Auf dem Heringsfang in Schottland

Aus: Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt
Autor: Redaktion: Gartenlaube, Erscheinungsjahr: 1875

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Schottland, Heringsfang, Fischerei, Fischfang, Fische, Heringe,
Schottland ist ein klassisches Land für Fischerei. Der Reichtum seiner rasch fließenden Bergströme, seiner Seen und Föhrden, wie der das Land umschließenden Meeresteile an Fischen ist groß. In den Flussmündungen, wie eine Strecke hinauf ins Land ist zu bestimmten Jahreszeiten der Lachsfang äußerst ergiebig, beispielsweise schätzt man den Wert der Lachsfischerei des Tay allein auf jährlich 18.000 Pfd. Sterl.. und der jährliche Brutto-Ertrag des Fanges dieses wertvollen Tafelfisches in Schottland wurde mir bei meiner Anwesenheit im vorigen Herbst auf 200.000 Pfd. Sterl. angegeben. Dennoch tritt diese Fischerei, welche auf das Sorgfältigste durch eine Reihe von Gesetzen und Einrichtungen, wie auch durch eine von Beteiligten errichtete und unterhaltene Brutanstalt gehegt und gepflegt wird, zurück vor der Bedeutung und dem Umfange der alljährlich zu verschiedenen Zeiten an den Küsten und Inseln Schottlands betriebenen Heringsfischerei, Alles vereinigt sich zu einem massenhaften Fange, der unter den für die Verwertung günstigsten Verhältnissen ausgeübt wird. Die wichtigste Gegend für dieses Gewerbe ist die Ostküste Schottlands, und hier fällt die Hauptfangzeit in die Monate Juni bis August. Zu dieser Zeit verweilte ich im vorigen Sommer in Schottland und unternahm mit einem Peterhender Fischerboot eine nächtliche Fischerfahrt.

Dieser kleine Hafen ist auf einer in die See hinausreichenden Landzunge äußerst günstig für den Betrieb gelegen. Es ist nämlich sehr wesentlich, dass die Boote nur eine kurze Fahrt bis zu höchstes fünf deutschen Meilen von der Küste, zu der Stelle, wo der Häring zu ziehen pflegt, zurückzulegen haben. Für die eigentliche Hochseefischerei sind die Boote nicht eingerichtet. Peterhead ist denn auch ein rechter Fischerort, und zur Sommerszeit duftet hier Alles nach Hering, was freilich für den daran nicht Gewöhnten nicht eben angenehm ist. Zweiräderige Wagen mit Fischabfällen oder zum Trocknen bestimmten Netzen rollen den ganzen Tag über durch die Straßen und über den Hauptplatz des sonst sauberen und freundlichen Ortes, dessen Häuser, wie fast überall in Schottland, aus Granit erbaut sind, gleichsam zur Versinnlichung des bekannten Wortes, welches ein Grundrecht des britischen Volkes kernig ausspricht: „Mein Haus ist meine Burg." Am Hafen entrollt sich uns das Bild emsigster Tätigkeit. Weitaus die Mehrzahl der Fahrzeuge besteht aus Heringsbooten, sogenannten Halbdecksbooten, deren größter Raum für die Aufnahme der Netze und des Fanges bestimmt ist, während eine kleine Kajüte mit Ofen und Schlafstätten nur eben für die fünf Mann, welche gewohnt sind, auf solchem Fahrzeuge zu Hausen, groß genug ist. Diese Heringsboote haben eine Länge von etwa 45 Fuß, eine Breite von 16 Fuß und nur einen Mast.

Dem regen Leben in und vor dem Hafen, wo zahlreiche Fahrzeuge mit ihren rotbraun geteerten Segeln — die Nummern und Buchstaben auf den Segeln geben den Distrikt an, wo das Fahrzeug registriert ist — aus- und einliefen, entsprach die rastlose Tätigkeit am Lande. Eine Menge Frauen und selbst kleine Mädchen sind um große Tröge, welche im Boden festgemacht sind, emsig beschäftigt; neben ihnen liegen, in Körben aufgehäuft, die silberglänzenden Fische, welche jene Boote mit den jetzt zu einem Berge aufgestapelten Netzen dem Meere abgewonnen haben. Diese Netze bestehen aus baumwollenen mit Catcchu getränkten Fäden. Es ist die Arbeit des Ausweidens der Fische, welche hier im Gegensatze zu der deutschen und holländischen Fischerei am Lande verrichtet wird. Die holländischen und deutschen Fahrzeuge fischen nämlich, auf so und so viel Tagesreisen von der Heimat entfernt, auf hoher See. Der Hering wird daher dort an Bord ausgeweidet und in Fässer verpackt, und dieser Betrieb bedingt also größere Fahrzeuge und mehr Mannschaften. Hier sehen wir wiederum Mädchen mit dem Verpacken der ausgeweideten Heringe in Fässer beschäftigt, wobei immer eine Lage Salz und eine Lage Heringe abwechseln. Der Betrieb der schottischen Heringsfischerei geschieht auf Grund des bei diesem Gewerbe überhaupt fast überall durchgeführten Anteilssystems. Ein Viertel des Ertrages kommt dem Boote zu, das bald nur Einem, bald aber Mehreren gehört. In die verbleibenden drei Viertel teilt sich die Mannschaft bis auf Einen, der von den Übrigen im Lohne angenommen wird, nach einem bestimmten Maßstab, wobei selbst der Schiffsjunge einen kleinen Anteil erhält. Die Netze gehören den Fischern; ein jedes dieser Netze kommt auf etwa dreiundeinhalb Pfund Sterling zu stehen.

