Aus: Deutsch-russische Wechselwirkungen oder die Deutschen in Russland und die Russen in Deutschland. 02

Erster Zeitraum. Bis zur Eroberung der Ostseeprovinzen durch Peter I. 1710.
Autor: Stricker, Wilhelm, Erscheinungsjahr: 1849

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Landeskunde, Deutsche, Deutschland, Livland, Estland, Kurland, Ostseeprovinzen, Baltische Provinzen, Deutsche Kolonien, Wolgadeutsche, Wolga, deutscher Einfluss, Handelshäuser der Hanse, Peter I., Peter II., Peter III., Katharina II., Anna, Barbarei, Tyrannei, Alexander, Altrussen, Westeuropa, Vaterland, Heimat, Karl XI., Karl XII.,
Erster Zeitraum. Bis zur Eroberung der Ostseeprovinzen durch Peter I. 1710.

b) Geschichte des hanseatischen Handels nach Russland und des Kaufhauses der Hanse zu Nowogorod.


Die Hanseaten besaßen Faktoreien zu Groß-Nowogorod, zu Pleskow und vielleicht damals bereits auch zu Moskau. Die ersten aber war unbezweifelt die vorzüglichere Niederlage. Es hatten nämlich die Deutschen hier, wie an andern Orten, namentlich in England, dergleichen Haupt- und Nebenhandelshäuser. Von ihrer Faktorei zu Groß-Nowogorod sind nur einige, von der zu Pleskow aber gar keine näheren Nachrichten vorhanden, und die Existenz eines Kaufhauses zu Moskau ist vollends bis zum 16. Jahrhundert noch ungewiss. Ohne Zweifel waren die in Nowogorod wohnenden Hansen, sowie die von Zeit zu Zeit hier ankommenden und kürzer oder länger verweilenden deutschen Kaufleute, Diener und Schiffer einer klösterlichen Zucht, einer strengen Disziplin und Ordnung unterworfen. Vorsicht und Wachsamkeit waren in der Mitte eines großen und rohen Volkes, einer zahlreich bevölkerten Stadt doppelt nötig.

Eines hansischen Oldermannes zu Nowogorod, sowie geschworener Ratsmänner geschieht verschiedentlich Erwähnung. Diese Vorsteher, die von Zeit zu Zeit erwählt und erneuert wurden, hatten das auf allen andern Faktoreien mit diesem Amte verbundene Geschäft, die unter den Deutschen entstandenen Streitigkeiten zu schlichten, die Ordnung unter ihnen aufrecht zu erhalten, die Handels-Statute, die der Niederlage vorgeschrieben waren, laut ihrer Scra oder ihres Kaufmannsrechts zu handhaben, und in dieser Hinsicht Geld, Gefängnis und selbst Todesstrafe zu erkennen. Es lag ihnen ferner ob, ihre Untergebenen in Rechtsstreitigkeiten gegen die Russen oder beim Angriff derselben auf die wohlerworbenen Freiheiten der Deutschen zu verteidigen. Der Rechtszug von den Aussprüchen dieser Vorsteher ging an einige der livländischen Städte oder nach Lübeck, wenn die streitige Sache den Werth von 10Mark Naugardisch übertraf; in wichtigeren Angelegenheiten aber konnten an die Hanse, auf ihren großen Tagesatzungen rechtmäßig versammelt, appelliert werden.

