Zehntes Kapitel. - Der hunnische Pindaros vermochte kaum seine Hymne zu Ende zu bringen. Immer stolzer, immer wilder, immer wütiger ...

Der hunnische Pindaros vermochte kaum seine Hymne zu Ende zu bringen. Immer stolzer, immer wilder, immer wütiger hatten die häßlichen Glotzaugen seiner hunnischen Zuhörer gefunkelt: schon an mancher Stelle waren ungegliederte, tierische Töne der Zustimmung laut geworden: gegen den Schluß hin war die Begeisterung auch durch die Scheu vor dem Herrscher kaum noch zu bändigen gewesen: – jetzt aber, nachdem der letzte Paukenschlag geschmettert, der letzte Schrillton des Hackbretts erklungen war, – jetzt brachen die Hunnen in der Halle in ein Jauchzen und Geheul aus, wie wenn dreihundert Teufel in der Hülle über einen Sieg des Satans jubilierten. Sie stürzten auf den Sänger zu, bedeckten ihn mit klatschenden Küssen, hoben ihn in die Höhe, – vorher war er dem Erdrücktwerden sehr nahe gewesen! – trugen ihn auf ihren Schultern die Stufen des Hochsitzes hinan und ließen ihn vor Attila niedergleiten. Der hatte längst einen Diener herbeigewinkt mit einer großen länglichen Truhe: nun schlug Attila den Deckel zurück: ein Schrei des Staunens entfuhr dem gierigen Dichter. „Herr! welcher Glanz! So viele Edelsteine! Tausend, o Glanz! Die Erde, dacht’ ich, trägt nicht so viele!“ – „Greif hinein! Dein Lied war schön, weil wahr: es verheißt eine ganze Handvoll von Siegen: so nimm auch eine Handvoll dieser Steine.“ Der Sänger ließ sich’s nicht zweimal sagen, griff zu und verwünschte seine Hand, daß sie nicht zehn Finger hatte.

Der Lärm unten im Saale hatte sich noch nicht gelegt: wüst und laut scholl es noch durcheinander, das mongolische Gezisch. Aber plötzlich machte sich durch all’ das Geheul und Gejohle der Hunnen hindurch vernehmbar ein andrer Klang: der schien, damit verglichen, aus einem Himmelreich herrlicher Lichtgötter zu stammen: rein, hell, schön und doch scharf, wie sieghafter Schwertesschlag; es war ein zorniger Vollgriff in die germanische Harfe!


Hoch horchten sie auf, die Hunnen: – ihr Sänger erschrak, er stolperte, er fiel fast auf Attilas Schulter: der Lärm verstummte sofort: Attila beugte sich etwas vor, er erkannte den Harfner, er schoß einen furchtbaren Blick auf ihn. „Jetzt, Chelchal,“ flüsterte er diesem, der Drulxal vorher mit hinangetragen und jetzt aufgerichtet hatte mit seinem Gefolge, zu. „Jetzt kommt das Ende.“

Hoch aufgerichtet stand Daghar in seiner ganzen Größe, in seiner ganzen schlanken, stolzen Jugendherrlichkeit; Flammen loderten aus seinen grauen Augen zu Attila empor, rote Gluten schossen ihm in die Wangen: mit rascher Handbewegung schlug er das dunkelblonde Gelock aus der Stirne zurück; noch einmal fuhr er dann klirrend, zornig über die Saiten seiner dreieckigen schwanenköpfigen Harfe; er trat einen Schritt näher gegen Attila hin und begann – atemlos lauschten alle Hunnen: – Wisigast legte warnend den Finger auf den Mund: – der Jüngling sah es gar nicht. Ildichos Herz aber schlug mächtig vor Erwartung, vor Furcht sogar, aber auch vor unsagbarem Stolz auf diesen wunderherrlichen königlichen Harfner, der ihr eigen war.

„Den Vorsang des Hunnen,“ begann er eisig, „haben wir Gäste gehört; man fragte uns nicht, ob wir ihn hören wollten: das klang wie des Rohrwolfs Geheul. Nun höret auch, ihr Hunnen – ungefragt! – des Germanen Nachgesang und – Antwort. Mir war, was der alte Brettklopfer da sang, war nicht ein Zug der Hunnen, den Attila noch führen wird. O nein: er hat ihn schon geführt. Nun hört, nachdem ihr Attilas Aufbruch vernommen, auch den Ausgang, das Ende, das die große Siegesfahrt genommen. – Wie hieß es doch zuletzt?

