Aus Hamburg. Anfang Februar. 1852 – Spekulanten und Spekulationen, Personalien

Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. 2ter Jahrgang 1852. Januar-Juni.
Autor: Redaktion - Deutsches Museum, Erscheinungsjahr: 1852
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hamburg, Stadtgeschichte, Spekulanten und Spekulationen, Börse, Handelswelt, Personalien
Wer kennt nicht das Goethe’sche Wort vom Kerl, der spekuliert? Und wer wollte bezweifeln, dass der große Mann Recht hatte, wenn er besagten Kerl mit dem Tier auf dürrer Heide vergleicht,

„Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt,
Und rings umher ist schöne grüne Weide?“

Aber es gibt doch eine Art Spekulation, die keineswegs so ganz dürr und uneinträglich ist, wie auch Goethe selbst gewiss nicht bestritten haben würde, wenn ihm die vergnüglichen Gesichter und die komfortablen abgerundeten Gestalten diverser Handelsherren unserer alten Hansestadt begegnet wären. In der Tat, die Spekulation in Zucker und Kaffee, Reis und Tabak, Baumwolle und Kakao, Mahagoni- und Ebenholz, Lumpen und Seide, Getreide und Auswanderung, Consols und Rente, Eisenbahnaktien und tausend anderen Dingen erweist sich trotz der schlechten Zeitläufte für das deutsche Venedig immer noch höchst rentabel und statt auf dürrer Heide umherzuirren, erquickt sie sich auf den allerfettesten Triften, wo Austern und Hummersalat, Mock-Turtle-Suppe und Hamburger Rauchfleisch, Beaf oder Boeuf in jeder Façon, Rebhühner, Schnepfen und Fasanen im Bunde mit echtem und unechtem bayrischen Bier, Porter und Ale, französischem und deutschem Champagner nebst Weinen aus allen Weltgegenden zwar nicht vom Himmel fallen, wie es weiland den Söhnen Israels mit dem Manna in der Wüste passierte, aber doch wenigstens in jedem einigermaßen anständigen Keller für ein Billiges zu haben sind. Mitunter freilich nimmt es auch mit der Spekulation ein Ende mit Schrecken, was nach Schills bekanntem Wahlspruch immer noch besser ist als Schrecken ohne Ende.
So wurde die Börse vor einigen Wochen mit der Nachricht von dem Fallissement eines bedeutenden Tabakgeschäfts überrascht, wo es sich bloß um die Kleinigkeit von einer Million Mark Banco handelte. Die Falliten hatten die Kunst, auf Kosten anderer Leute zu leben, vortrefflich verstanden; trotzdem dass die Notwendigkeit des Bankerotts ihnen schon seit Jahren klar gewesen sein muss, lebten sie bis zum letzten Augenblicke fürstlich und man schätzte ihr jährliches Ausgabebudget auf mindestens 50.000 Mark. Dabei enthüllen die besonderen Umstände dieses Bankerotts einen tiefen Abgrund von Unsittlichkeit und bilden einen keineswegs rühmlichen Beitrag zur Charakteristik unserer Handelswelt. Dergleichen fällt indes natürlich vor, wo die Spekulation so en gros betrieben wird wie bei uns. Die reichen Gläubiger machen ein verdrießliches Gesicht, die armen Kreditoren suchen um so ruhiger zu scheinen, je schmerzlicher sie davon betroffen werden, — um nur ihren Kredit nicht zu erschüttern; an der Börse spricht man ein paar Tage von dem Vorfall, man forscht, wer Deckung, wer keine hat, wie viel Prozente die Gläubiger wohl erhalten werden, und dann ist wieder Alles ruhig und glatt, wenigstens auf der Oberfläche, bis ein neues Ereignis die spekulative Ruhe stört. Zu einer wirklich nachhaltigen Störung gehört immer ein sehr starker Anstoß; selbst die neuesten französischen Ereignisse haben im Großen nur eine sehr flüchtige und vorübergehende Wirkung geäußert.

