Achtzehntes Kapitel. - Am Morgen ließ der König seiner Gemahlin melden, daß er sie sprechen müsse....

Am Morgen ließ der König seiner Gemahlin melden, daß er sie sprechen müsse.

Er eilte zu ihr.


Sie waren beide allein im Gemach.

Der König wollte seine Gemahlin umarmen.

Sie bat ihn, sich auf einen Stuhl zu setzen.

»Wie du willst,« sagte er in sanftem Tone; er war entschlossen, in Aufrichtigkeit und Liebe wieder ihre ganze Seele zu gewinnen.

»Willst du zuerst sprechen, oder soll ich?« fragte er nach einer Weile.

Sie erschrak vor seiner hellen Stimme. Sie sah sein frisches Aussehen und wurde noch blasser. Sie legte die Hand aufs Herz. Sie konnte noch nicht sprechen.

»Gut, so laß mich reden. Mathilde! Wir haben uns gewonnen in aufrichtiger Liebe. Ich bekenne offen, ich habe schwer gefehlt, an dir und an andern. Nun bitte ich dich: glaube an meine herzliche Umkehr und sei nicht klein.«

»Nicht klein? Ja wohl, ich weiß es! Ihr großen Seelen, euch ist die Sittlichkeit nur Engherzigkeit; ihr seid weite große Herzen, weltumfassende, und ich bin ein borniertes Wesen, ach, gar so borniert!«

»Mathilde, sprich nicht so, ich wollte dich nicht verletzen.«

»O nein, du wolltest mich nicht verletzen, gewiß nicht, nie.«

»Mathilde, das ist der Ton nicht, in dem wir wieder den reinen Accord finden. Verlange etwas von mir, als Zeichen meiner Umkehr. Du hast das Recht. Ich schwöre dir –«

»Schwöre nicht! Ich beklage dich. Du hast nichts, wobei du schwören kannst. Schwöre beim Haupt deines Kindes – an der Wiege dieses Kindes hast du mit ihr Blicke und Worte der Untreue –«

»Die Zukunft soll alles Vergangene vergessen machen.«

»Gut. Erlaß eine königliche Botschaft: die Welt und meine Gemahlin vor allem sollen vergessen, daß je eine Gräfin Irma gelebt! So ist mein königlicher Wille.«

Der König sah staunend auf seine Gattin. Ist das das zarte empfindsame Wesen? Was ist aus ihr geworden?

»Laß die Toten ruhen,« brach er endlich hervor.

»Aber die Toten lassen uns nicht ruhen. Sie sieht mich an aus deinem Auge, sie spricht mich an aus deinem Mund, sie rührt mich an mit deiner Hand, denn deine Hand, dein Mund, dein Auge waren ihr.«

»So will ich mich wieder entfernen, bis du Fassung gewonnen.«

»Nein, bleib, ich habe Fassung. Oder willst du mich nicht hören?«

»Ich höre,« sagte der König, sich wieder setzend. »Sprich.«

»So wisse denn: du hast ein Heiligtum verwüstet, darin du als Angebeteter standest, wie es schöner und herrlicher nie auf Erden war. Ich darf dir das jetzt sagen, denn der Tempel ist nicht mehr und du bist nicht mehr darin. Ich wollte eins mit dir sein, in allem, in jedem Atemzug, in jedem Wort, in jedem Blick, im Aufschauen zu dem Höchsten sollte unser Blick einig sein. Darum wollte ich dir meinen Glauben opfern –.«

»Du willst abrechnen? So bedenke: das Opfer, das du mir bringen wolltest, verlangte ich nicht; es wäre eine Last für mich geworden. Von einem Opfer ist hier nicht die Rede.«

»Gut, ich will nicht mehr daran denken. Ich wollte dir nur sagen, daß das, was ich für ein Opfer hielt, zu einer Schwäche vor deinen Augen wurde. Ich rede nicht mehr davon. Aber du hast mit meiner Freundin, mit der, die ich dafür hielt, in Untreue gelebt. Ich weiß, wie es in der Welt ist. Die Steigeneck, die dein Vater –«

»Beleidige meinen Vater nicht! Mir darfst du sagen, was du willst – nur beleidige meinen Vater nicht.«

»Ich beleidige ihn nicht, ich ehre ihn. Er war sittlich und rein gegen dich, fern von Schönthuerei, Lüge, Heuchelei und Verrat.«

»Wer spricht hier?« unterbrach der König. »Ist das meine Gemahlin, ist das eine Königin, die solche Worte spricht?«

»Es sind nicht meine Worte, sie sollten's nicht sein, du hast mir sie aufgezwungen. Doch – streiten wir nicht um Worte. Dein Vater hat einer Fremden, die draußen lebte, die seine Frau nicht kannte, seine Neigung zugewendet – das ist Sittlichkeit und Tugend gegen dein Verfahren ...