Unsere Fahrt schien eine günstige zu werden. Allem Anscheine nach war kein Unwetter zu erwarten; blau wölbte sich der Himmel, und eine frische Brise wehte vom Lande. Mit zwei Freunden vertraute ich mich daher ruhig einem dieser kleinen Fahrzeuge an, welches der mir bekannte Chef eines großen Heringsgeschäfts von Peterhead ausgesucht hatte. Einige hundert Fischerfahrzeuge verließen mit uns zu gleicher Zeit den Hafen, und es war eine Lust zu sehen, wie unser Fahrzeug, welches ein guter Segler war, allmählich die ganze, mit ihren rotbraunen Segeln im Sonnenscheine lustig dahin gleitende Flottille überholte. „Mary Isabella" war der Name unseres Bootes; es gehörte dem Fischer Anderson aus Pettenweem, einem Fischerdorfe an der Föhrde des Forth. Im Ganzen bestand die Besatzung aus sieben Mann. Darunter befanden sich Herr Anderson und sein Sohn, drei Fischerleute, ein Junge und ein nur für die Dauer der jetzigen Sommerheringsfischerei angenommener Arbeiter, ein Maurergeselle aus Edinburgh. Die Fahrt ging gleichmäßig und ruhig von Statten, still und emsig tat Jeder das Seine; nicht ein Scheltwort hörten wir auf der ganzen Fahrt, in Kurzem war Alles für die Fischerei vorbereitet. Der Fang geht in der Weise vor sich, dass eine Reihe von Netzen, die an einer durchgehenden Leine befestigt und deren Lage durch eine Anzahl mit dem Netze in Verbindung stehender luftgefüllter Ballons (Dogs) aus Schaffellen oder Guttapercha kenntlich ist, hinabgelassen werden. Das Fahrzeug zieht, am Fischplatz angekommen, die Segel ein und treibt vor dem Winde, Der Umfang eines solchen Netzes ist folgender: Länge der Leine, an welcher das Netz befestigt ist, neunzehn Faden. Länge des Netzes sechzig Yards, Tiefe desselben fünfundvierzig Fuß englisch; ein Quadratfuß eines solchen Netzes enthält ungefähr fünfzig Maschen.

Da der Zug der Heringe ungefähr parallel der Küste, von Norden nach Süden ging, so kam es darauf an, dass die Netze, welche, getragen durch die Ballons, wie ein Gitterwerk aus Baumwollzeug senkrecht im Wasser gehalten werden, den Zug der Fische gleichsam auffingen. Die Heringe geraten mit ihren Kiemen in die Maschen und werden auf diese Weise gefangen. Wir waren etwa zweiundzwanzig Miles von der Küste, als Master Anderson, ein bedächtiger wohlerfahrener Fischer, es an der Zeit hielt, die Netze auszuwerfen. Eine Anzahl Böte in unserer Nähe schickte sich zu der gleichen Arbeit an, Mast und Segel wurden gestrichen, die Netze langsam von drei Leuten in das Wasser gelassen, wobei der vierte die Ballons nach einander nachwarf. Im Ungewissen Lichte des Abends — es war bereits auf acht Uhr — ging das ganze Geschäft mit größter Ruhe vor sich. Die Strahlen des Mondes glitzerten aus der glatten Wasserfläche, und wo man hinblickte, sah man die dunkeln Punkte der treibenden Netzballons. Halb zwölf Uhr Nachts wurde eines der Netze zur Probe aufgezogen, und der Fang erwies sich als ziemlich reich. Die frischgefangenen Heringe, welche zum Teil noch lebten, sahen in ihrem silbernen Schuppenkleide ganz Prächtig aus. Einzelne sprangen und zappelten. Die Arbeit des Ausschüttelns, beziehungsweise des Ausnehmens der Fische aus den Maschen wird mit großer Geschwindigkeit verrichtet, und zwar in der Weise, dass das Netz, nachdem es von einem Mann an Backbordseite aufgezogen, quer über den offenen für die Fische bestimmten Raum emporgeholt und ausgeschüttelt wird, wobei drei Mann auf der Backbordseite, zwei Mann auf der Steuerbordseite ihren Posten haben, während der sechste die Ballons einnimmt. Der Schiffsjunge hat seinen Platz an der Stelle, wo die Netze aufgenommen werden, und fischt die bei dem Aufnehmen des Netzes ans den Maschen fallenden Heringe mit einem Hamen aus der See. Der Fang ergab sich als ein mittelguter. Das Quantum betrug fünfundzwanzig Crans (das Maß der Fischer, während im Handel die Tonne und das Barrel den Maßstab gibt).