In der Tat, wenn man noch um eine Bestätigung für den alles Höhere verschlingenden Materialismus unserer Zeit mit seiner Genusssucht und mit seinem Servilismus verlegen sein könnte, so dürfte man nur einen Blick nach Hamburg werfen. Dass man hier auch früher dem Golde und dem Genuss gehuldigt hat, wer wollte es leugnen? Aber es war doch daneben auch noch etwas, wenn auch gerade nicht viel, von jenem kräftigen Sinn für Freiheit und Selbständigkeit vorhanden, durch den die deutschen Reichsstädte ehemals sich auszeichneten. Aber was ist jetzt aus der freien Reichsstadt Hamburg geworden? Die Freiheit ist dahin und das Reich ist nirgends zu erblicken; geblieben ist nur Hamburg, ein Spielball österreichischer und preußischer Politik, aber ein Spielball von Golde. Anfangs hatten wir die Preußen zu Beschützern, jetzt haben wir seit Jahresfrist die Österreicher; das Ende vom Liede wird sein, dass wir Beide, die Österreicher und Preußen haben, wenn man es nicht vorzieht zu sagen, dass Beide uns haben werden.

Und was das Schlimmste ist, es geschieht nicht ohne eigene Schuld; der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend Böses muss gebären, hat sich auch an Hamburg recht schlagend bewährt. Die Preußen wurden ihrer Zeit von den Vätern unserer Stadt und allen Männern der Ordnung mit offenen Armen empfangen, als sie sich im August 1849, die Souveränität der freien Reichsstadt gänzlich missachtend, hier einquartierten. Unser patriarchalisches Regiment wünschte längst mit der Constituante zu brechen; allein um nicht den Fehdehandschuh offen hinzuwerfen und der von ihr beschlossenen Verfassung die Einführung verweigern zu können, glaubte man festere Stützen nötig zu haben als die Hamburgische Bürgerwehr und das hanseatische Bataillon. Man fand sie in den preußischen Soldaten, die sich auf eine geraume Zeit häuslich bei uns niederließen. Aber dabei blieb es nicht; die Preußen zogen aus und die Österreicher ein. Die Letzteren schienen unseren Vätern durchaus höchst überflüssige und ungebetene Gäste. Allein Fürst Schwarzenberg glaubte mit gutem Recht fordern zu können, was man dem Herrn von Manteuffel so bereitwillig gewährt hatte. Der Senat protestierte zwar gegen die Okkupation, musste sich aber dennoch in sein Schicksal ergeben. Die tiefsten Demütigungen sind unseren Behörden nicht erspart geblieben; k. k. Offiziere haben zu ihnen in einem Ton gesprochen, wie nur der Vorgesetzte zu seinen Untergebenen zu sprechen pflegt; Hamburger Bürger werden ohne Weiteres von k. k. Militär auf dem Territorium der Stadt aufgegriffen und nach Altona zu einer kriegsrechtlichen Untersuchung abgeführt; ja die blutigen Auftritte, welche am vergangenen Pfingstfest hier stattfanden, zeigten deutlich, wohin es mit unserer Souveränität gekommen. Und dies Alles bezahlt die freie Reichs- und Hansestadt mit mehr als tausend Mark täglich.

