Brief V. Waggon zwischen Mineralnije-Wodi und Wladikawkas den 24.08.

Am 22.08. bestieg ich am Morgen vor dem Kaffee den Berg Maschuga, welcher hinter der Stadt liegt und aus dem die Mineralquellen fließen.

Ich habe vergessen, welche Höhe mein Barometer auf dem Gipfel angab, in Pjatigorsk zeigte er 1.900 Fuß und oben waren es, glaube ich, gegen 3.000 Fuß. Selbst auf dem Gipfel liegt noch Tschernosem, aber nur etwa 1 Fuß stark; ich habe eine Probe davon mitgenommen; sie scheint mir einen Übergang von Tschernosem zur Moorerde zu bilden, d.h. weniger von den plastischen, dem fetten Lehm ähnlichen Eigenschaften des wirklichen Tschernosem zu haben.


(Professor Grewingk erklärte diese Proben für Moorerde, welche mit dem Tschernosem nichts zu tun habe).

Die Aussicht vom Maschuga auf die schneebedeckten Berge des Kaukasus, mit dem Elbrus in der Mitte, ist herrlich!

Die Vegetation auf dem Gipfel des Maschuga ist üppige Alpenweide. Die saftigen Gräser wachsen und vermodern hier, ohne jemals gemäht oder abgeweidet zu werden; weiter folgt Eichengebüsch mit zahlreichen anderen Sträuchern und Baumarten untermischt. Außer den früher genannten sah ich auch den Haselnussstrauch. Ich füge meinem Briefe ein Eichenblatt bei von der Südseite des Baumes; es ist merkwürdig lief gekerbt, während auf der Nordseite die Blätter desselben Baumes denen unserer Eichen ganz ähnlich sind.

Diese Eichenart besitzt also die Eigenschaft, wie der Epheu, in der Kälte abgerundetere Blätter zu treiben als in der Wärme.

Das steile Herabsteigen fiel mir ordentlich schwer, die Knie zitierten und ich musste mich recht zusammen nehmen, um nicht dem Zickzack des Steges zu folgen, welcher 15 Werst lang sein soll, sondern gerade hinunter zu steigen;— aber die Uhr ist schon 9, und um 10 sollen wir nach Kislowodsk weiter fahren.

Am Kaffeetisch erhalte ich ein aus Sangnitz datiertes Telegramm mit der Nachricht, dass der Telegraph dort fertig, Alle gesund und Alles in Ordnung sei. Wer Frau, Kind und seine Wirtschaft auf 2.000 Werst hat, segnet zweimal die Erfindung des Telegraphen! Mit wie viel mehr Freudigkeit kann ich die Naturschönheiten und was mich sonst umgibt beobachten, nachdem ich erfahren, dass noch gestern Abend bei mir zu Hause Alles nach Wunsch ging.

Wir fahren über Essentucki nach Kislowodsk, 40 Werst. In Essentucki wird das Wasser der Quelle Nr. 17 sehr gelobt. Wir gehen durch recht mangelhall unterhaltene Baumpflanzungen zu dieser Quelle. Vermittelst einer kleinen Pumpe fließt ein Strahl von Bleifederdicke in unser Glas; es schmeckt wie Selterswasser, welches 3 Tage im offenen Glase gestanden und dem man noch etwas Salz zugesetzt hat.

Mein Reisegefährte M. hat in Petersburg alle Sommer dieses Wasser getrunken und bestätigt, dass es dort ebenso schlecht schmecke.

Nur von dieser Quelle habe ich eine genauere Analyse erhalten können. (Sehr genaue Auskünfte über alle um Pjätigorsk liegenden Mineralquellen, habe ich nachträglich in einer Schrift des Dr. Lange gefunden: Die Mineralwässer des Kaukasus. Riga 1875.)

