Dreizehntes Kapitel. - Bevor man indes nach dem Sommerschlosse abreiste, ...

Bevor man indes nach dem Sommerschlosse abreiste, sollten Walpurga und der Prinz noch in der Stadt festgehalten werden.
Es war ein Frühstücksscherz des Baron Schöning, aber er wurde gut aufgenommen. Die Millionen Menschen, die gerne das Glück haben möchten, ihren Beherrscher der Zukunft zu sehen, sollten befriedigt werden durch einen Augenblick in der eigentlichen Bedeutung des Wortes: der Kronprinz sollte photographiert werden, wie ihn das Volk leibhaftig auf den Händen trägt, und Walpurga war der Repräsentant des Volkes. Sie wehrte sich gegen den Plan: man darf das nicht, man darf ein Kind, bevor es ein Jahr alt ist, nicht in einen Spiegel sehen lassen, und auch nicht abmalen! Solange man ein Kind nicht in einen Spiegel sehen läßt, kann es sich in der Fläche seiner linken Hand sehen. Aber es blieb trotz ihres Widerspruchs doch dabei, und nun zog sie ihr schönstes Kleid an, und der Kronprinz wurde sehr schön herausgeputzt; der Künstler that ihm aber die Haube wieder ab, denn er hatte schon helles Lockenhaar.
Mehrmals hieß es: das Bild ist mißlungen. Walpurga erschrak jedesmal, wenn sie den Ruf aus der dunkeln Kammer heraus hörte – da drin geht Zauberei vor. Sie ward immer unruhiger. Zuletzt aber – Schöning hatte das geschickt ausfindig gemacht – spielte die Kammervirtuosin im Nebensaal die Melodie des Lieblingsliedes der Walpurga; sobald das Lied angestimmt wurde, mußte sie in den Tonstrom hineinschwimmen. Sie wurde heiter und freiblickend, und das Kind auch – Triumph! Das Bild war gelungen.
Waren die Ausfahrten in der Stadt schön, so kam jetzt noch die schönste.
Man verließ die Residenz, der ganze Hof übersiedelte nach dem Sommerschlosse.
Es war ein schöner, heller Mittag, als man hinausfuhr. Es hatte lange nicht geregnet, aber kein Staub war auf der drei Stunden langen Straße, denn man hatte den Hofwagen voraus den ganzen Weg begossen.
Walpurga fuhr im offenen Wagen mit dem Prinzen und der Königin. Sie fuhr zum erstenmal hinaus durch die Dörfer und Felder, sie schaute zu den Menschen, die da in den Häusern aus den Fenstern sahen, vor den Thüren saßen, zu den Kindern, die stehen blieben und grüßten, und dann wieder hinaus ins Feld zu denen, die dort arbeiteten. Sie lächelte fortwährend und grüßte mit Augenwinken und Kopfnicken nach allen Seiten.
Die Königin fragte: „Was hast du denn? Was ist dir?“
„Ach, du mein Gott, verzeihen Sie, Frau Königin, da fahr’ ich in einem vierspännigen Wagen und dort arbeiten meinesgleichen, sorgen und kümmern und ich weiß, wie den Weibern der Rücken weh thut vom Kartoffelhäufeln, und da fahr’ ich vorbei, wie wenn ich was Besonderes wär’. Und da ist mir’s, wie wenn ich alle die Menschen um Verzeihung bitten müßte, weil ich so an ihnen vorbeifahr’, und ich mein’, ich muß ihnen sagen: Seid nur ruhig, übers Jahr bin ich auch wieder wie ihr, und die Kleider, die ich anhab’, und der Wagen und die Rosse, das ist alles nicht mein, ist alles nur geliehen! O, Frau Königin, verzeihen Sie, daß ich das alles so an Sie hinschwätze, Sie verstehen ja alles und wissen alles zum guten zu deuten. Ihnen mach’ ich mein ganzes Herz auf,“ endete Walpurga lachend.
