Erste Fortsetzung

Man wird nicht leugnen können, dass die Geistlichkeit in der Zeit der allmählichen Erstarkung des Staates Moskau, welche auf die Periode der Teilfürstentümer folgte, der weltlichen Gewalt als Stütze diente und sich auf politischem Gebiet sehr bedeutende Verdienste erwarb. Der Umstand, dass in der Zeit des Tatarenjochs die Kirche so gut wie keinerlei Bedrückung von Seiten der asiatischen Eindringlinge erfuhr, leistete der Bedeutung Vorschub, welche die Kirchenfürsten neben den Moskauer weltlichen Machthabern behaupteten. Den Gegnern der Moskauer Großfürsten sind die Metropoliten von Moskau bisweilen durch Bann und Interdikt gefährlich geworden. Insofern die Kämpfe mit den Orientalen zum Teil den Charakter von Glaubenskriegen hatten, mussten die von Kirchenfürsten ausgehenden patriotischen Ansprachen und Manifeste von großer Wirkung sein. Nicht selten haben Kirchenfürsten in dem diplomatischen Verkehr mit dem Tatarenchan wesentliche Dienste geleistet; bei inneren Unruhen haben die Metropoliten oft den Zaren als treue Genossen zur Seite gestanden. Der Patriarch Hiob war ein Werkzeug des ehrgeizigen Boris Godunow, als dieser nach dem Throne strebte.

Gleichwohl konnte es geschehen, dass die Patriarchenwürde des weltlichen Gewalt gefährlich wurde. Von dem Vater des ersten Zaren aus dem Hause Romanow, dem Patriarchen Philaret, weiß man, dass er eine Art Regentenstellung einnahm, seinen Sohn an Begabung und Initiative übertraf und länger als ein Jahrzehnt der eigentliche Zar Russlands war. Philaret war durch und durch eine Herrschernatur; man wusste von seiner unerbittlichen Strenge beim Bestrafen geistlicher und weltlicher Vergehen zu erzählen, man sagte, dass der Zar seinen Vater fürchte. Im Volke war während des ganzen XVII. Jahrhunderts die Ansicht verbreitet, dass der Patriarch dem Zaren als ebenbürtig zur Seite stehe. Ja, dazwischen begegnen wir wohl auch in Russland der auch zu Zeiten in West-Europa herrschenden Ansicht, dass die geistliche Macht höher stehe, als die weltliche. Maxim, „der Grieche“, hatte im XVI. Jahrhundert derartige Lehren zu verbreiten gesucht; im XVII. Jahrhundert hat Nikon dieser Ansicht Ausdruck gegeben.


So konnte es denn leicht zu einem Kampfe zwischen der Kirche und dem Staate kommen. Solcher Art war der Konflikt zwischen dem Zaren Alexei und dem Patriarchen Nikon. Der ehemalige Metropolit von Nowgorod hatte der weltlichen Macht gegenüber einen Trumpf ausgespielt, indem er den Zaren veranlasste, die Gebeine des Metropoliten Philipp, welcher in der Schreckenszeit Iwans des Grausamen ermordet worden war, von Ssolowezkoje nach Moskau schaffen zu lassender hatte betont, dass die weltliche Gewalt jenen, an einem Kirchenfürsten geübten Frevel gut zu machen habe. Als sodann der Zar die Erhebung Nikons zum Patriarchen in Aussicht nahm, hatte der Letztere sich lange bitten lassen, ehe er die ihm angetragene Würde annahm. Es geschah nicht anders, als unter der Bedingung, das man ihn als einen „Obern“, als einen „Vater“ ansehen werde. Da kam es denn anderthalb Jahrzehnte später zu der großen Krisis, als der Kirchenfürst sich eine Reihe von Übergriffen gestattete, die Rechte und Unabhängigkeit der Kirche allzu energisch betonte, und schließlich zu einem Staatsverbrecher wurde. Er hatte u. A. behauptet, dass die weltliche Gewalt nie und nimmer die Gerichtsbarkeit über die geistliche haben dürfe; er hatte auf die Unantastbarkeit der geistlichen Güter hingewiesen: wer dieselben wegnahm, raube Gottes Erbe u. dgl. m., der Konflikt endete mit dem Siege des Zaren über den Patriarchen. Nikon wurde verbannt. Seine Nachfolger im Patriarchenamte waren gefügiger.