Ein Pfund Wasser soll enthalten:

Schwefelsaures Kali 0,186
Schwefelsaures Natron 0,032
Chlornatrium (Kochsalz) 28,08ß
Bromnatrium 0,038
Jodnatrium 0,002
Phosphorsaurer Kalk (Spuren).
Kohlensaures Natron 33,880
Kohlensaures Lithion 0,032
Kohlensaures Baryt 0,015
Kohlensaures Strontian 0,024
Kohlensaurer Kalk 2,632
Kohlensaures Magnesia 2,069
Kohlensaures Eisenoxydul 0,016
Alaunerde 0,009
Kiselerde 0,104
Summe der fixen Bestandteile . 67,094
Halbgebundene Kohlensäure 16,302
Freie Kohlensäure 7,489
Summa aller Bestandteile 90,885

Wir fahren das Tal des Podkushek noch weiter hinauf; die Chaussee steigt beständig bergan. Zusammengebackener Flusskies bildet die uns zunächst liegenden Felsen, nach Augenmaß oft mehrere hundert Fuß hoch; so hoch also muss der Fluss sein eigenes Bett einst mit Kies gefüllt und darauf das jetzige Thal wieder eingegraben haben. Sonst scheinen mir die Felsen, wenigstens vom Wege aus gesehen, Kalkstein zu sein; man sieht in ihnen zahlreiche Höhlen ausgewaschen; eine wird uns gezeigt, welche bis 1.000 Stück Vieh soll fassen können.

Kislowodsk ist bei weitem der präsentabelste aller um Pjatigorsk liegenden Badeorte. Der Park ist recht hübsch und enthält viele recht gut gepflegte schattige Gänge, so dass es ein ganz angenehmer Sommeraufenthalt sein mag. Die Trinkhalle ist aus behauenem Sandstein gebaut. An einem Ende liegt die Quelle Narsan (Riese). In einem achteckigen Bassin, welches etwa 14 Fuß Durchmesser haben mag, quillt dass Wasser mit solcher Gewalt empor, dass es förmlich gewölbt ist; schon der Anblick ist prachtvoll, der Geschmack noch besser, wie echtes Selterswasser, nur ganz ohne den immer etwas verschalten Beigeschmack des letzteren. Ich trank mit vielem Wohlgefallen mehrere Glas und kann es an Stelle des echten Selterswassers bestens empfehlen. Möchte es doch allgemein mehr Anerkennung finden. In Petersburg, Riga und Dorpat kostet die Flasche 50 Kopeken; bei größerer Nachfrage würde der Preis sich aber gewiss bedeutend herabsetzen lassen. Die Menge des hervorquellenden Wassers muss sehr bedeutend sein; hier badet man auch darin; es gilt als sehr belebend und soll günstig auf die Schleimhäute wirken. Dass es sehr erquickend und in jeder Beziehung angenehm ist, kann ich bezeugen.

Das Ziel unserer Exkursion lag aber noch 40 Werst weiter, zum Berge Barmamud. Man soll dort, auf einem hohen Felsen stehend, nur durch ein tiefes Thal vom Elbrus getrennt sein, den man gerade vor sich vom Fuße bis zum Gipfel sieht.

Die Fuhrleute in Pjatigorsk verlangten für die ganze Tour 55 Rub.; hier wollten sie, nachdem wir den halben Weg bereits zurückgelegt, doch noch 50 Rub. haben. Einige zweifelten, dass man bei dem gegenwärtigen Zustande des Weges überhaupt bis dahin werde fahren können. Wir entschlossen uns schließlich zu reiten und mieteten 5 Kosakenpferde für 30 Rub.

