Olearius über die Russen seiner Zeit.

Der Stoff zu den Darstellungen des vorigen Kapitels ist größtenteils der Reisebeschreibung des berühmten Adam Olearius entlehnt. Dieser deutsche Gelehrte besuchte in den Jahren 1634, 1636 und 1643 das Reich und die Hauptstadt der Moskowiter, wo er für seinen Herrn, den Herzog Friedrich von Holstein-Gottorp, diplomatische Geschäfte zu besorgen hatte. Dieselben führten ihn auch nach Persien, und er hat später, was er in den bereisten Ländern gesehen und erlebt, in deutscher Sprache veröffentlicht. Seine „curieuse Beschreibung der Reise aus Hollstein nach Musscau und Persien“ hat im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert viele Auflagen erfahren, und sie nimmt unter den Denkmälern der Ethnographie mit Recht einen hohen Rang ein. Denn was sie enthält, trägt den Stempel der Wahrheit an sich; auch ist anerkannt, dass der Autor, der zum Beobachten so viel Gelegenheit hatte, es mit Scharfblick tat und dass er mit Unbefangenheit urteilte.

Ich habe die Thatsachen, die ich von Olearius bezogen, in einer Form zum Ausdruck gebracht, die dem modernen Geschmack mehr zusagt, als der schwerfällige Stil unserer Vorfahren. Allein die Urteile, welche jener Reisende fällt, dürften mehr und einen besseren Eindruck machen, wenn sie in seiner eigenen, altvaterischen Rede gehört werden. Ich will daher zum Schluss dieser Skizzen, in denen ich die Ahnenschaft der heutigen Russen geschildert, über die Moskowiter des siebzehnten Jahrhunderts den Olearius selber sich vernehmen lassen. Ich will auch seine Orthographie nicht ändern; sie ist (in der hamburger Ausgabe von 1696) nicht viel wunderlicher als unsere heutige sogenannte Rechtschreibung:


„Wenn man die Russen nach ihren Gemüthern, Sitten und Leben betrachtet, sind sie billich unter die Barbaren zu rechnen . . . Denn die Russen keine freye Künste und hohe Wissenschaften lieben, viel weniger sich selbst darinnen zu üben Lust haben. Daher bleiben sie ungelehrt und grob . . .

Sie sind zwar, was den Verstand betrifft, scharfsinnig und verschmitzt; sie wenden aber denselben an, nicht so woll der Tugend und Lob nachzustreben als ihren Vortheil und Nutzen zu suchen und ihren Begierden ein Gnügen zu thun . . . Sind arglistig, hartnackicht, unbändig, wiederwärtig, verkehret, unverschämet, zu allem Bösen geneiget, gebrauchen Gewalt für Recht, ja welche allen Tugenden gute Nacht gegeben und aller Schande den Kopff abgebissen.

Ihre Scharffsinnigkeit und List geben sie unter andern in Handlungen, kauffen und verkauffen sattsam zu verstehen, da sie allerhand Vortheil und Rencke, den Nehesten zu berücken, erdencken. Und wer sie betriegen will, muss gut Gehirn haben. Denn weil sie die Wahrheit sehr zu schonen und gern Lügen sich zu gebrauchen und argwohnisch zu seyn pflegen, wollen sie einem andern auch gar selten Glauben zustellen, und wer sie etwa berücken kan, den loben sie und halten ihn für einen Meister.

Es ist die Hinterlist und Falschheit bey ihnen so groß, dass sie nicht allein unter Fremden und Nachbarn, sondern auch zwischen Brüdern und Eheleuten zu befürchten . . . Weil dann die Russen ihre Verschlagenheit und Hinterlist in vielen Dingen zu gebrauchen pflegen und sich selbst unter einander nicht getreu, ist leicht zu erachten, was für Gemüther sie zu den Aussländern haben und wie man sich ihrer Vertraulichkeit versichert wissen kan. Werden sie mit einem Freundschaft zu machen sich anerbieten, geschiehet es nicht aus Liebe der Tugend (die sie nicht groß achten), sondern ihres eigen Vortheils und Nutzen halber, und heist bey ihnen recht:

Wo der Pöbel Feundschafft macht,
Er gewiss nach Nutzen tracht.


Sie sind auch, sonderlich die, so entweder das Glück und Reichthumb oder Ampt und Ehre über den Stand des gemeinen Mannes erhoben, sehr hochmüthig und stoltz, welches sie, sonderlich gegen die Frembden nicht subtiel, sondern öffentlich mit Gebährden, Worten und Wercken zu erkennen geben. Und wie sie keinen Aussländer gegen ihre Landes-Leuthe zu rechnen etwas sonderlich achten, also meinen sie auch, dass kein Potentat in der Welt, der ihrem Oberhaupt an Reichthumb, Macht, Hoheit, Ansehen und Würden zu vergleichen sey . . . Sie sind grob-ehrgeitzig, könnens woll von sich sagen, wenn man sie nicht nach ihren Willen respectiret und tractiret . . . Sie geben Hochheit halber selbst unter einander nicht viel nach, dringen sich umb die Oberstelle und gerathen offt darüber in großen Streit.

Sie sind ingemein ein zankzüchtig Volck, können einander mit ungestühmen und harten Worten als Hunde anfahren. Man siehet auff den Gassen hin und wieder solch schelten und alt Weiber-Gebeisse mit solchem Eyfer, dass wer es nicht gewohnet, offt meynen solte, sie würden stracks einander in die Haare fallen. Es kömpt aber gar selten zum Schlagen, und wenn sie ja darzu gerathen, schlagen sie sich mit Fäusten, stossen einander aus vollen Leibes -Kräfften in die Seiten und auf die Scham. Man hat nie gesehen, dass die Russen einander auf Sebel oder Kugelwechseln, wie wohl in Teutschland und andern Orthen zu geschehen pfleget, aussgefodert hätten. Aber man hat woll erfahren, dass die fürnehmen Herren, ja Knesen oder Fürsten einander mit Knut-Peitschen zu Pferde tapffer herumb gehauen.

