Aus Harem und Nomadenzelt

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Victor Ottmann, Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Harem, Haremsleben, Haremsfrauen, Frauengemächer, Vielweiberei, Schleier, Haremswächter, Haschisch, Mohammedaner,
Die tausend Schleier des Geheimnisvollen, mit denen der Islam sein intimes Leben zu verhüllen weiß, scheinen sich nirgends dichter zusammenzuziehen als an der Schwelle der Frauengemächer. Und da nichts so sehr die Neugier reizt wie das Verhüllte, ist alles, was mit dem Haremleben zusammenhängt, von jeher ein Lieblingsgegenstand der abendländischen Fabulierlust gewesen, eine romantische Weide, auf der sich in neuester Zeit besonders auch die Herren Verfasser und Regisseure von orientalischen Sensationsfilmen so manche seltsame Blüte zum Kranze winden. Süßer Duft des Rosenöls und betäubender Haschisch, plätschernde Fontänen und spangenklirrende Sklavinnen; schöne, melancholische Damen auf schwellendem Pfühl, die armen Insassen eines goldenen Käfigs; tückische Haremswächter, Intrigen, Fluchtgedanken, Verrat, grausame Rache - das gehört nun einmal zum eisernen Bestand der herkömmlichen tragischen Haremspoesie, und wenn man den Poeten Glauben schenken darf, so gibt es kein unglücklicheres Wesen auf der Welt als eine Haremsschöne.

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Aufgeklärte Mohammedanerinnen, an denen heute im Orient kein Mangel mehr ist, lächeln darüber, finden das alles sehr rührend, aber auch ein bisschen komisch, zum mindesten stark übertrieben. In Wirklichkeit nämlich ist das Haremsleben nicht im entfernten romantisch, wie die so blühende Phantasie es auszumalen liebt, und die argen Schnitzer, die bei solchen Milieuschilderungen aus Unkenntnis der Verhältnisse gemacht zu werden pflegen, fordern den Unwillen oder den Spott der gebildeten Mohammedaner heraus. Vor allen Dingen ist es ganz falsch, wenn das mohammedanische Weib immer als ein unfreies, bedauernswertes Geschöpf, als die Sklavin ihres Gatten und Gebieters, im günstigsten Fall als kostbares Spielzeug hingestellt wird. Weist auch die Religionslehre dort, wo sie noch streng befolgt wird, der Mohammedanerin eine rein häusliche Stellung an und verschließt ihr die Beschäftigung mit öffentlichen Angelegenheiten, so räumt sie ihr doch anderseits wieder Rechte und Befugnisse ein, die keineswegs eng begrenzt, sondern innerhalb des Hauses und der Familie sogar sehr weitreichend sind. In den Palästen großer Würdenträger und wohlhabender Männer, wo der Unterhalt eines „reich assortierten“ Harems noch als Standespflicht gilt, mag sicherlich manche Insassin ein Dasein führen, das unseren landläufigen Vorstellungen vom „goldenen Haremskäfig“ einigermaßen entspricht. Aber wie viele solcher Luxusharems gibt es denn? Heute nur noch sehr wenige. Die überwiegende Mehrheit der Mohammedaner lebt in höchst bescheidenen Verhältnissen oder in Armut, und schon aus rein materiellen Gründen kommt man deshalb in den aufgeklärten Kreisen von der Vielweiberei immer mehr ab. Und da man dort im Allgemeinen sehr kinderlieb ist, anspruchslos und allen heftigen Leidenschaften abhold, so bildet in den gehobenen Klassen ein harmonisches Familienleben die Regel. In den unteren Schichten, besonders in der ländlichen Bevölkerung, verschiebt sich das Bild allerdings zuungunsten der Frau, hier wird ihre Arbeitskraft schonungslos ausgenutzt, und wenn ihre Reize verschwinden, sieht sie sich häufig ohne Rücksicht und Sentimentalität durch junge Nebenbuhlerinnen verdrängt. Aber dem Manne geht es in diesen Kreisen schließlich auch nicht glänzend, und wenn wir an die Fülle von Frauenelend in unseren abendländischen Großstädten denken, an all das unermessliche Frauenleid, das eine Folge sozialer Missstände, der Rohheit und der Genusssucht ist, dann fragt es sich doch auch sehr, wer besser daran ist, der Orient oder der Okzident.

