Sechzehntes Kapitel. - „O wie schön! wie wunderschön! Ist denn das alles mein?

„O wie schön! wie wunderschön! Ist denn das alles mein? Bin ich denn das? Bist du’s? die Walpurga von der Gstadelhütte am See? Was die sich einbildet!“
Mit solchen und noch übermütigeren Ausrufungen stand Walpurga vor dem lebensgroßen Spiegel und war so entzückt, daß Mamsell Kramer sie halten mußte, damit sie nicht in den Spiegel hineinsprang und die Figur da drin umhalste.
Die neuen Kleider vom Hofschneider waren gekommen. Man kann nicht sagen, was schöner ist, das Mieder, der Rock, das Goller, das Hemd mit den kurzen weiten Aermeln – aber nein! der grüne, schmalkrempige Hut mit Blumenbusch und Goldschnur, daran die beiden goldenen Troddeln, der ist doch noch das Schönste, er sitzt, wie aufgegossen, und man meint, man hat gar nichts auf dem Kopf, so leicht ist er! Jetzt noch ein bißchen besser links, so – beim Blitz! Du bist schön! die Leute haben recht! – Sie stemmte die Hände in die Seiten und drehte sich um und um und tanzte im Zimmer umher wie besessen, und dann stand sie wieder vor dem Spiegel, und starrte hinein, lautlos, wie verloren. –
Ja, der Spiegel! Walpurga hatte in ihrem ganzen Leben noch nie ihre volle Gestalt gesehen von Kopf bis Fuß. Was sieht man in so einem Batzenspiegel daheim? Kaum das Gesicht und ein Stückchen vom Hals!
Sie faßte sich um den Hals, den jetzt eine siebenreihige Granatschnur mit einer Agraffe vorn umschloß. Und wie gescheit ist die Mamsell Kramer! was kann die für Künste! Sie hatte noch einen auf Rollen laufenden großen Spiegel hinter sie gestellt, und jetzt kann Walpurga auch sehen, wie sie von rückwärts ausschaut, um und um! O was können die Menschen für Künste! Was weiß man da draußen von der Welt? Nichts, gar nichts, und von sich selber erst recht nichts!
„Also so schaut die Walpurga aus? So kommt sie daher, wenn die Leute ihr nachsehen? So von der Seite und so von der andern? Ich muß sagen, du gefällst mir; bist gar nicht uneben! Also das ist die Frau von Hansei? Er kann zufrieden sein und er ist brav und gut und hat sie mit Treuen verdient.“
So sprach Walpurga mit sich; ein wundersamer Wirbel hatte sie erfaßt; sie hatte zum erstenmal in ihrem Leben sich selbst ganz gesehen.
Der erste fremde Mensch, der sie so sah, war der Lakai Baum.
Baum ging immer in Schuhen ohne Absätze, und trat dabei mit dem ganzen Fuße auf, so daß man ihn nicht kommen hörte; er kam überall hin so bescheiden, als ob er nicht stören wollte, aber er verrät nie etwas, und er ist zu allem zu gebrauchen.
„Ei, wie schön!“ rief er und war ganz starr vor Bewunderung.
„Er hat mich gar nicht schön zu finden! Er ist ein verheirateter Mann und ich bin eine verheiratete Frau!“ sagte Walpurga; ihre eigene Stimme kam ihr fremd vor.
„Der Herr Oberhofmarschall befehlen,“ sagte Baum, als ob er früher nichts vorgebracht und nichts gehört hätte, in ordonnanzmäßigem Tone – „die Amme soll, wenn Seine königliche Hoheit der Kronprinz schlafen, sofort in die Schloßkapelle kommen; es wird jetzt Probe gehalten.“
„Ich habe meine Kleider schon hier anprobiert,“ erwiderte Walpurga.
Der Lakai erklärte, daß es sich nicht um Kleideranprobieren handle, sondern, daß sämtliche Teilnehmer, mit Ausnahme der Allerhöchsten Herrschaften, die Ordnung des Zuges bei der großen Feier vorher probieren, damit morgen alles ohne Störung vor sich gehe.
Walpurga ging mit Baum.
Im großen Thronsaal waren die Herren und Damen vom Hofe versammelt, und es war ein wirres Durcheinandersprechen, das von der hohen Wölbung seltsam widertönte. Als Walpurga eintrat, hörte sie vielfach wispern. – Manche sagten auf französisch, manche aber auch gradaus deutsch, die Amme sei ein Prachtstück von einer Hochlandsbäuerin. Walpurga lächelte nach allen Seiten hin, ganz frei.
Jetzt stellte sich der Oberhofmarschall, der einen Stock mit goldenem Knopfe in der Hand trug, auf die unterste Stufe des Thrones, der mit einem Hermelinmantel verdeckt war. Er stieß mit dem Stocke dreimal auf den Boden, dann hielt er den Stock unter dem Knaufe hoch. Die Anwesenden hatten bereits einen gedruckten Zettel in der Hand; auch Walpurga erhielt einen solchen. Der Oberhofmarschall verlas ihn noch einmal, und schärfte genaueste Innehaltung des Programms ein. Der Zug ging nun durch die Bildergalerie und den Ahnensaal in die Kapelle. Im Vorhofe derselben war es wie in einem Zaubergarten voll großer fremder Bäume und stark duftender Blumen; auch die Kapelle war mit Bäumen und Blumen verziert, und oben an der Decke flogen Engel in der Luft herum.
Die Oberhofmeisterin, die heute noch strenger aussah als an jenem ersten Abend, war in voller Amtsthätigkeit; jetzt ist nicht Zeit zum Kranksein.
