Zweites Kapitel. - Walpurga gewöhnte sich in ihr neues Leben, ...

Walpurga gewöhnte sich in ihr neues Leben, nur kümmerte sie manchmal, weil gar keine Nachricht von daheim kam.
Es kam kein Brief, aber ein Bote. Ein Lakai trat ins Zimmer und berichtete:
„Draußen steht eine Frau aus dem Heimatsort der Walpurga. Sie verlangt Euch auf ein paar Minuten zu sprechen.“
„Ich will hinaus! Wer ist’s?“
„Nein, empfange sie hier!“ sagte Mamsell Kramer.
Der Lakai eilte hinaus und brachte die alte Zenza herein.
„Ei, Ihr seid’s, Zenza? Bringt Ihr mir was von meinem Kind, von meinem Mann, von meiner Mutter? Was ist denn um Gottes willen geschehen? Sind sie krank?“
„Nein, gottlob! alle gesund und wohl auf, und ich soll dich schön grüßen von allen.“
Walpurga sah mit herzlichem Blicke in die verschmitzten Augen der Zenza; diese Augen waren auf einmal so gut und getreu, denn sie hatten ihr Kind gesehen. Lächelnd fuhr die Zenza fort:
„Das freut mich, daß du mich doch noch kennst. Wie schlecht sind die Menschen! Haben sie gesagt, daß du mich gar nicht mehr wirst kennen wollen, weil du jetzt so vornehm geworden bist. Nein, du bist dein Lebtag ein braves Mädchen gewesen, ich hab’s immer gesagt.“
„Ja, ja, ist alles gut; was wollt Ihr denn?“
„Du sollst mir helfen. Wenn du nicht hilfst, thut sich mein Thomas den Tod an, und ich spring’ in den See. Nicht wahr, du hilfst mir? Schau, ich thu’ einen Fußfall vor dir, du mußt mir helfen, und ich bin doch auch fast gar Geschwisterkind mit deinem Vater selig, und wenn dein Vater noch am Leben wär’, thät’ er sagen, ja er ruft’s vom Himmel herunter zu dir: Walpurga, hilf der Zenza, oder ich verzeih dir’s in der Ewigkeit nicht.“
„Steht doch auf! Was ist denn das? Wie kann ich Euch helfen? Mit was?“
„Ich steh’ nicht auf, eher sterb’ ich vor deinen Füßen, bis du gesagt hast, daß du mir hilfst.“
„Ich helf’ Euch, mit was ich kann.“
Mamsell Kramer trat dazwischen und sagte, Zenza solle ruhiger sein, sonst dürfe sie keinen Augenblick mehr im Zimmer bleiben.
Zenza stand auf und fragte:
„Ist das die Königin?“
Walpurga und Mamsell Kramer lachten, und Zenza brachte endlich ihr Verlangen vor:
Drunten vor dem Schlosse, die Wache habe ihn nicht hereingelassen, stehe ihr Sohn Thomas, er sei wegen Rückfall in die Wilderei zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt und sei doch unschuldig; es liege ihm im Geblüt, daß er auf die Jagd gehen müsse, das sei bei seinem Vater auch so gewesen, und er habe ja nichts geschossen als ein einziges Gemsböcklein, und da solle er jetzt noch einmal ins Zuchthaus. Er habe geschworen, daß er sich das Leben nehme oder einen Menschen morde, damit man ihn köpfe, ehe er sich wieder einsperren lasse, und Walpurga habe zwei, ja drei Menschenleben auf dem Gewissen, wenn sie nicht helfe. Sie müsse Zenza eine Audienz beim König verschaffen oder bei der Königin, daß sie einen Fußfall thue und um Gnade bitte.