»Du brachst die Treue mit meiner Freundin, mit der, die mir stündlich zur Seite war. Wir sprachen, wir dachten gemeinsam, von Gott, von Liebe, von den Sternen, von Baum und Berg und Thal, wir schauten miteinander die Werte der Kunst, wir sangen und musizierten – und das konntet ihr beide neben mir, ins innerste Heiligtum alles höheren Lebens eintreten ... Ihr habt mir alles verwüstet, den Himmel, die Erde, alle höchsten Gedanken im Herzen, alle reinsten Worte im Munde. Ich möchte den Tag kennen, an dem ihr es zu wagen begonnen, mit Blick und Wort falsches Spiel zu spielen. Bei jedem Kuß, den du ihr gabst, mußtest du immer sagen: Ach, meine Frau – wie unglücklich bin ich – sie ist so klein – gar so sehr – nicht großartig ... Sprich nicht! So viel verstehe ich, nie kann ein Mann oder eine Frau die Hand eines andern in Liebe berühren, ohne damit zu sagen: ich bin im Elend! – Was ich dir jetzt sage, spricht nicht Haß und Rache, nur die Gerechtigkeit aus mir. So lange ich dich noch liebte, konnte ich dich hassen, jetzt richte ich dich nur. Du sollst die Folgen deines Thuns tragen. Das ist Gerechtigkeit. Ich bejammere und beklage dein Los. Wie willst du dich noch je am Wald erfreuen – und eine durch dich Schuldbeladene jagte durch den Wald in den Tod! Wie willst du dein Auge noch am See erquicken – da drin hat sie die Sünde versenkt! Die ganze Welt ist dir vernichtet. Du armer Mann! Die Feder muß zittern in deiner Hand, wenn du künftighin ein Todesurteil unterschreiben sollst – du hast selbst gemordet, Tote und Lebende. Schreibe Begnadigung! Wer begnadigt dich, du von Gottes Gnaden?«

»Mathilde, ich hatte geglaubt, daß alles Unziemliche selbst im Worte dir unmöglich wäre.«

»Das hast du geglaubt? Und was nennst du für dich unziemlich?«

»Sprich weiter! Sprich weiter!« sagte der König, als jetzt die Königin tief aufatmend innehielt. Er sah das lodernde Feuer, das sein Liebstes verzehrte und sah doch die Schönheit der Flamme. So wunderbar sind die Doppelgriffe in der menschlichen Seele, daß den König plötzlich inmitten von Empörung und Zerknirschung der Gedanke anmutete, welch eine Kraft seiner Gattin innewohne; das hatte er nie geahnt, sie ist größer und mächtiger, als er glaubte, und in seinem Zuruf lag etwas wie ein Ton der Anerkennung aus dem Bewußtsein überlegener Kraft. Das empörte die Königin doppelt. Mit gewaltsamer Ruhe fuhr sie daher fort:

»Man kann von niemand, von keinem Fürsten, auch von dir nicht verlangen, daß du ein Genie seiest; aber daß du ein rechtschaffener Mann, Gatte und Vater seiest – das kann jeder von dir verlangen; du kannst es sein, so gut wie jeder Bauer, jeder Taglöhner.«

Schmerz und tiefer Unwille malten sich auf dem Gesicht des Königs.