Bei Ausslassung ihres Zorns und Zanckens gebrauchen sie zwar nicht die bey uns leyder allzuübliche schlimme Flüche und Wünsche. Aber anstatt derer haben sie sehr schandbare abscheuliche Worte und Hohnreden . . . so nicht allein die Erwachsene, sondern auch kleine Kinder herausstossen.

Große Höfflichkeit und ehrbare Sitten darff man bey ihnen nicht suchen, sind ziemlich versteckt. Sie tragen keinen Scheu, das was die Natur nach dem Essen von unten nach oben zu wirken pfleget, vor jederman hören und empfinden zu lassen. Und weil sie viel Knoblauch und Zwiebeln geniessen, fält einem, der es nicht gewohnet, ihre Gegenwart gar beschwerlich . . .
Weil sie in löblichen Wissenschafften unerfahren und von denckwürdigen Sachen und Geschichten der Alten und Vorfahren sich nicht groß bekümmern, auch nicht begierig sind von frembden Nationen dero Beschaffenheit nachzuforschen, höret man in ihren Zusammenkünfften von dergleichen nichts sprechen. (Ich rede aber hier nicht von der gar großen Herren Gelagen). Ihre meiste Reden sind dahin gerichtet, worzu sie ihre Natur und gemeine Lebens-Arth veranlasset. Nemblich von Üppigkeiten, schändlichen Lastern, Geilheiten und Unzucht, so theils von ihnen selbst, theils von andern begangen. Erzehlen allerhand schandbahre Fabeln, und wer die gröbesten Zotten und Schandpossen darbey zu reissen und sich mit leichtfertigen Gebärden heraus zu lassen weiss, der ist der beste und angenehmste . . .

Sie sind den fleischlichen Lüsten und Unzucht also ergeben, dass auch etliche mit dem abscheulichen Laster, so wir Sodamiterey nennen, sich beschmitzen und nicht alleine Knaben, sondern auch Männer und Pferde darzu gebrauchen. Welches ihnen hernach in ihren Gelagen eine Materie ihres Discurses geben muss. Denn es werden in solchen Lastern Ergriffene nicht mit Ernst gestraffet. Es pflegen auch solche abscheuliche Dinge die Bierfiedler auf öffentlicher Strasse zu singen, etliche dem jungen Volcke und Kindern in einem Kuntzgen — oder Poppenspiel — umbs Geld zu zeigen . . .

Es ist das Laster der Trunckenheit bey den Russen in allen Ständen, sowol Geist- als Weltlichen, hohen und niedrigen, Mann und Weibes, jung und alten Persohnen so gemein, dass wenn man sie auff den Gassen hin und wieder liegen und im Kothe weltzen siehet, man es als ein täglich gewohntes nicht achtet. Trifft ein Fuhrmann solche volle Säue, die er kennet, an, wirfft er sie auff seinen Wagen und führet sie nach Haus, da ihm dann das Fuhrlohn bezahlet wird . . .

Sclaven und Leibeigene sind sie alle mit einander. Es giebt auch ihr Gebrauch und Art für einem sich zu demüthigen, ihr sklavisch Gemüth an den Tag, indem sie für einem führnehmen Mann zur Erde greiffen, ihr Haupt tieff, ja auff die Erde schlagen und sich gar zu eines Füssen niederwerfen, auch für die Schläge und Straffe also zu dancken pflegen. Die Knesen und große Herrn müssen ihre Sclaverei und Wenigkeit gegen dem Zaar auch unter andern darmit bekennen, dass sie im Schreiben ihre unterschriebene Nahmen alle im diminutivo setzen müssen, als Iwaske (Hänsschen) für Iwan oder Petruske twoy golop (Peterchen dein Sclave). Sie sagen auch: alles was sie haben, gehöre Gott und dem Gross-Fürsten zu . . .

Wenn leibeigene Knechte durch den Todt oder Müdigkeit ihrer Herren frey gelassen werden, verkauffen sie sich doch bald wiederumb auffs neue; denn weil sie sonst nicht haben, wovon sie leben können, achten sie keine Freyheit, wissen sich auch nicht darin zu schicken. Ihre Natur ist, wie der kluge Aristoteles von den Barbaren sagt: dass sie nicht besser als in der Dienstbarkeit leben können und sollen.

Ehrbaren guten Willen und Reinlichkeit darff man bey den baurstoltzen, eigennützigen und schmutzigten Russen, bey welchen es ingemein säuisch und unfläthig zugehet, nicht suchen.

Einer unter uns, indem er der Musscowitischen Russen Arth, Leben und Wesen anschaute und betrachtete, beschrieb es kurtz mit folgenden Reimen:

Kirchen, Bilder, Creutze, Glocken,
Weiber, die geschminckt als Docken,
Dirnen, Knoblauch, Brandtewein,
Sind in Musscau sehr gemein.
Auff dem Marckte müssig gehen,
Vor dem Bad entblösset stehen.
Mittags schlaffen, Völlerey,
Jede Unsitt' ohne Scheu,
Zancken, peitschen, Diebstahl, Mord —
Ist so Brauch an diesem Ort,
Dass sich niemand mehr dran kehrt.
Weil mans täglich sieht und hört.“
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