„Und dein Mann schickt mich und der Gemswirt,“ schloß Zenza. „Sie haben beide gesagt, es wäre dir ein Leichtes, da zu helfen. Ich will dir mein Leben lang die Hände unter die Füße legen, wenn du das thust.“
„Ja, ich möcht’s schon gern thun, aber ich habe keine Gelegenheit. Das geht hier nicht so wie bei uns daheim.“
„Du kannst schon Gelegenheit finden, du bist ja gescheit; in der ganzen Gegend sagen sie’s alle, ich hab’ das schon lang gewußt und hab’s auch gesagt, auf dem letzten St. Leonhardstag hab’ ich gesagt, der Schneider Schneck kann mir’s bezeugen und der Spinnerwastl auch: die Walpurga steht da, hab’ ich gesagt, wie wenn sie eine der Geringsten wär’, sie ist aber die Erste in der ganzen Gegend; ihr werdet schon sehen, was aus der noch wird, und ihre Gescheitheit und ihre Gutheit, die wird sich an den Tag geben. Jetzt, Walpurga, nicht wahr, du thust’s?“
„Ja, wenn sich Gelegenheit gibt.“
„Ich kann aber nicht warten. Morgen am Tag soll der Thomas ins Zuchthaus und wenn er nicht heute erlöst wird, geht er in Mord und Tod.“
„Liebe Frau,“ fiel hier Mamsell Kramer ein, „Seine Majestät der König haben ja allgemeine Strafbefreiung erlassen bei der Geburt des Kronprinzen, da ist Euer Sohn auch dabei, oder ist er’s nicht?“
„Nein. Das ist’s ja. Alle Gerichte im Lande sind gegen meinen Thomas gerichtet. Seht! Da drin steht’s, das hat der Gemswirt alles aufgeschrieben, besser als ich’s sagen kann. Eh’ man zu Mittag läutet, muß die Schrift zum König, sonst ist’s zu spät. Drunten vor dem Schloß geht mein Thomas hin und her, und es kommt darauf an, ob er ins Himmelreich oder in die Hölle eingeht. Er schießt den nächsten besten Menschen und sich selber gleich tot, er hat ein geladenes Doppelpistol bei sich: vor dem Schloß schießt er sich tot, wenn ich herauskomme und es ist nichts.“
„Ja, aber ich kann doch nicht so zum König laufen, wie zum Gemswirt. Ich thät’s ja gern.“
„Ich muß mich setzen, mir brechen die Kniee,“ rief Zenza, und Mamsell Kramer eilte, ihr einen Stuhl zu bringen. Da saß sie nun, senkte den Kopf und faltete die Hände über den Knieen, und schwere Thränen fielen auf die harten, knöchernen, dickadrigen Hände.
Walpurga winkte der Mamsell Kramer, die sie tröstete. Sie wollte ihr sagen, daß die Zenza gar keine so brave Person sei, und ihr Früchtlein, der Thomas, erst recht nicht? aber Mamsell Krämer wendete sich um und sagte:
„Ich habe einen Ausweg. Der Herr Bruder der Gräfin von Wildenort sind ja Flügeladjutant bei Seiner Majestät und bringen in einer halben Stunde Rapport und holen die Parole. Walpurga, geh zur Gräfin Irma, und bitte, sie möge die Schrift ihrem Herrn Bruder übergeben, daß er sie bei Seiner Majestät vorlege.“
„Ja, ja, das thu, geh! O Gott, was hast du da für einen gescheiten Engel bei dir, Walpurga. Jetzt aber geh, versäume dich nicht. Darf ich noch einen Augenblick dableiben, oder soll ich drunten vor dem Schloß warten?“
„Nein, bleibet nur da, gute Frau,“ tröstete Mamsell Kramer. „Geh nur, Walpurga, geh,“ sagte sie, da diese still dastand und den Brief starr vor sich hinhielt.
Walpurga ging. Als sie an die Thüre der Gräfin kam, hörte sie dieselbe in der drangvollen Weise Schumanns das Lied Friedrich Rückerts singen:

„Er ist gekommen
In Sturm und Regen,
Er hat genommen
Mein Herz verwegen,
Nahm er das meine,
Nahm ich das seine?
Die beiden kamen sich entgegen.“


Die Kammerjungfer meldete, und Irma brach mitten in der Wiederholung des Liedes ab, als Walpurga eintrat.
„Ah, sei mir willkommen. Was führt dich Gutes zu mir?“
Walpurga brachte stockend ihre Bitte vor und überreichte das Papier.
„Fasse Mut!“ tröstete Irma.
Sie drückte auf die Klingel, und befahl dem eintretenden Lakaien: „Mein Bruder soll sogleich zu mir kommen.“ Dann fuhr sie, zu Walpurga gewendet, fort: „Ich begleite das Gnadengesuch mit ein paar Worten. Sei nur ruhig. Es freut mich, dir eine Bitte gewähren zu können. Ich habe dich schon lange fragen wollen, ob du nicht einen Wunsch erfüllt haben möchtest. Der König wird schon Gnade gewähren,“
Walpurga wollte dreinreden, aber das geht alles wie behext. Der Adjutant war schon da, Irma gab ihm das Schreiben, bat ihn noch einige Augenblicke zu warten, da sie selber noch einige Zeilen beifügen wolle.
