Fünftes Kapitel. - Vom Norden her, wo der „Landweg“ außerhalb des Waldes sich hinzog, war der Ton erklungen. ...

Vom Norden her, wo der „Landweg“ außerhalb des Waldes sich hinzog, war der Ton erklungen. Und dort, wo die Büsche so dicht zu stehen anhoben, daß ein Pferd nur schwer mehr durchdringen mochte, hielt ein Reiter und schwang sich von dem Roß, einem herrlichen Rapphengst, herab. Er warf dem Tier den Zügel um den Hals und hob gerade vor dessen Nüstern die flache Rechte: der Rappe wieherte nochmals, nickte mit dem Kopf und leckte dem Herrn die Hand. Der schritt nun auf das Paar am Quelle zu.

Er mochte zehn Jahre älter sein als Daghar; er war erheblich kleiner, stämmiger. Ein kostbarer Byzantinerhelm bedeckte sein schwarzes Haar, das in langen Strähnen, ungelockt, straff, ihm auf Schultern und Nacken hing. Ein dunkel-porphyrfarbener Mantel griechischer Arbeit und feinsten Stoffes mit geschmackvoller, nicht zu reicher Goldstickerei verhüllte die ganze Gestalt, die nicht unedel war, aber wie zu kurz geraten sich ausnahm. Langsam, gleichsam feierlich war sein Schritt, wie er nun auf die beiden herankam.


„Wieder er!“ flüsterte das Mädchen, unruhig, aber nicht unwillig. Und auch des Königssohnes Blick maß zwar ernst, aber ohne Feindseligkeit den Ankömmling. Der beugte das Haupt vor der Jungfrau mit einer ehrerbietigen Bewegung; so vornehm, so stolz und verhalten und doch zugleich so tief huldigend war dieser Gruß, – sie mußte, ihn halb widerstrebend, erwidern mit leichtem Neigen: nur so leicht, wie wenn in leisestem Windhauch die schlanke Lilie sich neigt.

„Verzeiht, vieledle Fürstin,“ sprach er in rugischer – gotischer – Sprache, seine Stimme war weich und klangvoll, aber wie von Trauer gedämpft – „daß ich Euch hier zu suchen – scheine. Ein anderer hat Euch – ich seh’ es – vor mir gefunden. Ich grüße Euch, tapfrer, harfenkund’ger Königssohn der Skiren.“

Er sprach die letzten Worte genau in der skirischen Mundart, die zwar auch eine gotische, aber von der rugischen doch etwa so verschieden war wie das Alamannische am Lech von dem Alamannischen in der Schweiz. Daghar reichte ihm die Rechte, die jener mit der Linken ergriff und schüttelte. „Wirklich – ich scheine nur Euch hier zu suchen, Jungfrau Ildicho. – Ein Gelübde führt mich her an diesen Waldbronn. Als ich – bei meinem letzten Besuch – Euch und Eure Mädchen hierher begleiten durfte zum Quellopfer und als Ihr so innig – leise flüsternd – hier betetet, – da beschloß ich, auch meinen liebsten Wunsch der Göttin dieses Waldquells zu befehlen.“

„Ihr – Frigga?“ rief Ildicho nun in herbem Ton. Hochmütig warf sie die Lippe auf. „Was hat ein Hunne zu schaffen mit Frigga, der blonden, weißen Wonnefrau?“

