Brief VII. Festung Ewdokimowskaja, den 28.08.

Schon um 2 Uhr Mittags erreichten wir den Aul Galantschosh, in dem übernachtet werden sollte; daher habe ich den letzten Brief beendigen können. Ich hatte schon unterwegs mehrmals auf der Erde sitzend geschrieben, während der General bei den verschiedenen Dörfern den Volke Reden hielt, doch kommt man mit solchen kurzen Augenblicken nicht aus, Alles, was wir sehen, niederzuschreiben.

Mein Freund M. benutzt die Zeit, die Ruinen zweier Steintürme und das Haus, in dem wir nächtigen werden, zu zeichnen.


Ein sehr reinliches, frisch getünchtes Zimmerchen war unser Nachtquartier; es hatte ein kleines Fenster, aber ohne Glas. Das Haus enthielt noch 2 eben solche Zimmer, welche aber nicht durch Türen miteinander verbunden waren, sondern alle 3 Türen gingen auf eine schmale überdachte Veranda hinaus, die als Korridor diente. Dem General wurde zur Nacht sein Feldbett aufgeschlagen; M. . . und ich fanden in dem großen Holzbett, das am Ende des Zimmers stand, beide Platz.

Am 27-ten wurde schon vor 6 Uhr ausgeritten. Wir sahen auf der Spitze eines steilen Berges einen viereckigen Turm, der wie ein Obelisk oben spitz zulief, während die meisten flache, mit Brustwehr und Schießscharten umgebene Dächer gehabt haben. Als erste Ausnahme, die ich gesehen, ist dieser Turm nicht zerstört. Auf einem benachbarten, sehr spitzzulaufenden Berge sah man noch einige Ruinen. Die Leute sagten, es seien Überreste eines Heiligtums aus heidnischer Zeit. Leider hatte ich nicht genügend Zeit, um diesen Berg zu besteigen. Wir sahen auch einen recht hübschen See, — hier im Kaukasus eine Seltenheit,— 5.600 Fuß hoch. Die Sage berichtet, der See habe sich früher an einem andern Orte befunden und sei in der Gestalt eines Stieres hierher herübergekommen, um sich in diesem schönen Tale zu lagern. Er soll von der Bevölkerung als heilig verehrt werden. Dann begann sehr steiles Steigen; die Seiten der Berge waren hier so vielfach von Schluchten gekerbt und zerrissen, dass man fast immer in der unmittelbaren Nähe der Bergkämme reiten musste. Es war eine harte Arbeit für die Pferde, und für die Reiter gerade auch keine Erholung.

Der Weg war allenthalben gebessert und für 1 Pferd zur Zeit nach hiesigen Begriffen passierbar gemacht. Schmale Stellen und unmittelbare Nachbarschaft von Abgründen waren so häufig, dass man aufhörte, darauf zu achten. Oben befanden wir uns meist in dichte Wolken gehüllt, während einzelne Täler, von der Sonne mit rosigem Lichte beleuchtet, Bilder von besonderer Lieblichkeit darboten. Die Vegetation bestand fast ausschließlich aus dem dichten Basen einer Alpenweide; stellenweise wucherten Kräuter von 8 und 9 Fuß Höhe, auch sah ich den bei uns im Garten kultivierten Venuswagen. An Südabhängen im Tal, kommen auch Azaleen in ganzen Feldern vor; ganz oben einzelne krüppelige Birken und Pielbeerbäumchen (Eberesche). Obgleich dieselben kaum einige Zoll stark waren, sah man frisch abgeholzte Strecken: wer zuerst kommt, kann das Dickste nehmen. Bei diesem forstwirtschaftlichen Grundsatze wird kein Baum alt, namentlich wenn ihrer schon ohnehin so wenige da sind. Der höchste Punkt, den wir heute erreichten, war 8.300 Fuß; über 7.000 Fuß mussten wir oft in die Höhe und während der zweiten Hälfte des Tages kamen wir selten unter 6.000 Fuß.

Die Mannigfaltigkeit der Aussichten war zahllos. Nachdem das Wetter sich aufgeklärt hatte, bekamen wir einmal einen Durchblick in weite Ferne nach Süden hin; doch schienen die hohen Berge, die wir sahen, noch immer die Vorberge und nicht die zentrale Hauptkette des Kaukasus zu sein, denn die Gipfel hatten keinen Schnee. Auch nach Norden hin sah man einmal durch ein Tal bis in die endlose, sonnenbeschienene Steppe, die sich wie ein Meer vor dem Gebirge auszudehnen schien. In unserer nächsten Nähe gewährten die zahlreichen Schluchten, bald von oben, bald von der gegenüberliegenden Wand aus en face gesehen, dann wieder wie Kulissenzwischenräume beide Seiten eines größeren Tales bekleidend, die mannigfaltigsten Bilder. Zahlreiche kleine Auli lagen in den verborgensten Winkeln der Schluchten oder auf vorspringenden Felsen am Ende eines Grates, immer die Ruine eines viereckigen Turmes in der Mitte, und 5 bis 10 kleine Hütten herum.

