Brief IX. Tiflis den 31.08.

Am 30.08. 5 Uhr Morgens verließen wir Wladikawkas in einer Kalesche, die wir auf der Post hatten mieten können. Unser Weg führte über einen Marktplatz. Wir benutzten die Gelegenheit, um ein großes Weißbrot und ein halbes Dutzend Arbusen einzukaufen. Beides erwies sich als von ganz vorzüglicher Qualität und war ebenso nützlich als angenehm.

Die stetig ansteigende Ebene dauert nicht lange; wir befinden uns bald zwischen hohen Kalkfelsen im Tal des Terek. Wie alle Flüsse, die ich bisher hier gesehen, fließt der Terek in viele Arme geteilt, die sich immer wieder vereinigen und teilen, in einem breiten Bett von grobem Kies mit sehr starkem Fall; zu anderen Jahreszeiten mag dieses breite Flussbett ganz gefüllt sein.


Die Straße ist sehr belebt. Das Volk, welches die Gegend um Wladikawkas bewohnt, heißt Osseten. Sie sehen stämmiger und kräftiger aus, als die Tschetschenzen, ohne gerade sehr lang zu sein. Krumme Nasen, schwarze Augen und Haare haben hier, wie es scheint, Alle. Wir kommen in das Land der Grusiner. Viele grusinische Fuhrleute begegnen uns auf dem Wege. Dort steht ein Trupp, der ausgespannt hat und die Ochsen und Büffel weiden lässt. Die Wagen sind zur Nacht in 2 aneinanderstoßende Kreise, wie eine 8, gereiht und bilden so eine förmliche Wagenburg, welche bei einem Überfall gewiss von gutem Nutzen sein muss. Dass diese Vorsicht jetzt noch sehr notwendig ist, glaube ich kaum; es scheint bei den Leuten aber zur Gewohnheit geworden zu sein, wie das Tragen der Waffen hier einen integrierenden Teil der Kleidung ausmacht. Der Pastor Frackmann in Pjatigorsk erzählte mir übrigens, dass Pferde- und Viehraub wohl noch vorkommen soll.

Das Tor von Dariol

Das Tal wird enger; der Fluss fließt in einem engen Bett über große Blöcke, der Weg ist in den Felsen gesprengt. Wir sind im Engpass von Dariol. Ich habe schon oft großartig, gesagt; aber hier ist mehr, als ich jemals gesehen. Die Felsen scheinen bis zum Himmel zu reichen: — zackige Spitzen und fast senkrecht darüber noch zackige Spitzen, immer höher und höher; — es fesselt das Auge derart, dass man den schäumenden Fluss und die Straße, welche anderorts sehr bewundert werden würden, ganz vergisst und nur immer und immer wieder diese Felsenriesen vom Fuß bis zum Gipfel mit dem Auge misst.

Wir standen beide aufrecht in der Kalesche und sahen zurück.

Da, als wir um einen Felsenvorsprung gefahren waren, erkannte ich das Bild, welches mein Vater vom Thor Dariol gezeichnet, als er vor 61 Jahren hier war.

Wie viel beschwerlicher muss damals das Reisen gewesen sein!

Ich hatte schon mehrere Mal in Seitenschluchten zusammengebackenes Trümmergestein bemerkt, welches nicht wie der Flusskies rund abgeschliffen, sondern scharfkantig war. Jetzt passieren wir eine Wand von solchen zusammengebackenen Steinen, welche einige hundert Fuß Höhe hat; das können nur die Ablagerungen der Gletscher und Lawinen sein, welche von den höheren Bergen die Steine hinuntertragen, um sie darauf dem Fluss zur weiteren Bearbeitung zu übergeben.

Die Station Kasbek ist die größte auf dieser Straße: ganz aus behauenem Sandstein gebaut, mit Verandas, einer verdeckten Anfahrt etc.; aber grausam schmutzig ist es im Inneren. Nach einem dunklen Korridor gelangen wir in das Speisezimmer: nicht ein Fenster ist gewaschen, Holzstühle, Holzdivane; du bout du corridor dringt der Geruch bis ins Speisezimmer. Doch genug des Widerwärtigen.

Den Kasbek haben wir nicht sehen können, weil er in Wolken gehüllt ist.

Eine kleine grusinische Kirche in der Nähe ist sehr sauber, ganz aus behauenem Stein gebaut; auch das Dach ist aus Stein. Man sieht nicht einen Span Holz oder sonst anderes Material . Noch eines Duchan (Krug oder Schenke) muss ich erwähnen, der ganz aus Schieferblöcken zusammengestapelt ist, sogar 2 Säulen ganz ohne Mörtel, — ein wahrer Zyklopenbau!

