Auf neuen Wegen zum Nordpol.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Arno Kettmann, Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Nordpol, Polargebiet, Entdeckungen, Expeditionen,
Irgendwo las ich einmal vor langen Jahren folgenden Witz: Ein Gerichtsvollzieher will bei einem Geographen den Globus pfänden und fragt, wohin denn das Siegel geklebt werden soll. Die Antwort des Gelehrten lautete: „Auf den Nordpol; dort kommt doch niemand hin!“

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Heute ist der Nordpol entdeckt, und das noch unerforschte Polargebiet ist auf einen so kleinen Umfang zusammengeschrumpft, dass es auf einem Globus mittlerer Größe von einer Siegelmarke bedeckt werden könnte. Erst unserer Zeit blieb es vorbehalten, die arktische Zone durch Entdeckungsreisen in ihren geographischen Eigentümlichkeiten, vor allem in der Verteilung von Land und Wasser zu erforschen. Man weiß heute, dass Grönland eine Insel ist und dass es nicht mit dem amerikanischen Festland zusammenhängt, wie man noch vor einem Menschenalter glaubte. Auch die westlicher gelegenen Gebiete sind als Inseln erkannt; damit war das langumstrittene Problem der nordwestlichen Durchfahrt durch das nördliche Eismeer gelöst. Und als in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die „Vega“ auf ihrer Fahrt von Norwegen an Sibirien vorbei nach Japan die nordöstliche Durchfahrt fand, herrschte eine Begeisterung, wie sie heute auch bei den größten Entdeckungen nicht mehr zutage tritt.

Jetzt wandte sich der Forscherdrang und Entdeckungstrieb dem Ziel der Erreichung möglichst hoher Breiten und des Nordpols zu: das Ringen um den Pol begann. Während die Amerikaner diese Entdeckungsfahrten in erster Linie als einen zwar gefahrvollen, aber interessanten Sport betrachteten, ließen die skandinavischen Forscher den wissenschaftlichen Zweck derartiger Expeditionen niemals außer Acht. Jenen war die Erreichung des Poles die Hauptsache, diesen erschienen die Beobachtungen und Messungen auf dem Wege zum Pol als das Wichtigste. Damit kamen sie den Wünschen der Geographen entgegen, die von den Polfahrten neue, streng wissenschaftliche Ergebnisse erhofften. Diese Hoffnungen erfüllten sich nicht, da die amerikanischen Polarforscher recht wenig Beobachtungsmaterial mitbrachten. Somit bestand und besteht noch bis heute die bloße Tatsache, dass im Jahre 1909 der Amerikaner Peary den Nordpol erreicht hat.

Noch ist die Polfahrt des Norwegers Roald Amundsen im letzten Jahre, die leider nicht zum Ziel führte, in aller Gedächtnis, und schon nimmt ein neuer Plan zur Erreichung des Nordpols greifbare Gestalt an. Eine deutsche Expedition will diesmal das Wagnis unternehmen. Die „Buthenuth-Arktis-Gesellschaft“ in Hannover hat sich die Erforschung und Ausbeutung der Bodenschätze des arktischen Gebietes zum Ziel gesetzt. Das wichtigste Hilfsmittel für diese Fahrt, deren Vorarbeiten schon etwa anderthalb Jahre in aller Stille betrieben wurden, sind besonders für diesen Zweck konstruierte Motorschlitten, die gegenwärtig im Bau sind. Diese Fahrzeuge können sich sowohl auf dem Wasser als auch auf dem Lande fortbewegen und ohne große Schwierigkeiten von einem Element in das andere übergehen. Für Fahrten auf dem Lande sind die Motorschlitten nach der Art der Tanks mit Raupengleitflächen versehen. Bei der Konstruktion dieser Fahrzeuge ging ihr Erfinder, der deutsche Ingenieur Helmut Buthenuth, von den Erfahrungen aus, die man mit Raupenschleppern in den Schneegebieten Nordschwedens und der Alpenländer gemacht hat. Selbst bei tiefer Schneelage bilden die Raupenschlepper ein sicheres und zuverlässiges Beförderungsmittel. Der Polartank von Buthenuth bietet Unterkunftsmöglichkeit für fünfzehn Personen. Betriebsstoffe, Heiz- und Nahrungsmittel können für einen Zeitraum von anderthalb Jahren mitgeführt werden. Außerdem ist noch genügend Raum für die Ausbeute der Expedition vorhanden, Raum für Instrumente und Apparate, um in der Arktis wissenschaftlichen Forschungen, die mit gewohnter deutscher Gründlichkeit ausgeführt werden sollen, obzuliegen.

