Brief XVII. Waggon Wladikawkas-Rostow den 16.09.

In Wladikawkas machte ich einige Abschiedsbesuche, speiste bei der Generalin S... zu Mittag und fuhr am folgenden Morgen mit dem 8 Uhr 30— Zuge nach Rostow ab, nicht ohne meine Geduld aufs Äußerste gespannt zu haben, denn solch eine Gepäckexpedition ist mir auf all meinen Reisen noch nicht vorgekommen. Nachdem man Alles besorgt zu haben meint und für das Gepäck bezahlen will, bekommt man einen kleinen Zettel in die Hand, auf dem eine Nummer geschrieben steht. Damit begeben sich Alle zu einem kleinen Fenster, hinter welchem ein Mensch mit unglaublicher, die Nerven der ungeduldigen Reisenden aufs Äußerste reizender Langsamkeit sich bewegt, rechnet, das Billet liest, wieder rechnet, wieder liest, dann das Rechenbrett zu Rate zieht und noch einmal die Billete studiert. Endlich ist er so weit, dass er die Quittung schreiben will; er verlässt seinen Sitz und bringt aus einer Ecke ein großes Ruch. Es scheinen 4 Exemplare der Quittung erforderlich zu sein, denn er legt immer mit größter Langsamkeit 4 Blätter blaues Kopierpapier zwischen 4 Seiten seines Buches; dann sieht er noch 2 mal nach, ob sie genau an den richtigen Stellen liegen und ob er nicht 2 Blätter anstatt eines genommen. Nun sucht er den Bleistift, — er findet keinen; unter allen Büchern, in einer kleinen Schachtel sucht er, — es ist keiner da; — er ärgert sich offenbar, er sucht nochmals; immer nichts. Er verlässt seinen Käfig und bittet andere Beamten um einen Bleistift; einer ist denn auch so glücklich, einen ganz kleinen Bleistift in seiner Tasche zu finden. Jetzt sitzt er wieder, hat mehrmals die Spitze seines Bleistiftchens besehen und beleckt; er setzt an! — nein — er schreibt noch nicht, nimmt den Bleistift in den Mund. Die erste Rubrik, die er auszufüllen hat, ist die der Anzahl der Billete, er zählt also wieder, wie viel Billete da sind: 2 Billete.

Ich atmete tief auf, als er die Zwei schrieb; aber er hat 6 oder 8 Rubriken auszufüllen und bei jeder erst Tabellen, Rechenbrett, die Billete etc. zu konsultieren. Nun sind endlich alle Rubriken ausgefüllt. Ist er fertig? Noch lange nicht, — er besieht alle 4 Exemplare der Quittungen, ob auch alle gut geraten seien, er legt die blauen Blätter bei Seite, er schneidet eine Quittung ab!


Mein Nachbar, dem sie gilt, streckt die Hand durchs kleine Fenster, aber der Mann sitzt regungslos da, die abgeschnittene Quittung in der Hand, er scheint im Kopf zu rechnen, dann nimmt er wieder Rechenbrett und Billete zur Hand, addiert und vergleicht das Resultat mit der geschriebenen Quittung.

Ich wusste, dass ich noch 3/4 Stunden Zeit hatte und war der Nächste, der an die Reihe kommen sollte, konnte daher das Ganze von der komischen Seite ansehen; aber alle die Armen hinter mir, welche inzwischen auch Billette gekauft und ihr Gepäck hatten wiegen lassen! — Einige bitten, andere schwitzen vor Angst, er wird in 3/4 Stunden vielleicht doch nicht fertig.

Jetzt fahre ich wieder in der Steppe und habe daher alle Muße solche Geschichten zu schreiben. Die schönen Schneeberge mit dem Kasbek sind im blauen Dunst verschwunden! ich habe ihnen vom Perron des Waggons von Herzen Lebewohl gesagt. Es waren angenehme, schöne Tage, die ich dort verlebt!

Die fünf Berge von Pjatigorsk kommen mir wie alte Bekannte vor. Das dahinterliegende Gebirge ist bei dem besonders dicken Herrauch nicht mehr sichtbar; nur der Elbrus mit seinen beiden Spitzen schimmert in schwachen Umrissen durch die oberen klareren Luftschichten, als wolle auch er mir noch ein Lebewohl zurufen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus Petersburg nach Poti