Diese Pferde stehen am Nachmittag zahlreich neben der Trinkhalle und die Badegäste reiten, hier die einzige Zerstreuung, auf ihnen spazieren. Wer etwas vom Reiten nach Art der Kosaken versteht, dem kann der Anblick dieser Kavalkaden viel Scherz bereiten. Die kleinen kaukasischen Kosakensättel, für Körper von sehr geringer diametraler Ausdehnung berechnet, kurze Steigbügel, Pferde die, wenn man am Zügel zieht, durchaus nicht kehren, sondern den Kopf heben und mit offenem Maul in allen möglichen Richtungen laufen; schließlich verliert der Reiter die Contenance, schämt sich vor den Zuschauern und will seine Überlegenheit durch den Gebrauch der Nagaika dartun; er versucht zu schlagen, wie er es mit einer Gerte gewohnt ist, aber die Nagaika hat in der Mitte ein sehr bewegliches Scharnier, und zum Glück für das Pferd bleibt der Versuch erfolglos.

Die Pferde, welche wir bekommen sollten, waren aber zu einer weitern Tour vermietet und sollten erst um halb acht zurückkehren; der Wirt sagte uns, dass wir daher nicht vor 8 Uhr würden aufbrechen können: dass die Pferde Erholung brauchten, kam ihm nicht in den Sinn, obgleich wir nicht weniger als 80 Werst zu reiten hatten. Um nicht den ganzen Weg im Stockfinstern zu machen, beschlossen wir erst den andern Morgen um 3 Uhr aufzubrechen. Mein Reisegefährte M. war für seine Schwester, welche diese Exkursion auch mitmachte wohl etwas besorgt, sie hatte aber guten Mut. Fünf Minuten nach 3 am andern Morgen waren wir alle im Sattel. Es war so dunkel, dass man die Ohren seines Pferdes kaum sehen konnte; die Luft war laulich warm und atmete sich mit besonderem Wohlbehagen; wir konnten uns gegenseitig nicht oft genug unser Entzücken aussprechen.

Anfangs in Schluchten zwischen Hochebenen, gelangten wir bald auf eine solche hinauf. Sie stieg sehr gleichmäßig an, immerwährend glaubte man an den Rand zu kommen und ein Jenseits zu sehen, aber es gab noch kein Jenseits, immer noch dieselbe stetig ansteigende Ebene; das dauerte 20 Werst. Die Sonne ging auf; — unser Führer bat sich die Erlaubnis aus, sein Gebet sagen zu dürfen.

Wir ritten allein weiter; ich hoffte von dort, wo ich vor mir den Horizont sah, doch mindestens den Gipfel des Elbrus wieder zu erblicken und jagte im Galopp die schräge Ebene hinauf. Aber es gab noch immer kein Jenseits; wieder ansteigende Ebenen, bald etwas steiler, bald etwas flacher. Die Pferde wurden müde, wir wurden müde, aber da half nichts, es kam keine Abwechslung; es währte so alle 40 Werst.

Anfangs ritten wir durch hohes Gras, dann aber kamen stark abgeweidete Flächen, große Schafherden, Kuhherden von mehreren tausend Stück, welche mit ihren Kälbern hier bis zum Winter weiden, ohne von Menschenhand gemolken zu werden.

Am Fuße der letzten Hochebene weidete ein Tabun von gegen 1.500 Pferden. Es machte sich sehr malerisch: erst erschien oben am Horizont ein einzelner Reiter, dann unten am Rande der Schlucht noch zwei Reiter, welche langsam zu uns heraufsteigen. Durch ihre Burki sind die Leute gleichsam mit dem Leibe des Pferdes zu einem Ganzen vereinigt. Und dieser massive Körper bewegt sich so sicher und leicht auf dem feinen Gestell der vier schmächtigen Beinchen des Pferdes! Bekanntlich ist die Burka ein halbkreisförmiges Stück Filz, welches, mit einem Riemen um den Hals gebunden, einen großen Zirkelmantel abgibt.

Als wir die Höhe erreicht, sahen wir die ganze Bergwand mit Pferden wie besäet. Ich bat einen Tabunschtschik, mir zu zeigen, wie man mit dem Arkan ein Pferd fängt.