Gleichwohl hielt Peter die Abschaffung dieser obersten geistlichen Würde für geboten. Im Jahre 1700 wurden die Angelegenheiten, welche in der Patriarchenwürde erledigt zu werden pflegten, unter andere Behörden verteilt. Der „Verweser des Patriarchenamtes“, Stephan Jaworskij, musste sich vor der weltlichen Gewalt beugen. Mehr als dieser Oberhirte bedeutete in der Kirchenverwaltung der Bojar Mussin Puschkin als Chef der neukreierten Klosterbehörde (Monastyrskij Prikas). Stephan Jaworskij blieb ein gehorsames Werkzeug des Zaren. Die unermesslichen Reichtümer, die großartigen Einnahmequellen der Kirchen und Klöster wurden der Kontrolle, der Disposition eines weltlichen Beamten anheimgestellt, und dieser hing in allen Stücken von dem Zaren ab, hatte demselben Bericht zu erstatten, von demselben in Betreff seiner Tätigkeit Befehle zu erhalten. Es gingen Gerüchte, als beabsichtige Peter alles Vermögen der Kirchen und Klöster zu konfiszieren, die Geistlichen von Staatswegen zu besolden.

Peters Reformtätigkeit war ein heftiger Kampf mit der Geistlichkeit, welche gegenüber dem Fortschrittsgeist des Zaren die konservativste Starrheit vertrat. Ein Patriarch als Fortschrittsmann war undenkbar. Nicht immer mochte man darauf zählen dürfen, dass der Patriarch so fügsam und unterwürfig sein werde, wie es die letzten Träger dieses Amtes, Joachim und Adrian, gewesen waren.

In der Beschaffung einer strengen Kontrolle der weltlichen Macht über die geistliche stand dem Zaren der berühmte Kirchenfürst Theophan Prokopowitsch zur Seite. Er und Peter verfassten das „Geistliche Reglement“, welches im Wesentlichen die Befugnisse und Obliegenheiten der Geistlichkeit feststellte, den Grundsatz der Superiorität der weltlichen Gewalt über die geistliche aussprach und endgültig mit dem Patriarchenamte aufräumte. Der Synod behielt stets Fühlung mit der Regierung. Er folgte den Impulsen der Letzteren, welche in dieser obersten geistlichen Behörde stets hinreichend stark durch weltliche Beamte vertreten war.

Es konnte nicht fehlen, dass von Seiten der Geistlichkeit nach Peters Tode eine Reaktion gegen so durchgreifende Reformen versucht wurde. So stellte denn u. A. der Erzbischof von Rostow, Georgij Daschkow, ein Mitglied des Synods, den Antrag, die Patriarchenwürde wieder herzustellen. Aber Peters Geist lebte in seinen Nachfolgern und Mitarbeitern fort. Insbesondere verhielt sich Teophan Prokopowitsch gegenüber solchen reaktionären Gelüsten sehr entschieden ablehnend. Die Geistlichen, welche auf eine prinzipielle Hebung der Kirche gegenüber dem Staate bedacht gewesen waren, wurden verfolgt, verbannt, in verschiedene Klöster eingesperrt. Dies geschah insbesondere während der Regierung der Kaiserin Anna Joannowna. Nachdem während der Regierung des Kaisers Peters II. Einiges zu Gunsten der Autonomie des geistlichen Standes geschehen war, kehrte man unter Anna sehr entschieden zu den Traditionen Peters des Großen zurück. Auch fand in dieser Zeit eine finanzielle Bedrückung der Kirche statt. Es war begreiflich, wenn die Geistlichkeit diese Regierungsweise dem Einfluss der Ausländer zuschrieb und auf die Thronbesteigung Elisabeths hoffte. Der Hass gegen Biron, Ostermann und Münnich war namentlich in den Kreisen der Hierarchie verbreitet. Nun begrüßte man hier die Thronbesteigung der Tochter Peters des Großen enthusiastisch.

