Das Hôtel Petit und Herr Herrmann Bleicamb - Gespräche über Clemens Gercke - Das Holländische Kaffeehaus - Mynheer Janssen - Mlle Jeanneton, Thereson und Linon.

Nach diesen Worten, nach einigen Verbeugungen, verließen wir die „Erfrischungshalle“ und begaben uns nach der Behausung des Herrn Herrmann Bleicamb, dem Hôtel-Petit im Klütjenstieg. Herr Bleicamb stand in der Haustüre, umringt von drei bis vier rotbackigen Knaben, und empfing uns mit lächelnder Miene und folgenden Worten:

„Treten Sie naher meine Herren. Sie sind schon angemeldet. Die Beefstakes stehen schon auf dem Tische. Aber es ist Alles petit hier. — Sie müssen verlieb nehmen.“ —


Herr Bleicamb führte uns durch eine schmale Flur, in welchem sich die Küche und seine Frau befand, in ein kleines Zimmer, wo ein gedeckter Tisch und vier Couverts standen. Am Fenster saß ein wunderschönes, junges Mädchen mit weiblicher Arbeit beschäftigt.

„Meine Tochter,“ sprach Herr Bleicamb, uns in das Zimmer führend.

Das junge Mädchen verbeugte sich, errötete und wurde noch schöner.

„Platz genommen, meine Herren,“ sprach Herr Bleicamb. „Hier geniert man sich nicht. Hier sind Beefstakes, Brot, Kartoffeln und ein Glas Kümmel. Nancy! du kannst hinaus gehen und deiner Mutter helfen.“ —

Das junge Mädchen gehorchte. Im Gehen zeigte sich ihr schöner Wuchs.

Wir setzten uns, aßen und tranken.

„Für wen ist denn das vierte Couvert?“ fragte ich Herrn Bleicamb.

„Für den Baron. Wenn er nur kommt, der Windbeutel. Ist er einmal im Schuss, dann geht es immer zu. Er läuft wahrscheinlich wieder hinter eine Schürze her, oder ist sonst wo hangen geblieben. Aber greifen Sie zu. Ich gebe, was ich habe, mehr kann ich nicht geben. Ich bin hier klein logiert, darum nenne ich mein Haus dass Hôtel-Petit. Übrigens hat ein großer Geist hier gewohnt: Herr Clemens Gerke.

„Alle Achtung vor dem Manne,“ erwiderte ich. „Hier in diesem kleinen Räume entfaltete sich also das Genie des großen Mannes?“

„Ja! Hier brütete er seine Eier aus. Jetzt wohnt er in dem großen, weißen Hause da gegenüber. Das hat er sich ergeigt und schrieben.“

„Ich bin neugierig den Mann zu sehen,“ bemerkte Hippias.

„Das können Sie leicht haben. Sie brauchen nur heute Abend in die Vier Löwen zu gehen. Dort sitzt er und spielt.

„Wollen wir das tun, Aristipp?“

„Warum nicht? Die Gegenwart dieses Mannes macht das ganze Lokal berühmt. Und wir gehören hoffentlich nicht zu den anerkannten Soliditäten.

„Dein ewiger Spruch.“

„Nun ja! Ich mag die Leute nicht, die einen Menschen nicht anerkennen wollen, weil er nicht reich, nicht hochgeboren oder hochgestellt ist. Das Handwerk schändet keinen Mann! Im Gegenteil finde ich, dass jeder große Mann noch größer ist, je kleinlicher und unscheinbarer seine Verhältnisse sind. Und keinen Mann achte ich höher als den, der Alles durch sich selbst wurde, der Alles aus sich selbst bildete!

In dieser Hinsicht stelle ich diesen Clemens Gerke über alle jene Doktoren und studierten Schriftsteller. Er ist ein geistiger Bildhauer, der aus eigenem rohen Stoffe sich selbst zur schönsten Statue meißelte! Gott setzte ihn in diese Welt, arm, hilflos, niedriggestellt — er schwang sich durch rastlose Tätigkeit bis auf jenen Standpunkt, den er diesen Augenblick in der literarischen Welt einnimmt. Des Nachts spielte er in jenem Lokale, um sich, Weib und Kinder zu ernähren, und vom Morgen bis zum kommenden Abend arbeitete er seine Schriften aus. Noch mehr! er selbst setzte, druckte sie. Kann man mehr von einem Manne verlangen?“

„Nichts mehr! Nichts mehr!“ rief der Baron, der eben zur Türe hereintrat, die letzten Worte gehört hatte; und sich schnell auf den leerstehenden Stuhl niederließ. „Von wem ist die Rebe?“

„Von Clemens Gerke, deinem Freude!“ versetzte Bleicamb.