Er fing erst ein altes Pferd, das nach einigen Sprüngen stehen blieb und sich ruhig satteln ließ. Darauf fing er noch ein Füllen, welches die Schlinge um den Hals bald so zugezogen hatte, dass es hinfiel. Mit einiger Mühe brachte er mir darauf auch bei, wie der Arkan, ein etwa zolldickes, gegen sechs Faden langes Seil aus Pferdehaar sehr fest gedreht, zusammengelegt, wie gefasst und wie geworfen werden muss.

Den ersten Wurf machte ich nach einem Stein und traf richtig mit der Schlinge; dann versuchte ich meinen Diener zu fangen, warf aber zweimal hinüber. Die Schlinge fällt immer erst, wenn die ganze in Ringe zusammengelegte Schnur abgelaufen und gerade geworden ist, die Entfernung muss daher richtig taxiert werden; man bleibe von seinem Ziel immer so weit, als das ganze Seil lang ist.

Nach diesem Intermezzo gelangten wir endlich an den Ort, den man mit dem Namen Barmamud bezeichnet. Es scheint dort früher ein Haus gestanden zu haben, jetzt sind nur einige Steinhaufen nach.

Die Hochebene hört hier mit einem jähen Absturz auf, den ich über 2.000 Fuß taxiere. Uns gerade gegenüber steigt aus dem Tal die riesige Masse des zweispitzigen Elbrus. Mehr als die Hälfte ist mit Schnee bedeckt, welcher in der Morgensonne mit der ganzen Macht seines blendenden Weiß leuchtet. Ich habe niemals etwas gesehen, was diesem Eindruck von Größe und Massenhaftigkeit gleich käme.

Im Grunde des Tales zu unseren Füssen und uns zur Rechten sind Felsen und Bergspitzen, scharfe Grate mit steilen Flanken, durch enge in spitzem Winkel zulaufende Täler von einander getrennt. Wir haben die seltene Gelegenheit dieses Bergland aus der Vogelperspektive zu sehen, es fesselt das Auge durch Mannigfaltigkeit der Formen und Neuheit fast noch mehr als der Elbrus. Diese steilen Klippen sind fast überall mit Rasen bedeckt, stellenweise wachsen auch einzelne Büsche, Baume gibt es nicht, so weit das Auge reicht.

Die uns gegenüberliegende Talwand ist nackter Felsen, welcher nur durch einzelne weit hinunterreichende Schneestreifen unterbrochen wird. Zu unserer Linken verdeckt ein von unserer Felswand abgeteilter Berg, ebenfalls mit jähem Abhang zum Tal hin, die nächste Nachbarschaft; dahinter steigen aber die seltsam zackigen Spitzen des zentralen Kaukasus auf, die Gipfel und Abhänge durch Schnee ebenfalls weiß schattiert, der aber nicht so glänzend als auf dem Elbrus ist, weil er für uns auf der Schattenseite der Berge liegt.

Keine Zeichnung kann die Theorie, wie die Gebirgsformen entstanden sind, deutlicher veranschaulichen, als man es von hier übersieht.

Nebenstehender Holzschnitt soll diese Theorie zu erklären helfen.

Abbildung. Gebirgsformen. Holzschnitt

(a a) sind Schichten neptunischen Ursprungs, d. h. aus dem Wasser abgelagerte, welche ursprünglich waagerecht lagen, (b) ist ein plutonisches Gestein, d. h. ein solches, von dem viele Geologen annehmen, es sei durch Erkaltung heißflüssiger Masse in großer Tiefe entstanden und darauf durch unterirdische Kräfte emporgedrängt worden, wobei es die neptunischen Schichten hob und sie in eine mehr oder weniger schräge Stellung brachte. Die notwendige Folge hiervon war, dass sich ein Riss (c c) in den neptunischen Schichten bildete, welchen man den Erhebungskrater oder das Erhebungstal nennt, aus dem schließlich, wenn die Hebung bedeutend genug war, das plutoniche Gestein wie ein Keil zu Tage trat und das so genannte zentrale Gebirge bildete. Die Höhe von Barmamud ist hier der höchste Punkt zwischen (a) und (c), vor uns liegt das Erhebungstal (c), aus welchem das zentrale Hochgebirge aufsteigt. Die stätig ansteigenden Ebenen, auf denen wir von Kislowodsk an geritten, sind die gehobenen Kalksteinschichten.

