Auf dem Stillen Ozean

Nach der langen Eisenbahnfahrt durch das europäische Russland und die unabsehbaren Gebiete von Asien lag in dem Gedanken, sich bei einer mehrtägigen Dampferfahrt dem Stillen Ozean anzuvertrauen, etwas unwiderstehlich Verlockendes.

Die glitzernde Meeresfläche, bei deren Anblick wir im Hafen von Tschifu viele Stunden verträumten, die schäumenden und brausenden Wellen, die an das Ufer schlugen, und die Betrachtung der vielen Schiffe, die am Horizont auftauchten und wieder verschwanden, schienen das Wort Pindars zu bekräftigen, dass das Wasser das Beste sei.


Das Sonnen und Luftbad bei den Spaziergängen am Strande und auf den Höhen sowie die erfrischende Kühlung bei den Ausflügen im Ruderboot machten es nur um so begieriger, in dieser fremdartigen Umgebung die Poesie des Meeres in vollen Zügen zu genießen.

Wie viele glückliche und unvergessliche Stunden hatte ich auf unsern prächtigen, deutschen Schiffen bei den Fahrten durch die Nordsee und den Atlantischen Ozean bis zum Mittelländischen und Schwarzen Meer verlebt und dabei, fern von der Qual und dem Dunst der Städte, beim sanften Spiel der Wellen wie bei Sturm und Unwetter die majestätische Größe der Natur empfunden!

Außerdem sollte die Dampferfahrt zu ganz neuen Punkten des ostasiatischen Lebens führen. Wer Dalny und Port Arthur kennen gelernt hatte, konnte als guter Deutscher der Versuchung nicht widerstehen, unserer Niederlassung Tsingtau wenigstens auf einige Stunden einen Besuch abzustatten und die ruhige Art, wie sich die moderne Kultur in Kiautschou neue Wege bahnt, mit dem fieberhaften Hasten und Vorwärtsdrängen der russischen Ansiedlungen zu vergleichen.

Das Schiff, das von Tientsin kam und nach Schanghai fuhr, stellte eine unmittelbare Verbindung zwischen Peking, dem Inbegriff des alten zerbröckelnden und dem Mittelpunkt des neuen China, dar, wie es sich an der Mündung des Yangtsekiang herausgebildet hatte.

In Tschifu war allerdings gerade die telegraphische Meldung eingetroffen, dass einer jener Orkane, die unter dem Namen Taifun so übel berüchtigt sind und im Chinesischen Meer nach allen Richtungen toben, im Anzüge sei. Die Warnungssignale waren ausgehängt, und in den Bureaus der Schifffahrtsgesellschaften fragte man ungeduldig nach weiteren Nachrichten, um danach den Zeitpunkt für die Weiterreise zu bestimmen. Man erhielt aber nur die Auskunft, dass der Taifun von Süden nach Norden heraufstürme und dass es unbestimmt bliebe, ob er sich mehr der chinesischen oder der japanischen Küste zuwende.

Auch über die Dauer der Herrschaft, die dieser Schrecken aller Seefahrer auf dem Ozean ausüben würde, ließen sich keine zuverlässigen Angaben machen. Die Zeit, in welcher er seine Kraft ausgibt und schließlich wieder ermattet, liegt ebenso außerhalb jeder Berechnung wie die Richtung, die er einschlägt.
Für die Fahrt nach Schanghai empfahl sich der Dampfer der Hamburg-Amerika-Linie, der ebenso wie unsere deutsche Kolonie Tsingtau hieß, durch seine vielen glücklichen Reisen in den ostasiatischen Gewässern und die Beliebtheit des Kapitäns Hansen, eines echten Holsteiners, von dessen Aufmerksamkeit und Gefälligkeit den Passagieren gegenüber viel Gutes erzählt wurde. Man durfte ihm volles Vertrauen schenken, dass er beim Herannahen eines gefährlichen Sturmes mit seinem Dampfer entweder überhaupt nicht auslaufen, oder doch seine Reise im Hafen von Kiautschou unterbrechen und die Beseitigung der Gefahr abwarten würde.

