Aus Wien. 30. Dezember 1850 – Kultur-, Kunst- und Theaterszene

Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. 1ter Jahrgang 1851. Januar-Juni.
Autor: Redaktion - Deutsches Museum, Erscheinungsjahr: 1850
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wien, Kunstszene, Theater, Künstler, Kunstausstellung, Kunstsammlung,
Man sollte denken, es müsste für einen Toten gleichgültig sein, ob er auf dem Rücken oder auf dem Bauche liege. Das muss aber doch nicht der Fall sein, weil ich sehe, dass die Toten gewaltsame Anstrengungen machen, ihre Lage zu ändern. Zwar es sind weniger Tote, von denen ich hier spreche, als lebendig Begrabene, die nur ein glücklicher Zufall noch von dem jammervollsten Lose erretten kann. Die Stadt, aus der ich schreibe, ist ruhig, so ruhig, dass man die Totenwürmer im mürben Holze picken hört, und dennoch liegt sie gefesselt an Händen und Füßen.

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Wenn ich aber von Anstrengungen, die Lage zu ändern, gesprochen habe, so meine ich damit, dass Wien nachgerade, und selbst im Schweiße seines Angesichts, den alten Ruhm wiederzuerlangen strebt, den es durch eine Erhebung eingebüßt hat, zu der es wie Saul zu einer Krone gekommen war. Man will sich nachgerade wieder der Gedanken entschlagen, man will Gott einen guten Mann sein lassen, wenn nur der Himmel mit Geigen behängt ist. Gott verlässt einen ehrlichen Österreicher nicht; hat er nicht Hunger, so hat er doch wenigstens Durst; sagte zu mir erst gestern ein festgesessener Bürger der Stadt Wien, der mir nicht genug den Segen der Pressefreiheit rühmen konnte, weil er eine neue Zeitung angekündigt fand, in der man jeden Tag haarklein geschrieben sehen wird, wo vom neuen Jahre an heute musiziert und morgen getanzt wird. Sie sehen, ich kann Ihnen doch wenigstens von einer neuen literarischen Erscheinung berichten; es müsste denn sein, dass ich noch von einer oder der andern publizistischen Broschüre spräche, welche die einzig tätige Verlagshandlung von Jasper, Hügel und Manz an den Tag befördert. Die andern Buchhändler sind teils unter die Gemeinderäte gegangen und teils denken sie: Was wollen wir uns erst um den literarischen Bedarf mit bekümmern, so lange Deutschland uns mit gangbaren Artikeln versorgt, und so lange Guizot in London Bücher schreibt, welche von der Aristokratie gesucht werden? Die einheimischen Schriftsteller sind auf diese Weise gezwungen, die Hände in den Schoß zu legen; sie wären ja doch, wenn sie auch tätig wären, um einen Verleger verlegen. Es hat sie allerdings die Ausschreibung für ein gutes Preislustspiel aufgerüttelt; und es haben sich, wie ich höre, dafür hundert Hände wund geschrieben, vielleicht aber nur deshalb, weil man las, dass das dramatische Handwerk einen goldenen Boden hat. So wollen wir denn mit Geduld den neuen Messias des Lustspiels erwarten, den uns die Preisrichter nun bald verkündigen werden. Herr Laube wird gewiss auf diesen Gedanken stolz sein; ich halte aber das Ganze für einen verfahrenen Handel, der keinen wesentlichen künstlerischen Gewinn eintragen wird. Er musste andere Hebel für die Hof-Bühne und ihre nicht unbedeutenden Kräfte in Bewegung setzen, wenn er den dramatischen Interessen Genüge tun wollte. Er glaubte aber schon ein Übriges getan zu haben, wenn er eine ganze Misere, wie sie Otto Prechtler repräsentiert, zu vollem Atem kommen ließ, und wenn er einem andern höchst kümmerlichen Talente wie dem Mosenthals bereitwilligst den Steigbügel halten zu müssen glaubt, um es hoch zu Rosse zu bringen. Ich will ihm damit nicht manches Verdienst bestreiten, das er sich um diese Bühne erworben hat; zur Stunde aber hat er noch nicht Gutzkows Wirksamkeit für die Dresdner Bühne erreicht, wiewohl er sie vielleicht schon überflügelt zu haben meint. Ich will noch nicht den Tag vor dem Abend tadeln, kann ich auch seinen Morgen nicht loben, wenn ich eine strenge kritische Rechnung über Laubes bisherige Wirksamkeit ziehen musste. Er mag immerhin den Tadel der kleinen Blätter unbekümmert hinnehmen, die ihm hart an den Leib rücken; der „Wanderer“ ist aber ein geachteteres Blatt als die „Ostdeutsche Post“, die seine Schleppe trägt, und in diesem Blatte werden eben keine Lorbeeren für sein Haupt gepflückt. Ich verarge ihm nicht, wie die hiesigen Journalisten, dass er in neuester Zeit ein französisches Lustspiel: „die Königin von Navarra“ auf die Bretter gebracht hat; ich finde auch nicht jene Langeweile darin, die man diesem Stücke zum Vorwurf macht, ich finde im Gegenteil, dass es das Publikum mit seinem Amüsement für die Langeweile mancher früheren Abende schadlos gehalten hat. Die Tätigkeit der anderen Bühnen watet in dem Schmutze der ekelsten Gemeinheit; hier sorgt man für die Schaulust der großen und kleinen Kinder, und man sieht ihren Direktoren so recht die Mühsal des Erwerbens an. Davon macht nur eine Vorstadtbühne eine Ausnahme, welche mit vielem Glück wieder die Raimund'schen Volksstücke auf das