Große Adler kreisen um uns; das rote Innere unserer aufgeschnittenen Arbuse scheint ihre besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Alpendohlen mit roten Schnäbeln und Füssen fliegen über dem Abhang. Das Schweben über großen Tiefen scheint ihnen ein besonderes Vergnügen zu machen; sie sind mir oft nah genug, um sie zu schießen, befinden sich aber immer über dem Abgrund, in den sie hinabfallen würden. Ihr Flug ist sehr graziös: erst schweben sie über der Tiefe, nur langsam vorwärts gleitend, dann drücken sie die Flügel an, schießen pfeilschnell, fast jählings hinunter, um durch den Schwung in großen Bogen wieder in die Höhe zu fahren.

Mein kleiner Taschenbarometer weist auf eine Höhe von gegen 8.500 Fuß.

Mein Thermometer zeigte bei unserer Ankunft auf der Höhe von Barmamud am Morgen um 9 Uhr 11°R.; gegen 1 Uhr stieg er auf 14°. Die Sonne sticht aber wie mit Nadeln. Obgleich ich meine kleine graue Mütze ohne Schirm trage, fühle ich nur auf der linken Seite der Stirn einen kleinen Sonnenstich, die Anderen aber namentlich mein Diener Jakob, sind rosenrot und förmlich geschwollen.

Alle sind wir matt, wir versuchen zu schlafen, aber das Herzklopfen lässt uns keine Ruhe. Von Atembeschwerden habe ich nichts gespürt; wenn wir uns geistig auch ganz munter, ja sogar sehr heiter gestimmt fühlen, so bewegen wir uns doch wie Schnecken; am meisten leidet unser Führer, welcher alles, was wir ihm zu essen anbieten, ausschlägt, indem er zu fasten angibt. Der Mensch hat wirklich bis zum Abend 9 Uhr nicht einen Tropfen Wasser zu sich genommen und da er am Morgen vor 3 Uhr wohl auch nichts gegessen, hat er also volle 24 Stunden gehungert.

Der Rückritt fiel uns etwas schwer; 80 Werst scheinen nie enden zu wollen, wenn sie nach langer Pause den ersten Bitt bilden. Noch niemals sind mir die kaukasischen Kosakensättel so unbequem vorgekommen; was die Anderen empfanden, könnt Ihr Euch denken.

Etwa auf dem halben Wege hatten wir bei einem Schäfer Schaschlik bestellt. Ich war der erste, welcher dort ankam. Das Schaffleisch hing bereits in Stücken an einer hohen Stange, mit einer alten Burka bedeckt, um es vor der Sonne zu schützen; dort konnten es die Hunde nicht erreichen; — wohin hätte es auch sonst gelegt werden können? Die Schäfer hatten nichts als diese Burki mit sich, um ihnen als Mantel, Bett und Haus, gelegentlich also auch als Fleischkammer zu dienen. Wie viel doch der zivilisierte Mensch braucht, um seine einfachsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen und mit wie Wenigem der Halbwilde auszukommen vermag!

Ich ließ das Feuer anmachen und das Fleisch an den Bratspieß stecken. Einige Weidenruten wurden zuerst angesteckt und darauf Stücke getrockneten Schafmistes gelegt; sie brannten mit hellerer Flamme als Torf. Ich erwartete, dass das Fleisch nach Amoniak riechen würde; das war aber durchaus nicht der Fall.

Fräulein M. mit dem Führer langte bald nach mir an, aber erst einige Zeit später mein Freund M. Ich war etwas besorgt um ihn, da er schon lange nicht Gelegenheit gehabt hatte viel zu reiten. Als ich ihn endlich kommen sah, saß er ganz regungslos auf seinem Pferde und trieb es nicht einmal an; er hatte aber den besten Mut weiter zu reiten, und klagte über nichts. Hier oben im Freien zu übernachten, wäre schlechterdings auch nicht möglich gewesen, da wir nicht einmal warme Kleider mitgenommen hatten.