Was die Einrichtungen des Schiffes, das mit zwei Schrauben fuhr, und die Zuverlässigkeit seines Führers betrifft, der von der Bedeutung seiner Aufgabe völlig durchdrungen war, so schien alles in bester Ordnung zu sein. An einem Freitagnachmittag ging das Schiff von Tschifu ab. Am Sonnabendnachmittag sollten wir in Tsingtau, wo ein Berliner Bekannter und bekannter Berliner, der liebenswürdige Polizeidirektor Wentzel, von meinem Eintreffen telegraphisch benachrichtigt war, die deutsche Flagge erblicken. Achtundvierzig Stunden darauf verhieß der Fahrplan den Anblick von Schanghai, dem südlichsten und östlichsten Punkt meiner ostasiatischen Reise.

Das Schicksal schien aber für die vielen genussreichen und erhebenden Tage, die ich auf dem Meer zugebracht hatte, endlich einmal eine Abrechnung zusammenzustellen und die alte Wahrheit zu bestätigen, dass man alles Schöne und Gute im Leben bezahlen muss.

Auch in anderer Beziehung verlief die Fahrt, die so ruhig begann und so aufregend verlaufen sollte, nach einem für fast alle Menschen gültigen Gesetz. Unsere Sorgen und Befürchtungen kämpfen im Leben nur zu oft mit bloßen Schatten, während wir den Feind dort, wo er sich versteckt hält und uns überfallen will, meist gar nicht vermuten. Alle Welt sprach nur von dem Taifun und der Gefahr, von dem heraufziehenden Sturm erfasst zu werden, von Schiffen, die ihm zum Opfer gefallen waren, und den unberechenbaren Launen, mit denen er bald nach dieser, bald nach jener Richtung über den Ozean rase. In Wahrheit hatten wir aber nur eine zwar wenig angenehme, aber ganz ungefährliche Nachwirkung des Taifuns auszuhalten. In ernste Besorgnis gerieten wir dagegen durch ein ganz anderes Vorkommnis, an das niemand auf dem Schiff überhaupt nur im Geringsten gedacht hatte. Es sollte unsere Fahrt um mehr als einen ganzen Tag verzögern und uns viele bange Stunden verursachen, bei denen wir fühlten, wie unser Herz lebhaft und ängstlich zu klopfen anfing, und unsere Phantasie beim Ausmalen der Gefahr, in die wir gerieten, mit unruhig durcheinanderwogenden Bildern ein unaufhörliches Spiel trieb.

Auf unserem Schiff befanden sich, abgesehen von den Insassen des Zwischendecks, nur wenige Passagiere erster Klasse. Bereits in Tientsin war der Intendanturrat Reinsdorff von der dortigen ostasiatischen Besatzungsbrigade an Bord gegangen, um seinen Urlaub in Tsingtau zu verbringen.

Die Augusthitze, die in Tientsin und Peking herrschte, war kaum jemals so drückend und unerträglich wie in diesem Jahre empfunden worden. Trotz Tropenhelm und Khakiuniform hatte sich bei unseren Beamten und Soldaten eine solche Ermattung eingestellt, dass jeder, der es irgendwie vermochte, ausspannte, um für seine Erholung etwas zu tun.

Das gesunde Klima, der hübsche Strand und die guten Badeeinrichtungen in unserer deutschen Niederlassung lenken immer mehr die Aufmerksamkeit auf sich und haben viele von den Sommergästen, die sich sonst ausschließlich nach Tschifu begaben, dorthin gezogen, so dass man bereits von einer nicht zu unterschätzenden Konkurrenz sprechen darf, die durch Tsingtau als Badeort dem lieblichen chinesischen Ort am Gelben Meer gemacht wird.

