Zweite Fortsetzung

Ohne Zweifel sollte hier der Handel mit den Russen vorzüglich an die Niederlagen zu Nowogorod und Pleskow, aus den bekannten Gründen, die allen hansischen Faktoreien eigen waren, gebunden sein; die hier Residierenden sollten als Faktore dienen, den Einkauf und Verkauf in Abwesenheit der ab- und zureisenden Kaufleute aus den deutschen Städten besorgen. Es sollte auf diese Weise ein stets angefüllter, halb erzwungener Markt hier vorhanden sein, um die Russen von den Versuchen eines Aktivhandels möglichst abzuhalten und sie an diese Niederlagen vorzüglich zu binden. Man hoffte ohne Zweifel hierdurch desto leichter die Preise der zu verkaufenden und einzukaufenden Waren unter einer genaueren Aufsicht zu erhalten, welche bei dem Mangel einer freien Konkurrenz desto nötiger schien. Endlich aber war es der Zweck dieser Einrichtung, die den Niederlagen zu entrichtenden Abgaben desto sicherer und bequemer von den ankommenden und abreisenden Landsleuten zu erheben. Übrigens scheinen die deutschen Schiffer und Kaufleute die alten Wege verfolgt, und teils über die Newa, teils über die Narowa und Düna jene beiden Hauptorte besucht zu haben. Jedoch machten die livländischen Städte, besonders Riga, wegen der freien Auffahrt auf dem letzteren Strome von Zeit zu Zeit Schwierigkeiten, und es scheint, dass bald der eine, bald der andere Weg fleißiger besucht und benutzt worden sei. Nächst diesen gab es endlich einen Landweg, der aber weiter nicht bekannt ist. Indes war man an jene beiden Faktoreien nicht allein gebunden. Nicht nur ist immer, wie es scheint, in Liv- und Estland, etwa an den Grenzen ein Verkehr mit den Russen betrieben worden, sondern diese letzteren sind auch auf ihre Gefahr mit ihren Gütern tiefer in diese deutschen Grenzprovinzen gekommen. Es besaßen die Russen während dieser Periode stets eine etwas größere oder geringere Strecke an den Küsten des finnischen Meerbusens, und es sind einige Spuren vorhanden, dass sie auch mit eignen Schiffen — jedoch war dies gewiss eine Ausnahme — sich auf das Meer gewagt haben. Nächst diesen Wegen sind auch noch andere eingeschlagen worden, auf welchen man einen Schleichhandel versucht hat, wahrscheinlich über die schwedischen Provinzen hin, teils um den Abgaben, die auf den hansischen Faktoreien gefordert wurden, zu entgehen, teils um aus der ersten Hand mit größerem Vorteil zu kaufen und an sie zu verkaufen. Es war den Hansen untersagt, von Pfaffen, Gutsbesitzern , Fischern und Schleichhändlern russische Güter zu erhandeln. Es gab, wie auf allen hansischen Faktoreien, sogenannte „verbotene Reisen“ d. h. bestimmt in diesem Falle Wege, wo man, unabhängig von den beiden russisch-hanseatischen Niederlassungen und von Livland, dennoch durch Schleichhandel zu russischen Gütern gelangen konnte. Die häufigen Streitigkeiten mit den Russen schienen auch diese untersagten Wege bald mehr, bald weniger zu
begünstigen. Gewiss war es aber der Hanse ernstlichste Meinung, dass der wechselseitige Verkehr auf ihren russischen Niederlagen vorzugsweise betrieben werden sollte.

Wie diesem nun aber auch sein mochte, so sind doch wohl alle Teile der Hanse darin so ziemlich einverstanden gewesen, dass das Monopol eines unmittelbaren Verkehrs mit den Russen einzig in ihren Händen bleiben müsse. Und gewiss ist dies auch der Fall im Ganzen durchaus gewesen, obgleich andere westliche Völker, als Engländer und Niederländer, die nicht zur Hanse gehörten, ihr Augenmerk und ihre Spekulationen unzweifelhaft auf diese Gegenden gerichtet haben. Allein wie hätte den Engländern die spätere Entdeckung (1553) des entfernten und minder bequemen Archangels so wichtig scheinen können, wenn sie in der Ostsee, frei von der Zwischenhand der Hanse, zu einem unmittelbaren Verkehr mit den Russen früher hätten gelangen können?
So verging denn selten ein Jahrzehnt, dass nicht dergleichen Streitigkeiten ausgebrochen waren, bald aus dieser, bald aus einer andern Ursache. Von der Rohheit der Russen aber war alles zu fürchten und zu erwarten, wenn sie einmal unzufrieden geworden waren. So geschah es denn zu verschiedenen Zeiten, dass sie die Deutschen, die sich bei ihnen aufhielten, überfielen, ihnen ihre Güter nahmen, sie in Fesseln schlugen, sie erwürgten und ihnen zur Schande einen oder den andern an der Pforte ihres Kaufhauses aufknüpften. Die Deutschen gebrauchten dann in Livland das Vergeltungsrecht, sie beschlugen die Güter und Personen der Russen, verboten allen Verkehr mit ihnen, verschlossen ihren Hof in Nowogorod oder mauerten ihn zu, verließen das Land und erzwangen sich hierdurch dann immer die Wiederherstellung ihrer gekränkten Freiheiten. Der Friede ward geschlossen, das Kreuz von Neuem geküsst und alle Zusagen dann ebenso schnell gebrochen, als sie erneuert worden waren.


