hier bemerken, dass ich das deutsche „Ackerpferd” dem englischen Kaltblüter mit seinen langen Fesselhaaren bei weitem vorziehe; freilich ist es dem Cleveland bay oder Suffolk an Energie sowohl wie in Aktion unterlegen, aber sein Temperament ist bewundernswert und für alle landwirtschaftlichen Zwecke ist es stark genug. Es ist gut gebaut und erinnert sehr an das alte, langschwänzige „Kutschpferd”, das heute in England immer mehr verschwindet.

Das deutsche „Kutschpferd” ist ein nützliches Tier, mit gutem Gang und, nach meiner Erfahrung, auch sehr ausdauernd; ich spreche natürlich von den Kutschpferden in herrschaftlichen Ställen, für die möglicherweise ein großer Preis angelegt wurde. Immerhin sind diese nicht so gut gezogen und so elegant, wie unser englisches Kutschpferd (coach-horses), das heutzutage ebenso hoch im Blute steht, wie man es noch vor nicht langer Zeit nur von dem Hunter verlangte. Während der Londoner Saison könnte man aus den Equipagen der vornehmen Welt so manchen noblen Hunter auswählen, das ließe sich nicht von der deutschen Hauptstadt sagen.

Das deutsche „Postpferd” stand ehemals in vorzüglichem Ruf; heute ist es meines Erachtens nur auf Landwegen brauchbar. Diese sind allerdings in Norddeutschland vorherrschend, denn Steine scheinen dort ebenso selten zu sein wie Kirchen. Auf Pflaster und Chaussee zeigt sich, dass das deutsche Postpferd nicht hoch genug im Blute steht; es ermüdet, wenn der Postillion mehr als eine Meile im besten Tempo fährt, darum benutzt dieser selbst auf der besten Straße schon die geringste Steigung als Vorwand, um einige hundert Meter Schritt zu fahren. Ich habe nicht ein einziges Gespann gesehen, das vor einem Kavalierwagen über achtzehn englische Meilen (circa 27 Kilometer) das Tempo der Newburyoder Reading-Post halten könnte; bei heißem Wetter würden sie schon auf der halben Strecke tot umfallen. Im Allgemeinen sind die deutschen Postpferde frisch auf den Beinen; aber sie bekommen nicht die Hälfte von dem Korn, das unsere englischen Postpferde fressen und sie werden nur halb so schnell gefahren – das ist des Rätsels Lösung! Graf Veltheim behauptet, dass die Pferdezucht in seiner Gegend, dem ehemaligen Herzogtum Magdeburg, sich nicht rentiere, und ich glaube, er spricht aus eigener Erfahrung. Schon für leidliche Tiere sind die Preise niedrig genug; die Ausfälle der Zucht, unsere so g. „Spinnen”, sind überhaupt nicht loszuwerden; während bei uns jedes Tier, das auf vier Beinen läuft, noch bezahlt wird. Es fehlt eben in Deutschland der ausgedehnte Verkehr der Personenpost, die in England für alle Kreaturen mit schiefen Beinen und steiler Schulter den Markt bildet.

Ich will gern zugeben, dass das deutsche Klima der Vollblutzucht nicht günstig ist, allein durch gute Haltung und zweckmäßige Einrichtung der Gestüte könnte diesem Übelstand einigermaßen abgeholfen werden. Ich muss es jedoch aussprechen: Die deutschen Vollblut- und überhaupt die Pferdezüchter sind sich im Allgemeinen der Bedeutung einer guten Aufzucht gar nicht bewusst; sie mögen sich darauf verlassen: Im Rennen ist sie für den Vierjährigen wohl sieben Pfund wert! Wie sich die reichliche Zuwendung von gutem Heu und Hafer bei Halbblutfohlen bezahlt macht, vermag ich mit Zahlen nicht auszudrücken. Graf Veltheim äußerte mir gegenüber, die englischen Vollbtutzüchter hätten den „Gang” zugunsten der Schnelligkeit vernachlässigt. Dies trifft nicht zu; denn unsere schnellsten Pferde hatten den allein rationellen Gang, nämlich den, der den Körper mit dem geringsten Aufwand von Muskelkraft vorwärts trägt. Jede Bewegung mit einem andern Ziel, d. h. eine steppende Aktion, die die Gliedmaßen höher vom Erdboden erhebt als unbedingt notwendig, muss der Schnelligkeit Eintrag tun. In einem seiner Briefe bemerkt der Graf, dass wir einen langen dünnen Hals und hohen, scharfen Widerrist bevorzugen. Dies ist nicht der Fall: Für den Engländer, der ein Pferd beurteilen kann, kann der Hals kaum zu kurz sein, vorausgesetzt, dass Schulter und Oberschenkel lang sind. Ich für meine Person habe noch nie ein wirklich brauchbares Pferd mit einem Regenbogenhals gesehen, und was den Widerrist betrifft, so kann dieser nach meinem Geschmack niemals zu stark und breit sein, vorausgesetzt, dass er nur lang genug ist und wagerecht zum Rücken verläuft. Wo es auf Kraft und Schnelligkeit ankommt, sind Stärke und Form des Widerristes von wesentlicher Bedeutung. Der Rennsport ist in Deutschland noch nicht zu Hause und wird es, glaube ich, nie werden. Die Ziele der deutschen Pferdezüchter waren bisher die Produktion eines brauchbaren Pferdes für die Landwirtschaft, die Post, den Wagen und die Armee, und auf diesem Gebiet haben sie Erfolgreiches geleistet. Das Rennpferd öffnet ihnen ein gänzlich neues Tätigkeitsfeld, und es wird geraume Zeit dauern, bis sie hierfür die Fortschritte machen, die selbst hierzulande bei aller unserer Erfahrung erst in jüngster Zeit zu verzeichnen sind. Die Dampfkraft, die alle Länder einander nähert, wird jedoch auch der Zucht von Rennpferden in Deutschland förderlich sein, seitdem die Überfahrt von England nach Hamburg nur noch drei Tage dauert.