In ganz ähnlicher Weise wird im nächsten Sommer auch eine französische Expedition eine Nordpolfahrt unternehmen. Sie wird ebenfalls Motorschlitten benützen, die den Buthenuthschen Polartanks gleichen und nur größere Ausmaße besitzen, so dass sie selbst bei unwegsamen Eisverhältnissen eine Stundengeschwindigkeit von hundert bis hundertvierzig Kilometer entwickeln können. Jeder Schlitten - im Ganzen wird die Expedition über sechs solche Fahrzeuge verfügen - hat ein Gewicht von zehn Tonnen und ist so eingerichtet, dass auf ihm ein abmontiertes Flugzeug untergebracht werden kann. Mehrere der großen französischen wissenschaftlichen Vereinigungen werden das Unternehmen finanzieren, dessen Kosten auf rund drei Billionen Franken veranschlagt werden. Zum Führer bestimmte man den Kapitän Otto Sverdrup, einen norwegischen Forscher, der durch seine unerschrockenen Fahrten im Lande des Ewigen Eises für diesen Posten besonders berufen erscheint; er wird auch als Erfinder der französischen Motorschlitten genannt. Die Expedition besteht aus sechzehn Mann, von denen zehn besonders in der Führung dieser neuen Fahrzeuge ausgebildet werden, während die übrigen erprobte Flieger sind.

Ende April brechen die Teilnehmer in Frankreich auf, um zu Schiff nach Kings Bay auf Spitzbergen zu fahren. Hier wird man auf Grund von Radiomeldungen günstiges Wetter abwarten. Schlitten und Flugzeuge sind mit Radiogeräten gut ausgerüstet. Wie sehr ein Radioapparat bei einer Expedition, die in unbekannte Gegenden führt, zur Sicherheit eines derartigen Unternehmens beitragen kann, ist begreiflich. Man könnte annehmen, dass es genüge, mit einer norwegischen oder sonstigen nordeuropäischen Station drahtlose Verbindung zu unterhalten. Die Wettervoraussage ist jedoch nicht zuverlässig genug, wenn nur eine Nachrichtenquelle zur Verfügung steht, da für die Wetterverhältnisse im Eismeer meteorologische Erscheinungen in weitentfernten Gegenden wichtig sein können. Deshalb werden die Wettermeldungen aus allen Teilen der Welt abgefangen, um der Expedition die Möglichkeit zu geben, sicher zu beurteilen, ob ruhiges oder stürmisches Wetter, ob außergewöhnlich niedrige oder verhältnismäßig hohe Temperatur zu erwarten ist. Wenn beispielsweise ein Tiefdruckgebiet vom Atlantischen Ozean aus sich nordwärts zieht und zwischen der Bäreninsel und dem nördlichsten Norwegen abgebogen wird, dann besteht Aussicht, dass die Expedition gutes Wetter haben wird, jedenfalls kein schlechteres, als zurzeit in Spitzbergen herrscht.

Dann werden die Schlitten starten und auf Grund angestellter Berechnungen in zehn bis fünfzehn Tagen den Pol erreichen, falls keine unvorhergesehenen Zwischenfälle eintreten. Auf oder in der Nähe des Poles wird dann ein Standlager errichtet. Vier der mitgeführten Flugzeuge treten von hier ihren Flug nach Kap Barrow in Nordamerika an. Die zurückbleibenden zwei Wasserflugzeuge und die Motorschlitten werden Forschungsfahrten in den zwischen Alaska und dem Nordpol liegenden, noch unbekannten Gebieten unternehmen. Wenn es nötig sein sollte, wird die Expedition auch den Winter am Nordpol zubringen, sie ist dementsprechend ausgerüstet. Sind die Forschungen zur Zufriedenheit beendet, so fahren die Schlitten über die Eisfelder ebenfalls nach Kap Barrow, wo sie mehrere Monate nach den vorausgeschickten Flugzeugen eintreffen. Diese haben inzwischen ihren Flug nach New York fortgesetzt, werden hier abmontiert, auf Ozeandampfer verladen und nach Frankreich befördert. Einer der Schlitten ist leichter als die anderen und so gebaut, dass man mit ihm hohe Fahrgeschwindigkeiten erzielen kann. Er dient für Unglücksfälle und dergleichen als Reserveschlitten.

Diese Pläne mögen auf den ersten Blick absonderlich erscheinen; ab er viele der wichtigsten Vorarbeiten sind bereits restlos durchgeführt. Das Gelingen hängt natürlich in erster Linie von der Brauchbarkeit der neuen Motorschlitten ab, die vor der Abfahrt eingehend ausgeprobt werden, deren Konstruktion aber angeblich jeden Misserfolg, soweit er von den Maschinen abhängt, ausschließen soll.

