Vierte Fortsetzung

Es ist auch nicht die mindeste Spur vorhanden, dass die westlichen Nationen wirklich zu einem unmittelbaren Verkehr mit den Russen über Schweden oder über die Newa in Russland selbst gelangt wären. Zur Verhinderung des direkten Verkehrs der Westländer mit den Russen waren die Satzungen gegeben, dass keine niederländischen Schiffe in den westlich gelegenen Hansestädten nach Livland befrachtet und noch weniger irgend ein Niederländer, Engländer oder irgend Jemand anderes, der nicht zur Hanse gehörte, in Livland in der russischen Sprache unterrichtet werden sollte; wenn man aber diese nicht besaß, so konnte man auch mit diesem Volke keinen unmittelbaren Verkehr betreiben.

Endlich beweist auch das Verfahren der Hansen, wenn sie mit den Russen in Streitigkeiten gerieten, dass dies Volk noch keinen unmittelbaren Handel mit andern Nationen kannte, der von einiger Bedeutung gewesen wäre. Die Deutschen nämlich verließen in diesem Fall ihre Faktoreien, Nowogorod gewöhnlich zuerst, dann auch Pleskow; sie beschränkten allen Verkehr etwa auf Livland, untersagten endlich auch in dieser Provinz irgend ein Geschäft mit den Russen zu machen, und sie waren immer gewiss, dass dieser Mangel an Absatz der einheimischen Produkte und der Mangel der Einfuhr sie wieder den Forderungen geneigt machen würde, welche sie mit Recht oder Unrecht ihnen vorgelegt hatten. Hätten die Russen aber andere, gleich bequeme Wege für Ein- und Verkauf gekannt, so hätte diese Maßregel nicht nur den Zweck verfehlen, sondern sie hätte auch gerade die entgegengesetzte, nachteiligste Wirkung für die Hanse haben herbeiführen und ihren Verkehr in die Hände fremder Völker spielen müssen. Wegen betrügerischer Kürze der flämischen Tücher ließ der Großfürst Dimitri alle hansischen Güter in Nowogorod mit Beschlag belegen. Darauf sperrte 1388 der Hansetag zu Lübeck allen Handel mit Nowogorod und zwang den Großfürsten dadurch zur Nachgiebigkeit, doch wurde auch versprochen die flämischen Tücher in gehöriger Länge zu liefern. Doch der deutsche Städtebund war nicht bloß bemüht, jene fremden Nationen von diesem Verkehr auszuschließen, auch andere ihm sonst näher verwandte Teile sollten den daraus entspringenden Nutzen entbehren. So suchte zwar der deutsche Orden in Preußen um die Erlaubnis nach, an dem russischen Handel auf eigne Rechnung Teil nehmen zu dürfen; man verschob zuerst höflich eine bestimmte Antwort und schlug dann das Gesuch ganz ab. Die Livländer nutzten die Streitigkeiten zwischen der Hanse und Russland und suchten sich an der Stelle des Kaufhauses zu Nowogorod des Zwischenhandels zu bemeistern. 1417 erlangten sie ein russisches Verbot des Handels mit Nowogorod bei Lebensstrafe, aber schon 1418 beschloss der Hansetag, bei Strafe von 100 Mark den livländischen Städten zu verbieten, sich weder einseitig in irgend eine Unterhandlung einzulassen, noch einen, Russen den Aufenthalt bei sich zu gestatten; die moskowitischen Angelegenheiten sollten lediglich durch Mische und wisbysche Abgeordnete gehen. Dennoch unterhandelte durch den Erzbischof und den Stadtrat von Nowogorod der livländische Heermeister mit den russischen Großfürsten Wassilji und Constantin, Dimitris Söhnen, und schloss einen Handelsvertrag, dessen Urkunde aber nicht erhalten ist. So ausschließlich sollte der Handel und dessen Gewinn in den Händen wirklich hansischer Kaufleute bleiben, dass keines der Genossenheit fremden Mannes Geld in irgend einer der Faktoreien bei Handelsgeschäften angelegt werden durfte. Der Verkehr der Deutschen mit den Russen war vorzüglich ein Tauschhandel. Kein Silber sollte dahin geführt werden, obgleich es wahrscheinlich heimlich immerhin geschehen ist und für manche Geschäfte auch notwendig sein mochte. In allen nordischen Reichen wollte die Hanse, dass man aus leicht einzusehenden Gründen vorzüglich bloß tauschen sollte. Wenn