Welche wohltätigen Wirkungen eine solche Seefahrt auf Personen hervorruft, deren Nerven durch Überarbeitung und Hitze erschlafft sind, konnte man auch bei unserem trefflichen Beamten aus Tientsin beobachten. Seelisch bis zur Melancholie herabgestimmt und auch in feinem körperlichen Befinden arg heruntergekommen, begann er sich sofort zu erholen, als er die ersten Züge Seeluft einatmete und eine leichte Brise ihm erfrischend ins Gesicht blies. Herr Reinsdorff entwickelte sich dann zu einem höchst anregenden Gesellschafter, der über die Verhältnisse in Ostasien genau unterrichtet war, weil ihm auch außerhalb seiner dienstlichen Tätigkeit schätzenswerte Beziehungen zu einflussreichen Persönlichkeiten zu Gebote standen.

Die Unterhaltung kam umso schneller in Fluss, als das Schiff so gleichmäßig und ruhig lief, wie wir es uns nur wünschen konnten. Wir erblickten die englische Besitzung Weihaiwei mit den Schiffen im Hafen, von wo die elektrischen Lichter der Straßen und Häuser zu unserem Schiff hinübergrüßten. Kaum hatten wir jedoch das Kap Schantung umfahren und in südlicher Richtung den Weg in den Stillen Ozean genommen, so merkten wir an den schweren, lang auslaufenden Wellen, dass hier kurze Zeit vor uns ein Sturm getobt hatte. Seine Kraft war allerdings gebrochen, aber die Bewegung im Meere machte sich an der Dünung bemerkbar, die immer wieder heranrollte, mit den Wellen das Schiff erst nur hob und wieder sinken ließ, es dann aber in eine rollende Bewegung versetzte, die immer mehr zunahm.

Der Himmel bewölkte sich und legte sich wie eine riesige, trüb schimmernde Glocke auf das Meer. Während wir uns auf dem Promenadendeck in die Klappstühle setzten und uns zum Schutz gegen die Nachtkühle in unsere Decken hüllten, hatten wir das Gefühl, uns auf einer weit ausschwingenden Schaukel zu befinden. Wollte der eine oder der andere seinen Platz wechseln, so musste er den Augenblick abwarten, in dem der Dampfer gerade wieder aufrecht stand, und, soweit es möglich war, mit den Händen einen Stützpunkt suchen, um nicht auszugleiten. Ich erhielt auf dem Schiff von einer Welle, die eine besonders aufrührerische Kraft besaß — die Seeleute meinen, es sei immer die siebente — von der Seite einen so heftigen Stoß, dass ich mit meinem Stuhl platt auf die Erde fiel. Bevor ich mich wieder aufrichten konnte, wurde ich durch das Schiff, das mittlerweile nach der anderen Seite schwankte, dorthin so heftig hinübergeworfen, dass mein armes Selbst sich in den Plaid zu einer lächerlich zappelnden Masse verwickelte. Da das Schiff nur wenig Ladung hatte, schlugen die weit ausholenden Wellen gegen den hohlen Schiffsraum jedes Mal mit einem kurzen, heftigen Knall, der uns in alle Glieder fuhr und an den wir uns erst allmählich gewöhnten, nachdem wir uns überzeugt hatten, dass keine Gefahr damit verbunden war.

Wie stark die Dünung war konnte man erst später erkennen, als das Ufer in Sicht kam und die Wellen dort, obwohl das Meer fast glatt erschien, ihren schäumenden Gischt hoch aufspritzen ließen. Wir betrachteten am Ufer die Klippen, wo der „Iltis“ im Jahre 1896 einem Taifun erlegen war, und gleich darunter die Stelle, wo unsere tapferen Seeleute in die Erde gebettet worden sind.

