Der Keller des Herrn Ahl - Gespräche zwischen Aristipp und Hippias über Journale, Zeitungen, Literatur und Literaten

Noch einige Schritte und wir befanden uns in dem Keller des Herrn Ahl. Ein reinliches Zimmer empfing uns. Vier Tische standen in demselben. An drei Wänden des Zimmers liefen mit Leder beschlagene Bänke einher. An der vierten Wand stand ein Ofen. Kein Körnchen Staub war auf Tischen und Bänken zu bemerken; auf den Tischen keine Spur gestandener Gläser zu sehen. Alles war einfach, reinlich und nett. Auf dem ersten Tische, rechts, wenn man in das Zimmer tritt, lagen eine Menge Zeitungen, Journale geordnet in einer Reihe; der Titel eines jeden derselben war auf dem oberen Blatte zu lesen. An diesen Tisch setzten wir uns.

„Und nun zwei Gläser feiner Röte! Eduard!“


„Zwei Durchschnitte oder einen Pohlschen?“ fragte der Küper.

„Zwei Durchschnitte.“

Einige Minuten später und das Geforderte stand vor uns. In den schönen, blanken Gläsern strahlte uns der köstliche Bordeaux purpurrot entgegen.

„Komm, Hippias! koste diesen vortrefflichen Wein. In ganz Hamburg und Altona gibt es keinen bessern! Welch ein Bouquet! Ist es doch grade, als ob Einem ein seidenes Tuch durch die Kehle gezogen würde! — Nun, Eduard, wie geht es?“

„Immer beim Alten, Herr Aristipp. Aber Ihnen? Man hat sie ja in einer Ewigkeit nicht gesehen! Wir glaubten Sie wären krank.“

„Nein, Eduard, ich war auf dem Lande.“

„Sie ruhten sich wohl etwas von den Strapazen der Stadt aus. Es haben sich mehre Leute nach Ihnen recht angelegentlich hier erkundigt.“

„So? Also die Leute beschäftigen sich noch mit mir? Das ist mir lieb. Was würde auch aus Altona werden, wenn es nichts zu schnacken hätte!“

„Sie sollen in Wandsbeck gewesen sein, beim Wettrennen und dort viel Geld verloren haben, wurde neulich Abend hier erzählt!“

„Vortrefflich! Ich habe nie einen Fuß nach Wandsbeck gesetzt, und kenne von dem ganzen Dinge nur den Wandsbecker Boten. Es ist mir übrigens sehr einerlei, was die Menschen von mir reden. Die Stimme des Publikums, die öffentliche Stimme, geht in unsern Tagen nicht mehr vom Volke aus. Im allgemeinen ist es nur eine gewisse Kaste, die die öffentliche Meinung beherrscht. Neid, Verleumdung, Klatscherei, Bigotterie gehen immer Hand in Hand, und wer kein Betbruder, Mystiker oder Harmsianer ist, der kommt schlecht weg. Sie würden wohl tun, Eduard, uns noch zwei Durchschnitte zu geben.“

Der Küper ging; brachte die Gläser; stellte sie vor uns hin und zog sich alsdann bescheiden zurück.

Hippias hatte unterdessen eine Zeitung genommen und durchblätterte sie.