Allerdings verfügte die Kaiserin einige Maßregeln zu Gunsten der geistlichen Gewalt. Einige der in den letzten Jahren abgesetzten und bestraften Kirchenfürsten wurden restituiert. Eine Zeitlang trat das „Geistliche Reglement“ Peters des Großen in den Hintergrund. Mancherlei Übergriffe, welche sich die Geistlichen erlaubten, blieben ungestraft. Die Hierarchie erhielt mehr Einfluss auf die Verwaltung der geistlichen Güter. Es fragte sich aber, ob ein solcher Bruch mit den Traditionen des großen Zaren dauernd sein werde. Noch war mancher Kampf zu bestehen.

In der Zeit der Regierung Elisabeths nun gewann jener Kirchenfürst Einfluss und Ansehen, welcher mit großer Energie und Zähigkeit für die Autonomie der Kirche gegenüber dem Staate eintrat, aber ein klägliches Ende als Staatsverbrecher nehmen sollte.

Arssenij Mazéjewitsch, 1697 in Wladimir-Wolynskij geboren, entstammte polnischen Kreisen. Sein Ahn war ein Pole gewesen. Seine Schulbildung erhielt er in polnischen Lehranstalten; seine theologischen Studien absolvierte er auf der geistlichen Akademie zu Kijew. Hier erhielt er auch im Jahre 1723 die Weihe eines Geistlichen. In der Zeit der Regierung Annans machte er mehrere Reisen nach Sibirien und hielt sich dazwischen im äußersten Norden des europäischen Russland auf. Sodann war er als Religionslehrer am Kadettenkorps zu Moskau tätig und diente gleichzeitig im Synod.

In allen diesen Stellungen legte er eine ungewöhnliche Tatkraft, zugleich aber eine unerbittliche Härte und Grausamkeit an den Tag. Der Willkür und despotischen Natur hoher Geistlicher war u. A. bei den Angelegenheiten der Mission bei den fremden Völkern des Ostens viel Spielraum geboten. Auch die Verfolgung der Sektierer bot Gelegenheit zu Tyrannei und Bedrückung. Dieselbe Rohheit, welche so oft bei den weltlichen Beamten jener Zeit in der Behandlung der Untergebenen zu Tage tritt, ist auch bei der Verwaltungsweise der Geistlichen wahrzunehmen. So erzählte man, dass Arssenij Mazejewitsch als Inquisitor einst einen 85jährigen Greis hatte zu Tode foltern lassen. Mit der größten Hartnäckigkeit verfolgte er als Ketzerrichter alle diejenigen, welche irgendwie in Glaubenssachen eine abweichende Meinung vorzutragen sich erkühnten. In den Angelegenheiten der Verwaltung der Kirche herrschte die größte Strenge. So erzählte man z. B. von dem Bischof von Ssjewsk, Kirill Florinskij, dass er seine Untergebenen in der gröblichsten und brutalsten Weise zu misshandeln pflegte, hier Einem mit einem Lichte den Bart versengte, dort einem Andern die Haare ausraufte, bald mit Faustschlägen, bald mit Fußtritten seinem Zorn Luft machte; sogar in der Kirche beim Gottesdienste hatten derartige Auftritte stattgefunden. Der Geistliche Dimitrij Ssjetschenow, welchen Katharina II. sehr hoch stellte und dessen Aufklärung sie in ihren an Voltaire gerichteten Schreiben pries, soll einen Geistlichen jahrelang im Gefängnis haben schmachten und ihn körperlich haben misshandeln, sowie dessen Familie auf die rücksichtsloseste Weise haben verfolgen lassen, bloß weil der Geistliche sich weigerte, auf Wunsch Ssjetschenows ins Kloster zu gehen.