Sechstes Kapitel. - Schon bevor der Leibarzt angekommen, hatte man dem Kranken zur Ader ...

Schon bevor der Leibarzt angekommen, hatte man dem Kranken zur Ader gelassen; Gunther, der eine kleine Apotheke mitgebracht, hatte rasch einige Mittel bereitet, die Eberhard Beruhigung gaben. Er schlief jetzt. Große Schweißtropfen perlten auf seiner Stirne. Gunther ging ab und zu. Irma saß verborgen, sie sah den Vater und konnte von ihm nicht gesehen werden. Jetzt atmete er lang auf, er war erwacht und schaute um sich.

Irma eilte zu ihm. Er sah sie starr an, dann winkte er, daß sie ein Fenster öffne.


Der Tag war sonnenhell, ein Luftstrom voll Waldesduft und Wasserkühle drang ins Zimmer; Eberhard nickte. Man vernahm Peitschenknallen. In die Mienen des Kranken trat eine frohe Spannung, er wußte, daß man jetzt die ersten Garben heimbringe von dem Sumpfgrunde, den er trocken gelegt.

Man hörte Schritte im Vorzimmer. Gunther kam in Begleitung des Oberknechts.

»Tritt nur ein,« sagte er unter der Thüre, »es wird deinen Herrn freuen.« Mit schwerem Schritt trat der Oberknecht an das Bett des Kranken und sagte, in der Rechten eine Handvoll Aehren haltend, mit der Linken auf die Brust klopfend, als müßte er die Worte heraus hämmern:

»Hier, Herr, bringe ich Ihnen die ersten Aehren von unserm neuen Ackergrund und wünsche, daß Sie noch viele Jahre in Gesundheit Brot davon essen.«

Eberhard ergriff die Aehren und drückte mit der andern Hand die des Knechtes, der nun davon ging und drunten in der Scheune sich auf eine Garbe setzte und weinte.

»Soll ich bei dir bleiben oder dein Kind allein?« fragte Gunther.

Eberhard ließ die Aehren los, sie lagen auf seiner Bettdecke. Er faßte nach Irmas Hand, Gunther ging hinaus.

Jetzt ließ Eberhard auch die Hand der Tochter los, deutete auf ihr Herz und dann auf die Aehren.

Sie schüttelte den Kopf und sagte:

»Vater, ich verstehe dich nicht.«

Schmerz zog durch das ganze Angesicht Eberhards, und er legte die Finger an den Mund, wie klagend, daß er nicht sprechen könne; wer weiß, ob er nicht sagen wollte: auch aus dem Sumpfe sprießt die gute Saat, wenn wir ihn richtig bebauen – so auch aus deinem Herzen, mein Kind, aus dem verlorenen, verwüsteten ...

»Ich will Gunther rufen,« sagte Irma, »vielleicht versteht er, was du meinst.«

Eberhard winkte abwehrend; in seinen Mienen war etwas wie Zorn, daß Irma ihn nicht versteht.

Er biß auf die des Wortes beraubten Lippen und wollte sich aufrichten. Irma half ihm, und nun saß er an die Kissen gelehnt.

Sein Antlitz war verändert. Es war plötzlich eine fremde Farbe, ein fremder Ausdruck darin.

Irma sah schaudernd, was vorging. Sie kniete am Bett nieder und legte ihre Wange auf des Vaters Hand. Er zog die Hand zurück.

Sie schaute ihn an. Mit aller Anstrengung erhebt er die Hand – sie ist von Todesschweiß übergossen – mit ausgestrecktem Finger schreibt er ihr ein Wort auf die Stirn, ein kurzes – sie sieht, sie hört, sie liest es, es steht in der Luft, auf ihrer Stirn, in ihrem Hirn, in ihrer Seele, überall – sie schreit laut auf und stürzt zu Boden.

Gunther kommt rasch herein. Er schreitet über Irma weg, hebt die herabgesunkene Hand Eberhards auf, fühlt nach seinem Herzschlag, zuckt zusammen und drückt dem Freunde die Augen zu.

Es war totenstill in dem Gemach.

Da plötzlich tönt Musik vor dem Hause, die Melodie des fragenden Vaterlandsliedes – und Hunderte von Stimmen rufen: Hoch lebe unser Abgeordneter, der edle Graf Eberhard! Irma am Boden regt sich, Gunther schreitet an ihr vorüber, geht auf den Hof, jäh verstummt die Musik und schweigen die Stimmen.

Rossestritte nahen; Bruno reitet in den Hof. Er steigt ab, er liest in den Mienen Gunthers und der Versammelten, was geschehen. Er bedeckt sich das Gesicht und lehnt sich auf Gunther, der ihn ins Haus zurückführt ...

Als Gunther und Bruno in das Zimmer des Toten kamen, lag er allein; Irma war verschwunden, sie hatte sich in ihr Zimmer eingeschlossen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Auf der Höhe - Band 3