„Du findest hier alle mögliche Journale und Zeitschriften sprach ich nach einigen Augenblicken. Man könnte diesen Keller ein Lese-Kabinett nennen. Hier hast du die „Hamburger Neue Zeitung.“ Ein vortreffliches Blatt, das täglich älter wird, und doch immer neu bleibt. Wenn ich nicht irre, so werden die französischen und englischen Artikel von dem Doktor Fr. Wille redigiert. Ein gescheuter, kraftvoller, freisinniger Mann, eben so treffend, als richtig in seinem Urteile. Ferner hast du hier den „Altonaer Mercur,“ der seinen morning dress abgelegt hat, weil er nicht mehr haltbar war, und nun im evening dress erscheint, nachdem er sich unter das mächtige Gestirn des freidenkenden Wienbarg begeben, und durch diese literarische Notbalität mehr populär und gelesen wird. Weiter findest du hier die „Hamburger Nachrichten.“ Brav und kurz geschrieben; ihrem gemeinnützigen Zwecke entsprechend. Das „Itzehoer Wochenblatt“ setzt dich von den innern holsteinschen Streitigkeiten und theologischen Fehden au fait. An seiner Vignette erkennst du gleich den populären „Freischütz.“ Die Braunschweigsche National-Zeitung mit ihrem Motto: Nunquam retrorsum, beweist dir, dass das Motto allein nichts hilft, wenn der Inhalt nicht mit demselben harmonieren darf. Schade, dass dem kräftigen Hermes so sehr die mächtigen Schwingen seines Geistes beschnitten werden! Jetzt findest du noch hier den aufmerksamen „Hamburger Beobachter;“ „den Freihafen,“ berühmt durch Beiträge von König und Varnhagen von Ense, und außerdem eine Menge von Modeblättern und Zeitungen für gebildete Stände. Nur zwei Zeitschriften vermisse ich hier ungern: den Hamburger Unparteiischen Korrespondenten, und die kritischen und literarischen Blätter der Börsenhalle, in welchen Franz v. Florencourts treffliche Feder einem jeden deutschen Rezensenten lehrt, wie man rezensieren sollte.“

„Meiner Meinung nach, Aristipp, ist Wolfgang Menzel der erste deutsche Kritiker; wenn er auch zuweilen etwas zu persönlich wird. Es ist leider bei den jungen Literaten häufig der Fall, dass sie nicht das Werk, sondern die Person des Schriftstellers kritisieren; in diesen Fehler verfällt auch zuweilen dein Florencourt, wenn gleich ich sonst ganz deiner Meinung über ihn bin. Ich finde nichts Unpassenderes als dem ganzen lesenden Publiko die Schwächen, oder die Fehler eines Schriftstellers herzuzählen und ihn dadurch in den Augen desselben herunter zu setzen. Ich habe mich deshalb heute sehr über dich gefreut, Aristipp, weil du, bis jetzt nur Gutes von allen Leuten, die du mir nanntest, geredet hast. Um so mehr hat es mich erfreut, weil ich weiß, dass du meistens von allen Menschen heruntergerissen und getadelt wirst. Wie bist du zu dieser Selbstüberwindung, zu dieser weisen Mäßigung gekommen?“

„Gerade, weil ich vielfach angegriffen und getadelt worden bin. Ich fand, dass der meiste Tadel, welcher mich traf, nur auf Hörensagen beruhte; ungerecht war. Ich sah ferner ein, dass es nichts Leichteres gäbe, als Fehler an seinen Mitmenschen zu entdecken; sie tausendfach zu vergrößern und zu entstellen; ich fand ferner, dass nichts kleinlicher sei, als sich zu rächen, und, dass es dem edlen Manne bei weitem eher zieme die guten Seiten seiner Mitbrüder zu erforschen und an das Tageslicht zu fördern, als sich durch beißende Bemerkungen in den Ruf eines klugen Mannes zu setzen. Aus diesem Grunde spreche ich über Niemanden schlecht. Werde ich aber aufgefordert in einer Sache von Wichtigkeit mein Urteil über Jemanden zu fällen, so tue ich es kurz; der reinen Wahrheit gemäß.“

„Du sprichst wie ein Buch, Aristipp. Bei einem so guten Glase Wein, wie dieses, hört sich gern ein gutes Wort. Du hast Recht. Wenn die Menschen ebensoviel täten um sich das Leben angenehm zu machen, als sie tun um es sich zur Hölle zu schaffen und sich gegenseitig zu zerfleischen und zu erniedrigen, so würden sie zehntausendmal glücklicher sein. Woher aber kommt es, dass dieser Keller so wenig besucht ist? Wir sitzen hier schon eine geraume Zeit und bis jetzt kam noch Niemand.“