Am reinsten hat sich die Eigenart des mohammedanischen Frauenlebens noch bei den arabischen Volksstämmen der afrikanischen Mittelmeerländer und der angrenzenden Teile Asiens erhalten. Die konservative, zum großen Teil auch ausgesprochen europäerfeindliche Gesinnung dieser Stämme steht den modernen Emanzipations- und Bildungsbestrebungen ablehnend gegenüber. Arabische Frauengestalten aus den der Sahara vorgelagerten Ländern sind es, deren Bildnisse unseren Text begleiten. Der Begriff „arabisch“ verträgt hier freilich keine zu enge Begrenzung, denn reinblütige Araber findet man eigentlich nur noch unter den Beduinen. Was in Marokko, Algerien, Tunesien und so weiter als Araber bezeichnet wird, ist ein ziemlich buntes und schwer auseinanderzuhaltendes Gemisch von Arabern, Berbern, Mauren, und je tiefer es nach dem Süden hinuntergeht, desto stärker macht sich auch der Einschlag von Schwarzen bemerkbar. So erklärt es sich, dass man unter den dortigen Eingeborenen die verschiedensten Typen zu sehen bekommt, von den echten Arabern an mit ihren scharf markierten, edlen Zügen bis zu den dunkeläugigen Saharastämmen mit dicken Nasen und wulstigen Lippen.

Selbst dem flüchtigen Reisenden in diesen Ländern fällt im Auftreten und Gebaren der weiblichen Bevölkerung eine gewisse Freiheit auf, die nichts von der strengen Reserviertheit der Ägypterin und der Türkin hat und zuweilen bis an die Grenzen der Keckheit geht. Frauen und Mädchen der unteren Volksklassen pflegen sich unverhüllt zu zeigen und ziehen höchstens einmal, mehr aus Koketterie, einen Gewandzipfel über das Gesicht. Übrigens nehmen bei den Berberstämmen, die hauptsächlich die Gebirgstäler bewohnen, die Frauen auch an den öffentlichen Angelegenheiten beratend teil.

Eine unserer Aufnahmen zeigt die Frauenabteilung eines besseren maurischen Hauses. Wir sehen hier den offenen Innenhof, der für den arabischen Baustil so charakteristisch ist und bei schönem Wetter den Lieblingsaufenthalt der Hausbewohner bildet. Stühle gibt es hier nicht; die echte Orientalin gerät geradezu in Verlegenheit, wenn sie einmal genötigt ist, dieses ihr ungewohnte und höchst unbequeme Sitzmöbel zu benützen. Man lässt sich, nachdem man vorher die Pantoffel abgestreift hat, mit untergeschlagenen Beinen auf Kissen nieder und hat alles, dessen man bedarf, wie Teegeschirr, die Wasserpfeife - die sich auch beim weiblichen Geschlecht großer Beliebtheit erfreut -, die Handarbeiten und dergleichen in greifbarer Nähe auf dem Teppich. Anscheinend handelt es sich bei den auf unserem Bilde sichtbaren Personen um zwei Frauen mit ihren Kindern und zwei Dienerinnen. Die Dienstboten werden in mohammedanischen Häusern im Allgemeinen sehr gut behandelt und gehören gewissermaßen zur Familie. - In ein reicher ausgestattetes Heim führt uns das Bild mit der anmutigen, an das Galeriegeländer des Innenhofes gelehnten Dame. Es ist den orientalischen Häusern von außen gewöhnlich nicht anzusehen, welche reizvollen Interieurs ich hinter ihren nichtssagenden Fassaden verbergen, denn die Wohlhabenheit stellt sich dort nicht gern öffentlich zur Schau, und aller Komfort, aller Luxus entfaltet sich erst im Innern des Heims.

Von großem Liebreiz ist das Porträt der mit einem Diadem geschmückten elegischen Dame. Die edelgeformte Nase, der feingeschnittene, schwellende Mund, der beseelte Blick der dunklen Augen, alles vereinigt sich zu einem Bild von gewinnender Harmonie. Diese schöne Blume des Orients würde auch in jeder anderen Zone der Welt ihre Bewunderer finden!