Der Adjutant verabschiedete sich, und Irma sagte, mit der Hand Walpurga übers Gesicht fahrend:
„Ich streiche allen Kummer aus deinem Gesicht weg. Sei froh, ich gebe dir mein Wort, daß dem Manne geholfen ist. Geh jetzt zu der armen Frau und beruhige sie einstweilen; ich bringe dir den Bescheid auf dein Zimmer.“
Walpurga kam nicht zu Worte. Sie wollte noch jetzt etwas sagen, aber – das Gnadengesuch ist ja schon fort und es ist gewiß gut, wenn auch ein schlechter Mensch Gutes erfährt, vielleicht macht ihn das besser.
Als Walpurga das Zimmer der Gräfin verlassen und eine Weile aufatmend vor der Thüre stand, hörte sie drinnen wieder singen.
Sie kam beruhigter auf ihrem Zimmer an und sagte zur Zenza:
„Ihr könnt Euch darauf verlassen, Eurem Thomas wird geholfen: aber da gebet mir Eure Hand und versprecht mir, daß Ihr darauf halten wollt, daß der Thomas endlich ein braver Mensch wird, und Ihr ihm nicht mehr helfen wollt, sein geraubtes Gut verkaufen und seine Schliche verdecken. Ja, das darf ich Euch schon sagen; schaut mich nicht so verwundert an. Ich hab’ viel für Euch eingesetzt.“
„Jawohl darfst du das sagen,“ erwiderte Zenza halb beistimmend, halb neckisch, „du machst die ganze Gegend glücklich, du bist der Stolz von uns allen, Sonntags vor der Kirch’ sag’ ich’s, was du hier giltst, und man glaubt mir! Deine Mutter ist mein Gespiel gewesen, und wenn mein Thomas so eine brave Frau bekommen hätte, wie du bist, wäre er auch häuslich gewesen. Jetzt muß er mir eine brave Frau nehmen, das thu’ ich nicht anders!“
Zenza saß bei einem guten Kaffee, den ihr Mamsell Kramer bereitet hatte, und die gute Kastellanin schenkte ihr immer von neuem ein.
„Wenn ich nur auch meinem Sohn was davon geben könnte. O, was steht der jetzt aus da unten! Aber es geschieht ihm schon recht, das ist die rechte Strafe: er steht da auf der Lauer, aber nicht mehr als Wilderer, jetzt geht’s ganz anders!“
Zenza war sehr redselig, und Mamsell Kramer sehr entzückt von der offenkundigen Güte und Mutterliebe der Alten.
Als Zenza ausgetrunken und fast allen Kuchen aufgegessen hatte, sagte sie:
„Das Stückchen Zucker da, das erlauben Sie, daß ich’s mitnehme? Das soll mir ein ewiges Angedenken sein, daß ich im Schlosse des Königs Kaffee getrunken habe.“
Mamsell Kramer packte noch ein Stück Kuchen in ein Papier, und sagte: „Das bringt Eurem Sohne mit.“
Zenza war unerschöpflich in Dankesbezeigungen, sie war jetzt sehr aufgeräumt. Sie bat, sie auch den Prinzen sehen zu lassen, aber das duldete Walpurga nicht. Sie wußte wohl warum. Die alte Zenza galt daheim für eine Hexe, und wenn’s auch nicht wahr ist, und vielleicht Aberglaube, dachte Walpurga – man kann doch nicht wissen. Sie war aber bereits so politisch geworden, daß sie ein Verbot des Leibarztes vorschützte, keinen Fremden zum Kronprinzen zu lassen.
Zenza erzählte nun, welch ein Aufsehen es in der ganzen Gegend gemacht, daß Walpurga so plötzlich zu Hofe geholt wurde, man rede von nichts anderm mehr. Am Sonntag seien alle Leute zu spät in die Kirche gekommen, weil sie am Haus der Walpurga stehen geblieben und das Haus betrachtet, als wäre was Neues daran zu sehen, und Hansei habe der halben Gemeinde seine Kuh zeigen müssen, als wäre was Besonderes daran; aber alles sei eben jetzt mit seinen Gedanken bei der Walpurga und daß der Forstwart, der Bräutigam des Gespiels, so schnell die gute Stelle bekommen, das wissen sie wohl, daß es die Walpurga gemacht habe.
Walpurga mochte beteuern, wie sie wollte, daß sie nichts davon wisse; Zenza blieb dabei; und lobte sie noch wegen ihrer Bescheidenheit.
