Dreizehntes Kapitel. - Walpurga kniete bei der Ohnmächtigen, der Blut aus einer Stirnwunde quoll. Schnell ...

Walpurga kniete bei der Ohnmächtigen, der Blut aus einer Stirnwunde quoll. Schnell knüpfte Walpurga ihr Halstuch los, band es um die blutende Stirn, raufte nasses Gras aus und schüttelte den Tau in das Antlitz. Verzweifelnd rief sie:

»Liebste Gräfin, gute, herzige, liebe gute Gräfin, wachen Sie doch auf! Um Gotteswillen! was ist denn das! Um Gotteswillen, wachen Sie doch auf! Irma, Irma!«


Irma schlug die Augen auf.

Man hörte die Stimme Hanseis; er rief:

»Walpurga! Wo bist denn? Walpurga!«

»Ist das dein Mann? Laß ihn nicht herankommen, er darf mich nicht sehen!« brachte Irma hervor.

»Bleib dort!« rief Walpurga, sich im Gebüsch aufrichtend, »Schick die Mutter her, sie soll Wein mitbringen, von dem, den ich mitgebracht hab', er ist im blauen Kistchen bei den Kindersachen. Geh schnell! Tapfer!«

Mit kurzen hastigen Worten berichtete Irma, daß ihr Vater gestorben, und daß sie selber den Tod gesucht im See. Sie griff sich an die Stirn und fuhr erschreckt zurück:

»Wehe! Was ist das?«

»Du hast geblutet. Du mußt auf einen Stein gefallen sein. Schau einmal an,« fuhr sie, gewaltsam sich zu heiterem Ton erweckend, fort: »Das ist das grüne Tüchlein, das du meinem Kinde geschickt.«

Irma riß die Binde los und betrachtete still das Tuch mit dem Blute.

»Das löscht. Laß es rinnen,« sagte sie vor sich hin. Dann fuhr sie auf:

»O Walpurga, ich kann nicht sterben, ich kann mir den Tod nicht geben – und ich kann nicht leben! – Ich bin – ich bin – schlecht gewesen – –«

Sie verbarg ihr Antlitz am Herzen Walpurgas, das laut und heftig schlug.

»Komm, schnell, sag mir, hilf mir, sag mir, was ich thun soll, ehe deine Mutter kommt.«

»Ich weiß nicht – ich weiß gar nichts. Meine Mutter wird alles wissen, die weiß Hilfe für alles. So, sieh, das Blut auf deiner Stirn hat sich gestillt. Sei nur ruhig!«

Die Mutter kam. Irma blickte sie an wie einen rettenden Engel, und die Mutter sagte mit einer Bestimmtheit, in der kein Schwanken und Fragen war:

»Walpurga, das ist deine Gräfin.«

»Ja, Mutter.«

»So sei mir tausendmal willkommen,« sagte die Alte, »da hast du meine beiden Hände. Dir muß Arges geschehen sein. Du bist gefallen, oder hat dich wer auf die Stirne geschlagen?«

Irma antwortete nicht. Sie saß zwischen den beiden Frauen, die sie aufrecht hielten und starrte wie leblos drein.

»Mutter, helfet ihr, saget ihr etwas,« flüsterte Walpurga.

»Nein, laß sie nur ruhig zu sich kommen, jede Wunde muß ausbluten,« beschwichtigte die Mutter.

Irma faßte ihre Hände, küßte sie und rief:

»Mutter! Du bist meine Rettung. Mutter! Ich bleibe bei dir. Nimm mich mit.«

»Ja, das thu' ich. Wirst sehen, droben in meiner Heimat, da ist es gar so viel gesund, eine Luft und ein Wasser, wie sonst nirgends auf der Welt; da wirst du wieder gesund und geht alles von dir ab. Weiß dein Vater, daß du so davon gelaufen bist in die wilde Welt hinein, und weiß er, warum?«

»Er hat es gewußt. Er ist tot. Walpurga, erzähl du ihr, wie's mit mir ist.«

»Dazu hat's gute Zeit, wir sind, will's Gott, noch gute Zeit bei einander; da kannst du mir alles in guter Ruh berichten. Jetzt komm, trink einmal.«

Mit schwerer Mühe gelang es den beiden Frauen, den silberplattierten Kork auszuziehen; Walpurga zog ihn endlich mit den Zähnen aus. Irma trank.

»Trink nur, den Wein hat mir der Leibarzt für meine Mutter mitgegeben, der ist gewiß gesund,« sagte Walpurga, »sie trinkt ihn aber nicht, sie sagt, sie will warten, bis sie einmal alt ist und vom Wein Kraft braucht.«

Ein wehmütiges Lächeln trat auf das Gesicht Irmas; die Greisin vor ihr will warten, bis sie einmal alt ist.

Irma mußte noch einige Schluck von dem Weine trinken. Als sie über Schmerzen im Fuße klagte, verstand die Mutter ihr mit geschickter Hand einen Dorn herauszuziehen. Wie wenn ein linder Engel sie berührte, so schaute Irma auf die Alte nieder und wollte ihr wieder die Hände küssen.

»Meine Hände sind, so lang sie auf der Welt sind, noch nicht geküßt worden, als von dir,« sagte die Alte abwehrend, »aber ich verstehe schon, wie du's meinst. Ich hab' in meinem Leben noch keine Gräfin angerührt, aber sie sind doch auch Menschen wie wir.«

Irma seufzte tief auf. Sie erklärte dann, daß sie mit ihren Rettern gehen wolle, aber nur unter der Bedingung, daß niemand außer ihnen beiden wüßte, wer sie wäre; sie wolle verborgen und unbekannt leben, und wenn sie entdeckt würde, gäbe sie sich den Tod.