Nachdem wir unseren Schaschlik gegessen und uns namentlich am Kumis (gegohrener Stutenmilch), den unser Wirt aus einem Schlauch schöpfte, gelabt hatten, ruhten wir etwas auf den für uns als Teppiche ausgebreiteten Burkis.

Es hatten sich uns zwei eingeborene Reiter angeschlossen, welche von sehr Weitem zu kommen schienen, da sie und ihre Pferde recht müde aussahen. Der Schafhirt lud sie auch ein abzusteigen und bei ihm zu rasten.

Wie viel natürlichen Stolzes doch in solchen halbwilden Leuten stecken kann! — Kein streng erzogener Engländer wird es diesem jungen Kerl, welcher in graziöser Stellung vor uns lehnt, an scheinbarer Gleichgültigkeit für Alles, was seine Reisegefährten betrifft, gleich tun. Alles an uns ist ihm neu. Meine Flinte muss in einem Lande, wo Waffen eine so große Rolle spielen, von höchstem Interesse sein; ich konnte ihn aber nie darauf ertappen, dass sein Auge an ihr haftete.

Unser Wirt bittet mich, sie ihm zu zeigen; ich tue es möglichst umständlich, um etwas Intimität anzuknüpfen, aber vergebens; wir laden sie ein von unserem Schaschlik zu
essen; sie entschuldigen sich. Es scheint, dass wir als Christen, welche mit ungewaschenen Händen Brot anfassen, ihnen doch zu abstoßend vorkommen, als dass sie das Mahl mit uns teilen könnten.

Die Sonne ging unter, als ich Kislowodsk erreichte, und lange nach mir erst langten meine Reisegefährten an.

Unser Fuhrmann war schon sehr ungeduldig und wollte gleich fahren, aber müde und hungrig, wie wir waren, machten wir ihn bald willig bis 4 Uhr Morgens zu warten.

Es war nicht leicht am anderen Morgen so früh schon aufzustehen; aber unser Zug geht um 12, wir haben noch 65 Werst bis zum Bahnhof, und da der erste Ausflug uns so viel Schönes gezeigt, wollen wir um keinen Preis einen Tag unserer kostbaren Reisezeit der Ruhe opfern.

Eilig eine Tasse Kaffee beim Pastor Frackmann in Pjatigorsk und im Galopp nach Mineralnije-Wodi zum Bahnhof. Es war hohe Zeit.

Süßer Schlaf und das Schreiben dieses Briefes ließen mich wenig von der Gegend sehen: es war immer Steppe, nicht gar fern zu unserer Rechten der Kaukasus mit seinen schneebedeckten Gipfeln. Wo Weidengebüsch in Flussniederungen wuchs, war es, ich wollte meinen Augen nicht trauen, von Weinreben so überwuchert, dass man kaum ein anderes Blatt als Weinlaub sehen konnte. Ein Reisender bestätigte, was ich zu sehen glaubte; es sei wirklich alles wild wachsender Wein; er trage auch Trauben, aber kleine und sehr saure. In dem Garten gepflanzt werden diese Trauben sehr groß, oft fußlang, bleiben aber ungenießbar sauer.

Ich muss noch einer Naturerscheinung erwähnen, welche ich früher niemals so auffallend gesehen hatte.

Eines der sichersten Zeichen, um zu erkennen, welches Wetter heraufziehe, ist, die Wolken zu beobachten; schmelzen die Wolken, d. h. teilen sich Stücke ab, welche kleiner und kleiner werden, bis sie ganz verschwinden, so wird es bestimmt schön bleiben; wachsen die Wolken dagegen, d. h. werden kleine Wölkchen größer, dunkler und vereinigen sich mit anderen, so ist Regen im Anzug.