Die Zeit ging schnell herum. Freudestrahlenden Angesichts kam die Gräfin Irma und brachte die Begnadigungsschrift vom König.
Zenza wollte vor ihr niederfallen und ihr die Füße küssen, aber Irma hielt sie auf und sagte:
„Ich habe noch was für Euch. Hier! Damit Ihr nicht nur frei seid, sondern Euch auch eine Freude machen könnt, hier nehmt das.“
Sie gab ihr ein Goldstück.
Die Augen der alten Zenza flimmerten und sie sagte:
„Wenn die gnädige Prinzessin einmal einen Menschen braucht oder zwei, die für sie ins Feuer gehen, da soll sie nur an die Zenza denken und an den Thomas.“
Sie wollte noch viel sprechen, aber Walpurga sagte:
„Euer Thomas wartet ja unten vor dem Thor. Machet doch, daß Ihr zu ihm hinunterkommt.“
„Sehen Sie, gnädige Prinzessin, wie gut sie ist? Sie verdient’s so glücklich zu sein.“
„Walpurga, du könntest der Frau das Geld für deinen Mann mitgeben,“ sagte Mamsell Krämer.
„Ich nehm’ dir mit, was du hast!“
„Nein, ich schick’s; ich muß noch warten damit,“ sagte Walpurga stockend. Sie konnte doch nicht erklären, daß sie der Zenza und ihrem Sohne nicht traue.
„Hier“ – sagte Irma wieder – „hier bringet dem Kinde der Walpurga das von mir!“
Sie nestelte eine schwarze Schnur mit einem goldenen Herzen daran von ihrem Halse und sagte:
„Bringet das dem Kinde der Walpurga und auch noch das Tuch!“ – Sie knüpfte ein kleines grünes Seidentuch ab und gab’s der Frau.
„O der schöne Hals!“ rief Zenza. Walpurga wiederholte ihre Mahnung, daß sie endlich zu ihrem Sohne ginge.
Irma war ganz glücklich, die Begnadigung zu stande gebracht zu haben. Walpurga durfte nicht sagen, daß ihr Zenza fremd, ja fast verhaßt war, und daß der rote Thomas einer der Schlimmsten sei. Sie getröstete sich, daß gewiß alles noch gut werde. „Schlechte Menschen können sich auch bessern, sonst wäre ja alles Gerede von Buße nur Lug und Trug.“
Unterdes kam Zenza eilig aus dem Schlosse heraus und hielt das Schreiben in der Hand.
„Ist meine Zeche gelöscht?“ fragte Thomas und spuckte dabei weit aus.
„Ja, Gott Lob und Dank! Siehst du, was eine Mutter kann?“
„Ich hab’ Euch nicht viel Dank dafür zu sagen. Warum habt Ihr mich in die Welt gesetzt? Aber prächtig ist’s, daß der großschnauzige Landrichter eins aufs Maul kriegt. Jetzt Mutter, ich hab’ einen Durst wie drei Amtsschreiber. Das Warten hat mich fast ganz verbrannt. Habt Ihr denn gar nichts mehr?“
„Freilich hab’ ich. Schau!“
Sie zeigte dem Sohne das Goldstück, und mit einem bewundernswerten Griff hatte dieser es aus ihrer Hand in seiner Tasche verschwinden lassen.
„Was ist denn da noch?“ fragte er, da er das goldene Herzchen bemerkte, das sie mit aus der Tasche gezogen hatte.
„Das soll ich dem Kinde der Walpurga bringen. Das hat mir eine schöne Prinzessin gegeben für das Kind, und das seidene Tüchle auch.“
„Des Hanseis Kind hat genug, wenn es ein seidenes Halstuch bekommt,“ sagte Thomas und eignete sich auch das goldene Herzchen an, indem er der Mutter, die es an der Schnur festhielt, die zerrissene Schnur gutwillig überließ.
„So, Mutter, jetzt ist’s gut; jetzt trinken wir erst einmal auf das lange Warten. Und ich hab’ derweil da drüben beim Schwertfeger eine Büchse gesehen, ein Prachtstück! Die kann man auseinander schrauben und in die Tasche stecken – jetzt sollen sie mich nicht mehr erwischen, die Grünröcke!“
Das erste, was Thomas that, war, daß er Gemsbart und Spielhahnfeder aus der Tasche nahm und wieder auf seinen Hut steckte; dann setzte er den Hut keck auf und seine Mienen sagten: Ich will den sehen, der sich da dran wagt.