Ich kann das Thema der deutschen Vollblutzucht nicht verlassen, ohne noch eine Bemerkung über das Einbrechen der Fohlen zu machen. Ich glaube, man legt nicht genügend Wert darauf, dem jungen Tier ein gutes Maul zu erhalten; ein solches ist auf der Rennbahn so gut wie 2 Kilo erlaubt; ein Pferd mit einem verdorbenen Maul dagegen kann auch der beste Jockei nicht gerade halten, wenn es nicht schon von vornherein durch Durchgehen seine Chancen verscherzt. Gang, Behandlung, Temperament, Ernährung und Arbeit des Rennpferdes, das alles ist den Stallmeistern oder Bereitern ein Buch mit sieben Siegeln, und ihre Methode – die Versicherung kann ich meinen deutschen Lesern geben – ist genau das Gegenteil von dem, was richtig wäre!

So sehr das Gestüt des Grafen Veltheim hinter meinen Erwartungen zurückblieb, soweit übertraf die Landwirtschaft in Harbke alles, was ich bisher in meinem Leben je gesehen hatte. Die Merinozucht, ebenso wie die Kuhherde (Schweizer und Holderneßkreuzung) ist erstklassig. Ich möchte erwähnen, dass hier Stallfütterung herrscht, so dass das Vieh nicht mehr Futter vernichtet, als es fressen kann; nur während der Nachmittagsstunden wurden die Kühe auf der Haferstoppel gehütet. Um sich von der Ausdehnung des Veltheim'schen Besitzes ein Bild zu machen, muss ich die Antwort zitieren, die ich auf meine Frage, wie die Franzosen hier gehaust hätten, von dem Grafen erhielt: „Sie haben”, so sagte unser Gastgeber, „mir 65 meiner besten Pferde genommen und ich, meine Pächter und Gutsinsassen haben 10.000 Mann von ihnen fünf Jahre lang unterhalten müssen.” – Gegenwärtig bezieht Veltheim infolge der Entwertung aller landwirtschaftlichen Produkte nur noch ein Drittel der Einkünfte, die sein Besitz vormals brachte; so z. B. brachte die Wolle, für die seine Merinoherde berühmt ist, 1818 vierzig Taler pro 22 Pfund, heute nur die Hälfte.

Nachdem wir auch der Wagenremise einen Besuch abgestattet und dort einen Wagen bewundert hatten, in dem der Graf im Jahre zuvor bis nach Nitza gefahren, und der eigens für diese Reise in Deutschland (!) gebaut worden war, zeigte er uns seine Gewehre. Da ich in diesem Punkt durch unsere in der ganzen Welt wohl unerreichten englischen Büchsenmacher verwöhnt bin, so war ich nicht wenig erstaunt, einige vorzügliche Büchsflinten zu sehen, die in Herzberg bei Frankfurt a. M. gefertigt waren und nach unserem Gelde nur 9 Pfund (180 Mark) kosteten. Ich fragte den Grafen, an dessen Schloss ein Forst von 5000 Morgen stößt, ob er Fasanen in seinem Revier habe; dies verneinte er mit der Begründung, dass der Fasan zu zahm sei, um für einen echten Sportsman als „Wild” zu gelten; als solches betrachte er nur den Hirsch, Rehbock, Keiler, Hasen, Birk- und Rebhühner, mit einem Wort alles, was auf die Bezeichnung „wild” Anspruch erheben könne. Park und Gartenanlagen waren in einer so vollendeten Weise gehalten, wie man es in England wohl gewohnt ist, in gleicher Weise aber in Deutschland sonst nicht findet; neben anderen Seltenheiten, Zedern, amerikanischen Eichen usw., sahen wir einen riesigen Tulpenbaum, der im letzten Jahre über 500 Blüten getragen hatte.