„Seht ihr in Wolken die flammende Rute?
Vorwärts! nach Westen hin weist der Komet.“

Und nun sang er in gotischer – den Hunnen sehr geläufiger – Sprache im Stabreim, was heute im Endreim etwa also lauten würde:

Aber in Gallien, fern an der Marne,
Standen zwei Männer in Waffen gesellt –
„Soll denn, erwürgt in dem hunnischen Garne.“
Klagte der eine, „verröcheln die Welt?“

Nein doch, Aëtius,“ lachte der zweite,
Warf in den Nacken das goldene Haar –
„Laß uns vergessen verstrittener Streite:
Sage, wen fürchten wir, – wir: – wenn ein Paar?

Rufe vom Tiber durch fliegende Boten
Deiner Legionen gepanzerte Wehr,
Traue du Thorismunds freudigen Goten:
Römischer Schild und germanischer Speer!

Laß sie nur kommen auf zottigen Gäulen!
Woll’n sie empfangen mit Schild und mit Schaft:
Warte nur, ob sie nicht weichen mit Heulen
Römischer Kunst und germanischer Kraft.“

Bald nun, erschlagen, den Speer in der Rechten,
Lagen goldlockige Helden zu Hauf!
Aber geflogen in mondhellen Nächten
Kamen Walküren und weckten sie auf.

Wie sie verschlafen da fassen die Schilde,
Rücken zerschrotene Helme zurecht,
Und in den Lüften erhebt sich das wilde
Schattengewoge, das Geistergefecht!

Horch da! Der Hahn kräht! Es starren die Toten?
Lanze im sausenden Schwunge; – sie hält!
Doch die lebendigen Römer und Goten
Rücken aufs neue zum Angriff ins Feld.

Alles so still in dem hunnischen Lager?
Schau von den Leichen die Gräben gefüllt:
Über den Wall klimmt ein kecklicher Wager –
Ha – das Geheimnis, nun ist es enthüllt:

Attila floh aus dem nächtlichen Lager,
Scheu ist er heim in die Steppe gekehrt,
Und dem gewaltigen Völkerzerschlager,
Wodan zerschlug in der Faust ihm das Schwert.

Zweifelst du, daß ihm zerknickt ist die Wehrkraft?
Wohl, so versuch’ es und heb’ es zum Streich:
Daß es zerbricht und germanischer Speerschaft,
Attila, bohrt sich in Herz dir und Reich!“

Er schloß mit einem Harfenaccord so klirrend, so kampfjauchzend, wie wenn Heimdall die Götter zum Ansturm auf die Riesen riefe. Da erhob sich unter den Hunnen ein Geheul der Wut, welches das Gebrüll des Beifalls für ihren Sänger noch weit überbot: die ganze Halle geriet in Aufruhr. Kein Hunne behielt seinen Sitz oder Stand: in wildester Bewegung drangen, sprangen, stürmten sie von allen Seiten auf den kühnen Sänger ein, der hochaufgerichtet stehen blieb, wehrlos, aber furchtlos, in stolzer Ruhe, die Harfe mit der Linken an die Brust drückend, die Rechte auf die Hüfte gestemmt: gegen dreihundert Angreifer hätte doch kein Widerstand gefrommt; die hohe Gestalt überragte all’ das Gewoge von Hunnen, das gegen ihn herandrang: er zuckte nicht mit der Wimper, als ihm das Messer, das Dzengisitz in blinder Wut gegen ihn geworfen, haarscharf am Gesicht vorbei fuhr, so daß es sein Gelock streifte. Aber er schien doch unrettbar verloren, der tollkühne Harfner, und erbleichend sah Ildicho viele krumme Klingen gegen den Geliebten gezückt. Jedoch plötzlich – die ganze Bewegung hatte nur wenige Augenblicke gewährt – erdröhnte von dem Hochsitz herab ein Ruf wie eines sagenhaften Untiers: „Halt! Bei meinem Zorn!“

Wie eingewurzelt standen auf einen Schlag die dreihundert Hunnen: die wildverzerrten Gesichter, die zum Stoß ausholenden dolchbewehrten Fäuste, die zum Schlag gehobenen Arme, die zum Sprunge gebogenen Kniee: – all’ das war urplötzlich erstarrt, wie durch einen Zauberschlag gebannt.

Daghar senkte die Harfe und ging auf seinen Platz zurück. „Die gehorchen gut,“ sagte er gelassen.