Sie schärfte Walpurga, die neben ihr ging, nachdrücklich ein, den Prinzen ja recht behutsam zu tragen und wenn sie ihn am Altar in die Arme des Paten lege, ihre Arme nicht eher zurückzuziehen, als bis sie ganz sicher sei, daß der Pate den Prinzen festhalte.
„Das versteht sich von selbst, so dumm bin ich doch nicht!“ sagte Walpurga. „Ich verlange keine Antwort.“ Die Oberhofmeisterin war bös auf Walpurga; sie wollte eigentlich bös auf die Königin sein, weil diese die arme Magd so verwöhnte, aber man kann der Walpurga doch eher entgelten lassen, was nicht recht ist, als dahinauf der Allerhöchsten.
Alle Gruppen plauderten miteinander, als ob man auf einem Tanzboden wäre, ja man hörte oft sogar Helles Lachen.
Der Oberhofmarschall stellte sich am Altar auf, rief die einzelnen an und fragte, ob alles richtig stehe. Mit Lachen wurde von da und dort ja geantwortet.
Walpurga schaute jetzt zum erstenmal am hellen Tag zudem Marienbilde auf, das sie am Abend ihrer Ankunft beim Schein der ewigen Lampe gesehen hatte, und sie sagte fast laut zu dem Bilde hinauf: „Du mußt auch zusehen Probe halten.“ – Jetzt verstand sie, was Mamsell Kramer gesagt hatte: es wird den hohen Herrschaften alles vorher gekocht und angerichtet und richtig gestellt. Darf man das aber auch mit einer heiligen Handlung? Es muß doch sein, sonst thäte man’s nicht. Und der Hofkaplan ist ja auch dabei, freilich nicht im Kirchengewand; er spricht, wie wenn er auf der Straße wäre, mit dem Oberhofmarschall, und jetzt nimmt er eine Prise aus seiner goldenen Dose.
Also das ist die Probe, dachte Walpurga immer vor sich hin, als die Oberhofmeisterin ihr gesagt hatte, sie könne gehen, sie wisse jetzt den Ort, wo sie sich aufzustellen habe. Sie befahl ihr noch, morgen weißbaumwollene Handschuhe anzuziehen; sie werde ihr mehrere Paare schicken lassen.
Walpurga ging durch den Thronsaal zurück, und dann durch die Bildergalerie; sie schaute sich nicht um, sie ging weiter durch viele Gemächer, und plötzlich stand sie vor einem dunklen, großen Zimmer. Die Thür stand offen, aber man sah nicht, wohin das führt. Sie kehrte erschreckt um. Sie hatte sich verirrt. Ueberall war’s so still, als ob sie aus der Welt draußen wäre. Sie sieht durchs Fenster, da ist eine Straße, die sie gar nicht kennt, sie weiß nicht, wo sie ist, sie eilt weiter, sieht aus der Ferne an den Wänden wunderbare Menschen und Tiere und Gegenden, und plötzlich schreit sie laut auf – der lebendige leibhaftige, pechschwarze Teufel kommt auf sie zu und fletscht die Zähne.
„Lieber Gott! verzeih mir meine Sünden. Ich will gewiß nicht wieder stolz und eitel, ich will brav und gut sein!“ schreit sie laut auf und streckt die Hände vor sich hin. „Was schreist du so? – Wer bist du?“ ruft der Teufel.
„Ich bin die Walpurga vom See, und hab’ daheim ein Kind und einen Mann und eine Mutter, sie haben mich geholt, ich soll die Amme vom Kronprinzen sein, ich hab’s aber nicht gewollt – „
„So? Du bist die Amme? Du gefällst mir.“
„Ich will dir aber nicht gefallen. Ich will niemand gefallen. Ich hab’ meinen Mann, und will weiter von niemand was.“
Der Schwarze lachte laut auf.
„Was thust du da in den Gemächern meines Herrn?“
„Wer ist dein Herr? Ich will nichts von deinem Herrn! Ich und alle guten Geister loben Gott den Herrn! Sag an, was ist dein Begehr?“
„Du dumme Einfalt! Mein Herr ist ja der Bruder von der Königin, und ich bin gestern abend mit ihm hierhergekommen; ich bin sein Kammerdiener.“
Walpurga konnte noch immer nicht fassen, wie das zugeht. Jetzt kam glücklicherweise der Herzog in Begleitung des Königs aus dem Gemache.
Der Herzog fragte den Mohren in englischer Sprache, was hier vorgegangen sei, und der Mohr erzählte ebenfalls englisch, wie ihn die Bauersfrau für den leibhaftigen Teufel gehalten habe; der Herzog und König lachten laut.
„Wie kommst du hierher?“ fragte der König.
„Ich hab’ mich von der Kapelle aus verirrt?“ erwiderte Walpurga. „Mein Kind wird schreien – ich bitte, führt mich gleich zu ihm.“
Der König winkte einem herzutretenden Lakaien, sie nach ihren Gemächern zu führen, und als sie davonging, hörte sie, wie der Oheim, der doch der Hauptgevatter ist, sagte:
„Das ist eine kräftige Milchkuh aus dem Hochland.“
Als sie wieder in ihrem Zimmer war und sich im großen Spiegel sah, sagte sie zu ihrem Ebenbilde:
„Du bist nichts als eine Kuh, die schwätzen kann und der man Kleider anzieht. So. Geschieht dir recht! Jetzt hast dein Sach’!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Auf der Höhe - Band 1