Die Bevölkerung empfängt uns bei der Grenze ihrer Weideplätze, mitunter zu Pferde, und gibt uns dann bis zur nächsten Grenze das Geleite. Kommen wir durch das Dorf selbst, so stehen auch die Frauen in Fronte aufgestellt, sich Nase und Mund mit dem Kopftuch verdeckend.

Als die Sonne sich neigte, sahen wir zum ersten Mal wieder in geackerte Täler hinab. Das erste Getreidefeld, an dem wir vorüberritten, war mit einer Grasart besäet, die wie Wiesenfuchsschwanz aussah.

Die Tschetschenzen nannten es Komi oder Kama, die Kosaken Berghirse, wohl nur, weil die feine Saat von allen Getreidearten noch am meisten den Hirsekörnern gleicht. Hirse nennen die Tschetschenzen Bors. Hoch in den Bergen, wo kein Getreide mehr gedeiht, scheint dieses Gras namentlich gebaut zu werden. Die Saat wird gemahlen und, mit Butter gekocht, in kleine Wülste geformt, wie Knappkäse, welche “Zo” genannt werden. Übrigens wächst dieses Gras auf dem ganzen Kaukasus so vielfach, dass ich es für die daselbst am meisten verbreitete Pflanze halte; an allen Wegrändern sieht man es, in allen Feldern als Unkraut, auch bildet es den Hauptbestand teil des Rasens. Die Not mag zuerst die armen Leute das Einsammeln dieses Manna gelehrt haben.

Der Weg ins Tal hinab war unendlich steil. Fast alle Kosaken stiegen ab und führten ihre Pferde am Zügel; 2 Tschetschenzen aber, welche uns in unserem Nachtquartier anmelden sollten, jagten fast die ganze Strecke im Galopp hinunter. Das Pferd sitzt dann fast vollständig mit dem ganzen Hinterschenkel auf der Erde, macht keine eigentlichen Galoppsprünge, sondern kurze Lankaden und fällt mit allen Vieren möglichst gleichzeitig auf den Boden, wobei Vorder- und Hinterhufen dicht beisammen stehen. Der Reiter hält das Pferd sehr scharf im Zügel; bei jedem Sprung gibt er ihm einen Hieb mit der Nagaika, denn die Anstrengung, welche das Tier machen muss, ist sehr bedeutend, da es vollständig auf der Croupe zu sitzen gezwungen wird. Ich lief zu Fuß hinunter. Es war, von unten gesehen, ein ebenso malerischer wie seltsamer Anblick. Wie eine lange Schlange bewegte sich noch der größte Teil des Zuges auf den Serpentinen; dabei sah es aus, als schwebten die Pferde und Fußgänger in Reihen über einander vor der Bergwand, denn, bei der bedeutenden Höhe, in welcher sich die Letzten noch befanden, war der kleine Steg von unten gar nicht sichtbar.

Unten floss der Angur, den wir auf einer, nach dem System der eisernen Gitterbrücken, aus Holzbalken gezimmerten Brücke überschritten, worauf wir in unserem Nachtquartier, der kleinen Festung Jewdokimowskaja, vom Generalen Jewdokimow im Jahre 1858 erbaut, anlangten. Brücken müssen an solchen Orten in strategischer Beziehung sehr wichtig sein, da die immer reißenden Bergflüsse, wenn sie anschwellen, Truppenbewegungen sehr erschweren können.

Der Empfang, welcher uns hier gemacht wird, entspricht der kultivierteren Gegend: 150 Mann hören eine längere Rede des Generals an, gegen 60 Frauen haben wieder Salz und Brot auf einem Tischchen aufgestellt. Einige Frauen tanzen sogar, auch Männer gesellen sich ihnen bei,— immer die berühmte Lesginka. In dieser Aufführung wetteifert die Geschmacklosigkeit der Pas mit ihrem hohen Ruf; die Männer leisten noch etwas an Geschick und Grazie, die Frauen wohl gar nichts.