Das Unangenehme dieser Fahrt lag vor allem darin, dass wir am nächsten Tage statt um vier Uhr nachmittags erst um zehn Uhr abends den deutschen Boden von Tsingtau vor uns liegen sahen. Auch war es nicht unwahrscheinlich, dass wir, um die Verspätung einzuholen, dort nur einen ganz kurzen Aufenthalt nehmen würden, so dass von einer näheren Besichtigung der Stadt keine Rede sein konnte. Schon der Gedanke an eine solche Möglichkeit hatte etwas Verstimmendes, denn gerade über unser Besitztum in Kiautschou hören unsere Landsleute zu Hause gern etwas Zuverlässiges, nachdem die Meinungen über die Zukunft unserer Ansiedlung in letzter Zeit so sehr voneinander abgewichen sind.

Die Bucht, die sich vor unseren Blicken öffnete, überraschte durch ihre Größe und wurde in der klaren Nachtluft von dem leuchtenden Sternenhimmel so hell beschienen, dass, je mehr der Dampfer vorwärts rückte, die einzelnen Teile des Hafens und der Stadt genau zu erkennen waren. Während die Ankerkette ins Wasser rollte, wurden alle Operngläser auf die sauberen, bequemen Straßen gerichtet. In der Mitte der Stadt erblickte man in einer Fülle elektrischen Lichtes das Hotel „Prinz Heinrich“, wo heute, am Sonnabend, ein großes Konzert stattfand, und alles, was sehen und gesehen werden wollte, zur Stelle sein musste. Der Dampfer „Gouverneur Jäschke“, der kurz vor uns eingetroffen war, ankerte in der anderen Bucht, die jenseits der Landzunge lag und unseren Blicken verborgen blieb.

Dort werden gegenwärtig große Anlagen von Molen errichtet. Überall ist man bemüht, das Erworbene nicht nur zu befestigen und zu erweitern, sondern auch für das Wohlergehen der ganzen Kolonie durch Einführung von allen nur erreichbaren Annehmlichkeiten für die öffentliche Wohlfahrt wie für die Ausübung der einzelnen Berufsarten und das häusliche Leben zu sorgen. In Schanghai lernte ich später den Rektor der deutschen Schule von Tsingtau und bei der Rückfahrt nach Dalny auf einem russischen Schiff den Postmeister unserer deutschen Kolonie am Stillen Ozean kennen. Sie drückten über das dortige Leben in jeder Beziehung ihre volle Befriedigung aus, und dass es ihnen mit diesen Worten ernst war, bewiesen das vortreffliche Aussehen und der gute Humor, in dem ich sie antraf.

Die plumpen, chinesischen Boote umringten uns, und ein Beamter brachte mir eine freundliche Einladung des Polizeidirektors Wentzel, der mich auf der Treppe am Strande erwartete und zur Besichtigung der Stadt auch einen Wagen bereithielt. Mit einem schnellen Griff nach Hut und Rock eilte ich zum Fallreep, als mir der Kapitän die betrübende Mitteilung machte, dass wir nur so lange Aufenthalt nehmen würden, als die Ablieferung und Empfangnahme der Post dauerten, und dann sofort wieder weiterdampfen müssten. Zwanzig Minuten dauerte die Bootsfahrt bis ans Ufer. Mir wäre also gerade so viel Zeit geblieben, um dem liebenswürdigen Mann, der sich mir als Führer durch die ferne und uns doch so nahestehende Gegend anbot, dankbar die Hand zu drücken. Nun hätte ich allerdings, um Tsingtau kennen zu lernen, den Dampfer einfach im Stich lassen und die nächste Fahrgelegenheit benutzen können. Eine solche wurde mir aber erst nach sechs Tagen geboten, und die Zeit, die für den Sommerurlaub noch zur Verfügung stand, musste sorgfältig ausgenutzt werden. So blieb nichts Anderes übrig, als für diesen Verlust, der nur zu schmerzlich empfunden wurde, Trost in den Sternen zu suchen und mir eine Entschädigung im Gespräch mit unserm Reisegenossen, dem Intendanturrat zu verchaffen, der beim Abschiedstrunk aus dem reichen Schatz seiner Beobachtungen und Erinnerungen mit vollen Händen spendete.