Die Heringsfischer pflegen über die Lieferung eines bestimmten Quantums Heringe in so und so viel Hundert Crans einen Vertrag mit den Heringssalzern abzuschließen, welche Letztere die Fische, in Barrels gepackt und gesalzen, teils direct verschicken, teils sie wiederum an Großhandlungshäuser zur Versendung übergeben. Der Wert des Fanges dieser Nacht war etwa dreißig Pfd. Sterl. (gleich sechshundert Reichsmark). Die Revision der Netze nach dem Fischen erforderte noch einige Zeit, dann kam der für die Leute willkommene Moment der Ruhe und eines sehr primitiven Genusses, welcher in heißem Kaffee und frischgebratenen Heringen bestand. Auch die Zeit, während die Netze im Wasser waren, wurde noch von Einem der Leute dadurch ausgenutzt, dass er mittelst der Angel dem Blackfischfang oblag. Das Resultat war nicht weniger als zweiundzwanzig Stück dieser Fische von der Größe eines Kabeljaus. Die Burschen machten einen gewaltigen Lärm, wenn sie mit Hilfe einer starken Angelschnur auf Deck geholt wurden.

Die Rückfahrt nach Peterhead war eine sehr langsame, denn da der Wind allmählich abstarb, bedurften wir wohl drei Mal soviel Zeit, als bei der Ausfahrt, denn die Aushilfe der Ruder ist doch nur eine ungenügende. Das Wetter blieb schön. Schon am Vormittage zeigten uns unsere Fischer am Horizonte in einer schwachen Rauchwolke unser Ziel, Peterhead, welches wir erst am Abend erreichten. Bei der Einfahrt in den Hafen war ein gewaltiges Gedränge der ein- und auslaufenden Böte. Immerhin war unsere Fahrt durch das Wetter im höchsten Grade begünstigt gewesen. Die Schwierigkeiten und Gefahren dieser Küstenfischerei sind nicht gering. Noch vor wenigen Wochen hatte ein mehrere Tage währender Sturm, wie unsere Fischer uns in ihrem sonderbaren schottisch-englischen Dialekt erzählten, arg unter der Fischerflotte gehaust und mehrere Menschenleben gefordert. Dennoch lieben diese Leute ihren Beruf, der ihnen reichliche Existenz sichert.

Man rechnete, dass im vorigen Sommer auf einer Strecke der schottischen Ostküste von einer Länge von siebzig englischen Meilen zwischen Aberdeen und Fraserburgh 1881 Boote mit dem Heringsfang beschäftigt waren, welche Heringe im Wert von einer halben Million Pfd. Sterl. landeten. Die Gesamtzahl der an der ganzen Ostküste bis nach den Orkney-Inseln hinauf, und ferner an der Westküste und den Hebriden beschäftigten Boote war aber 5600, welche von 35.000 Leuten bemannt waren. Das Salzen und Packen der Heringe am Lande gibt außerdem noch 30.000 Menschen Beschäftigung. Der Gesamtwert des schottischen Heringsfischereiertrags (Brutto) war über 1 Millionen Pfd. Sterl..

Deutschland ist einer der Hauptabnehmer der schottischen Heringe und Stettin der wichtigste Einfuhrplatz. Im Ganzen wurden im Jahre 1873 in das Zollgebiet des deutschen Reichs beinahe 800.000 Tonnen Heringe eingeführt. Um auch Deutschland einen Anteil an dem Ertrage der Fischerei zu sichern, hat sich vor einigen Jahren in Emden die „Emder Heringsfischereigesellschaft" gebildet, welche den Heringsfang in der Nordsee nach der verbesserten holländischen Methode durch eine Anzahl Logger betreibt. Der Brutto-Wert des Fischereiertrags dieser Gesellschaft war im Jahre 1875 77.000 Thaler. Die Förderung der deutschen Fischerei-Interessen ist in neuerer Zeit durch den vor einigen Jahren gebildeten Fischereiverein in Berlin in die Hand genommen. Derselbe ist sehr tätig, verfügt aber leider über nur geringe Mittel. Den Bemühungen dieses Vereins, welcher eine umfassende Untersuchung veranstaltete, sind die soeben erschienenen von dem Custos des landwirtschaftlichen Museums in Berlin, Dr. L. Wittmack, bearbeiteten „Beiträge der Fischereistatistik des Deutschen Reichs, sowie eines Teils von Österreich, Ungarn und der Schweiz" zu verdanken. Dieses wertvolle Werk, welches eine höchst interessante Karte über die Verbreitung der wichtigsten Tafelfische in Deutschland enthält, stellt leider fest, dass fast von allen Seiten über bedeutende Abnahme der Fische geklagt wird. Wer dieses Werk liest, der wird nicht in Zweifel darüber sein, dass die Pflege dieses wichtigen Zweigs der Volksernährung und des Volkserwerbs in Deutschland, verglichen mit England und den Vereinigten Staaten von Nordamerika, viel zu wünschen übrig lässt, Bremen, im April 1875.

Hart ist das Leben für die Fischer an der Ostsee.

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Fischeralltag

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In der Saison wird jede Hand gebraucht

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