„Die Ursache deiner Befremdung will ich dir erklären. Sie liegt in der Persönlichkeit und in der Stellung des Besitzers unter seinen Mitbürgern. Herr Ahl ist ein äußerst rechtschaffener Mann, sehr klug aber eigen. Er besitzt Kenntnisse; ist Meister seiner Muttersprache und spricht das Französische in seltener Vollendung. Er hört sich daher gern in dieser Zunge reden. Außerdem hat er die gute Eigenschaft, dass er gerne mit gebildeten Männern umgeht, um sich selbst noch mehr auszubilden. Eine Eigenschaft, die man nicht oft bei Männern findet, die eine halbe Million im Vermögen haben. Ein anderer guter Zug dieses feinen Weinhändlers ist, dass er unglückliche Genies unterstützt, wenn sie es verdienen. Bei den Gesinnungen des Herrn Ahl ist es ihm nun durchaus nicht einerlei wer seinen Keller frequentiert. Da er selbst durch sein Vermögen und seine moralischen Eigenschaften eine höchst achtbare Stellung unter seinen Mitbürgern einnimmt, so ist es natürlich, dass sein Keller nur von solchen Männern besucht wird, die ihm konvenieren, und, dass unter den Stammgästen seines Kellers, die sich gewöhnlich nur des Abends einfinden, Verstand und Kopf nie fehlen dürfen. Ich selbst bin während einer geraumen Zeit fast täglich hier gewesen; habe manche angenehme Stunde mit Herrn Ahl zugebracht; demselben meine literarischen Produkte mitgeteilt, und viele treffende Bemerkungen von ihm entgegen genommen. Nie habe ich in diesem Keller einen Streit gehört; nie einen Betrunkenen gesehen! Man kann daher, mit Recht, denselben einem jeden Fremden empfehlen, denn man findet hier: guten Wein, eine gute Gesellschaft und einen höchst ehrenwerten Wirt.“

„Es ist gewiss, dass der moralische Wert eines Mannes einen großen Einfluss auf seine Umgebung hat. Der gemeine, rohe, unsittliche Mann wird sich immer durch die Gegenwart eines Ehrenmannes belästigt finden, weil ein innerer Zwang ihm verbietet seine Gemeinplätze, seine Zweideutigkeiten vor einem solchen Manne laut werden zu lassen. Es ist daher sehr natürlich, dass ein gemeiner Mensch es nicht wagen wird einen Keller zu besuchen, wo ein Mann, wie du den Herrn Ahl mir schilderst, den Ton angibt.“

„Wenn ich diesen Augenblick darüber nachdenke, lieber Hippias, wie wir hier in diesem Keller zusammen sitzen, und über jeden Gegenstand eine ernste Betrachtung uns gegenseitig mitteilen; so kann ich nicht umhin zu gestehen, dass es wohl wenige Menschen gibt, die unter unsern Keller-Gesprächen eine so tiefe Bedeutung versteckt glauben würden. Ich bin fest davon überzeugt, dass unser heutiger Kursus uns noch manche lehrreiche und unterhaltende Gegenstände vorüber führen wird, und da ich ein sehr gutes Gedächtnis habe, so werde ich mir Alles gehörig notieren, und dann weiter ausarbeiten. Die größte Schwierigkeit würde wohl für uns sein einen Verleger zu finden, da so unendlich viel in Deutschland geschrieben wird. Außerdem stehe ich mit sehr wenigen Literaten in Verbindung, die ich auffordern könnte die Verleger für mich zu bearbeiten oder mein Werk „im Voraus“ lobhudelnd anzupreisen.“

„So müssen wir wohl unser Glück selbst versuchen und dem richtigen Urteile der Verleger vertrauen.“

„Das ist auch meine Ansicht. Ich finde, dass nichts natürlicher ist, als, dass junge angehende Schriftsteller eine große Achtung vor älteren, berühmten, literarischen Autoritäten haben müssen, aber sie müssen auch Zutrauen zu sich selbst haben. Glaube mir Hippias, wenn ich Etwas geschrieben habe; so sagt mein eigenes Gefühl es mir, ob es gut oder schlecht sei, und ich bedarf des Urteils eines andern Literaten nicht. Bei den Buchhändlern helfen auch die Empfehlungen literarischer Notabilitäten wenig. Ich mögte auch von keinem Verleger verlegt werden, der durchaus kein eigenes Urteil über mein Werk hätte. In frühern Zeiten war das etwas Anderes. Jetzt ist aber der Buchhändler selbst eine literarische Person und bedarf nicht eines fremden Urteils. Wir haben hier gleich eine Buchhandlung in der Nähe, wo wir unser Glück probieren können.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aristipp in Hamburg und Altona