aber die Privatpersonen bei einem Handel mit Geld ihren Vorteil fanden, so mögen diese Verordnungen, wie immer, wenig gefruchtet haben. Damals, wie jetzt, pflegten die Russen gern auf Kredit zu handeln. Die Streitigkeiten, die daraus entstehen mussten, die Schwierigkeiten, bei einer mangelhaften Rechtspflege gegen die vorgeschossene Ware endlich das Versprochene wieder zu erhalten, vermochte die Hanse, oft und viel Gesetze dagegen zu erlassen und aufs Strengste zu gebieten, dass nur sogleich auf der Stelle gegeben und dagegen empfangen werden solle. So war in den Jahren 1364—1376 bei 50 Mark Goldes Strafe verboten, den Russen auf Waren Kredit zu geben. Allein eben die häufige Wiederholung dieses Statuts scheint zu beweisen, dass die einmal gewohnte Sitte nicht alsbald und nicht vollständig abgeschafft werden konnte.


Eine solche Herrschaft, wie in Bergen, haben die Deutschen in Nowogorod nicht geübt. In der Mitte eines zahlreichen Volks, einer großen Stadt, musste ihre Faktorei, wie häufig sie auch besucht werden mochte, doch stets an zwingender Macht und Kraft schon allein den Einwohnern dieser Gemeinde weit nachstehen. Höchstens konnten sich die Deutschen vermöge der Mauern und festen Tore ihres Hofs gegen den ersten Überfall eines missvergnügten Haufens, auf längere Zeit aber, beim Widerwillen der ganzen Gemeinde, ganz und gar nicht schützen. Die Ursachen des immer zwischen beiden Teilen wiederkehrenden Streites waren verschieden. Ohne Zweifel empörten die Hansen die Russen so gut wie andre Völker, bei welchen sie Niederlagen hatten, durch manche eigenmächtig aufgestellte Anmaßungen, durch ein eigenwilliges Verfahren, wodurch sie den Handel und die Preise mehr zu beherrschen suchten. Die häufig ausbrechenden Fehden zwischen dem Orden in Livland und den Russen konnten nicht anders als nachteilig auf allen hansischen Verkehr in dieser Gegend wirken. Ein andres Mal klagten die Russen über die betrugvollen Waren, welche von den Deutschen eingeführt wurden und welche die gewohnte oder versprochene Güte nicht gewährten. So beschwerten sie sich ebensowohl, als die Vorsteher des Comtoirs zu Nowogorod über das eingeführte Salz, den Hering und andere Güter, welche in schlechter Beschaffenheit oder in zu kleinen betrugsvollen Gefäßen eingeführt wurden. Des Kaufhofs Gesetze zu verschiedenen Zeiten gegen falsche Ellen, Maße und Gewichte zeigen deutlich genug, wie oft solche Übertretungen vorkamen. Kein Artikel aber scheint so häufig zu Beschwerden Veranlassung gegeben zu haben, als die flandrischen Tücher (s. oben S. 48). Diese schienen den Russen bald in der Güte, bald in der Länge und
Breite mangelhaft zu sein, worauf sie denn immer mit ihrer gewohnten Heftigkeit zufuhren. Die Hanse meinte es auch ernstlich genug mit der Abstellung dieser Missbräuche. Sie schrieb oft an die flandrischen Städte, wo diese Tücher verfertigt wurden, um den Betrügereien vorzubauen; sie erließ Briefe an die deutschen Städte, deren einheimische wollene Zeuge nach Russland geführt wurden, und drang auf eine gute Aufsicht. Dann wandte sie sich schriftlich an die Nowogoroder und stellte ihnen vor, dass sie, die Deutschen selbst, am meisten von den Betrügereien der Flanderer litten, da die bei ihnen verfertigten Tücher ihren größten Absatz in deutschen Landen fänden; sie schrieb ihnen, es sei ein Unterschied zwischen den im Sommer und im Winter verfertigten Laken, die einen liefen im Wasser mehr ein, als die andern. Sie verbot allen die Einfuhr nach Russland von unbekannten, nicht besiegelten, ungezeichneten Tüchern, um somit eine bekannte, bessere Qualität und Quantität den Abnehmern zu sichern. Allein dem Übel konnte nicht ganz abgeholfen werden. War von Seiten der Fabrikanten nicht gefehlt worden, so betrogen wohl die Kaufleute, welche, wie es scheint, in der Mitte die Tücher von einander schnitten, einige Ellen