Als wir auf dem Wege von Kislowodsk kurz vor Pjatigorsk an dem ersten der dort in der Steppe vereinzelt stehenden fünf Berge vorüberfuhren, sah ich auch nach den Wolken, um zu beurteilen, ob das Wetter sich halten werde. Es wehte ein recht heftiger Westwind, der aber sehr warm war, und wohl aus südlicheren Breiten stammte, um hierher zu gelangen also das schwarze Meer passieren musste und sich dort mit Wasserdunst hatte sättigen können, lieber der ebenen Steppe war der Himmel vollkommen wolkenfrei, dort aber, wo der Berg, an dem unser Weg eben vorüberführte, den Wind zwang, plötzlich in bedeutende Höhe hinaufzusteigen, bildeten sich erstaunlich rasch Wolken. In Zeit von 2 bis 3 Minuten wurde der ganze Gipfel des Berges in eine Wolke gehüllt, welche an ihm zu hängen schien; beobachtete man sie aber genau, so konnte man sehen, dass sie beständig weiter zog und zwar sehr schnell, während fast eben so schnell auf der Windseite (Lufseite) des Berges sich Nebelmassen bildeten, und auf der entgegengesetzten Seite (Leeseite) wieder auflösten.

Lange Streifen der Wolke teilten sich ab, strichen die Bergwand abwärts und verschwanden, so wie sie eine gewisse Tiefe erreicht hatten. Nach einigen Minuten riss sich die ganze Wolkenmasse vom Berge los; das schien namentlich zu geschehen, wenn ein starker Windstoß von unten her die ganze Nebelmasse hob. Einen Augenblick schwebte sie vorwärts, senkte sich aber dann auf der unterhalb des Windes liegenden Seite des Berges und löste sich in kaum mehr als einer Minute vollständig auf, so dass der Himmel über der ebenen Steppe immer heiter blieb. Während wir am Berge vorüberfuhren, also in einem Zeitraum von etwa 15 Minuten, sah ich gegen sechsmal den Gipfel des Berges sich in eine Wolke hüllen und wieder frei werden.

Ich habe schon bei meiner Ankunft in Mineralnije Wodi die Bemerkung gemacht, dass, weil die 5 Berge von Pjatigorsk bewaldet sind, während in der Steppe nicht ein Strauch wachsen kann, solches durch die an den Bergen lagernden Nebelwolken veranlasst sein müsse.

Darwin in seiner Reise um die Welt sagt, er habe ausgedehnte Wälder überall dort gefunden, wo feuchtwarme Winde auf dem Festlande gehoben würden und Wolkenbildung veranlasst werde.

Man hört oft die Behauptung, Wälder hätten auf die Regenmenge einer Gegend bedeutenden Einfluss. Dass Waldregionen und atmosphärischer Niederschlag in engster Beziehung zu einander stehen, ist allerdings richtig, nur ist das feuchte Klima die Ursache und der Wald die Folge davon, nicht umgekehrt.

Hier an diesen Bergen von Pjatigorsk gibt es, wie ich eben zu beobachten Gelegenheit gehabt, mehr atmosphärischen Niederschlag als in der Steppe und auch mehr Baumwuchs; dennoch wird wohl Niemand behaupten wollen, dass die Bäume die Veranlassung zur Wolkenbildung seien. Ich will dem Walde nicht allen Einfluss auf das Klima absprechen; aber es ist ein Tropfen im Vergleich zu den Meeren von Wasser, welche durch warme Winde in den heißen Zonen in die Luft gehoben und in andere Breiten getragen werden, um dort, wo diese Luftschichten abgekühlt werden, als Regen niederzufallen. Die Beobachtung, dass in der Ebene von Russland Regenmenge und Baum wuchs abgenommen, ist gewiss begründet.