Innerhalb sechs Jahre ist in Tsingtau aus einem hässlichen Fischerdorf eine einladende und modern eingerichtete Stadt emporgeblüht, die sich von Jahr zu Jahr gedeihlicher entwickelt. Bald wird die Eisenbahn, die von Tsingtau ins Innere des Landes führt, vollendet sein, die dort befindlichen Kohlenbergwerke erreichen und einen Weg zu den Usern des Tseho schaffen, der sich in der Regenzeit mit unaufhaltsamer Gewalt in den Meerbusen von Petfchili ergießt.

Die Eröffnung der Bahn soll im Sommer nächsten Jahres erfolgen und damit auch die Ausnutzung der Kohlenreviere beginnen, die einen reichen Ertrag in Aussicht stellen. Bis dahin dürften auch die Hafenbauten zum Abschluss gelangt sein, an deren Fertigstellung man gegenwärtig mit allen Kräften arbeitet. Mit diesen Verbesserungen tritt unsere deutsche Niederlassung im Hafen von Kiautschou in einen neuen, bedeutungsvollen Abschnitt ihrer Entwickelung, der hoffentlich überall die Überzeugung befestigen wird, dass die Wahl dieses Punktes für die deutsche Kolonisation keine verfehlte war, sondern allen Schwierigkeiten zum Trotz eine glückliche Zukunft verheißt.

Am nächsten Morgen, einem Sonntag, erwache ich bereits um sechs Uhr in meiner Kajüte und werde von einer unerklärlichen Unruhe getrieben, aus dem Bett zu springen, weil die regelmäßige Bewegung des Dampfers, die Umdrehungen der Maschine und das Geräusch der aufspritzenden Wellen plötzlich aufgehört haben.
Ich blicke durch das Fenster und bemerke, dass unser Schiff auf offenem Meer stillliegt. Ich vermute nichts Arges, kleide mich vollständig an und trinke im Speisesalon ruhig meinen Tee, um dann auf dem Deck meinen Morgenspaziergang zu machen. Ich nehme an, dass der Kapitän loten lasse, um sich davon zu überzeugen, dass er von der richtigen Fahrstraße nicht abgewichen sei.

Aber ein Mitreisender macht mir die Mitteilung, dass an unserem Schiff das Steuer beschädigt sei. Alsbald gesellt sich auch der Kapitän zu uns und erklärt mit sauersüßem Lächeln, dem man den Ernst der Situation anmerkt, dass die große, sich durch das ganze Schiff hindurchziehende Welle, welche die Schraube in Bewegung setzt, gebrochen sei.

Es handelte sich dabei um einen jener unglücklichen Zufälle, die sich trotz der peinlichsten Gewissenhaftigkeit bei der Herstellung des Materials und aller Teile des Mechanismus leider nicht vermeiden lassen. Die Welle war erst seit kurzem im Gebrauch. Niemand konnte einen Fehler im Guss vermuten. Wahrscheinlich hatte sie bereits in Tientsin, wo sich die Schraube durch den dicken Schlamm des Peiho nur mit großer Mühe durcharbeitete, einen Riss erhalten, den selbst unser tüchtiger Oberingenieur nicht entdecken konnte. Nun befand sich allerdings ein Ersatzteil an Bord, aber es war, trotzdem das Meer ruhig blieb, unmöglich oder zum äußersten mindestens gefährlich, ihn auf offener See dem Dampfer einzufügen. Nach Tsingtau zurückzukehren, wo wir erst vor sieben Stunden abgefahren waren, erschien ebenfalls nicht als zweckmäßig, da es dort an den erforderlichen technischen Hilfsmitteln fehlte, den Schaden zu ersetzen.