Gern wäre ich noch länger an diesem schönen Ort geblieben, wenn unser Reiseplan nur eine längere Unterbrechung zugelassen hätte. In erster Linie war es die Persönlichkeit des Schlossherrn, aus dessen Unterhaltung man so viel Anregung und Belehrung schöpfte, dann übte das unverfälschte Landleben hier in seinem echt patriarchalischen Zuschnitt einen eigenen Zauber auf mich aus, der um so mächtiger wirkte, als diese ländliche Einfachheit der guten alten Zeit in meinem Heimatlande immer mehr moderner Verfeinerung Platz macht. Endlich hatte es mir der Rotwein angetan, ein Château la Rose, der fünfzehn Jahre im Keller lagerte! Da ich nun einmal beim Rotspon angelangt bin, so mag es mir gestattet sein, dem letzten Mittagessen, das ich in einem deutschen Privathause eingenommen habe, ein Wort zu widmen: Zuerst gab es eine Suppe, dann Wild, dann Makkaroni und verschiedenes Obst, Rehbraten mit Kompott, Aprikosentorte, Käse, hierauf rohen Schinken und eingelegte Fische, in sehr dünne Scheiben geschnitten, dann französische Bohnen, gedämpft, mit Braten, Obst usw. Zwischen den einzelnen Gängen vergeht immer einige Zeit bis der nächste herumgereicht wird, und durch die Mannigfaltigkeit der Speisen, den Wechsel vom Rheinwein zum Champagner, den Geschmack des rohen Schinkens, pikanter Fische usw. wird der Appetit bis zum Schlusse des eine beträchtliche Zeit in Anspruch nehmenden Mahles rege gehalten. Der Wein wird während des Essens getrunken, bis die Frau des Hauses die Tafel aufhebt, worauf alle aufstehen und Herren und Damen gleichzeitig den Raum verlassen, was nicht nach meinem Geschmack ist. In gleicher Weise geht das Souper vor sich: Die Herren führen die Damen in das Esszimmer und nach Schluss der Mahlzeit, die in Qualität und Quantität sehr dem Mittagessen ähnelt, führen sie diese wieder in den Salon zurück. Hier wird noch eine Stunde in der Unterhaltung zugebracht, ehe man zur Ruhe geht, was immer lange vor Mitternacht geschieht. Die Damen – zwei Komtessen Veltheim und mehrere Gäste – vertrieben sich die Zeit hauptsächlich mit Stricken. Ich kann mich noch entsinnen, dass auch in England tonangebende Damen dieser Beschäftigung huldigten, aber der moderne Zug hat alle diese anspruchslosen Vergnügungen über Bord geworfen. Das Aufstellen von Silbergeschirr auf den Büfetten ist bei den deutschen Edelleuten nicht Sitte; auch sind die Dienstboten nicht so tadellos herausgebracht, wie es in England der Fall ist. Mir fiel der häufige Mangel an Servietten und Fingerspülnäpfen auf, auch bemerkte ich, dass die Deutschen kaum Salz zu ihren Mahlzeiten gebrauchen, daher auch das Fehlen der Salzlöffel auf dem Tische. Man sagt, dass der Herzog von Devonshire die Sitte einführen will, dass man sich an einen nur mit dem Dessert gedeckten Tisch setzt und die Schüsseln mit den Gerichten durch die Bedienung herumgereicht werden. Für den Hausherrn und seine Frau ist dies sicher eine große Erleichterung und ermöglicht ihnen die lebhaftere Unterhaltung mit ihren Gästen. Dessen ungeachtet bin ich kein Freund zu vieler Neuerungen und glaube nicht, dass der Anblick eines Ochsenlendenstückes das englische Auge beleidigt. Was ich gar nicht schätze, ist das Aufstehen von Tisch mit den Damen; der Verlust dieser gemütlichen Stunde, die wir Engländer ohne die Damen verbringen, ist ein Opfer, das nicht einmal diese wieder gutmachen können. Nebenbei kann des Guten auch zu viel werden und der Wert der Damengesellschaft wird durch ihre zeitweise Abwesenheit nur erhöht.

Kurz vor Tisch traf Graf Putbus ein, der einen Verwandten in der Nachbarschaft besucht hatte. Wir verbrachten noch eine heitere Stunde in der Bibliothek, wo Graf Veltheim eine sehr wertvolle Sammlung alter Stiche hat, darunter Porträte berühmter Araber. Da wir bereits um 2 Uhr zu Mittag speisten, so konnten wir schon um 5 Uhr von unserem liebenswürdigen Wirt und seinem Château la Rose Abschied nehmen und waren bereits zum Abendbrot in Braunschweig, wo wir im Hotel d'Angleterre vorzüglich aufgehoben waren. Unterwegs sahen wir heute zum ersten Mal zwei Jäger auf der Hühnerjagd, sie waren grün gekleidet, hatten das Gewehr über die Schulter gehängt und jeder trug einen großen Sack, der anscheinend zur Aufnahme der Jagdbeute bestimmt war. Auch sahen wir heute zum zweiten Mal ein Bohnenfeld, gemäht und in Hocken gesetzt. Da wir jetzt wieder das Land eines anderen Souveräns betreten hatten, trugen unsere Postillione gelbe Uniformen, und dreckig genug waren die Kerle.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus alten Zeiten - Nimrods Tagebuch