Unbezweifelt besaßen die Bundesgenossen hier ihren eignen befreiten deutschen und gotländischen Hof, doch ist der letztere vielleicht mit dem allmählichen Versinken Wisbys eingegangen oder mit dem erstgenannten verbunden worden. Hier hatten sie eine katholische Kirche und ihren eignen Priester. Schutzpatron jener und überhaupt der gesamten deutschen Niederlage war der heilige Petrus; einen Schlüssel führte deshalb das Comtoir in seinem Wappen. Es hatten die verschiedenen Partien der Ankommenden und dort Sesshaften ihre abgesonderten, mehr oder weniger gemeinschaftlichen Wohnungen. Der Hof war mit einer Mauer und mit festen Toren versehen. Russen sollten nur am Tage dort geduldet werden; des Nachts wurden die Thore verschlossen, eine Nachtwache in die Kirche und auf den Hof gelegt, und große Hunde losgelassen; alles dies, so wie ohne Zweifel manche andre Maßregeln mehr wurden von der Notwendigkeit herbeigeführt, eine nicht ganz ohne Widerwillen betrachtete Faktorei bei einem rohen und fremden Volke zu schützen. Die Bedürfnisse der Erhaltung des Dienstpersonals und der Gebäude einer so angesehenen Niederlage, die Ausgaben, welche durch die häufigen und kostbaren Gesandtschaften zu ihrem Nutz und Frommen bedingt wurden, bald um das Kaufhaus zu besichtigen und zu bessern, bald um von den schwierigen Russen einen neuen Frieden, Vergleich oder eine Erneuerung der Freiheiten zu erlangen, welche zugleich bedeutende Geschenke veranlassten: diese Bedürfnisse wurden aus den gemein üblichen Hilfsquellen, die auf den übrigen hansischen Faktoreien gleichfalls stattfanden, bestritten.

Die Geldstrafen deckten nach gewohnter Sitte einen Teil dieser Ausgaben, doch waren sie nicht zureichend. Ein Schoß, der auf dem Kaufhaus und zuweilen auch wohl in den benachbarten livländischen Gemeinden erhoben und von Zeit zu Zeit erhöhet ward; ferner ein Pfundzoll, der etwa in Livland und der Nachbarschaft zu Wiedererstattung der gehabten Auslagen für die deutschen Faktoreien in Russland erhoben wurde, mussten den entstandenen größeren Bedürfnissen abhelfen. Jener Schoß scheint indessen auch hier allmählich in einem gewissen Verhältnis eine stehende Abgabe geworden zu sein.

Merkwürdig sind die Hauptbestimmungen der Einrichtung des Hofs zu St. Peter zu Nowogorod 1338.

„Hat die Gesellschaft sich zu Tische gesetzt und steht sie auf, um schlafen zu gehen, so soll Niemand sich wieder zu trinken niedersetzen, er sei Herr oder Knecht, bei einer Buße von 1 Mark Silber. Dem Priester des Hofs können die Winterfahrer 4 Mark Silber aus ihrem Königsschosse geben, dasselbe steht auch den Sommerfahrern frei; wer mehr geben will, zahlt aus seinem Beutel. Wem der Priester einen Brief in Handelsangelegenheiten schreibt, der zahle ihm 3 Mark Marderköpfe. Die besiegelten Scraen (Urkunden, Verträge) soll man nie aus St. Peters Kirche tragen; das Abschreiben derselben ist erlaubt.

Genau war bestimmt, wie viel Ware (Tuch, Leinen, Pelz) zur Einsicht der Käufer auf den Kleten (Kaufläden) sein durfte; die Niederlage blieb in der Kirche.

Auf der Wacht- oder Krankenstube soll man nicht länger stehen oder dieselbe belästigen, als 3 Tage.

