Vierte Fortsetzung

In der Nähe der Neufundlandbank ist es auch, wo der Golfstrom der arktischen Strömung mit den Eismassen aus hohem Norden begegnet, welche unter ihm hin ihren Weg nach Süden fortsetzt, wie die Eisberge beweisen, die quer durch ihn hindurch getrieben werden.

Im weiteren Verlaufe seines, wie angedeutet, nunmehr ostwärts gegen die Westküste Europas gerichteten Weges breitet sich der Golfstrom, indem er sich mehr und mehr als gesonderte Strömung verliert, strahlenförmig im nordatlantischen Ozean aus, einzelne Zweige nach verschiedenen Richtungen aussendend. Zunächst wendet sich ein solcher Arm in nordöstlicher Richtung nach den Regionen zwischen England und Island und führt so, indem er zuletzt an den Nordküsten Norwegens verläuft, dem Eismeere fortwährend reichliche Wassermengen von höherer Temperatur zu, welche hauptsächlich dazu beitragen, jenen Teil der arktischen See eisfrei zu erhalten. Selbst bis zu den Küsten der Insel Novaja Semlja macht sich nach allen darauf bezüglichen Beobachtungen die Wirkung des Golfstromes noch deutlich fühlbar, indem die im Herbste daselbst herrschenden außerordentlich günstigen Eisverhältnisse unverkennbar aus dem thermischen Einfluss desselben beruhen, und spricht hierfür namentlich die gegenüber der Lufttemperatur um 3 Gr. bis 5 Gr. C. höhere Wärme des Seewassers, die Häufigkeit von Nebeln, die genau konstatierte Strömung nach Nordosten, das auffallend zahlreiche Vorhandensein niederer Seetiere und endlich die den Golfstrom charakterisierende tiefblaue Farbe des Meeres. Ein anderer Arm des Stromes nimmt seine Richtung nach dem Meerbusen von Biscaya, und selbst in das abgeschlossene Mittelmeer dringt ostwärts ein Seitenzweig durch die Straße von Gibraltar ein. Ebenso läuft ein Hauptarm südwärts an Madeira sowie den kanarischen und azorischen Inseln vorbei, bis zu welch letzterer Inselgruppe der Golfstrom nach Rennel's Berechnung von Florida aus einen Weg von ungefähr 2.000 Seemeilen in 78 Tagen zurückgelegt hat. Von da seinen Lauf weiter nach Südosten fortsetzend, fließt er längs der afrikanischen Küste hin, sendet daselbst in den Golf von Guinea einen Seitenzweig aus, der die Guineaströmung bildet, und kehrt so schließlich zu seinen: ursprünglichen Ausgangspunkte zurück, wo er sich wieder mit der äquatorialen Westströmung vereinigt und hierdurch einen Kreislauf von den großartigsten Dimensionen vollendet.


Wie aber der atlantische Ozean durch den Golfstrom, so werden auch fast alle übrigen Teile des Weltmeeres durch zahlreiche warme Strömungen der nämlichen Art durchfurcht, welche sämtlich durch die Wirkung der gleichen oder ähnlicher Ursachen entstehen und so das Meerwasser in beständiger Bewegung und Wanderung erhalten.

Welche kolossale Menge warmen Wassers auf dem geschilderten Wege durch den Golfstrom den von demselben berührten Meeren und Seeküsten zugeführt wird, und welche hervorragende und wohltätige Wirkung derselbe hierdurch auf die meteorologischen und klimatischen Verhältnisse der betreffenden Gegenden ausübt, mag man z. B. daraus entnehmen, dass ganz Westeuropa, namentlich England, Irland und die Normandie die Milde ihres Klimas und insbesondere ihrer Winter zum größten Teil dem Einfluss der warmen Flut des Golfstromes, sowie indirekt den darüber hinstreichenden lauen, d. h. durch das warme Seewasser erwärmten West- und Südwestwinden verdanken, sodass auch wir, mehr im Innern des Binnenlandes, durch jene Luftströmungen an der Wärme des Golfstromes partizipieren. In der Tat ist die in letzterem aufgespeicherte und durch denselben weitergetragene Wärmemenge eine ganz immense, und liegt hierin ja auch, wie weiter oben gezeigt wurde, allein das bewegende Agens desselben. So beträgt z. B. die Temperatur desselben an seinem Ursprung während der Westströmung und in: mexikanischen Meerbusen über 30° C., d. h. circa 6° mehr als diejenige des umgebenden Meerwassers, und in der Gegend der westlichen Azoren zeigt der Strom, trotzdem er, wie oben erwähnt, bis hierher bereits einen Weg von 2.000 Seemeilen zurückgelegt hat, immer noch die bedeutende Wärme von 23 ½° C. oder circa 5° mehr als das außerhalb des Stromes liegende Seewasser. Letztere Differenz zwischen der Temperatur des Stromes und derjenigen des Seitenwassers erhöht sich natürlich noch bedeutend in den nördlicheren und kälteren Teilen des Ozeans, und steigt dieselbe z. B. an: Kap Hatteras oder bei der Neufundlandbank an einem Wintertage bis auf 10° und 15° C.

