Auf dem Land - Sitten und Bräuche - Die ereilten Flüchtlinge

Unsere diesjährige Stahlstichprämie stellte ein Familiendrama dar, wie es so häufig unerwartet gerade in vornehmen Häusern hereinzubrechen pflegt. Das junge Mädchen, unerfahren, romantisch und von Leidenschaft verblendet, lässt sich von einem ebenso jungen, schönen, verführerischen, leichtsinnigen Mann entführen. Sie entfliehen aus dem elterlichen Hause, wo er als unbemittelter Verwandter hilfreiche Aufnahme gefunden, und das Ende ist Schrecken und Kummer in dem Hause, welches das Paar so leichtsinnig verlassen, und Elend und Armut, denen die Unbesonnenen entgegen sehen.

Hier auf unserem Bild ist die Mutter schnell entschlossen der Spur der Flüchtlinge nachgefahren und hat sie am Morgen in dem Bauernwirtshaus erreicht, wo sie das einfache Frühstück eingenommen haben. Der Augenblick, wo die Mutter plötzlich vor ihre verleitete Tochter hintritt, ist vom Maler Eduard Kurzbauer (1840-1879) in München mit großer Meisterschaft uns veranschaulicht worden. Der Ausdruck von tiefstem Kummer im Gesicht der Mutter, das Gefühl der Beschämung, der bittersten Reue schon in der Haltung der Tochter, der Zug von Schuldbewusstsein und Trotz in den Mienen des schönen Jünglings. Die feingezeichnete Teilnahme der mannigfaltigsten Personen, die in dem Zimmer anwesend sind, der edle, lebensvolle Hauch, der aus dem Ganzen uns anweht, macht dies Gemälde so zum Herzen sprechend und wir sehen vor uns, ja wir erleben hier einen Roman, der wie ein Stück wirklichen Lebens in unsere Seele sich einprägt. Eine solche Wirkung kann nur ein Meisterwerk, ein wahrhaft vollendetes Kunstwerk – und solches ist unsere Stahlstichprämie, von der wir hier einen Holzschnitt geben – hervorbringen. Dieses Bild: „Ereilte Flüchtlinge“, ist eines der feinsten und ansprechendsten Genrebilder unserer Tage.