„Ach! so?“ sprach der Baron langsam. „Das ist ein verdammter Kerl! Aber ein Kraftmensch! Wollte Gott ich wäre, wie er!“ Die Stirn des Barons überflog ein dunkler Schatten. Man sah es auf seinem Gesichte, dass etwas unangenehm in seinem Innern berührt war.

„Der Baron mag den Gerke nicht.“ Bemerkte Herr Bleicamb!

„Ich ihn nicht mögen!“ fuhr der Baron auf. „Wer sagte das? Was weißt du altes Plappermaul davon! Es ist ein kreuzbraver Kerl, aber er mag den Adel nicht; er mag die Doktoren nicht; er ist ein Republikaner und hat sich einst nicht ganz unsanft über mich geäußert. Das ist längst vergessen! Überdem hatte er Recht! Wenn kein Anderer schlechter über mich dächte und spräche, dann wäre ich zu beneiden.“—

„Du hast wohl heute deinen Traurigen, Baron? Hat der Doktor Dir wieder was geplappert? Lass doch die Leute reden. Du kannst Ihnen ja doch nicht das Maul verbieten!“ —

„Es ist etwas Schönes um einen unbescholtenen Ruf, Aristipp!“ fuhr der Baron ernst fort. Wie hoch steht dieser gemeine Mann, dieser simple Musikant über mir! Sein Name wird überall mit Achtung genannt und der meinige? — O des Unglücks! Ein leichter Gedanke; ein Glas Schnaps zuviel und das Kostbarste der Güter ist verloren — der gute Ruf! Gewiss, gewiss! Zwei Seelen wohnen in unserer Brust, wie Goethe sagt. Die eine, die uns dem Himmel näher bringt, die andere, die uns zur Erde niederreißt. Dass wir auch das Tierische in unserer Natur nie vertilgen können! Et si naturam.— Es ist um wahnsinnig zu werden! Schenke mir ein, Bleicamb! Ich muss trinken! Ich glaube, ich könnte das Meer austrinken, wenn es voll Weines wäre, und würde doch nicht berauscht, sobald mich ein schwarzer Gedanke verfolgt! Sed post equitem sedet atra cura! —

„Da, Baron, trinke! Und nun wieder vorby.“ —

„Sie sollten nicht mehr trinken, Herr Baron! Sie sind zu aufgeregt!“ bemerkte Hippias.

Um die Lippen des Barons spielte ein höhnisches Lächeln, mit der Hand fuhr er über seine hohe Stirne; seine Augen sprühten Feuer.

„Nicht trinken! guter Mensch? Fürchten Sie etwa, dass ich zuviel trinken könnte! O nein! o nein! ich werde nicht mehr betrunken. — Aber wütend bin ich! Wütend, dass die erbärmlichsten Lästerzungen meinen Namen zerreißen, während ich selbst ganz unschuldig bin!

„Was ist denn nun wieder los?“ fragte Herr Bleicamb.

„Denke Dir. Neulich komme ich vom Lande. Mein Weg führt mich über das Schulterblatt. Vor einem Wirtshause ist eine Schlägerei. Zwei Männer fallen über einen her, und lassen ihn nachdem sie ihn zur Erde geworfen, blutig dort liegen. Ich gehe auf den Mann zu; hebe ihn auf; fasse ihn beim Arm und bringe ihn zu Tiedemann in das Wirthaus, wo ich ihm ein Glas Bier geben lasse. Darauf gehe ich weiter. War das eine schlechte Handlung? Und nun, hören Sie, meine Herren, heute wird mir erzählt: ich habe mich geprügelt! Ist es nicht um rasend zu werden? —

„Weiter nix? Na, das geht wieder vorby! — Kümmere Dich doch nicht um das, was die Leute reden! Das hilft doch zu nichts,“ meinte Herr Bleicamb.