„Jawohl versteh’ ich dich,“ erwiderte die Königin, „und es ist vernünftig, daß du unverwandt nach deiner Häuslichkeit siehst. Es betrübte mich stets, wenn ich überdachte, daß du nicht mehr glücklich wärest daheim. Glaube mir, wir, die im Wagen sitzen, haben’s so schlimm, wie die dort, die barfuß durch die Stoppelfelder gehen.“
„Das weiß ich,“ sagte Walpurga, „mehr als satt essen kann sich niemand, hat mein Vater immer gesagt, und die Fürstinnen müssen ihre Kinder auch selber tragen und mit Schmerzen gebären, das nimmt ihnen niemand ab.“
Die Königin schwieg und schaute zur Seite aus dem Wagen.
Die Oberhofmeisterin winkte Walpurga, sie solle nichts mehr reden. Denn so war’s: man brachte Walpurga nicht leicht zum Sprechen; wenn sie aber einmal hineinkam, konnte sie auch nicht wieder aufhören; das kollerte und rauschte und rollte fort und fort wie ein Sturzbach.
Die Königin aber hatte nur geschwiegen, weil sie der Oberhofmeisterin gern etwas auf französisch gesagt hätte, es aber der früheren Mahnung wegen zurückhielt.
„Liebes Kind,“ begann die Königin endlich wieder, „wenn ich wüßte, daß alle Menschen dadurch glücklich und zufrieden würden, ich würde gern alles abthun und nichts vor ihnen voraus haben wollen. Aber was nützte es? Mit Geld ist den Menschen nicht zu helfen, und wir Menschen sind es nicht, die die Ungleichheit in die Welt gesetzt haben. Das ist so Gottes Ordnung.“
Walpurga hätte darauf schon etwas zu sagen gehabt, aber man muß auch etwas stehen lassen können auf morgen, und „es wäre nicht gut, wenn man alle Fische an einem Tag fangen könnte,“ hatte ihr Vater oft gesagt. Sie schwieg.
Es war der Königin ein lästiger Zwang, daß sie versprochen hatte, vor Walpurga nicht mehr französisch zu sprechen. Sie hatte manches zu sagen, wo die Bauersfrau nichts darein zu reden hatte.
„Wie ist die Welt so groß und schön,“ sagte sie halblaut für sich; sie schloß dann die Augen wie müde von all der weiten Pracht, die sich nach langer Einsamkeit wieder vor ihr aufthat, und wie sie so dalag, den Kopf in die Kissen zurückgelegt, war sie anzuschauen wie ein schlummernder Engel, so friedlich, so zart, Mutter und Kind in einem Antlitz.
„Ich mein’, ich hätt’ da in den Kissen auf weichen Wolken gesessen,“ sagte Walpurga, als man am Ziele anlangte.
Sie war unsäglich glücklich auf dem Lande. Da kann man so weit sehen, Himmel und Berge, und der schöne große Garten und überall gute Bänke, und die Springbrunnen und die Schwäne und eine Viertelstunde davon eine prächtige Meierei mit Kühen, die in einem Stalle stehen, schöner als der Tanzboden beim Gemswirt.
Walpurga saß fast den ganzen Tag mit der Königin im Freien, die Königin lebte nur ihrem Kinde, und Walpurga war gesprächig und einfach; das ganze Gethue, das sie sich drin in der Stadt fast angewöhnt hätte, fiel auf einmal wieder von ihr ab.
