Vierzehntes Kapitel. - Mit äußerster Bestürzung hörten die übrigen Gesandten dem Bericht Edikos zu; dieser fuhr fort: ...

Mit äußerster Bestürzung hörten die übrigen Gesandten dem Bericht Edikos zu; dieser fuhr fort: „Nachdem die Sklaven die Gerichte abgetragen und den Speisesaal geräumt – Vigilius schloß hinter ihnen die Thüre, nachdem er sich überzeugt hatte, daß sie auch den Vorsaal verlassen hatten – nahmen mir beide einen Eid ab, über den Vorschlag, den sie mir nun machen würden, und der mir nie schaden, aber unermeßlich viel nützen werde, unverbrüchlich zu schweigen, auch falls ich den Antrag ablehne. Ich beschwur es: denn nun allerdings wollte ich ihr Geheimnis erfahren.“ „Und so, elender Germane,“ schrie Vigilius in der Wut der höchsten Verzweiflung, „so hältst du deinen Eid?“ „Ich breche ihn nicht –“ sprach Ediko, ohne den Scheltenden eines Blickes zu würdigen, und ruhig fortfahrend, „denn ich schwor, zu schweigen, so wahr ich hoffe, selig zu werden unter den Heiligen im Himmelreich. Ich hoffe das aber mitnichten: ich hoffe, nach Walhall zu fahren zu Wodan. Da sagte mir des Kaisers erster Rat kühl ins Angesicht: ›ermorde Attila‹“ –

Ein Schrei der Wut, des Entsetzens, ein Stöhnen der Bestürzung ging durch die weite Halle.


„›Ermorde Attila, flieh nach Byzanz und sei der Erste nach mir an Macht, Reichtum und Glanz.‹ Da war es nun gut, daß ich, nach der Sitte der Paläste in Byzanz, meine Waffen an der Schwelle hatte ablegen müssen: sonst, fürcht’ ich, hätt’ ich im Heißzorn die beiden Mordbuben erschlagen, wo sie standen. So fuhr ich nur auf von den weichen Polsterkissen, wie von einer Natter gebissen: – ich wollte fort – hinaus! Da – ich weiß nicht, wie es kam! – stand plötzlich vor meinen Augen, meiner Seele ein blutiger Schatte ...“ er hielt tieferschüttert inne. „Meines Vaters Schatte,“ fuhr er, sich ermannend, kräftig fort. „Und ich gedachte eines schweren Schwures, den ich einst geschworen ... Du weißt, o Herr?“ Attila nickte verständnisvoll. „Und mahnend sprach mein Vater zu mir: ›nie kannst du deinen Eid furchtbarer erfüllen, als wenn du jetzt die Schande des Kaisers – diesen Mordanschlag – aufdeckst vor aller Welt!‹“

Sprachlos vor Schrecken starrten die vier römischen Freunde einander an. „Es – ist – unmöglich,“ stammelte der greise Maximinus. „Du wirst es greifen mit deinen Händen,“ fuhr Ediko ruhig fort. „Was ist unmöglich bei – Chrysaphios?“ flüsterte Priscus grimmig dem Senator zu. „Den Vertrauenswürdigsten aller Großen der Kaiserstadt – dich! –“ hob der Germane aufs neue an, „wollte ich zum Begleiter erhalten, weil dieser Begleiter Zeuge der Enthüllung werden sollte. – Ich bezwang den Zorn meiner gekränkten Ehre und ging ein auf den scheußlichen Antrag. Um sie sicher zu machen und um handgreifbaren Beweis zu gewinnen, fügte ich bei: ›es bedarf des Geldes dazu: nicht gar viel: etwa fünfzig Pfund Gold, die Krieger zu – belohnen, mit welchen ich die Wache beziehe vor des Hunnen Zelt.‹ ›Hier sind sie,‹ rief der Eunuch eifrig, sprang auf, griff in einen kleinen in die Marmorwand eingelassenen Kasten, zählte die Goldstücke eigenhändig in einen Beutel von schwarzem Leder –“

Da stöhnte Vigilius und wandt sich in den Händen seiner Wächter.

„Und reichte mir ihn dar: ich sah, er trug in Purpurfäden eingestickt die Aufschrift: ›des Chrysaphios Eigentum‹. ›Nein –‹ sprach ich und schob ihn zurück mit der Hand: ›nicht jetzt schon nehme ich das noch unverdiente Geld: erst die That, dann der Lohn. Geht nicht mit mir eine Gesandtschaft des Kaisers an den Hunnen?‹

›Gewiß!‹ rief Vigilius. ›Ich bin schon dazu bestimmt. Gieb mir den Beutel, Chrysaphios, hoher Gönner; ich werde ihn einstweilen verwahren.‹ Und der Eunuch hing ihm an der durchgezogenen Schnur den zusammengeschnürten Beutel um den Hals; er trug ihn seither auf der Brust, unter dem Gewand.“

„Und er trägt ihn noch!“ rief Attila. „Auf! Schlagt ihm die Chlamys zurück, greift in die Tunika! Rasch, Chelchal!“

Vigilius ward von den Fäusten der Hunnen wie in einem Schraubstock festgehalten: Chelchal griff ihm unter das Gewand: mit einem Ruck riß er die Schnur ab, zog den schweren schwarzen Beutel hervor, trug ihn hinauf und legte ihn vor die Füße seines Herrn.