„Das weiß ich wohl! Ich bin weit davon entfernt, den Menschen das Reden über mich verbieten zu wollen; aber es ärgert mich, dass sie die Unwahrheit sprechen, noch mehr, dass es möglich ist, dass man so etwas von mir glauben kann. Stände ich rein, unbescholten in den Augen der Welt da — Niemand würde einen solchen Gedanken von mir fassen. Das ist die Folge davon, wenn man sich zu dem Lumpengesindel herablässt. Wer Pech anfasst, besudelt sich! Man muss jede Berührung mit dem gemeinen Packe vermeiden! Seinen Mitbruder im Kote liegen lassen; die Nase hoch tragen; keinen Menschen ansehen; Gott, Christus und seinen Titel beständig im Munde führen — dann ist man ein Mann comme il faut. — Nun es soll mir nicht wieder passieren!“

„Und tust es Morgen wieder, Baron; ich kenne Dich zu gut. Und nun ist es wieder vorby.“

„Lassen Sie sich die Sache nicht anfechten,“ sprach ich. Sie haben mehr gute Freunde als Sie glauben. Wenigstens bitte ich Sie, mich zu diesen zu zählen.“

„Mich auch!“ fiel Hippias ein.

„Und mich auch,“ rief Herr Bleicamb. „Was willst Du mehr? Ist das nicht genug, so wahr ich Herrmann Bleicamb heiße!“

Des Barons Züge erheiterten sich. Ein spöttisches Lächeln, das sich aber bald zu einem anmutigen verlor, umspielte seine Lippen. Darauf sprach er mit Pathos: „Mein ungeheuerster Wunsch ist befriedigt: Genua kennt mich in Euch. Retten Sie meine Ehre.— Verzeihen Sie diese Periode Aristipp und Sie Hippias— sie galt nicht Ihnen,“ fuhr der Baron mit einer eigentümlichen Grazie fort. „Ich weiß Ihre Freundschaft zu schätzen, und wollte Sie nicht gerne durch einen übelangebrachten Scherz verlieren. Sie, Aristipp, kenne ich. Ich glaube, wir haben manche Ähnlichkeit mit einander, wenigstens trafen wir häufig an denselben Orten zusammen, und taten es auch ja heute, wie ad oculos zu demonstrieren. Der alte Satz: die Freundschaft zweier edlen Seelen beweist sich am besten durch die Anhänglichkeit, die sie zu einer dritten empfinden; bestätigt sich durch uns und Bleicamb von Neuem.

„Mach es nicht zu arg, Baron!“ rief der Bezeichnete; „sonst, so wahr ich Herrmann Bleicamb heiße, ist es mit uns vorby.“

„Na, sei nicht böse, alter Kerl! Komm! stoße an! — Wo ist aber deine Frau, und deine schöne Tochter, alter Cerberus? Lass sie doch einmal kommen.“ —

„Mutter, komm in!“

„Ich kann nicht kommen. Bin gewesen den ganzen Tag in der Küche,“ — erwiderte eine weibliche Stimme.

„Tut nichts, Mutter — Du bist ja alt, — komm nur.“

Madame Bleicamb, eine würdige Matrone, der man es wohl ansehen konnte, dass sie in ihrer Jugend schön gewesen sein musste, trat mit ihrer schöneren Tochter in das Zimmer. Wir standen auf und begrüßten sie.

„Ihre Beefstakes waren vortrefflich, Madame,“ sagte der Baron. —

„Freut mich, wenn sie geschmeckt haben der Herr Baron und die anderen Herren. Das Fleisch ist gut in Ohltona.“

„Sie sind mir wohl böse, dass ich Ihren Mann neulich so lange bei mir hatte? Auch heute muss ich Sie um Erlaubnis bitten, ihn mitnehmen zu dürfen.“

„Mein Mann sein sein eigener Herr und alt genug, um zu wissen, was sie tun müssen. Ich gehe zu Bette und sie hat der Hausschlüssel.“

„Du hast eine vortreffliche Frau, Bleicamb! Aber ich habe noch eine Bitte an Sie, Madame, wollen Sie es wohl erlauben, dass Ihre Tochter mir ein neues, seidenes Halstuch säumt?“