Wir müssen froh sein, dass unser Schiff noch eine zweite, wenn auch viel schwächere Schraube besitzt und mit ihr nach Verlauf von vier Stunden, nachdem die gebrochene Welle festgebunden war, seine Fahrt langsam fortsetzen, kann. Mehr als sechs oder sieben Knoten in der Stunde sind aber in keinem Fall von unserem Schiff zu erwarten, ungefähr die Hälfte der Fahrgeschwindigkeit, die wir sonst erreicht hätten. Alles hängt davon ab, dass wir gutes Wetter behalten und der Taifun, der irgendwo auf dem Ozean umherrast, uns nicht überrascht. Der Stand des Barometers ist allerdings günstig, aber unheimlich bleibt doch der Anblick des unendlich ausgedehnten, lauernden Meeres und des Himmels, der sich mit Wolken zu bedecken anfängt.

Weit und breit ist kein Schiff zu sehen, denn die Dampfer nach Schanghai oder Nagasaki nehmen einen Kurs, der von dem unsrigen weitab liegt. Der Wind, der sich erhebt, erweist sich unserer Fahrt zunächst förderlich, denn wir können die Segel aufsetzen und ihn hineinblasen lassen. Bald dreht er sich aber, und wir müssen von der Benutzung dieses Hilfsmittels absehen.

Bei der Mittagstafel wendet sich die Unterhaltung den Erlebnissen bei Schiffsunfällen sowie den Verhaltungsmaßregeln zu, wenn die Situation sich ernster gestalten sollte. Der Bruch der Welle hätte leicht an einer noch gefährlicheren Stelle erfolgen können. Dann wären wir genötigt gewesen, mit den Pumpen zu arbeiten. Aber wie lange? Wir betrachten die Rettungsboote und erfahren, dass sie mit Lebensmitteln versehen seien und schnell herabgelassen werden können. Es beginnt ein trübes Sinnen und Phantasieren, das der Kapitän auf jede Weise mit gutem Humor zu verscheuchen sucht, indem er bald eine hübsche Anekdote zum Besten gibt, bald durch eine von ihm erfundene Mischung im Bar-Room auf unser leibliches Wohlbefinden einwirkt.

Die zweite Schraube arbeitet, was sie kann, um uns vorwärts zu bringen, aber das Schiff geht für unsere Ungeduld viel zu langsam. Und wie entsetzlich träge der Zeiger auf der Uhr kriecht! Fünf Minuten werden zu einer Stunde. Eine Stunde erscheint wie eine Ewigkeit. So zieht der Abend herauf. Wenn nur das Wetter nicht Umschlägen wollte! Zwischen den Wolken zuckt und blitzt es von Wetterleuchten, und wieder scheint eine Dünung heraufzukommen. So wird die halbe Nacht aus dem Promenadendeck verträumt, und die trüben Gedanken begleiten uns noch im Schlaf.

Am nächsten Morgen, Montags, dieselbe Situation. Noch immer ist kein Schiff zu sehen, kein Stück vom festen Land zu entdecken. Inmitten der Kulis, die auf dem Zwischendeck herumliegen, erblicke ich einen viereckigen, von schmutzigem Segeltuch eingehüllten länglichen Gegenstand. Es ist ein Sarg mit der in Kalk verpackten Leiche eines Chinesen, der in seiner Heimat beigesetzt werden soll.
Alles verhält sich still, jeder Laut klingt gedämpft. Nur ab und zu schreit ein Papagei auf seiner Stange, und ein paar Kanarienvögel zwitschern im Bauer ihr Morgenlied. Plötzlich kracht es am Achterdeck des Schiffes zwei, drei und viermal. Ich fahre zusammen und denke, dass die Welle sich losgerissen habe und an die Wandung des Schiffes schlage. Aber der Kapitän lacht mich aus. Dort unten vertreiben sich ein paar Passagiere die Zeit, indem sie leere Flaschen in die Luft werfen und danach aus Flinten schießen.

Endlich taucht ganz fern am Horizont ein Schiff auf. Es gibt also auch noch außer uns in dieser Meereseinsamkeit atmende Menschen.