Als die beiden eben weggehen wollten, kam Baum von der Straße herein. Er schien den beiden ausweichen zu wollen, aber Zenza ging auf ihn zu und dankte ihm aufs neue, daß er sie damals bei Abholung der Walpurga so reich beschenkt habe; sie schaute ihn dabei seltsam an und Baum bemerkte mit einem Seitenblick, daß auch Thomas kein Auge von ihm wendete; er spürte ein Zucken im Herzen, das geht im Zickzack wie ein Blitz von der Brust hinauf in den Kopf und stellt ihm die Haare zu Berge und er muß sich den Hut etwas lüften und anders aufsetzen. Aber er nahm eine Nagelfeile aus der Tasche und feilte an seinen Nägeln; dann sagte er:
„Ihr habt mir schon einmal gedankt. Ist nicht mehr nötig!“ Er wendete sich um und ging.
„Wenn der Jangerl nicht in Amerika wäre – ich thät darauf schwören, das ist er,“ sagte die Alte zu ihrem Sohne.
„Mutter, Ihr seid verrückt!“ entgegnete Thomas.
Mutter und Sohn gingen miteinander in die Stadt und der Sohn ging immer rasch voraus; es schien ihm nichts daran zu liegen, wenn er seine Mutter verliere.
In einem Wirtshause trank er stehend einen Schoppen, hieß die Mutter warten und kam bald mit der gekauften Büchse zurück.
Unterdes saß Walpurga still am Fenster und dachte sich aus, wie man daheim von ihrer großen Macht erzählt und besonders im Gemswirtshaus, da wird viel von ihr gesprochen, und die Gemswirtin, die sie immer so von oben herab angesehen, möchte fast vergehen vor Aerger. – Walpurga lachte, sie erlustigte sich in dem Gedanken, wie die Neidischen und Hochmütigen sich über ihr Glück ärgern; ja, das war ihr fast die größere Freude, wenigstens verweilte sie dabei am längsten; das mag aber auch darum sein, weil die Freude der Guten kürzer und schneller ausgedacht ist, als der Aerger und die giftigen Reden der Bösen; das gärt lange fort und treibt seltsame Blasen auf. – So saß Walpurga am Fenster und ihre Lippen bewegten sich, als ob sie die Worte derer nachspräche, die sie beneideten und sich über sie ärgerten, bis endlich Gräfin Irma sagte:
„Ich sehe dir’s an, wie glücklich du bist. Ja, Walpurga, wenn es uns gegeben wäre, jeden Augenblick einem Nebenmenschen etwas Gutes zu thun – wir wären die glücklichsten Geschöpfe unter der Sonne. Siehst du, Walpurga? Das ist die wirkliche Gottesgnade eines Fürsten, daß er jede Minute Gutes thun kann.“
„Jetzt das versteh’ ich! Das versteh’ ich ganz!“ rief Walpurga. „So ein König ist wie die Sonne am Himmel, die scheint hernieder und erquickt da die Bäume, und weit draußen die Blumen im Thal, die niemand sieht, und thut Menschen und Tieren und allem wohl. So ein König ist – ja, der ist ein Bote von Gott. Er muß sich in acht nehmen, daß er’s bleibt; es kann ihn der Stolz übermannen und die Gelust, weil er über alles Herr ist. Jetzt hat er dem Thomas die Welt geschenkt und alle Gefängnisthüren öffnen sich, wie im Märchen, wenn man Sesam sagt. O, du guter König! Laß dich nur nicht verderben, und laß immer so Herzmenschen um dich herum sein, wie da meine Gräfin Irma!“
„Ich danke dir!“ sagte Irma, „ich danke dir! Ich kenne dich jetzt ganz. Glaube mir, in allen Büchern der Welt steht nichts Besseres und nicht mehr, als in deinem Herzen steht; und wenn du auch nicht schreiben kannst, es ist so besser geschrieben in dir. – Aber jetzt wollen wir doch wieder ordentliche stille Menschen sein; komm, jetzt mußt du schreiben lernen.“
Und die beiden setzten sich zusammen und Irma lehrte Walpurga die Feder führen. Walpurga sagte, einzelne Buchstaben schreibe sie nicht gern, ein Wort, ein einzig Wort wäre ihr lieber.
Irma schrieb ihr vor, sie schrieb das Wort „Gnade“, Walpurga schrieb einen ganzen Bogen voll immer das Wort Gnade, und Irma nahm das Papier mit und sagte:
„Das heb’ ich mir auf zum Andenken an diese Stunde!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Auf der Höhe - Band 1