Da der ganze Hof in mehrere Haushaltungen geteilt war, so ward zur Ordnung in demselben in jeder heizbaren Stube (wahrscheinlich waren in jedem Hause vier solcher gemeinsamen Haushaltungen) ein Vogt von den Inhabern derselben ernannt; dieser wählt sich dann einen Meister und einen Knappen zu Gehilfen, welche ferner Feuer-, Licht-, Trinkstuben- und Stubenaufseher wählten; der Vogt hielt Sonnabends Gericht; wer ihn oder die Angestellten verachtet, zahlt eine Mark; Tische, Bohlen, Stühle und Ständer soll man nicht mutwillig beschreiben, verletzen, durchstechen oder hineinbrennen. Zwei Knechte sollen einheizen und einen Kessel Wasser bei sich haben. Schliefen sie ein oder gingen sie davon, bevor das Feuer ausgebrannt ist, so unterliegen sie, wie die Bäcker in gleichem Falle, einer Strafe. Bricht Feuer aus, so dass man die Flamme sieht, so ist die Buße 10 Mark. Wer brauen oder backen will oder den Ofen heizt, der haue sein Holz bei Tage, auf dass er nicht andern beschwerlich falle durch Hauen und Sägen. Niemand soll über die Planken des Hofs steigen, noch darüber oder auf die Kirche werfen, noch sein Tier dort herumlaufen lassen; den Schaden, den es anrichten würde, muss dessen Eigentümer ersetzen. Bei einer Mark ist es untersagt, einen von St. Peters Hunden zu schlagen oder zu werfen, dass er zu bellen anfinge. Wird der Hof zugeklopft, so trenne sich jeder von den Russen; behielte einer einen bei sich oder ließe er ihn in die Trinkstube, wenn man die Hunde loslässt, so verfällt er in eine Geldstrafe, und litte jener Schaden durch die Hunde, so haftet er dem Russen dafür. Hohes Spiel, wobei man über einen halben Vierling verlieren kann, ist untersagt bei 10 Mark Silber. Wer aber in einem russischen Hof spielt, wo keine Deutsche sind, der büßt das Fünffache und verliert des Hofes Recht. Ersticht einer den Andern, so hat er das Leben verwirkt, und verwundet er ihn mit Vorsatz, so verliert er die Hand; wer sein Messer gegen einen andern zieht oder ihn blau oder blutig schlägt, büßt 10Mark; fünf aber, wenn er ihn an die Wange schlägt. Der Dieb kommt an den Galgen, er wird öffentlich in einer gemeinen Versammlung gerichtet. Wer des Diebstahls bezichtigt ist, darf den Hof nicht verlassen, ehe er sich gerechtfertigt. Niemand gehe allein mit seinem Bruder oder Knechte oder Handelsgenossen auf einen Kauf, damit, wenn Streit entstehe, es nicht an gültigen Zeugen fehle.

Zusatz von 1354. Entschlafen die, welche in der Kirche wachen sollen, und lassen sie ein Licht brennen, also dass man es sähe, die büßen 10 Mark; lassen sie Fenster offen, so zahlen sie für jedes 1 Mark, ebensoviel, wenn sie den Baum nicht vor die Türe legen. Wer vor der Kirche steht und Wache hält, der bewahre sie also, dass er nicht in Strafe falle; käme ein Russe auf den ersten Tritt, so ist eine Mark zu erlegen; käme er in die Kirche selbst, so ist die Strafe 10 Mark. Der, welcher die Kirche zuschließen soll und ein Schloss offen lässt, ebenso, wer die Schlüssel aus dem Hof trüge, büßt 10 Mark, und wer sie öffentlich trüge, also, dass ein Russe sie sähe, büßt eine Mark." —

Merkwürdig ist es, dass auf keiner hansischen Faktorei, die in Flandern ausgenommen, eine so große Zahl von Landstädten selbst eigne Handelsgeschäfte unmittelbar betrieb. Es werden namentlich die Kaufleute von Münster, Unna, Dortmund, Duisburg, Eimbeck, Duderstadt, Braunschweig und Magdeburg verschiedentlich erwähnt, welche zu Nowogorod oder in Russland des Handels wegen erschienen , und ohne Zweifel haben auch noch andre Binnenstädte ein Gleiches hier versucht. Dass die übrigen Seestädte des Bundes hier vorkommen, kann weniger befremden, doch werden keine aus den Niederlanden erwähnt, sei es, weil die Nachrichten unvollkommen sind, oder dass ihnen dieser Zweig zu entfernt oder gar verboten war.

Hansewappen

Hansewappen

Hanse Kogge

Hanse Kogge

Russland 000

Russland 000

Russland, Reiter

Russland, Reiter

Russland, Winter, Pferdeschlitten

Russland, Winter, Pferdeschlitten

Russland 091. Riga. Blick vom Hafen auf die Stadt

Russland 091. Riga. Blick vom Hafen auf die Stadt

Russland 090. Pleskau (Kurland)

Russland 090. Pleskau (Kurland)

Russland 032. Groß-Nowgorod, Die Korssunschen Türen an der Sofienkathedrale 12. Jahrhundert. Werk des Meisters Riquinus von Magdeburg

Russland 032. Groß-Nowgorod, Die Korssunschen Türen an der Sofienkathedrale 12. Jahrhundert. Werk des Meisters Riquinus von Magdeburg

Russland 028. Pskow (Pleskau), Blick vom Flusse Welikaja auf dem Kreml

Russland 028. Pskow (Pleskau), Blick vom Flusse Welikaja auf dem Kreml