Ein jähriger Bär läuft auf dem Hof der Station umher; er hat einen weißen Bing um den Hals, welchen ich auch bei uns im Norden oft bei jungen Bären gesehen habe. Unterschiede von unserem nordischen Bären kann ich keine wahrnehmen.

Wir fahren weiter; meist nur im Schritt, da der Weg sehr steil ansteigt. Der Terek verlässt uns; wir folgen dem Tal eines kleinen Nebenflusses.

Zahlreiche grusinische Familien ziehen mit Weibern und Kindern des Weges. Morgen soll ein kirchliches Fest stattfinden und sie begeben sich zur Kirche beim Kasbek. Es fallen mir viele schöne, lange Gestalten unter den Frauen auf; das Gesicht ist oval, die Züge sehr regelmäßig. Unter diesen wäre es leichter als unter den Tschetschenzen, Schönheiten zu finden, aber hauptsächlich in Bezug auf die Gestalt, weniger auf das Gesicht. Da geht eine junge Frau und trägt ihren etwa dreijährigen Knaben auf der Schulter; sie hat die Hand in die Seite gestemmt, um die Schulter zu stützen und reicht die andere über den Kopf hin dem Knaben. Wie gerade sie sich hält! Der Gang und die Bewegung sind würdevoll und graziös. Auch die Kinder sind wohlgebildet und haben durchaus nicht die unförmig großen Bäuche, welche ich in Syrien und Ägypten allgemein gesehen. Die alten Grusinerinnen hatten meist ein großes, in ein Dreieck zusammengelegtes Tuch auf dem Kopf, welches mit einer wollenen Schnur um den Scheitel sehr fest angebunden war, ganz so wie die Beduinen es tragen.

Gegen 5 Uhr Nachmittags erreichen wir endlich die Passhöhe beim roten Kreuz. Ein Schwärm Alpendohlen veranlasst mich zu Fuß bis zum Kreuz hinaufzusteigen. Mein Barometer zeigt 8.200 Fuß Höhe.

Meine Flinte in der einen Hand, zwei Alpendohlen in der andern, muss ich auf der anderen Seite noch einen steilen Hang hinunter und erst eine Werst von da erreiche ich die Chaussee wieder.

Nun geht es rasch hinunter. Die Stationen sind hier alle allerliebst gebaut, namentlich diese bei der Passhöhe; man glaubt ein englisches Landhaus zu sehen. Alles behauener Sandstein; ein Teil zweistöckig, der andere einstöckig;— eine überdachte Anfahrt auf der einen, eine verdeckte Veranda auf der andern, eine offene mit Kolonnen gezierte Veranda auf der dritten Seite.

Dort sollten wohl Schlingpflanzen das Dach bilden — ein ganz regelrechtes bow-window — aber! aber! mit zerbrochenen Scheiben, das Dach ungestrichen und defekt und Schmutz, Schmutz, Schmutz, indem auf den Verandas Gräser bereits Wurzel gefasst und üppig gedeihen.

Anstatt der 4 Pferde, die wir in Wladikawkas für die ganze Tour bereits bezahlt, werden uns hier nur 2 angespannt; aber immer im scharfen Trab oder Galopp geht es vorwärts, denn wir fahren immer steil bergab. Die Wendungen der Serpentinen des Weges sind sehr scharf, und bis man sich daran gewöhnt, fühlt man sich nicht gerade gemütlich, wenn man sieht, dass trotz des energischen Ziehens an den Leinen die Pferde erst am äußersten Bande des Abhangs den Wagen zum Kehren zu bringen vermögen.

Die Täler werden breiter, die Berge sind weniger zackig, die Luft ist warm. Wir sind hinüber und atmen den Wind der asiatischen Wüsten.

Der Mond scheint hell. Wenn eine scharfe Biegung uns aus dem Gleichgewicht bringt, wachen wir auf, sehen die Aragwa im Tal zu unserer Rechten schäumen, einen Hund am gefallenen Büffel neben dem Wege fressen, bewundern das leichte, besonders hübsche Gewölk, welches der Südwind dahertreibt, und schlafen dann wieder ein.