entwendeten, dann aber sie wieder zusammennähten und als ganze volle Tücher, die ein bestimmtes Maß enthalten sollten, verkauften. Es ward auch an andern Orten den Deutschen ein betrügliches Zerren und Recken der wollenen Zeuge, um eine größere Länge zu erhalten, vorgeworfen. Endlich aber wollte die Hanse selbst nicht, wie es scheint, dass man den Russen die Tücher vormessen solle, damit daraus kein Nachteil für die Kaufleute entstände, die sie für voll gekauft hatten, man sollte sie ungemessen, sowie man sie gekauft hatte, auch wieder absetzen. Zwar mussten alle Waren, die auf das Comtoir zu Nowogorod gebracht wurden, vor ihrem Verkauf von dem Altermann, den Vorstehern und einigen andern dort zu diesem Zweck Angestellten geprüft werden; allein teils mag dies Statut nicht mit gehöriger Strenge ausgeübt worden sein, teils mögen die Privatpersonen stets Mittel gefunden haben, diese Aufsicht zu umgehen.
Ohne Zweifel waren zu gleicher oder ähnlicher Absicht Frachtherren zu Lübeck und wahrscheinlich auch an andern Orten bestellt, welche auf die Güte der einzuschiffenden Waren sehen sollten, und umgekehrt waren dergleichen auch in Russland oder den livländischen Städten bestellt, damit auch die Deutschen mit guten, russischen Waren versorgt werden möchten. Allein alle diese und ähnliche Gesetze, alle noch so sorgfältig angestellte Schauämter konnten bei einer hier so beschränkten oder gänzlich fehlenden Mitbewerbung, bei dem Mangel eines freien Handels von Seiten der Russen mit mehreren Nationen, den Beschwerden nie ganz abhelfen. Auch haben die Hansen in späteren Zeiten sich selbst untereinander die bittersten Vorwürfe in ihren Versammlungen gemacht, indem sie sagten, es sei ihre eigne, wechselseitig wohlverdiente Schuld, dass ihre großen Faktoreien in Russland zu Grunde gegangen waren. Sicher aber kann man auch annehmen, dass die Rohheit der Russen und ihre Betrügereien, dass die daraus entstehenden Beschwerden für die Hansen gleichfalls von der andern Seite oft die Ursache dieser Störungen des Handels wurden.

Wir haben, ehe wir zu der Abschweifung über den inneren Gang des Handels der Hanse mit Russland übergingen, dessen äußere Schicksale bis zum Ende des 15. Jahrhunderts betrachtet. 1507 trat wieder eine solche Spannung zwischen der Hanse und den Russen ein, dass den hansischen Kaufleuten der Handel nach Russland, insbesondere nach Moskau, untersagt wurde, und damit auch die Auswärtigen, vorzüglich die Holländer, diesen Handelszweig nicht nutzen sollten, so erlaubte man keinem Außerhansen in Livland, die russische Sprache zu erlernen. Der 1509 erfolgte Friede mit Livland stellte zwar den Handel der Livländer mit Nowogorod und Pleskow wieder her, allein die Hanse konnte doch nicht die Wiederherstellung des nowogorod'schen Comtoirs erlangen, weil die livländischen Städte den Stapel zu Reval und Dorpat behalten wollten und ihr hierbei selbst entgegen waren. Nicht genug, dass die Livländer durch ihre listigen Ranke den Gang der hansischen Unterhandlungen gehemmt, und über 50 Jahre den Stapel der russischen Waren behalten hatten, — sie schlossen sogar die Hanse ganz von dem Gewerbe nach Russland und Moskau aus. Livland und Estland trieben einen Ausfuhrhandel nach dem Innern von Deutschland und nach den Niederlanden und errangen sich 1505 sowohl zu Mecheln von den österreichischen Hause, als auch am Rhein von den vier Kurfürsten Zollbefreiungen. In der Absicht, die Hanse zu verdrängen, machten sie ein Gesetz: dass kein Russe unmittelbar mit einem Deutschen oder ein Deutscher mit einem Russen, überhaupt Gast mit Gast, nicht Handlung treiben könne. Indes scheint es doch nicht, dass sie ihre Absicht ganz erreicht haben, denn erneuerte die Hanse die alten naugardischen Contorschragen. Endlich kam 1522 ein neuer Handelsvertrag mit dem Zaren Wasstlji-Iwanowitsch zu Stande, den 73 Hansestädte unterzeichneten.