1454 veranlasste der Streit der großen preußischen Städte mit dem deutschen Orden nun eine neue, bisher unbekannte Störung dieses Verkehrs. Die Stadt Danzig, die nebst ihren Verbündeten in diesem Jahre bekanntlich unter polnische Herrschaft sich begab, welche mit den dem Orden treu gebliebenen preußischen und livländischen Städten zerfiel und diese als Feinde behandelte, sperrte den Verkehr nach diesen Gegenden und störte somit einen bedeutenden Teil des Handels aller übrigen Hansen mit Russland. Der Zwist, der einige Jahrzehnte nachher (1481) in Livland zwischen dem Heermeister, den Bischöfen und Städten dieses Landes ausbrach und die Furcht, dass diese Provinz unter Schweden oder Polen kommen möchte, da das gefährliche Beispiel bereits von den Preußen gegeben war, ließ die Hansen den Beschluss fassen, alles aufzubieten, um diesem Übel vorzubeugen und ihre Tätigkeit hat unter andern auch diese Gefahr noch eine Zeitlang glücklich abgewendet. Doch dies alles waren nur vorübergehende Unterbrechungen, dergleichen auf allen hansischen Faktoreien mehr oder weniger immer stattfinden mussten, die ganze Lage ließ nichts anderes erwarten. Allein viel weiter deuteten die Unternehmungen, welche Zar Iwan Wassiljewitsch im letzten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts anfing; sie gingen auf nichts geringeres, als auf die gänzliche Demütigung und Unterwerfung der beiden stolzen nordischen Munizipalitäten: Pleskows und Nowogorods, und endlich auf die Vernichtung der hansischen Niederlagen daselbst. Beide Städte, vorzüglich die große Nowogorod, hatten sich allmählich nach dem Vorbild deutscher Gemeinden ausgebildet; ihr Stadtregiment war auf dieselbe Weise gebildet, das Verhältnis der Gemeinde zu ihren Fürsten fast ebenso schwankend, als das der deutschen Landesherrn zu ihren Städten, wo dieser Name oft nur noch das einzige feste Zeichen der Oberherrschaft blieb. Daher entstanden die ewigen Streitigkeiten der Nowogoroder mit ihren Fürsten oder deren Statthaltern; jedoch scheint es, dass diese hier stets einen größeren Einfluss behaupteten, als den sogenannten Landesherren in den bedeutenderen deutschen Städten zustand, auch scheinen häufigere Währungen im Innern dieser russischen Gemeinden, als in den Hansestädten gewesen zu sein, weil die Ordnung, welche der Bund bei diesen handhaben konnte, bei jenen fehlte. Gewiss ist die Freiheit erst nach und nach von Deutschland aus nach Nowogorod und Pleskow übergegangen, und mehr und mehr ausgebildet worden. Indes wurden die Gebräuche der deutschen Gemeinden allmählich alle hierher verpflanzt; auch die Sitte, fremde Fürsten als Schutzherren sich zu wählen, ihnen ein Stück Geld zu geben, um sich ihres Beistandes gegen die Eingeborenen, gegen die Landesherren und gegen fremde Feinde zu bedienen. Die Großfürsten von Litauen standen in diesem Verhältnis zu den russischen Gemeinden. In Bezug auf den allgemein verbreiteten Wohlstand aber, auf Gewerbefleiß, aktiven Handel und die Ausdehnung des letzteren standen diese nordischen Freistaaten gewiss noch sehr weit hinter den Deutschen zurück. Der Prunk und die Üppigkeit Einzelner stand, wie bei allen Barbaren, ohne Zweifel im schärfsten Gegensatz zu dem Elend des großen Haufens. Die fabelhaften Beschreibungen der Reichtümer dieser Orte müssen auf diese Weise berichtigt werden. Die Unvollkommenheit der im Wohlstand gemachten Fortschritte erhellet deutlich aus Folgendem. Erst spät hat Nowogorod eigne Scheidemünzen geschlagen; von den hansischen Kaufleuten wurden deutsche kleinere Münzsorten und wahrscheinlich, trotz der bekannten hansischen Statute, welche dies untersagten, auch das Silber, welches die Nowogoroder vermünzten, hierher geführt. Ehe kleineres Geld in Umlauf kam, waren schon größere fremde Münzsorten, auch Marken Silbers vorhanden, welche letzteren jedoch vielleicht keine geprägte Münze, sondern ein gewogenes Stück dieses Metalls anzeigten. Auf jeden Fall bediente man sich in früheren Zeiten, statt kleiner Scheidemünzen, der Marderköpfe *) und der Stirnfelle von Eichhörnchen und anderer ähnlicher Tauschmittel. Ebensowenig zeugt es für den gepriesenen großen Fortschritt Nowogorods, dass erst im Jahre 1383 der die Stadt in zwei Hälften teilende Fluss, die Wolchow nämlich, mit einer Brücke versehen, dass erst um diese Zeit die eine Seite und einige Jahre nachher die ganze Stadt mit einem Erdwalle umgeben ward, da die größeren, früher gediehenen Gemeinden in Deutschland diese Vorzüge längst besaßen.

*) Vergleiche oben (S. Z4) das Statut von 1338.