Brief VIII. Festung Schatoja, den 29.08.

Heute ritten wir sehr früh am Morgen aus. Alle 3 oder 4 Werst standen Eingeborene in Fronte; der General hält ihnen kurze Ansprachen, ohne vom Pferde zu steigen. Hier haben bedeutende Unruhen stattgefunden. Das Tal schließt sich zu einer engen Schlucht zusammen; der Weg ist neben dem Fluss in den Felsen gesprengt. Ich sehe ein Paar wilde Felsentauben: sie haben einen weißen Ring um den Hals, sehen der gewöhnlichen blaugrauen Haustaube aber sonst sehr ähnlich; ihr Flug ist erstaunlich rasch, sie sind sehr scheu. In der Hoffnung, wenn ich allein reite, eher zu Schuss zu kommen, reite ich voraus; denn bei 200 Mann Eskorte, einer zahlreichen Avantgarde mit wehender Fahne, so wie mehreren Trupps berittener Dorfeinwohner vor uns, ist wenig Aussicht, irgend einen Vogel an der Straße in Schussweite zu sehen. Die Schlucht wird sehr eng und malerisch. Schwefelwasserstoffgeruch sagt einem, dass hier Dämpfe und vielleicht auch schwefliche Quellen aus der Erde steigen.

Wie bei den meisten Schluchten, sieht man an den Felsen in sehr verschiedener Höhe, Spuren, dass das Flussbett früher sehr viel höher als jetzt lag; etwa 50' über mir ist eine kleine Höhle ausgewaschen, welche offenbar nur vom Fluss ausgespült worden sein kann.


Besonders hübsch ist das weitere Ende der Schlucht: üppige Kräuter und Moose hängen von den Felsen; der Fluss ist ganz eingeengt und fließt in heftigen Stromschnellen und kleinen Wasserfällen, im Grunde einer tiefen Felsspalte; eine sehr zerfallene Brücke, die Teufelsbrücke genannt, führt in bedeutender Höhe hinüber. Die Lage erinnert wirklich etwas an die Teufelsbrücke in der Schweiz.

Weiter unterhalb ist das Tal bewaldet; sehr vereinzelte große Rotbuchen scheinen nur deshalb ihre Gefährten überlebt zu haben, weil sie hohl oder sonst aus irgend einem Grunde unbrauchbar waren. Das junge Holz wächst sehr üppig.

Zu beiden Seiten der kleinen Chaussee ist der Wald auf einige hundert Schritt Breite vor etwa 2 Jahren ausgehauen worden, wohl um unerwarteten Angriffen aus dem Dickicht her vorzubeugen.

Die Aussichten werden anmutiger, das Tal breiter und flacher, mit abgerundeteren Hügeln, wozu die Bewaldung auch wesentlich beiträgt. Ich reite durch das breite Kiesbett und durch zahlreiche Arme des Flüsschens Argun und komme zur Festung Schatoja. Sie hat noch jetzt, wenn ich nicht irre, einige tausend Mann Besatzung.

Nach dem Mittag wurden zahlreiche Medaillen und Georgenkreuze an Eingeborene verteilt, welche bei Wiederherstellung des Friedens im Lande behilflich gewesen waren. Dann stellte uns der General eine Podoroschnaja in Kronsangelegenheiten aus der Kreischef gab uns außerdem noch ein Papier, in welchem den Posthaltern anbefohlen wurde, uns jedenfalls Pferde zu geben; dann noch einen Befehl an die den Sicherheitsdienst besorgenden Kosaken, dass uns ein Mann als Eskorte mitgegeben werden solle. Es dunkelte schon, als wir nach einem herzlichen Abschied von den Reisegefährten, mit welchen wir Hitze und Nässe die letzten Tage über geteilt hatten, ausfuhren.

Der Weg, wie immer an einem Fluss, dieses Mal dem Argun, führte steil bergab und war recht gut, obgleich schmal; die vielen scharfen Biegungen, mit dem jähen Abhang unmittelbar daneben, nicht gerade beruhigend, namentlich wenn man trotz der Dunkelheil alle Augenblick bemerkt, dass schon wieder etwas am höchst liederlichen Anspann losgegangen ist.

Das Tal war abwechselnd bewaldet oder sich zu einer Felsenschlucht verengend.

Auf der nächsten Station Wosdwishenskoje tranken wir beim Obristen Milow, dem Kommandeur des dort stationierenden Regiments, den Tee und wurden mit seiner Equipage weiter befördert.

Auf der nächsten Station Grosnoje, welche schon in der ebenen Steppe liegt, schliefen wir einige Stunden, um darauf die klassische Teleggenfahrt zu beginnen.

Der Tschernosem war aber eben, und dadurch besonders angenehm, dass er nicht den geringsten Staub gab. Wir passieren mehrere große Kosakendörfer, auch einige Tatarendörfer, welche sich durch sehr große Kirschengärten vorteilhaft kennzeichneten, und langten am Abend in Wladikawkas an.

Eine solche Teleggenfahrt bleibt, trotz der günstigsten Nebenbedingungen, unter denen wir sie zurücklegten, doch immer sehr angreifend und abspannend. Es ist vielleicht ein Glück, dass man auf den Stationen niemals ohne Ärger abkommt; das belebt einem die Nerven wieder etwas. Die Telegga ist ungeschmiert, das Geschirr defekt; und ganz allgemein gilt die Ansicht, dass, weil wir keine Uniform tragen, Eile und jegliches Empressement in der Bedienung überhaupt überflüssig sei. Es bildete für uns was Braesig seinen “lütten Hofjungenärger “, nennt; von dem er gefunden, dass er gut für seine Verdauung sei.”

Nur einmal steigerte sich das Unangenehme bis zum typisch gewordenen, „keine Pferde”!

Wir präsentieren den expressen Befehl des Kreischefs, dass für uns immer Pferde da sein müssen. Es wurde sofort angespannt, — aber müde und entkräftete Tiere.

Überhaupt scheinen hier zu wenig Pferde für die Frequenz gehalten zu werden; dieselben Pferde werden zu oft gebraucht, und bei dem gänzlichen Mangel an Sorgfalt in der Verpflegung und im Anspann, gehen die armen Tiere rasch zu Grunde. Dieselbe Sedelka, welche auf dem abgemagerten Rückgrat die Haut verletzt hat, wird immer auf dieselbe Wunde geschnallt, bis das Pferd ganz dienstunfähig wird. Der verhältnismäßig billige Preis der Pferde, die Schwierigkeit in der Steppe alle Erfordernisse für jegliche Remonte zu beschaffen, aber auch eine gehörige Dosis Fahrlässigkeit scheinen mir die Hauptgründe für dieses Übel. Dazu kommt noch der offizielle Charakter der meisten Reisenden; sie müssen expediert und schnell gefahren werden, ob die Pferde dabei umkommen oder sich wohl befinden, ist ganz gleichgültig.

In Wladikawkas machten wir gleich der Generalin S. unsere Aufwartung. Als sie hörte, dass wir noch keinen Mittag gehabt, ließ sie uns nicht gehen, bevor wir reichlich bewirtet worden waren.

Im Hotel gab es auch noch zu packen, bevor wir dem lang' entbehrten Genusse, in einem aufgemachten Bette zu schlafen, nachkommen konnten. Es war ein köstliches Gefühl sich behaglich ausstrecken zu können.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus Petersburg nach Poti