Auf der Station Duhchet wollen wir etwas schlafen. Man weist uns ein Zimmer mit zwei Holzdivanen an; ich verlange, dass man diese Divane mindestens mit einem Besen abfegen solle, so viel Erde haben kotige Stiefel früherer Reisenden dort abgelagert; es geschieht nicht. Man schließt uns jedoch ein anderes Zimmer auf, welches nur einen, aber mit Wachstuch bespannten Divan hat. Er ist schmal; doch, die Füße des Einen neben dem Kopf des Anderen gelagert, finden M. und ich beide auf ihm Platz und mit der festen Absicht uns nicht zu rühren, um nicht herunter zu fallen, schlafen wir sehr süß bis fünf den andern Morgen. Noch zwei Stationen im Galopp bergab bringen uns nach Mzschet, der alten grusinischen Hauptstadt.

Unterwegs sehen wir pflügen. Ein urweltliches Instrument, dieser Pflug! er besitzt aber doch alle wesentlichen Teile des modernen eisernen Wendepflugs, nur Alles sehr plump und in riesigen Dimensionen. Bis auf die eiserne Spitze ist er ganz aus Holz gezimmert. Drei Paar Büffel und 4 Paar Ochsen ziehen ihn, 3 Mann sind mit dem Lenken dieser Tiere beschäftigt; sie sitzen dabei auf dem Joch zwischen den Hörnern der Tiere und 2 Mann bemühen sich den Pflug zu handhaben, also im ganzen 14 Stück Hornvieh und 5 Menschen. Dennoch wird die Furche nicht gerade, der Pflug weicht nach rechts und links aus, es bleiben große Stücke unberührt liegen; die Schwade ist aber aller Ehre wert: 10" lief und 12" breit. Wir passieren die Ruine eines alten Schlosses; gleich dahinter, wo die Chaussee einen Grandberg durchschneidet, sind an den Seitenwänden alte Gräber bloßgelegt: zwei aufrecht stehende und eine darüber gedeckte Kalksteinplatte bilden den Sarkophag. Vom Chausseegraben durchschnitten, sehen sie wie Wandschränke oder Nischen aus. Da der Boden aber grandig, also sehr durchlassend ist, glaube ich nicht, dass Knochen sich in ihnen lange werden haben erhalten können.

Wir besichtigen noch die Kirche von Mzschet, wohl sehenswert, was den Bau betrifft, doch ist im Innern nicht viel da. Eine starke Mauer mit Schießscharten umgibt den Hof der Kirche, der Geistliche, welcher uns umherführt, bezeichnet ein kleines Haus, in dem er zu wohnen scheint, als die frühere Residenz der grusinischen Fürsten. In der Nähe der Station ist noch ein kleiner Rest einer massiven Ruine; sonst habe ich von der früheren Residenzstadt nichts sehen können. Einige halb unterirdische Hütten beherbergen die jetzigen Einwohner, welche auf dem alten Schutt Landwirtschaft betreiben.

Wir nähern uns Tiflis. Auf der andern Seite der Kura, längs welcher wir fahren, liegen große Gärten; hohe Giebel und riesige Kornkuien ragen aus den Baumgruppen; dort scheint Wohlstand zu bestehen und die Landwirtschaft gut zu lohnen.

Was ist das? Die deutsche Kolonie.

Noch 5 oder 6 Werst haben wir zu fahren. Am Wege liegen Weingärten voller Unkraut; die Reben ranken mehrere Faden lang an Bäumen und einzelnen Stangen oder liegen auf der Erde, verwahrlost au possible, wenigstens nach westeuropäischen Begriffen. Man sagt mir aber, das Unkraut sei gut, um den Boden vor dem Verdorren zu schützen und lange Ranken seien Landessitte, also wohl auch auf Erfahrung begründet. Davon mag Einiges sehr richtig sein, aber Sorgfalt und Pflege, das, was uns bei einem Weingarten am Rheine oder in Frankreich zunächst auffällt, fehlt hier jedenfalls und müsste doch in dieser oder jener Form nützen können.

Tiflis hat ein stark orientalisches Aussehen, doch gibt es dort auch recht viel europäische Häuser und breite Straßen, sogar Boulevards. Der Staub ist aber ganz unerträglich. Ein pfeifender Sturmwind, trocken wie der Tifun in Kairo, aber stoßweise und wirbelnd, macht Alles dürre und erhebt Staubwolken, wie sie mir noch nirgends in Städten vorgekommen sind.

Es ist 8 Uhr des 02.09.; wir müssen zur Bahn und fahren nach Borshom; das Wetter ist schön.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus Petersburg nach Poti