Repertoir bringt. Ich kann eigentlich nicht begreifen, warum noch nicht sämtliche Theater Wiens geschlossen sind. Das müsste aber schon geschehen sein, wenn das offizielle Theatergesetz nach seinem ganzen Inhalt in strenge Ausübung gebracht worden wäre; denn man kann leicht den Beweis führen, dass keines von allen Stücken, die bisher geschrieben worden sind, nach diesem zur Aufführung zugelassen werden könnte. Es wäre somit gleichsam Aufgabe, einen Preis für ein Stück auszuschreiben, das ungestraft durch die Paragraphen dieses Gesetzes gebracht werden könnte; und das wäre meines Erachtens ein mühsames Kunststück. Ich habe aber ein Übriges von der dramatischen Kunst gesprochen, und will mich nun zur bildenden Kunst wenden. Es hat fast den Anschein, als ob sich diese hier ein breites Terrain erwerben wolle. Eine laufende Kunstausstellung nach dem Muster anderer Städte nimmt den Anlauf dazu. Hier sieht man aber so recht, dass die Meisten unserer Künstler noch nicht über das kleinbürgerliche Handwerk hinweggekommen sind, und wir finden sie deshalb von den Fremden weit übertroffen. Diese Kunstausstellung kann vielleicht den Anstoß geben, dass auch die Einheimischen aus der engen Sphäre ihres werktagsmäßigen Treibens hinaustreten. Es ist hier allerdings noch ein anderer Umstand, der sie nicht zu Atem kommen lässt, und dieser besteht in dem geringen Interesse des Publikums an der Kunst. Man müsste doch denken, dass die Aristokratie, welche mit so hartnäckigem Vorurteil an ihren Traditionen hängt, auch jenen Teil des Mäzenatentums erhalten sollte, mit dem ihre Vorfahren gleichsam ein prahlendes Spiel trieben. Sie hat noch zum großen Teile jenen Reichtum, der dazu erforderlich ist, und sie ist darin nicht durch andere ehrgeizige Bestrebungen auf dem Felde der Politik behindert. Wie soll man wissen, dass sie überhaupt existiere, wenn sie nicht wenigstens darin ihren Vorfahren nachahmt, dass sie ihre alten Kunstsammlungen mit den Produkten der modernen Kunst komplettiert? Das tut sie aber nicht; und sie bringt es höchstens zu einem Auftrag, mit dem sie einen Maler betraut, wenn sie ihre eigenen oder die Portraits ihrer Maitressen, Pferde und Jagdhunde haben will. Unter solchen kümmerlichen Verhältnissen müsste endlich auch der Genius eines Rubens zu Grunde gehen, und man darf deshalb auch nicht mit den kleinen Talenten rechten, wenn sie allen Mut verlieren und wenn sie nicht die Begeisterung für eine gewaltige Komposition finden können. Es gibt wohl einige reiche Bürger, welche die Künstler für die Teilnahmslosigkeit der sogenannten bevorzugten Stände schadlos zu halten suchen; sie können aber die Kunst nicht so beschäftigen, dass sie zu einer frischen und bedeutenden Entwickelung käme. Zwei Bilder dieser Kunstausstellung zeigen deutlich den Unterschied zwischen den einheimischen und fremden Künstlern: nämlich Tiedemanns „Gottesdienst der Haugianer“ und Borsos’ „Morgen nach einem Maskenballe“. Tiedemann bewältigt mit einer genialen Konzeption, und Borsos will den Mangel an Geist mit einem glänzenden Kolorit bekleiden. Dieser Künstler, der durch seine instinktive Befähigung zu großen Hoffnungen berechtigte, hat dieselben dadurch enttäuscht, dass er sich mit jener Vorliebe, die nur zu klar seine Unbildung dokumentierte, auf das Stillleben warf, worin er es allerdings zu einer gewissen Meisterschaft brachte. Er wird einen geschnitzten Becher und ein anderes Geschirr mit dem ganzen drum und dran täuschend ähnlich wiedergeben; er wird aber, wenn er auch nur den Weg der Genremalerei einschlägt, um die lebendige Darstellung der einfachsten Handlung verlegen sein. So sieht man es diesem „Morgen nach einem Maskenballe“ an, dass er ängstlich nach einem englischen Stahlstiche reproduziert worden ist. Wie ist dagegen Tiedemann in seinem Bilde Meister seines Vorwurfes; ihm ist die Farbe sklavisch untertan, um mit ihr seine Idee zu glänzender Durchführung zu bringen. Es wäre zu wünschen, dass dieser Künstler den schlummernden Ehrgeiz seiner Kollegen in Wien wach rüttelte; sie würden dann vielleicht die kleinliche Misere des Neides, die man ihnen bis jetzt auf tausend Schritte ansah, überwinden, die sie auch im geselligen Leben ungenießbar machte. Doch ich schließe hier und behalte mir ein Mehreres für meinen nächsten Brief vor.

Ansicht der Stefanskirche (nach Rudolf Alt, Heliogravüre)

Ansicht der Stefanskirche (nach Rudolf Alt, Heliogravüre)

Ansicht von Schönbrunn (nach Canaletto)

Ansicht von Schönbrunn (nach Canaletto)

Ansicht der Freyung mit Schottenkirche (nach Canaletto)

Ansicht der Freyung mit Schottenkirche (nach Canaletto)

Der Kuppelsaal der Hofbibliothek (nach K. Probst)

Der Kuppelsaal der Hofbibliothek (nach K. Probst)

Der Platz „Am Hof“ (nach R. v. Alt)

Der Platz „Am Hof“ (nach R. v. Alt)

F. G. Waldmüller, Der Guckkastenmann

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J. V. Führich, Jakob und Rahel

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