Nach vorhergegangener Grenzberichtigung der Narowa wurden die Waren, die aus deutschen Schiffen in die russischen Boote geladen wurden, von dem Zoll und Weggeld an die Nowogoroder befreit. Gleiches Recht sollten die Deutschen in den übrigen russischen Staaten genießen, mussten sich aber der Einfuhr des Salzes enthalten. Man schloss einen ähnlichen Vertrag mit Pleskow. Es waren aber in beiden Verträgen einige Artikel enthalten, welche die Städte Dorpat und Reval einseitig eingerückt hatten und worüber die Hanse sehr unzufrieden wurde. Die Waren, welche besonders nach Moskau gingen, bestanden in allerlei Tüchern, Seide, Seidenzeugen, Gold- und Silberstoffen, Edelsteinen, Goldfäden und allen Arten von edlen Metallen und Mineralien, in Gewürzen, wie Pfeffer, Cochenille, Ingwer. Dagegen holte man Pelzwerk, Wachs, Leder usw. Nach der Tartarei handelte man mit Sätteln, Pferdezäumen, Steigbügeln, Kleidern, Messern, Äxten, Bogen, Spiegeln, Beuteln; mit Waffen und Eisen aber nur insgeheim. Auch zog besonders Nowogorod aus Livland Kriegswaffen, Schießpulver und Kanonen. Die Livländer wandten alles an, die ausländischen Hansestädte zu verdrängen. 1533 wurde zwischen dem Heermeister und der Stadt Riga der Vertrag geschlossen, dass für den inneren Verkehr die Straße von Riga bis an die litauische Grenze von Zöllen befreit, dass dagegen die Ausfuhr von Pferden beschränkt, von Schießpulver, Kraut und Loth, trocknen und gesalzenen Fischen verboten wurde. So wurde 1537 auch die Ausfuhr von Fischen, Ochsen, Pferden und Lebensmitteln nach Deutschland untersagt. Als es der Hanse 1532 gelungen war, das Kaufhaus zu Pleskow herzustellen, nahmen anfangs außer den Kaufleuten von Lübeck auch die von Riga, Reval und Dorpat Teil, 1536 aber schlossen sich die livländischen Städte vom Handel nach Pleskow aus auf Veranlassung von Dorpat, welches eine Schmälerung des livländischen Handels dadurch befürchtete. Wegen der wiederholten Einfälle der Russen in Livland, wurde das Kaufhaus der Hanse von Pleskow nach Narwa verlegt, dort aber minderte die Mitbewerbung der Holländer, Engländer und Franzosen den Gewinn. Vergebens protestierten Reval und Dorpat, welche vorher einen Teil des Stapels der nördlichen Waren gehabt; Iwan Wassiljewitsch II. bestätigte 1558 nach der Eroberung von Narwa diesen Stapel und so tat 1579 Schweden im Stettiner Frieden. Aber Richard Chancellor's Fahrt nach Archangel 1553 hatte den Engländern den Weg nach Russland eröffnet, wo sie bald die Hansen und die livländischen Städte überflügelten, obgleich noch 1604 Riga zur Hansa gehörte.