Zu dem Verlust der äußern Selbständigkeit kommt aber hier auch noch mancherlei innere Not. — Der Senat hatte zwar die Constituante mit ihren radikalen Reformplänen beseitigt, aber Neues war damit noch nicht geschaffen, und so ganz beim Alten konnte es doch nach der Einsicht aller Vernünftigen nicht bleiben. Die mittelalterliche reichsstädtische Verfassung war nachgerade doch etwas zu eklatant unbrauchbar geworden, reformiert musste werden: aber da man mit der Revolution gebrochen, fasste man den Entschluss, eine neue Verfassung auf dem Wege der Vereinbarung mit den bestehenden städtischen Kollegien ins Leben zu rufen. Sie müssen nämlich wissen, dass in unserem Regierungsmechanismus der eigentlich regierenden Körperschaft, dem Senat mit seinen vier Bürgermeistern und vier Syndicis, zur Seite gesetzt sind erstens das Kollegium der Oberalten, zweitens das der Sechziger, drittens das der Hundertachtziger und viertens endlich das der sogenannten erbgesessenen Bürgerschaft, welche letztere nach den fünf großen Kirchspielen der Stadt gegliedert ist und abstimmt. Als nun zum Zwecke der Vereinbarung vom Senate ein neuer Verfassungsentwurf, die sogenannte Neunerverfassung veranlasst war, erhob sich dagegen, trotzdem dass er nur ein Minimum von Reformen beabsichtigte, ein wütendes Oppositionsgeschrei aus den städtischen Kollegien, die dadurch allerdings teils gänzlich vernichtet, teils wesentlich modifiziert werden sollten. Die hier vertretene althamburgische Partei erhob gegen die Neunerverfassung dieselben Vorwürfe, welche der Senat gegen die Verfassung der Constituante erhoben hatte; man schrie über revolutionären Umsturz, Verletzung bestehender Rechte, drohte mit Frankfurt, falls die Neunerverfassung dennoch eingeführt werden sollte, kurz, man schlug den Senat mit seinen eigenen Waffen. Die Frage wegen Einführung der Neunerverfassung ist schon seit lange ins Stocken geraten und gegenwärtig denkt kein Mensch mehr daran, dass sie jemals erfolgen wird. Da inzwischen der Senat seine Machtlosigkeit noch nicht gestehen will und an seinem Project wenigstens scheinbar noch festhält, so gerät einstweilen die alte Verfassung in die Gefahr auszusterben. Schon haben wir von unseren vier verfassungsmäßigen Bürgermeistern nur noch zwei, die Herren Kellinghusen und Dämmert; die beiden anderen, Barthels und Beneke, sind in den letzten Jahren gestorben und ihre Stellen wurden nicht wieder besetzt, wegen der Reformpläne des Senats. Auch von den vier Syndicis ist kürzlich einer, der Hr. Banks gestorben, ein Anderer ist blind, so dass auch hier die Geschäfte auf den Schultern zweier Personen ruhen. Auch die Zahl der Senatoren, glaube ich, ist nicht mehr vollständig. Während nun Hamburgs Kreuzzeitungs-Partei auf die Wiederbesetzung der erledigten Stellen dringt, um darin eine Gewähr für das fernere Festhalten am alten Missbrauch zu erhalten, schiebt der Senat sie beständig hinaus, in der Hoffnung, dass es ihm noch gelingen werde, die seinen Einfluss vergrößernde Neunerverfassung ins Leben zu rufen. Aber wenn es mit dem Sterben so fortgeht, wie bisher, wird er doch bald nachgeben müssen, wenn er nicht riskieren will, dass eines schönen Morgens der Staat Hamburg ohne Kopf, d. h. ohne Bürgermeister erwacht.

So bleibt denn vorläufig hier in dieser Hinsicht sicherlich Alles beim Alten; wir behalten unsere patriarchalische Staatsform mit ihrem antediluvianischen Gerichts- und Verwaltungswesen, mit ihrem Nepotismus und ihrer Korruption — bis endlich einmal Hamburgs Stündlein schlägt und es einem Mächtigeren zufällt. Denn dass es trotz seiner ungeheuren offiziellen Schuldenmasse von etwa 80 Millionen Mark Banco auf kaum 200.000 Köpfe immer noch ein sehr fetter Bissen ist, auf den von mehr als einer Seite mit gierigem Verlangen geblickt wird, das bedarf wohl kaum einer Versicherung.

Hamburger Baumwollbörse

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Blick auf Hamburg - Unterelbe

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Bremer Haus der Seefahrt

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Blick auf die Hamburger Binnenalster

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Bremer Handelshaus

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Hamburger Börse

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