„Warum nicht, Herr Baron? Meiner Tochter wird sein ein groß Vergnügen zu nähen der Halstuch für Ihnen. Nicht Nancy?“

Das schöne Mädchen errötete und lispelte ein leises: „Ja!“

„Hier ist das Tuch. Ich werde es um so lieber tragen, wenn es von so schönen Händen gesäumt sein wird.“

Wir müssen jetzt wohl gehen, meinte Herr Bleicamb. „Es ist hier zu petit für uns Alle.“

Wir setzten uns in Bereitschaft zum Abmarsch. Wir nahmen unsere Direktion, den Weg hinter der Reeperbahn entlang, und befanden uns bald vor dem Kaffee-Hause des Herrn Janßen.

Das Haus des Herrn Janßen, liegt wie bemerkt, hinter der Reeperbahn; vor demselben ist ein weißes Stacket; das Haus selbst ist weiß angeworfen, hat eine braune Haustüre, vor welcher gewöhnlich drei kleine Pinscher sitzen. An der einen Seite der Türe ist in schwarzen Lettern zu lesen: „Janßen Kaffee-Haus.“ Auf der andern: „Janßen Kommissionär. Weinhandlung.“ Ich führe dieses nur an, damit jeder Fremde, von denen es ja in dem schönen Hamburg wimmelt, sogleich dieses Haus erkennen möge. Denn auf St. Pauli gewesen, ohne bei Janßen gewesen zu sein, ist ebenso gut, als in Rom gewesen, ohne den Pabst gesehen zu haben! Worin liegt nun aber dieser Anspruch des Janßenschen Kaffee-Hauses? Liegt er in der Lage des Hauses? in der prachtvollen Bauart? in der eleganten innern Einrichtung desselben? Zeichnet sich dieses Kaffee-Haus durch bessern Wein, bessern Kaffee, bessern Punsch vor anderen aus? Diese Fragen muss ich mit einem einfachen Nein beantworten. Wodurch verdient denn aber das Janßensche Kaffee-Haus das Lob, welches ich ihm spende? Ich will es meinen verehrten Lesern sagen: Das Ausgezeichnete dieses Kaffee-Hauses liegt: Erstens in der Person des Herrn Janßen selbst.

Zweitens, in den hübschen und tugendhaften Schenk-Mamsellen, die man dort findet.

Drittens, in der außerordentlichen Holländischen Reinlichkeit, die dort herrscht.

Viertens, weil, (man verzeihe mir diese Arroganz) ich mich dort häufig befinde, und man daher immer auf eine interessante Unterhaltung dort rechnen kann. Da man aber in unseren Zeiten nichts anvancieren darf, ohne die Gründe dazu zu motivieren, weil alles Leichte, Gracieuse, Angenehme jetzt missfällt, und nur schwerfällige Beweise gelten; so werde ich meine Ansichten mit Gründen belegen:

a, ad Nr. I. Herr Janßen. Wer von allen Wirten, Gasthaltern, Kaffeehaus-Besitzern könnte sich mit Herrn Janßen vergleichen? Wer in der ganzen Welt kennt Herrn Janßen nicht? London, Paris, Amsterdam, der Haag, Hamburg waren der Schauplatz seiner schwindelnden Größe, so wie seines Falles. Millionär unter dem Kaiserreiche, fuhr er mit Achten durch die Hauptstädte der Welt. Der Sturz des Besiegers der Welt, begrub in seinem Falle das Glück des Herrn Janßen! Doch er verlor den Mut nicht. Aus dem Schutte seines Vermögens entstand er, ein neuer Phönix und London, Paris und Hamburg sahen mit bebendem Erstaunen diesen rastlosen, tätigen, klugen, feinen, schlauen, spekulativen Geist, wie einen sengenden Kometen durch ihre Weichbilder ziehen. Doch kein Glück ist von Bestand. Das Napoleonische seiner Pläne schien kleinlichen Gemütern zu gewagt. Umsonst versuchte Janßen mit glänzender Beredsamkeit die Ausführung seiner materiellen, industriellen Pläne darzustellen, das Gelingen derselben zu versichern. Der Mut, die Courage fehlte. Das Ungeheure der Janßenschen Pläne, des weit umfassenden, spekulativen Geistes schreckte zurück. Noch mehr, man entzog ihm die Fonds, und wie die Riesen-Eiche, wenn die Wurzel morsch wird, krachend niederstürzt — so stürzte Herr Janßen von seines Glückes Thron. Er verlor Alles — aber nicht den Mut, die Lebens-Philosophie. Er fing tausenderlei an, nichts glückte. — Nachdem Alles verloren, zog er sich nach St. Pauli zurück, etablierte ein Kaffee-Haus, wurde Kommissionär. Aber der Geist des alten Janßen ist derselbe; die Manieren des reichen Janßen, der mit Fürsten, Königen und Kaisern zu Tische saß, der die Herzen von hundert Prinzessinnen, Gräfinnen und Baroninnen eroberte, sind dieselben. Da ist noch die stolze, noble Haltung; die bourbonsche Adlernase verrät die hochstrebende Gesinnung ihres Eigentümers, und wie in Ludwigs des Vierzehnten Ausdruck, Haltung und Auftreten die völlige königliche Überzeugung des L’etat, c'est moi lag— so steht auf Janßens königlicher Stirne deutlich geschrieben: „dans ma maison, je suis roi!“ Janßen auf einem Thron, und er wäre der Ausdruck der personifizierten königlichen Gewalt, des Autokraten. Janßen zu Pferde, auf einem, Schimmel-Hengste, würde Frankreich ihn für den Herzog von Guise, England für den Herzog von Cambridge halten. Janßen in seiner Jugend muss schön gewesen sein. Noch jetzt in seinem Alter ist er schön; seine Gegenwart fordert und erzwingt Achtung. Den Mann möchte ich sehen, der sich an den zürnenden Janßen wagte! dann ist er der donnernde Zeus Kronion. Mag die Welt, mag Hamburg Janßen tadeln. Mag er Recht oder Unrecht gehandelt haben. Ich bin nicht zu seinem Richter eingesetzt, und schließe mein Kapitel über Herrn Janßen mit den Worten: Ein Mann, der unter allen Verhältnissen des Lebens sich gleich geblieben ist, der mit den berühmtesten Männern seiner Zeit gelebt hat, der die Sitten und Charaktere seiner Mitmenschen so genau durchstudiert hat, der bleibt für den denkenden Mann, den Schriftsteller, immer ein lehrreiches und interessantes Studium des menschlichen Geistes, Herzens und seiner Zeit.

b, ad No 2. Wenn ich die Schenk-Mamsellen im Janßenschen Hause „hübsch und tugendhaft,“ par ecxellence, bezeichnet habe, so geschieht dieses aus folgenden Gründen: Es lässt sich leicht begreifen, dass Herr Janßen, dieser Kenner des menschlichen Herzens, keine hässliche Mädchen in seinem Hause halten werde. Dass diese Mädchen tugendhaft sein müssen, lässt sich leicht aus der Menschenkenntnis des Herrn Janßen deduzieren. Er hält sie nicht für einen Geliebten, und um die törichten Wünsche eines Mädchens zu erfüllen, das er gut ernährt und bezahlt. Nein! sie sollen freundlich, artig und zuvorkommend gegen Jedermann sein, und auf das Haus des Herrn Janßen muss nichts zu sagen sein. Er kennt die Welt gut genug, um zu wissen, wie sehr sein Haus verlieren würde, wenn er Liebes-Intrigen statuierte. Also schon aus der Janßenschen Politik geht es hervor, dass die Schenk-Mamsellen tugendhaft sein müssen. Ein zweiter Grund liegt in dem Charakter der Madame Janßen, einer wahrhaft edlen Frau, die mit himmlischer Geduld ihr unverdientes Schicksal trägt, und die nie eine Gemeinheit statuieren würde. Herr Janßen hält ein wachsames Auge auf seine Schenk-Mamsellen. Jeder Fehler gegen den Anstand, gegen die feine Erziehung, wird von ihm gerügt. Denn, sagt er: in seinem Holländischen Dialekte: „ick will dat nich, und dans ma maison, je suis roi.“ Auf diese Weise ist das Janßensche Kaffee-Haus ein empfehlungswertes Institut für junge Mädchen vom Lande, die bon ton tun, sich fein ausdrücken, graziös gehen, liebenswürdige Manieren lernen und doch dabei, unter Verführungen aller Art, ihre ländliche Unschuld konservieren wollen.