Die Tracht der Frauen ist recht malerisch: auf dem Kopfe sah ich meist ein oder mehrere dreieckig zusammengelegte Tücher; die Stirn ist mit glatt nach vom gekämmtem, immer kohlschwarzem Haar, welches dicht über den Augenbrauen glatt abgeschnitten ist, bedeckt, wie es auch einige unserer Damen tragen. Das Obergewand ist ein langes Hemd, das über den Hüften aufgesteckt wird, so dass es dort eine große Falte bildet, vorn und hinten aber bis auf die Erde herabhängt. Die Ärmel laufen spitz zu, haben aber vom Handgelenk ab eine riesige breite Stulpe, womöglich mit grellfarbigem Zeuge gefüttert und so lang, dass die Hand nichts anfassen kann, wenn diese Stulpe nicht zurückgeschlagen wird. Man hört oft von der Unzweckmäßigkeit dieser im Orient allgemein gebräuchlichen langen Ärmel reden, sie haben aber den erstaunlich praktischen Zweck, die Handschuhe, welche in diesem Lande noch nicht erfunden sind, zu ersetzen.

Das lange Hemd reicht an den Seiten bis zum halben Schienbein; weiter unten sieht man breite Hosen, deren unteres Ende um die Knöchel aufgebunden zu sein scheint, so dass eine bauschige Falte bis auf den Fuß herabhängt. Die Schuhe sind sehr sauber gearbeitet, ohne besondere Sohle, fast ganz aus demselben Stück Leder geformt; nur auf dem Fußblatt befindet sich ein eingesetztes zweites Stück Leder.

Mir ist allgemein bei den Tschetschenzen der große Unterschied zwischen dem Frauen- und dem Männergesicht aufgefallen; es muss wohl vorherrschend an der vollkommenen Ausdruckslosigkeit des ersteren liegen, welche in der seltenen Gelegenheit zu geistiger Anregung ihren Grund haben mag und eine Änderung der Muskelbildung bewirkt. Schön kann man das Frauengesicht nicht nennen. Schwellende Wangen habe ich nur bei ganz jungen Mädchen, und auch da nur in sehr geringem Grade, gesehen. Die Augen sind schwarz und groß, aber ganz ohne Leben und Ausdruck. Den markierten Zügen des Männergesichts dagegen haben Energie und Leidenschaft ihren Stempel deutlich aufgeprägt, die Augen sind voller Leben und Erregsamkeit, man sieht nur das und vergisst darüber die Klappohren oder schreibt sie auf Rechnung der schweren Papacha.

Die Besatzung der Festung ist 150 Mann stark. Wir wohnen im Quartier des Offiziers, dessen junge Frau uns aufs Beste bewirtet. Auf dem Fenster liegt ein großer Haufen Bücher, es sind Bändchen einer Revue, aber meistens unaufgeschnitten. Wie traurig muss es sein die besten Jahre seines Lebens, so in der Wildnis, aller geistigen Anregung entbehrend zu verleben!

Wir befinden uns 3.000 und einige hundert Fuß hoch über dem Meere. Da ich den Einfluss der Witterung auf den Barometerstand gar nicht berücksichtigen kann, so sind alle meine Höhenangaben natürlich sehr ungenau.

Ich hatte hier Gelegenheit die Konstruktion der kaukasischen höchst primitiven Mühlen kennen zu lernen. Da die Flüsse alle starkes Gefälle haben, ist es leicht das erforderliche Quantum Wasser in einem Graben bei Seite zu leiten.

In einem Trog, der im unteren Teil gewöhnlich mit einem Brett bedeckt ist, wird das Wasser darauf sehr steil hinuntergeleitet, so dass es aus dem unteren Ende dieser Holzröhre mit bedeutender Kraft herausschießt. Es trifft hier die Schaufeln eines Rades von etwa 2 1/2 Fuß Durchmesser. Die Achse dieses Rades steht senkrecht und trägt oben den Mühlstein von der Größe, wie sie bei Handmühlen üblich ist.

An erwähnenswerten Erscheinungen der Vegetation habe ich heute noch einen Pflaumenbaum gesehen; er war recht groß und mit einer Menge kugelrunder gelber Pflaumen, so groß wie gute Kirschen, bedeckt. Hier oben in den Bergen waren sie noch nicht reif; an der Eisenbahn habe ich schon welche verkaufen gesehen, sie schmeckten ganz wie unsere gelbe Eierpflaume, vollkommen süß.

Jetzt ist es auch für mich hohe Zeit schlafen zu gehen; morgen brechen wir wieder sehr früh auf und am Abend verlassen wir den General, welcher noch einige Tagereisen weiter nach Osten geht. Leider gestattet uns unsere Zeit nicht weiter mit ihm zu ziehen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus Petersburg nach Poti