In ihrem ersten Briefe nach Hause – sie konnte jetzt schon selbst schreiben – schrieb sie:
„Wenn ich Euch nur einen einzigen Tag da hätte, um Euch alles zu erzählen. Denn wenn der Himmel lauter Papier und unser See lauter Tinte wäre, ich könnte doch nicht alles beschreiben. Wenn’s nur nicht so weit her wäre, Hansei, hier kostet das Pfund Fische doppelt so viel als bei uns. Wir wohnen jetzt auf der Sommerburg. Und denke Dir, Mutter, was so ein König alles hat. Er hat sieben Schlösser und die sind alle eingerichtet, alle mit hundert gerichteten Betten, Stuben und Küchen, alles überall voll, und wenn man von einem Schloß nach dem andern zieht, braucht man keine Gabel mitzunehmen und keinen Löffel, und alles ist hier von Silber, und der Doktor und die Apotheke und der Pfarrer und die Hofleut’ und die Pferde und die Wagen, alles ist mit uns herausgezogen, eine ganze Stadt ist bei uns im Schloß. Und das beste Bier hab’ ich, mehr als ich mag. Und wenn man morgens aufsteht, ist alles wie aus dem Ei geschält, auf den Wegen liegt kein Blättchen, und da ist noch ein Haus, das ist ganz von Glas, da drin wohnen die Blumen, ich darf aber nicht hinein, weil es zu heiß drin ist, da wird das ganze Jahr geheizt, da sind lauter große Palmen und Bäume aus dem Morgenland. Und da haben sie hier im Teich einen Brunnen, da steigt das Wasser fast so hoch wie ein Kirchturm zum Himmel hinauf, und denket nur, was so ein König alles haben kann! Da steht ein Regenbogen den ganzen Tag, wenn die Sonne scheint, bald unten, bald oben. Freilich die Sonne, die kann er auch nicht machen und niemand. Und alle Menschen thun mir, was sie mir an den Augen absehen können; ich darf gar nicht sagen: das gefällt mir, sonst krieg’ ich’s auch gleich.
Die Königin ist gegen mich wie mein Gespiel, ja wie Du, Stasi. Ich wünsch’ Dir viel Glück zu Deiner Hochzeit, ich hab’s erst von der Zenza erfahren. Ein Hausschenk kriegst Du noch von mir. Wünsch Dir was. Jetzt bitt’ ich aber, mir recht ordentlich zu sagen, wie es meinem Kind geht; daß Ihr es habt auf der Metzgerwage wägen lassen und daß es so schwer ist, hat mir nicht gefallen; das hätte ich nicht geglaubt von Dir, Mutter, daß Du das leidest, und auch von Dir, Hansei, daß Du dem Gemswirt das nachgibst. Nimm Dich vor dem Gemswirt in acht, es hat mir vergangene Nacht geträumt, daß Du mit ihm über den See fährst, und er packt Dich und reißt Dich hinein, und dann ist wieder alles nichts gewesen, und dann ist mir die Seejungfrau erschienen, aber sie hat wie die gute Gräfin ausgesehen, die jetzt fort ist. Das ist hier meine beste Freundin, und sie hat mir versprochen, Euch auf dem Herweg zu besuchen; der könnt Ihr alles sagen und geben, es ist grad, als ob ich’s selber wär’. Eben jetzt kommt mein Essen, ach, liebe Mutter, wenn ich Dir nur davon geben könnte. Es gibt hier so viele gute Bissen und es bleibt immer so viel übrig. Laß Dir nur nichts abgehen und auch dem Hansei nicht, und meinem Kinde nun gar nicht, wir haben’s ja jetzt, gottlob, und ich will noch lang an Dir haben, Mutter. Es thut mir oft weh, daß ich nicht auch Mutter sein darf, ich mein’, rechte Mutter, aber ich will schon, wenn ich wieder heimkomme; ich will meinem Kind alles ersetzen. Und, Hansei, leg das Geld alles auf Zinsen, bis ich wieder heimkomm’; denk, es gehört nicht unser, es gehört unserm Kind, dem wir die Mutter weggenommen haben.