Ein Gemurre der Wut ging durch die Reihen der Hunnen.

„Des Chry–saphi–os Eigen–tum,“ las Attila, buchstabierend, mit vorgebeugtem Haupte. Er schob den Beutel mit der Fußspitze von sich ab: „nehmt die Stücke heraus und wägt das Gold, ob es fünfzig Pfund sind, wie Ediko angiebt.“

„Das mögen sie wohl wiegen,“ schrie Vigilius, sich nun zur Verteidigung aufraffend. „Aber es ist doch alles Lüge.“ „So?“ fragte Attila, „Wozu denn führst du so große Summen – heimlich – bei dir?“ – „Herr, ... um . . Einkaufe zu machen im Hunnenland . . für mich und die Reisegenossen – Speise ... auch für die Rosse, die Maultiere Futter ... andere Lasttiere zu kaufen für die auf dem langen Weg unbrauchbar ...“ – „Schweig, Lügner! Ediko hat dir schon in Byzanz gesagt, daß ihr von der Grenze meines Reiches an meine Gäste seid, alles, dessen ihr bedürft, von mir geschenkt erhaltet. Ja, es ward euch verboten, Einkäufe zu machen. Denn gewerbemäßig betreiben die Gesandten des Kaisers von jeher unter diesem Anschein die Bestechung, das Auskundschaften.“ – „Und doch ist alles nur ein elender Streich des Germanen, alles ist Täuschung.“ „Auch diese Urkunde des Kaisers?“ fragte Ediko, ohne ihm einen Blick zu gönnen. Er holte eine Papyrusrolle aus der Gürteltasche des Wehrgehängs. „Man sieht sich vor bei Männern von Byzanz! Ich verlangte schriftlichen Ausweis vom Kaiser, daß solches sein Wille, auf daß ich nicht nach der ungeheueren That von ihm, statt belohnt zu werden, verleugnet würde. Beide fanden das nur billig. Der Eifer, dich, Herr, zu morden, machte die Schlauen thöricht. Sofort, noch in der Nacht, führten sie mich in die Gemächer des Imperators, weckten Martialis, den Magister officiorum, der bereits schlief, und gingen mit ihm und mit mir zum Kaiser, den sie noch wachend wußten: denn er wartete gierig auf Nachricht über den Ausgang der Verhandlung mit mir. Zwar ich ward zu so später Stunde des Anblicks des Herrschers nicht gewürdigt: sie ließen mich im Vorsaal warten – ich glaubte dort in meiner Einsamkeit, ich träume. – Aber bald kamen sie zurück und brachten mir die vom Magister officiorum – ,denn solches ist meines Amtes’ erklärte mir der Mann mit Stolz – geschriebene, vom Kaiser mit der kaiserlichen Purpurtinte, deren nur er sich bedienen darf, unterschriebene Urkunde. Und wirklich! Der Magister officiorum hat, wie er alle Staatsverträge des Reiches aufsetzt und mitunterzeichnet, auch diesen Mordvertrag, gar zierlich und formgerecht, in Paragraphen gefaßt. ›Denn das ist,‹ wiederholte er mir, als er mein Staunen merkte, ›meines Amtes Vorrecht.‹“

„Lies!“ gebot Attila.

„›Im Namen des Herrn Jesus Christus, unseres Gottes! Imperator Cäsar Flavius Theodosios, der Sieger über Hunnen und Goten, Anten und Sklabenen, Vandalen und Alanen, Perser und Parther, fromm, glücklich, ruhmvoll, sieghaft, nie besiegt, Triumphator, anzubeten in aller Zeit, Augustus, billigt und befiehlt, daß Ediko vollführe die rettende Tötung Attilas, unseres ärgsten Feindes, die Chrysaphios und Vigilius ihm aufgetragen haben. Fünfzig Pfund Gold sind ihm hierfür bereits ausbezahlt: fünfzig weitere wird er für die Wächter nach der That erhalten. Er selbst aber soll, sobald er nach Byzanz zurückgeflüchtet sein wird, die Würde eines Patricius, das Haus mit den goldenen Ziegeln und einen Jahresgehalt von 20 000 Solidi empfangen.‹ – Hier des Kaisers Unterschrift und des Magister officiorum.“

„Willst du nun noch leugnen, Hund?“ „Erbarmen! Gnade!“ schrie Vigilius. „Schone mein Leben!“ – „Was liegt mir an deinem Leben! – Zwar: ein kaiserlicher Gesandter, wegen Mordversuchs an dem besendeten Herrscher, auf kaiserlicher Legionenstraße aufgehängt an dürrem Baume, mit einer Tafel auf der Brust, die sein Verbrechen angiebt, – es wäre kein schlechter Schmuck des Hunnenlandes! Aber besser doch gefällt mir, daß ein andrer Gesandter des Kaisers, ein vollglaubhafter, ehrenhafter Mann, – ich danke Ediko, daß er dies erdacht und dich, o Maximinus, hierzu ausgesucht hat! – was er selbst hier in meiner Halle erlebt hat, bezeuge gegen den Kaiser zu Byzanz vor versammeltem Senat. Das, Maximinus, verlange ich von dir, um der Wahrheit willen!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Attila