Ähnliche Absichten, bei denen jedoch die wissenschaftlichen Forschungen im Vordergrund stehen, verfolgt die deutsche arktische Flugzeugexpedition, die von dem bekannten Frankfurter Polarforscher Theodor Lerner vorbereitet wird. Diese Expedition will wertvolle arktische Forscherarbeit ausführen, die auch dem Polproblem, das heißt der Erforschung des Gebietes um und jenseits des Poles, mit Ernst nachgehen wird. Als Hilfsmittel dienen zwei Dornier- „Wal“-Metallflugboote, die neben einer Radio-, photographischen und kinematographischen Ausrüstung auch ein mit besonderer Sorgfalt ausgewähltes Instrumentarium für wissenschaftliche Messungen erhalten werden. Diese Dornierflugzeuge, deren Brauchbarkeit durch den Polflug Amundsens und den Flug des spanischen Majors Franco über den Atlantischen Ozean glänzend bewiesen wurde, eignen sich durch ihr wetter- und wasserfestes Baumetall ganz besonders für diesen Zweck. In diesem Zusammenhang mag es interessieren, dass sich der durch den Polflug Amundsens bekannt gewordene schwäbische Werkmeister Feucht an Lerners Expedition beteiligen wird.

Gute Aussichten auf Gelingen bietet auch der geplante Polflug Dr. Eckeners, der damit die vom Grafen Zeppelin schon 1910 erwogene Luftschiffexpedition zur Ausführung bringen will. Nach den bisherigen Leistungen deutscher Luftschiffe starren Systems - man denke nur an den Ozeanflug von L. Z. 126 - kann an die Möglichkeit der Durchführung von Eckeners Plänen nicht gezweifelt werden.

Wir Deutsche sind an dem Ausgang dieser jüngsten Nordpolexpeditionen lebhaft interessiert. Denn für uns werden die wissenschaftlichen Ergebnisse besonders wertvoll sein, weil seit mehr als zwei Jahren unter Hauptmann Bruns eine „Internationale Studiengesellschaft zur Erforschung der Arktis mit dem Luftschiff“ mit deutscher Gründlichkeit arbeitet. Man will mit einem Luftschiff von hundertfünfzigtausend Kubikmeter Rauminhalt einen Nordpolflug unternehmen, wobei natürlich die Arbeiten aller dieser Expeditionen sehr wertvolle Dienste leisten können. Auf Grund seines Nordpolfluges, an dem sich voraussichtlich auch der Polarforscher Nansen beteiligen wird, will dann Hauptmann Bruns darangehen, einen neuen Verkehrsweg mit Luftschiffen von Europa nach Japan zu erschließen, der naturgemäß eine bedeutende Zeitersparnis an Stelle des bisherigen Landweges bedeuten würde. So ist die Polarzone wirtschaftlich doch nicht so bedeutungslos, wie vielfach fälschlich angenommen wird, ganz abgesehen davon, dass auf einer der Inseln in Polnähe abbaufähige Kohlenlager entdeckt sind.

Und wenn das Ergebnis aller dieser neuen Nordpolfahrten nur darin bestehen würde, nachzuweisen, ob und inwieweit die klimatischen Verhältnisse in der Polgegend so beschaffen sind, dass sie die Verwendung der Transportmittel modernster Art - wenn auch unter veränderten Bedingungen - ähnlich wie in den wärmeren Zonen gestatten, dann haben die Expeditionen der Menschheit sicher schon einen großen Dienst geleistet.

Der Kampf um den Nordpol: Tankartige Motorfahrzeuge mit Raupengleitflächen, die sowohl zu Wasser als auch auf dem Polareis sich fortbewegen können. In den Fahrzeugen befinden sich neben der gesamten Expeditionsausrüstung auch zusammensetzbare Flugzeuge.

Der Kampf um den Nordpol: Das Hauptquartier der Polarmotorfahrzeuge, die durch den Rundfunk mit der Kulturwelt in Verbindung stehen. Von hier treten die mitgeführten Flugzeuge den Flug zum Nordpol an

Der Kampf um den Nordpol, Das Hauptquartier der Polarmotorfahrzenge, die durch den Rundfunk mit der Kulturwelt in Verbindung stehen. Von hier treten die mitgeführten Flugzeuge den Flug zum Nordpol an

Der Kampf um den Nordpol, Das Hauptquartier der Polarmotorfahrzenge, die durch den Rundfunk mit der Kulturwelt in Verbindung stehen. Von hier treten die mitgeführten Flugzeuge den Flug zum Nordpol an

Der Kampf um den Nordpol, Tankartige Motorfahrzeuge mit Raupengleitflächen, die sowohl zu Wasser als auch auf dem Polareis sich fortbewegen können.

Der Kampf um den Nordpol, Tankartige Motorfahrzeuge mit Raupengleitflächen, die sowohl zu Wasser als auch auf dem Polareis sich fortbewegen können.