Meine Mamsell Kramer, die den ganzen Tag bei mir ist, die ist hier geboren, sie ist aber lieber in der Stadt als hier, und sie sagt, früher sei es hier noch viel schöner gewesen, da sei alles so gewesen wie drüben noch in dem kleinen Garten, da sind Wände aus lauter Laubwald gemacht und Stuben und Kämmerchen mit Thüren und Fenstern; schön ist’s freilich, und ich geh’ gern hin, aber, wenn ich ein paar Minuten dort bin, da krieg’ ich eine Himmelsangst, ich mein’, ich wär’ verzaubert und die Bäume verzaubert, und ich mach’, daß ich bald wieder herauskomm’. Meine Mamsell Kramer ist gar eine gute Person, aber es schmeckt ihr nichts recht. Das Fahren und Essen und Spazierengehen ist sie von jeher gewohnt, und denket nur, Mutter, was ich hier gegessen hab’? Lebendiges Eis. Die Menschen sind hier gar gescheit, die können Eis aufbewahren und einmachen, daß man’s essen kann. Ja, wenn das für den Hunger wär’, da gäb’s bei uns keine hungrigen Leute im Winter und auch im Sommer nicht, weiter oben im Gebirg. Und, Mutter, Du hast mir einmal ein Märchen erzählt, wo die Wände Ohren haben, das ist aber kein Märchen, das ist wahr, das ist so, aber es geht alles natürlich zu, da laufen durchs ganze Schloß lauter Sprechtrompeten, und da kann man miteinander sprechen und alles sagen, und wenn ich etwas haben will in mein Zimmer, geh’ ich nur an die Wand hin und sag’s, und in der Minute ist’s schon da.
Heut ist ein schöner Tag, und wenn ich das so merke, denk’ ich immer: ja und den Tag habt Ihr auch, dieselbe Sonne scheint auch zu Euch.
Das Hauptgeschäft hier ist Spazierengehen. Alles muß hier spazieren gehen, man heißt das hier Bewegung machen, damit man wieder gut essen kann und einem die Glieder nicht steif werden. Auch die Pferde werden spazieren geführt, wenn sie nichts weiter zu thun haben; morgens in der Frühe reiten die Stallknechte mit ihnen weit hinaus und kommen dann wieder heim. Oft habe ich schon gedacht, wenn nur die Pferde mich jetzt auf eine Stunde hätten heimbringen können. Ich habe doch oftmals noch Heimweh, ich bin aber wohlauf und gesund und wünsche nur, daß es bei Euch auch so sei.
Eure Walpurga.“
„ Nachschrift. Warum schreibet Ihr mir gar nichts von dem goldenen Herzchen an der seidenen Schnur, das meine Gräfin meiner Burgei geschickt hat? Und es soll mir keines mehr eine Bittschrift schicken und keines mehr zu mir kommen, ich nehm’ nichts mehr an. Solang mir ein Aug’ offen steht, werd’ ich’s bereuen mit der Zenza und dem Thomas, aber vielleicht ist’s doch gut und er ist brav geworden. Ich bitt’ Dich nochmals, lieber Hansei, nimm mir’s aber ja recht nicht übel, laß Dich nicht zu sehr mit dem Gemswirt ein, er ist ein Schelm und Verführer. Du brauchst ihm aber nicht zu sagen, daß ich Dir’s geschrieben habe, ich will keinen Menschen zum Feind haben. Ich grüße alle guten Freunde. Ich kann nicht weiter, meine Hand ist mir ganz steif vom Schreiben.
Halt! Ich muß doch noch einmal dran. Da schicke ich Euch das Bild von mir und meinem Prinzen, wir sind abgenommen worden in einem Guckkasten, ehe wir hier herausgezogen sind.
Nun bin ich, solange der Welt ein Aug’ offen steht, mit meinem Prinzen abgemalt, wir sind immer beieinander und ich halt’ ihn auf den Armen. Aber ich bleib Euch doch, Dir, lieber Hansei, und Dir, liebe Mutter, und erst gar meinem Kind, das trag’ ich im Herzen, wo’s niemand sieht. Zeiget aber das Bild niemand.
Ach Gott, was wird’s helfen, wenn Ihr das Bild nicht zeiget? Wie mir die Mamsell Kramer sagt, sind hunderttausend Bilder von mir und meinem Prinzen gemacht, und jetzt häng’ ich in allen Kaufläden, und wenn ich wohin komme, kennt man mich, so gut wie die Königin und den König, die daneben hängen, ich mein’, ich kann mich gar nicht mehr sehen lassen; aber wenn ich mir’s recht überlege, ist’s eigentlich doch eine Ehre, ich bin jetzt einmal draußen in der Welt und muß mit mir machen lassen, was man mir befiehlt.
Aber ich bleib Euch getreu und bin nirgends daheim als bei Euch, und bin in Gedanken immer bei Euch.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Auf der Höhe - Band 1