An der Oberfläche zeigt das Wasser des Stromes selbstverständlich, da das wärmste Wasser stets die oberste Stelle einnimmt, immer die höchste Temperatur, während es mit zunehmender Tiefe, obwohl stets noch wärmer als das umgebende Gewässer, fortschreitend kälter wird. Selbst da, wo der Strom das feste Land ganz nahe berührt, liegt immer noch, zwischen beiden überall eine Schicht kalten Wassers, welches als ein sehr schlechter Wärmeleiter eben bewirkt, dass derselbe so lange seine höhere Temperatur bewahrt, ohne welchen Umstand dem westlichen Europa nichts von der den Tropen entführten Wärme zu Gute kommen würde, klebrigeres zeigt der Golfstrom nicht in seiner ganzen Breite gleiche Temperatur. Vielmehr besteht er in seinem Verlauf längs der amerikanischen Küste aus mehreren parallelen Bändern, die auf dem kalten Wasser der Polarströmung ruhen und von demselben umgeben sind, und deren mittleres, die Achse des Golfstromes genannt, die höchste Wärme besitzt.

Eine notwendige Konsequenz der höheren Temperatur des Golfstromes ist ferner dessen beträchtlich stärkerer Salzgehalt, indem die Löslichkeit der verschiedenen im Seewasser enthaltenen Salze mit steigender Temperatur zunimmt und daher das wärmere Wasser mehr davon aufzunehmen vermag als das kalte. In Folge des wegen dieses höheren Salzgehaltes stärkeren Zusammenhanges seiner Wasserteilchen und des wegen der höheren Temperatur geringeren spezifischen Gewichtes muss das Wasser des Stromes selbst ein höheres Niveau haben, und zwar ergibt die Berechnung, dass die Achse des Golfstromes fast 2 Fuß höher liegt, als die daran stoßenden Gewässer des Ozeans. Seine Oberfläche muss also von der Mitte aus eine Neigung nach beiden Seiten haben, wie ein flaches Dach, und auf diesem muss das Wasser von dem First nach beiden Seiten herabfließen. Aus diesem Grunde scheint es denn auch am Rande aufzuwallen und sieht man es nicht selten in Folge dessen hier gleich einem Wasserfalle aufschäumen. In der Tat schwimmt ein Boot, das ein von Süden nach Norden fahrendes Schiff dort aussetzt, entweder nach Osten oder nach Westen. Treibholz oder Seetang oder Golfkraut, welches in Menge längs des östlichen Randes des Golfstromes schwimmt, findet sich nie auf der Westseite, wenn es von Osten gekommen ist, weil es nicht über den Berg hinweggelangen kann, wohl aber treiben schwimmende Körper von dem mexikanischen Golf oder aus Westindien mit der Strömung nach Europa, und ist der Golfstrom ruf diese Weise schon in unzähligen Fällen der Träger exotischer Pflanzensamen und das Vehikel für die Wanderungen und Ansiedelungen vorher bei uns ungekannter Gewächse geworden.

Der höhere Salzgehalt des Golfstromes hängt übrigens jedenfalls auch mit der bei warmem Wasser ungleich stärkeren Verdunstung zusammen, und ist überhaupt letztere in erster Linie entscheidend für den höheren oder niederen Konzentrationsgrad des Salzwassers der verschiedenen Meere. Merkwürdiger Weise ist dieser Salzgehalt, sowie auch die Verdunstung am Äquator keineswegs am stärksten, und zeigt sich das Seewasser z. B. in der Südsee bei 18° südl. Br. sowie im atlantischen Ozean bei 22° nördl. Br. beträchtlich salzhaltiger als in den Gegenden zwischen diesen beiden Punkten. Diese scheinbare Anomalie rührt aber einfach daher, dass das Wasser bei ruhiger, stagnierender Luft, trotz höherer Wärme, langsamer verdunstet als in bewegter Atmosphäre, und trifft jener geringere Salzgehalt in der Tat genau mit der Gegend der fast beständigen Windstillen zusammen, welche von den Seefahrern so sehr gefürchtet werden.

Um eine Idee von der Großartigkeit jenes Verdunstungsvorganges zu geben, sei erwähnt, dass jede Quadratmeile Meeresoberfläche im Durchschnitte innerhalb 24 Stunden das kolossale Quantum von 1 3/4 Millionen Kubikfuß Wasser in Dampfform in die Luft entsendet.

Haben wir so einerseits das Wasser fortwährend von der Tiefe zur Oberfläche und von dieser zum Grunde wandern und ebenso unablässig von Pol zu Pol, von Gestade zu Gestade eilen sehen, so beobachten wir andererseits einen nicht minder großartigen Kreislauf zwischen dem Wasser- und Luftozean, in welchem das flüchtige Nass sich jeden Augenblick proteusartig in unsichtbares Gas verwandelt und so unaufhörlich in kolossalen Dampfmassen in die Luft wirbelt, um sodann, durch die nächste abkühlende Ursache wieder seine vorige tropfbare Gestalt annehmend, in erfrischenden: Regen entweder direkt in den Schoß des Meeres oder zum festen Lande zurückzukehren, und alsdann von hier aus in rastlosen: Laufe wieder zum Ozean zurück zu eilen.

So rauscht und kreist es ruhelos fort, und wenn irgendwo so ist hier das inhaltvolle Wort am Platze: „Nichts ist dauernder als der Wechsel.“