Schmerzlich, bitter schmerzlich zuckte es über das Antlitz des Gescholtenen. Es war ein seltsames Antlitz, wie zusammengefügt aus zwei Bestandteilen, die nicht zusammen gehörten und sich nicht zusammenfinden wollten. Eine niedre, zurückfliehende, echt mongolische Stirn, vom strähnigen Haar umhangen: aber edel gezogene, langgeschweifte Brauen; darunter, in allzutiefen Höhlen und über vorstehenden Backenknochen, beschattet von langen, tief schwarzen Wimpern, zwei wunderschöne Augen, dunkelbraun, verschleiert, tief schwermütig, sehnsüchtig suchend; eine zu kurze, etwas flache, aber doch nicht hunnisch geratene Nase, ein – durchaus nicht hunnischer – feiner Mund, sehr ausdrucksvoll, aber nur schmerzlichen Ausdruckes voll, der, des Lachens unkundig, nur selten lächelte und dann – gar traurig; ein weiches, für einen Mann fast allzuweich gerundetes Kinn mit nur spärlichem Bartwuchs. Und doch, widerstreitvoll wie dies Antlitz gebildet erschien, durchaus nicht häßlich, – anziehend war es anzuschauen. Denn eine feine Seele belebte diese vergeistigten Züge und ein ergreifender Zug, tiefer, leben-verschattender Trauer. – – Dem stillen Zauber dieser sanften Schwermut konnte jetzt auch die stolze Jungfrau nicht ganz sich entziehen, wie sein Blick voll leisen Vorwurfs ihr Auge traf: – sie bereute ihren herben Ton, noch bevor er anhob mit seiner weichen, leisen und doch wohllautreichen Stimme.

„Ich ehre die Götter aller Völker unsres Reichs, wie ich ihre Sprachen zu lernen mich bemühe. Und Ihr vergeßt, hochedle Königstochter –! Zwar Ihr seid entstammt – man sieht es, auch wenn man die alte Sage Eurer Sippe nicht kennte – von jener blonden, weißen Frau der Wonne selbst.“ – Er stockte –, er schloß die dunkeln Augen, die einen allzu sehnsüchtig bewundernden Blick gewagt hatten. – „Aber auch ich bin zur Hälfte germanischen – gotischen! – Geblütes: meine arme Mutter war von Amalungengeschlecht. So hab’ auch ich ein Recht an jene blonde Göttin. – Ich hatte, sie meinem Wunsch – meinem einzigen –! geneigt zu machen, gelobt, ihr einen Ring zu opfern: er sollte – hier – den Mittelstein der Brunnenfassung schmücken ...“

Er zog aus der Gürteltasche des Wehrgehängs einen sehr breiten Ring: ein Sonnenstrahl drang durch die Wipfel der Buchen: er traf auf den kunstvoll gefaßten Stein in dem Reif: da schoß ein solches Leuchten von ihm aus in allen Farben des Regenbogens, daß Ildicho die langen Wimpern geblendet schloß und selbst Daghars scharfes Jägerauge zuckte. „Welch herrlich Gestein!“ rief er. „Es ist ein Adamas! Aber so groß, so leuchtend ...“ – „Aus der letzten Schätzung des Kaisers zu Byzanz.“ „Doch,“ fuhr er mit einem langen Blick auf die Verlobten fort – „ich seh’s, ich kam zu spät mit meinem Wunsch und meinem Gelübde. – Gleichviel!“ rief er lebhafter. „Ich nehme nicht zurück, was ich der blonden Göttin einmal zugedacht. Nicht ihr Weihtum hier soll der Ring nun schmücken – ich habe jetzt im Leben nichts zu wünschen mehr! – aber, weiße Frau, nimm dein Eigen dennoch hin und spül’ es fort! Und niemand soll es finden! – Und niemand soll es ahnen, was der Gelübdering gewollt.“ Er warf den Ring weit von sich in den Quell.

„Was thut Ihr?“ rief Daghar. „Schade! Das war ein Schatz,“ sprach Ildicho. „Ja, Jungfrau: es war ein Schatz: schon der Wunsch! – Fahrt wohl! – Ich kehre sofort um. Ich suche nun König Wisigasts Halle nicht mehr auf.“ Er grüßte beide traurig, mit leichtem Nicken des Hauptes, wandte sich, bestieg den Rappen, der sich vor ihm auf die Kniee niederließ und dann sich, wiehernd, erhob. Sogleich waren Roß und Reiter in dem Wald verschwunden.

Daghar sah, auf seinen Speer gebogen, ihm sinnend nach. „Hm,“ sprach er dann, „würgen wir dereinst mit dem alten Untier die ganze Brut –, um diesen einen thut mir’s leid.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Attila