»Mathilde,« begann er endlich mit bewegter Stimme, »Mathilde, bedenke es wohl, – ich spreche nicht davon, was du mir – bedenke nur, was du dir selbst anthust mit diesen Worten!«

»Mir? Ich hab's bedacht, ich weiß, alle die tausend kleinen Freuden des Lebens sind mir von nun an geraubt. Ich trage eine ewige Last, die mir nur der Tod abnimmt. Ich weiß das. Aber ich habe auch mit mir selbst kein Mitleid. Wo die Liebe tot ist, muß die Gerechtigkeit herrschen!«

»Die Liebe, die sterben konnte, war keine Liebe.«

»Streiten wir nicht, wir verstehen einander nicht mehr. So höre noch mein einziges und unverbrüchliches Wort! Was bleibt mir? Selbst verächtlich zu werden oder dich zu verachten. Hier stehe ich,« sie richtete sich auf, sie erschien größer, und dunkle Röte übergoß sich über ihr Antlitz, »hier stehe ich und spreche das Wort aus: Ich verachte dich! – – Ich werde mit dir leben, neben dir, so lange Leben in diesem Leib – aber ich verachte dich. Das wisse! Und nun geh! Ich werde heut abend beim Hoffest mit dir erscheinen – du sollst über keine Formlosigkeit zu klagen haben. Ich habe dich einmal ganz geliebt – das bleibt mein, du bedarfst dessen nicht.«

Der König erhob sich. Er wollte sprechen, aber er brachte lange kein Wort hervor.

»Weiß noch jemand von deiner Gesinnung gegen mich?« fragte er endlich, seine Stimme war heiser.

»Nein. Wir sind es unserm Sohne schuldig, daß niemand davon wisse.«

»Mathilde, ich hätte nie geglaubt, daß du so mit mir reden könntest. Das kommt nicht aus dir. Es hat sich ein andrer zwischen uns gedrängt. Wer hat dich gelehrt, so zu sein und so zu reden?«

»Du selbst bist mein großer Lehrmeister. Du hast mich statt Liebe Haß, statt Anbetung Verachtung gelehrt.«

»Weiß dein Freund, der Leibarzt, nichts von dem, was du mir hier anthust?«

»Ich kann dir nicht schwören. Du kannst keinen Eid mehr glauben. Aber das sage ich: wüßte Gunther davon, daß ich mich von der Leidenschaft meiner vergangenen Liebe zu dir hinreißen ließ – wüßte er das, es würde ihn tief schmerzen: denn Zorn und Haß und Rache sind seinem großen Wesen fremd.«

»Dieses große Wesen kann klein gemacht werden!«

»Du wirst – du willst mir doch nicht den einzigen Freund rauben? Ich beschwöre dich, ich will dich um nichts mehr bitten mein ganzes Leben lang, ich will dir gehorchen und unterthan sein – Liebe kann ich dir nicht mehr bieten – ich bitte dich nur um dies eine: laß mir den einzigen Freund!«

»Den einzigen Freund? Ich kenne diesen Titel nicht. So viel ich weiß, ist das keine Hofcharge.«

»Auf den Knieen will ich dich bitten, kränke ihn nicht. Laß ihn mir. Er ist groß, rein und erhaben; er ist's, der mich noch mit dem Leben zusammenhält.«

Die Königin wollte sich vor dem König auf die Kniee werfen. Der König berührte sie – sie zuckte zusammen und richtete sich auf.

»Sei stolz!« rief jetzt der König. »Sei es! Trage die Folgen! Sei die Erhabene, der reine Tropfen aus der Himmelswolke, der sich mit mir, dem Straßenstaub, vereinigt und verunreinigt.«

Die Königin schaute verwirrt auf. Was ist das? So die Worte des edlen Mannes hinterbracht und so verdreht? Es wirbelte ihr vor den Augen.

»Sei, was du willst!« fuhr der König fort. »Sei allein und suche den Halt in dir.«

Er zog an dem Trauring an seiner Hand. Der Ring löste sich schwer, das ganze Gesicht des Königs wurde rot, indem er gewaltsam zog. Endlich brachte er ihn über den Knöchel. Ohne weiter ein Wort zu sagen, legte er den Trauring auf den Tisch vor der Königin.

Er ging nach der Thür; eine Sekunde noch stand er still, wie lauschend: sie ruft ihn, er ruft ihr zu, ein Wort aus tiefster Seele, ein erlösendes.

Die Königin schaute ihm nach. Wird er sich nicht umwenden? nicht noch einmal in seiner zum Herzen dringenden Stimme rufen: verzeihe mir. Die Liebe, die noch in ihr waltete, wollte sie vorwärts drängen, ihm nach. Es war ein kurzer Augenblick, in dem der König anhielt und die Königin unwillkürlich die Arme nach ihm vorwärts streckte – der Augenblick entschwand, der König ging.

Die Königin ging und starrte auf den Thürvorhang. Dann sank sie zurück auf das Sofa und weinte. Sie weinte lange.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Auf der Höhe - Band 3