Ich will noch mehr sagen, das Sinken des Kaspischen Meeres scheint mir durch eine Abnahme der Regenmenge im Distrikt der Flussgebiete dieses Meeres, veranlasst zu sein. Eine vulkanische Senkung anzunehmen, sehe ich keinen Grund, obgleich ich nicht in Abrede stellen will, dass eine solche stattgehabt haben könnte. Angenommen also, eine Senkung habe in jüngster Zeit stattgefunden, so wäre das doch noch keineswegs eine Erklärung für das Schwinden des Wasserspiegels im Kaspischen Meer.

Dieses Meer bedeckte die Steppen bis Zarizin [Wolgograd, Stalingrad]; wo ist die ungeheure Wassermenge dieses großen Meeres geblieben? Das Bassin des jetzigen Meeres vermag sie nimmer zu bergen, auch wenn es noch so tief wäre; und das Kaspische Meer hat nur an einigen Punkten eine Tiefe von 300 Faden, während der größte Teil der Nordhälfte nicht mehr als 10 Faden Wasser hat. Ferner müssen wir berücksichtigen, dass die meisten Flüsse, welche sich in das Kaspische Meer ergießen, sehr viel Erde mitbringen. Wir können uns ein ungefähres Bild von der ungeheuren Masse von Erde, welche bereits in dieses Meer hinabgetragen worden, machen, wenn wir bedenken, wie viel höher das rechte Ufer der Wolga allein ist als das linke. Nach der Erklärung des Dr. K. E. v. Baer, welche ich in meinem zweiten Brief besprochen habe, hat dieser Fluss auf seinem linken Ufer, nur flache Sandbänke zurücklassend, das übrige Erdreich bis ins Meer getragen; und wie viel Erde ist dem Wolgawasser noch aus allen Schluchten, — Owragi, — der Steppe zugetragen worden. Dieses Quantum Erde hat im Kaspischen Meer doch jedenfalls ein gleiches Quantum Wasser deplatziert. Wo ist dieses Wasser geblieben? Nehmen mir dagegen an, dass die Winde, welche früher über ein Saharameer strichen, den Flussgebieten des Kaspischen Meeres damals mehr Regen brachten, während sie jetzt diesem Meer Wasser entziehen, so könnten wir der richtigen Erklärung weit näher auf der Spur sein. Nach Maurys Theorie der Luftzirkulation auf unserem Erdball wäre es gerade dieser Südwestwind , von dem die Ebene Russlands ihren Regen zu erwarten hätte. Dieselbe Ursache, d. h. mehr Wasser auf der Nordhalbkugel, oder doch wenigstens auf dem Wege der warmen Südwestwinde, dürfte auch eine der Ursachen für die in der sogenannten glazialen Periode so sehr viel größeren Gletscher Europas gewesen sein, während von Vielen eine geringere Temperatur der Erdkugel oder geringere Wärmestrahlung der Sonne als Ursache zur Entstehung der großen Gletscher angenommen wird. Dagegen bemerkt Tyndall sehr treffend, dass wenn auch ein gewisser Grad von Kälte erforderlich sei, um die Wasserdämpfe zu kondensieren und zu Schnee umzubilden, wir nicht vergessen dürfen, dass um so bedeutende Wassermassen in Dampf zu verwandeln, damit sie die Berggipfel überhaupt erreichen können, eine ganz ungeheure Menge von Wärme erforderlich sei. Um uns ein Bild von dieser Wärmemenge zu geben, führt er an, dass wenn wir an Stelle der ungeheuren alten Gletscher uns eine fünfmal größere Masse Gusseisen denken wollten, dasselbe Wärmequantum, welches erforderlich war, um das Wasser für die alten Gletscher in Dampf zu verwandeln, genügt hätte, um das fünfmal größere Quantum Gusseisen bis zum Schmelzpunkt zu erhitzen. (Näheres darüber in Tyndalls Werk: die Wärme als Art der Bewegung 1875.

Doch ich bin etwas weit von meinem Reisebericht abgekommen. Hier beim Fahren in der Steppe hat man Zeit.

Wir nähern uns Wladikawkas.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus Petersburg nach Poti