Hatten wir es bisher mit Städterinnen zu tun, mit Damen des sesshaften Bürgertums, so versetzen uns die anderen Aufnahmen in die farbige Märchenwelt der Steppe und Wüste, zu jenen nomadisierenden Stämmen, deren Wohnung das Zelt, deren Lebensaufgabe ein ewiges, triebhaftes Wandern ist. Ernst und selbstbewusst ist der Ausdruck des jungen Beduinenweibes; man merkt es diesen Augen an, dass sie daran gewöhnt sind, ins Weite der endlosen Wüsten und Steppen zu schauen. Schwerer metallener Schmuck hängt von Haarflechten und Hals auf die Brust herab. Sie können gar nicht genug davon haben, die Wüstentöchter, und je mehr es bei jedem Schritt, jeder Bewegung an ihnen klirrt und klingt, desto gehobener fühlen sie sich. An dem jungen Mädchen in Weiß fallen die an einer Kette befestigten Amulette in Gestalt stilisierter Hände auf - sie sollen vor dem „bösen Blick“ bewahren, den der abergläubische Orientale so außerordentlich fürchtet.

Was schließlich die beiden noch übrigbleibenden Schönen betrifft, so können sie sich der Zugehörigkeit zur „guten“ Gesellschaft nicht rühmen, ohne sich aber dadurch, wie ihr fröhlich-freier Gesichtsausdruck verrät, sonderlich bedrückt zu fühlen. In einem derartigen Dekolleté dürfen sich nur gewerbsmäßige Tänzerinnen blicken lassen, die ihren eigenen Ehren- und Sittenkodex haben. Sie nehmen innerhalb der arabischen Frauenwelt eine ganz eigentümliche Stellung ein. Einige Nomadenstämme haben nämlich seit uralter Zeit ein förmliches Privileg dafür, ihre Töchter, soweit sie hübsch und anstellig sind, zu Kurtisanen zu erziehen und schon in früher Jugend auf „Kunstreisen“ zu schicken. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Mädchen vom südalgerischen Stamm der Ulad-Nail. Sie besuchen die Jahrmärkte des Landes, auf denen es immer hoch hergeht, und lassen sich hier und dort auch für längere Zeit dauernd nieder. Eines der Hauptquartiere der weiblichen Ulad-Nail ist die Oasenstadt Biskra, hier sind einige Straßen völlig für sie reserviert, und hier geben sie abends in den Kaffeeschenken, begleitet von den quäkenden, winselnden Klängen der arabischen Musik, jene Tänze zum Besten, die nach europäischen Begriffen mehr kurios als anmutig sind, denen der Eingeborene aber stundenlang mit nie erlahmendem Interesse zusehen kann. Haben sich die Ulad-Nail im Verlauf ihrer „Kunstreisen“ genügend Geld zusammengetanzt, oder fangen ihre Reize an zu verblühen, was in diesen Zonen unheimlich schnell geht, so kehren sie zu den heimischen Zelten zurück und finden dort sofort einen Mann. Ländlich, sittlich! Die hohe Mauer, die das Dasein des mohammedanischen Weibes umgürtet, hat also, wie man sieht, doch auch ihre Lücken.

Nomadenmädchen aus Südalgier
Beduinenfrau
Schöne Algerierin
Algerische Schönheit im Innenhof ihres Hauses
Arabische Tänzerin vom Stamm der Ulad-Nail
Arabisches Mädchen im Festgewand
In der Frauenabteilung eines maurischen Hauses

01 Nomadenmädchen aus Südalgier

01 Nomadenmädchen aus Südalgier

02 Beduinenfrau

02 Beduinenfrau

03 Schöne Algerierin

03 Schöne Algerierin

04 Algerische Schönheit im Innenhof ihres ihres Hauses

04 Algerische Schönheit im Innenhof ihres ihres Hauses

05 Arabische Tänzerin vom Stamm der Ulad-Nail

05 Arabische Tänzerin vom Stamm der Ulad-Nail

06 Arabisches Mädchen im Festgewand

06 Arabisches Mädchen im Festgewand

07 In der Frauenabteilung eines maurischen Hauses

07 In der Frauenabteilung eines maurischen Hauses