Jetzt sollten wir eigentlich schon in Schanghai eingetroffen sein und sind doch noch weit vom Ziel entfernt. Der musikalische Wimmerkasten im Speisesaal lockt uns nicht, und die Studentenlieder, die sich unter den Noten befinden, dünken uns der wahre Hohn zu sein. Der Inhalt der mitgenommenen Bücher ist zu ernst für die unruhig hin und her flatternden Gedanken.

Da mache ich einen Fund, so glücklich wie ich es niemals erwarten konnte.

Unter alten Zeitungen und Zeitschriften finde ich eine fast vollständige Ausgabe von Wilhelm Busch, von seinen köstlichen Zeichnungen und Versen, die sich so oft als Freudenbringer und Sorgenbrecher bewährt hatten, nun aber doppelt und dreifach willkommen sind. Seid gegrüßt, ihr bösen Buben Max und Moritz, du Unglücksrabe Hans Huckebein, Pater Filucius, heiliger Antonius von Padua und ihr andern Lieblinge des humoristischen Deutschland, die ihr euch auf die Fluten des Stillen Ozeans hinausgewagt hattet, um eurem bedrängten Landsmann Trost und Hoffnung wiederzugeben. Die lustige Gesellschaft, die Meister Busch in die Welt gesetzt hat, führte einen entzückenden Reihentanz um mich auf, und die drolligen Verse gaben dazu so munter den Takt an, dass es wieder eine Lust war, zu leben.

Nun begann auch das Essen zu schmecken, trotzdem sich im Meere eine unruhige Bewegung bemerkbar machte und unsere Steuerkraft nur eine geringe war. Wir hatten aber beim Anblick der reizenden Münchner Bilderbogen das Gefühl, als ob Plötzlich eine ausgelassene Gesellschaft von Männern und Frauen aller Stände auf unser Schiff gestürmt und uns unter Lachen und Plaudern in ihre Mitte genommen hätte. Es woge die Galeere! Fort mit aller kleinlichen Verzagtheit und festes Vertrauen zu der Tüchtigkeit unseres Führers, seiner Offiziere und Maschinisten, zu der mustergültigen Schulung alles dessen, was aus unseren großen deutschen Reedereien hervorgegangen ist! Wir plaudern bei einem kräftigen Nachttrunk auf dem Promenadendeck bis weit über Mitternacht, und als die Sterne zu verbleichen anfingen, funkelt uns bereits das Licht des Leuchtturmes entgegen, der uns die Küste meldet.

Das schmutzig gelbe Wasser, das uns statt der klaren Meeresflut umgibt, lässt erkennen, dass wir in der Mündung des Yangtsekiang angelangt sind, der aus dem Innern Asiens ungeheure Massen lehmiger Erde zum Meere wälzt. Bald werden wir wieder festes Land unter den Füßen fühlen.

Wir sind gespannt, wie das stolze Bild von Schanghai mit seinen Hafen- und Dockanlagen, seinen breiten Uferpromenaden, seiner buntfarbigen Pracht vom nackten, zerschlissenen Chinesentum bis zu der Eleganz europäischer Großstädte sich vor unseren Augen entrollen werde. Von der Küste ist indessen bis zum nächsten Vormittag nichts zu sehen, da die Mündung des Flusses an dieser Stelle etwa zwanzig Seemeilen breit ist. Wir müssen mit unserer zweiten, schwachen Schraube noch stundenlang gegen die heftige Strömung ankämpfen, bis am Horizont die ersten Streifen Land auftauchen. Uns zur Rechten liegt eine kleine Insel mit einem Leuchtturm.

Während wir uns den Fischerdörfern am Horizont immer mehr nähern, erblicken wir auch die ersten Masten und Schornsteine von Dampfern, die sich alsbald vor unseren Augen immer malerischer gruppieren und deutlicher voneinander abheben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Auf der sibirischen Bahn nach China