»Das thu nicht mehr,« fiel die Alte streng ein. »Sag das nicht mehr! Damit darf man nicht spielen. Das ist keine Drohung. Aber da hast du meine Hand, über meine Lippen kommt kein Wort.«

»Und über die meinigen auch nicht,« rief Walpurga, und legte ihre Hand zu der ihrer Mutter in Irmas Hand.

»Sag mir noch eins,« fragte die Mutter. »Warum gehst du nicht in ein Kloster? Man darf ja jetzt wieder.«

»Ich will frei büßen.«

»Ich verstehe dich, du hast recht.«

Weiter wurde kein Wort gesprochen. Die Mutter hielt ihre Hand auf die Stirn Irmas, um die sie nun ein weißes Tuch band.

»In acht Tagen ist das ausgeheilt, und man sieht nichts mehr davon,« tröstete sie.

»Das weiße Tuch bleibt, so lange ich noch leben muß,« entgegnete Irma. Sie verlangte nun andre Kleider, bevor sie sich vor Hansei zeigte.

Walpurga eilte zurück ins Wirtshaus an der Anlände. Hier traf sie Hansei sehr unwillig; er wetterte arg, jeder Zwischenfall war ihm schwer, es lag genug auf ihm, er war schärfer angespannt als die Rosse am Wagen; er war in jener erregten Reise- und Umzugsstimmung, wo auch das innere Leben verscheucht und heimatlos ist und leicht in Zornmütigkeit umschlägt. Dazu hatte das Füllen, so schön es war, schon viel Ungelegenheiten gemacht; es war ausgerissen und fast einem Wagen unter die Räder gekommen.

Hansei war sehr bös. Es gelang Walpurga nur schwer, ihn zu besänftigen, und sie sagte endlich weinend: »Lieber als daß wir in Zorn und Hässigkeit in unsre neue Heimat einziehen, lieber möcht' ich, daß wir alle mit dem Schiff untergesunken wären.«

»Ja, ja, bin schon ruhig, sei du's nur jetzt auch,« lenkte Hansei wieder ein und schaute nach dem See, als ob dort wieder der Kopf der schwarzen Esther auftauchte; dann fuhr er fort; »Aber wir müssen weiter, wir kommen in die stichdunkle Nacht hinein, wenn wir nicht fortmachen. Es ist noch weit und die Rosse haben schwer. Was habt ihr denn vor? Wen habt ihr da drüben in den Weiden?«

»Sollst's nachher gleich erfahren. Jetzt glaub mir, daß die Mutter und ich was thun, das uns lebenslang zu gut kommt. Ich bin froh, daß mir Gott was zu thun gibt in dieser Stunde. Ich hält' ihn gern gefragt, was ich thun soll, um ihm meinen Dank zu bezeigen. Es ist ein braves gutes Wesen, und du wirst schon zufrieden sein.«

Walpurga sprach so beweglich und eindringlich, daß Hansei sagte:

»Ich will die Wagen mit dem Hausrat vorausfahren, kommet ihr dann nach in dem Wagen mit der Blahe, wann's euch paßt, aber bald. Der Ohm ist da und fährt euch.«

Walpurga ging nach ihrer Kiste, nahm einen ganzen Anzug heraus und winkte Hansei zu, der mit den bepackten Wagen voranschritt den Berg hinan. Sie brachte die Kleider in das Dickicht am See; dort fand sie Irma neben der Mutter sitzend; die Mutter hielt sie im Arm, das Haupt Irmas ruhte an ihrer Brust.

»Unsrer Irmgard wird's ganz wohl sein bei uns. Wir kennen jetzt schon einander,« sagte die Mutter.

Niemand auf der Welt hat gehört, was Irma der alten Beate allein unter den Weiden am See gebeichtet hat. Die Alte hauchte ihr dreimal auf die Stirn mit warmem erlösendem Atem.

»So, jetzt zieh unsre Kleider an,« sagte Beate.

Tief im Dickicht zog Irma die Bauerntracht an.

Sie schaute immer auf den Boden, als sie aus dem Dickicht wieder auf den Weg kam. Das war eine neue Erde, ein fremdes Dasein, das sie jetzt betrat.

In der Wirtsstube sah sie Menschen und Dinge wie träumend an. Sie war aus der Tiefe des Sees wieder in die Welt gekommen. Da sind noch Menschen, da lebt alles fort, da wird gegessen und getrunken, gelacht und geplaudert, gesungen, gefahren, geritten – und alles das hatte sie schon weit, weit hinter sich gelassen. Sie war eine vom Tode Erstandene. Stumm, mit ineinandergelegten Händen saß sie auf der Bank, sie wollte nichts wissen von der Welt umher, nach Einsamkeit, nach tiefer Einsamkeit sehnte sie sich; und doch war ihr Gehör so geschärft, sie hörte, wie die Wirtin leise zu Walpurga sagte: »Das ist wohl eine Anverwandte? Die scheint nicht recht bei Trost.« Sie deutete dabei auf die Stirn.

»Ihr könnt recht haben,« erwiderte Walpurga.

Ein schmerzliches Lächeln zuckte über die schönen Lippen Irmas. Es gibt eine Verhüllung, die schützt; es ist der Wahnsinn.

Sie fühlte es, wie wenn ein stachliges Netz sich über das Haupt legte; denn der Wahnwitz ist wohl eine Tarnkappe, unter der man verborgen leben kann, aber nur in tiefen Schmerzen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Auf der Höhe - Band 3