„Drum haben sie die Welt erobert, Sänger. Und werden sie behalten: trotz deiner Harfe, deinem Speer und deinem Haß,“ erwiderte Attila, nicht ohne Hoheit. Er hatte sich von seinem Schemel erhoben gehabt: nun ließ er sich wieder auf denselben nieder. „Ihr Hunnen aber,“ fuhr er langsam fort, „ehrt das Gastrecht! Wollt ihr einen Harfner morden wegen eines Wortes? Um eines wahren Wortes obenein! Denn ist es etwa nicht geschehen, daß wir in jener Nacht aus unseren Zelten wichen? Warum wir wichen, – das freilich ahnt der blonde Knabe nicht. Das weiß nur Puru und sein Wahlsohn Attila. Die Sehne, die den ersten Pfeil vom Bogen geschnellt, muß erschlaffen, bevor sie, frisch gespannt, den zweiten – den tödlichen! – entsenden kann. Ihn strafen für ein Wort über das Vergangene – ? Pfui! – Ihn strafen für eine Weissagung über das Künftige? Das sähe aus, als fürchteten wir, sie könne sich erwahren. Seine Strafe sei, zu erleben, daß er falsch geweissagt. Vorausgesetzt,“ fuhr er nach einer Weile noch verhaltener fort – „ daß er so lange lebt, die Probe zu schauen. Und das – ist mir – fast zweifelig. Für seinen kühn ausgesprochenen Wunsch, mich und mein Reich zu verderben, straf’ ich ihn auch nicht: weiß ich doch, daß ungezählte Hunderttausende dasselbe wünschen: soll ich die alle töten? Laßt sie doch! Wie sagte jener Kaiser der Römer? – der Spruch hat mir am besten gefallen aus aller Römerweisheit, von der ich je vernahm: – ›mögen sie uns doch hassen, wenn sie uns nur fürchten.‹ Doch freilich ...“

Bis dahin hatte er in gedämpftem, ganz ruhigem Tone gesprochen: nun aber begann seine Stimme lauter und lauter anzuschwellen, wie ferner, immer näher herangrollender Donner, bis er zuletzt brüllend schrie. – „Wenn der heiße Wunsch und die gierige Rache miteinander in scheußlichem Bette nächtlicher Verborgenheit die Zwillinge Eidbruch und Mordplan gezeugt haben: dann! –“ Hier sprang er auf und schritt an die Brüstung des Hochsitzes vor, Fürst Dzenzil trat an seine Seite.

„Vor zwanzig Tagen war’s – auf schilfumgürtetem Donauwerder – es wetterleuchtete von fern durch die Nacht: – da zischelten zwei meiner Knechte untereinander: – nur die alte Weide, wähnten sie, höre ihr Geflüster: aber hohl war die Weide und in der Weide stand ich, Attila, euer Herr, ihr elenden Hunde. Du aber, üppige Braut, gräme dich nicht: Du sollst doch heute Nacht noch Hochzeit machen; während dein Jüngling am Kreuze sich windet, wirst du Attilas Weib. Greift sie alle, meine Hunnen!“

So blitzschnell war der Befehl vollzogen, daß die Überraschten erkannten: alles Kleinste dabei war genau vorbereitet gewesen. Jeder Widerstand war unmöglich. Um jeden Einzelnen der acht Gefolgen, welche weit von ihren Herren und auch voneinander erheblich getrennt gesessen waren, ballten sich ganze Rudel von Hunnen. Vier Hunnen warfen sich auf den greisen König, Dzengisitz, Czendrul und vier andere Männer auf Daghar. Und doch gelang es dem Verzweifelten, für einen Augenblick seine Rechte aus der mehrfachen Umklammerung loszureißen: er nutzte ihn dazu, blitzschnell das Kurzschwert aus dem Wehrgehäng zu reißen und die spitze Waffe mit aller Kraft auf Attila zu schleudern, welcher sich über die Brüstung gegen ihn herabbeugte: der rührte sich nicht: wohlgezielt war der Wurf: unfehlbar mitten in das Antlitz hätte die scharfe Spitze ihn getroffen. Aber aufschreiend, wie er die Klinge in Daghars Hand blitzen sah, hatte sich Fürst Dzenzil vor seinen Herrn geworfen, mit dem Leibe ihn deckend: das Schwert durchbohrte ihm die Kehle, lautlos fiel er und starb.

Und schon war Daghars Rechte wieder niedergerissen und gepackt von sechs Fäusten; nun sah er Wisigast zu Boden gerissen, – Chelchal kniete auf dessen Brust, – er sah seine treuen Gefolgen überwältigt, manche verwundet, stürzen, er sah um Ildichos Arme breite, goldene Fesseln geschlagen: – da stöhnte er laut auf.

„Warte, Bube,“ schrie Attila, das Blut des Fürsten, das ihm das Gesicht bespritzt hatte, abwischend mit der Hand, „dies Blut sollst du noch besonders büßen. – Der Alte wird nur gekreuzigt – der Junge aber, – der wird gepfählt – hinter meinem Schlafhaus! – Du sollst ihn schreien hören, schöne Braut, während du mein wirst.“

Die Jungfrau schwieg: aber aus ihren weitgeöffneten, starr auf ihn gerichteten Augen traf ihn ein Blick: – er erschauerte, er zuckte zusammen, er mußte die Augen schließen: eiskalt lief es ihm über den Rücken. – Er winkte heftig – ohne ein Wort zu finden – mit der Hand: die Gefangenen wurden abgeführt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Attila