c, ad No 3. Von einer Holländischen Familie, die in den glänzendsten Zirkeln gelebt hat, lässt sich wohl Sauberkeit und Reinlichkeit erwarten. So ist es auch hier. Die Fenster des Salons des Herrn Janßen (ich kann mich unmöglich in diesem Hause des Ausdrucks: Schenkstube oder Weinstube, bedienen) glänzen wie Spiegel; auf dem pferdehaarenen Sopha, der an der Wand der Türe gegenüber steht, ist kein Körnchen Staub zu sehen, ebenso wenig, als auf den Mahagonitischen, von denen einer vor dem Sopha, der andere unter einem Spiegel steht. Zu jeder Ecke des Sophas steht ein blankgeputzter, kupferner Spucknapf, gefüllt mit feinem reinen Sande; die Dielen des Fußbodens schimmern, wie gefallener Schnee und die Gläser, in welchen serviert wird, strahlen hell, wie Kristall.

6, ad No 4. Diesen Punkt selbst zu motivieren, würde mich erröten lassen. Ich überlasse es daher Allen, die mich dort sahen und sehen werden, ob ich in meiner Behauptung Recht oder Unrecht habe.

Nachdem ich meine Leser gänzlich von allen Eigentümlichkeiten des Janßenschen Kaffee-Hauses „au fait“ gesetzt habe, so kehre ich zu uns zurück. Zu Uns, d. h. zu mir, Hippias, dem Baron und Herrn Herrmann Bleicamb. Es war schon dunkel geworden, als wir uns nach dem Hause begaben; eine argentische Lampe erhellte den „Salon“ des Herrn Janßen, in welchen wir eintraten. Es waren mehre Gäste dort versammelt. Auf dem obenerwähnten pferdehaarenen Sopha saß ein hübscher, blonder, schöngewachsener und höchst elegant gekleideter Mann, die Gitarre im Arme — den ich schon öfters dort gesehen, dessen Name mir aber entfallen ist. Neben ihm saß Mlle Linon, eine jener tugendhaften Schenk-Mamsellen. Ihr Gesicht war hübsch, die Augen blau, groß und schön, ihr Haar, das sie gescheitelt und glatt an die Stirne gedrückt trug, war braun, ihre Physiognomie war kindlich, heiter, unschuldig. Sie war in einem grünen Kleide gekleidet, in der Taille durch ein schwarzes Band befestigt; ihr ganzes Äußere war reinlich und ordentlich. Ihr zur Seite saß ein anderer junger Mann, der aber mit seiner Nachbarin zur Rechten beschäftigt schien. Diese war Mlle Thereson, gleichfalls eine Schenk-Mamsell. Diese war ein eigentümliches kleines Geschöpf. Sie war weder schön noch hässlich, weder gelb noch weiß; aber lebendig, aufgeweckt und hatte etwas an sich, das nicht zu definieren ist, aber ein unregelmäßiges Gesicht, eine unscheinbare Person interessant erscheinen lässt. Außerdem ein allerliebstes Mündchen und eine sanfte, wohlklingende Sprache, wie allen Hannoveranerinnen, denn sie war eine Solche. Alsdann kamen noch mehre Herren, die rauchten und tranken; ferner Mlle Jeannetton, die Nichte des Herrn Janßen, eine anspruchslose, zierlich gewachsene Holländerin, und endlich Herr Janßen selbst, der ernst mit denkender Miene am Tische saß, mit einer grünen Mütze auf dem Kopfe, unter deren Schirm seine Augen mit der Schnelligkeit eines Habichts die ganze Gesellschaft kontrollierten; der scheinbar Nichts hörte, an Nichts Teil nahm, dem aber kein Wörtchen, keine Geberde seiner Gesellschaft entging. Auf dem Tische standen Gläser mit Wein gefüllt, und eine angebrochene Champagner-Flasche.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aristipp in Hamburg und Altona