Der Fischer. Von Peter Korbutowskii.

Der Fischer drei Tage befand ich mich auf meinem Landgut im Dorf Krapowka und fühlte Beklemmung und Langeweile.

Der dritte Tag ging zur Neige, die Abendröte ergoss sich über drei Vierteile des Himmels; sie säumte mit Gold die am Himmel schwebenden Wolken, beleuchtete die Katze welche auf dem Dach der äußersten Isba saß, spiegelte sich im Fluss und in allen Pfützen die ein kürzlich gefallener Regen zurückgelassen . . . . An dem ins Dorf führenden Wege lag der Hof- und blickte aufmerksam an den Boden; vermutlich kroch irgend ein Käfer vorüber. Etwas weiter davon fuhren zwei Bauernbursche mit ihren Pflügen ins Dorf, spannten in der Gasse die Pferde aus und gingen jeder nach Hause. Der Hund, wohl befürchtend, seine Abendkost könne ihm entgehen, sprang jählings empor und eilte ins Dorf, auf seinem Wege die Katze vom Dach scheuchend.


Das Gewölk schwebte zu den Hügeln am Horizonte und ließ sich über ihren Gipfeln nieder. Als Ersatz für die erloschene Abendröte flimmerten Myriaden Sterne am dunkelblauen Himmel . . . .

Auch für mich war die Zeit des Schlafes gekommen, aber ich hatte keine Lust zum Schlafen: die lange Weile wurde mir immer empfindlicher; lästige Mücken summten in allen Richtungen und quälten mich beständig, bald am Halse, bald an der Wange, bald an den Händen. Ich wusste nicht, wohin ich mich verstecken sollte. Unterdes schnarchte mein Diener ganz ruhig in der benachbarten Stube. Ich sann darüber nach, an was für einen anderen Ort ich mich begeben wollte und ersann endlich einen solchen. Mein seliger Vater war ein großer Liebhaber des Fischfangs gewesen und hatte die besten Gerätschaften zu diesem Zeitvertreib hinterlassen. Er reiste gewöhnlich im August nach der Wolga und verweilte einige Tage an ihren Ufern im Freien. Dasselbe beschloss ich jetzt zu tun.

Ich erwartete, im Schlafgemach herumgehend, den Morgen, und rief, als es dämmerte, meinen Peter. Dieser erschien, an die Tür sich haltend. Der Mensch schien gar nicht stehen zu können, wenn er nicht an etwas sich anhielt. Außerdem war er niemals im Stande, demjenigen, mit dem er sprach, ins Auge zu sehen. Mochte er sprechen oder zuhören, immer blickte er nach einer anderen Seite. Es war unmöglich, diese zwei Eigenschaften ihm abzugewöhnen.

„Geh', Bursche, und rüste Alles, was zum Fischfang nötig ist. Wir wollen auf drei Tage an die Wolga reisen", sprach ich zu ihm.

Wenn Petern etwas unangenehm war, so pflegte er beim Fortgehen die Tür des Vorzimmers heftig zuzuschlagen. Dies Mal tat er das nicht; augenscheinlich war er also mit der Exkursion zufrieden.

Zwei Stunden darauf hielt eine einspännige Teljega an der Freitreppe. Sie war von oben bis unten mit Gerät und Reisekost beladen. Um das Pferd schwärmten Fliegen, Mücken und andere Insekten, die dem armen Tiere so arg zu Leibe gingen, dass es schauderte, den Boden stampfte, mit dem Schweife sich peitschte — Alles vergebens. Ich stieg ein und die Teljega setzte sich knarrend in Bewegung.

Zwei uns begegnende Bauerbursche zogen die Mützen ab, und bald darauf verschwand jede Spur menschlichen Daseins. Wir fuhren in einen Wald, der so dicht und hoch war, dass die Bäume sich an den Wipfeln in einander schlangen. Es waren unser drei Personen; das Pferd lenkte der in der ganzen Umgegend berühmte Fischer Paul, der immer meinen Vater an die Wolga begleitet hatte. Er sprach überaus wenig, und tat auf dem ganzen Wege fast nichts, als dass er sein kurzes Pfeifchen rauchte. Er rauchte nichts Anderes als Stücke von Tabakblättern, die er, von den Schnupfern des ganzen Herrenhauses zusammengebettelt, in einem abgetragenen Beutelchen an seinem Gürtel verwahrte. Die Pfeife selbst war von Holz und inwendig mit Blech bekleidet, weil Paul schon drei Tonpfeifen in die Wolga halle fallen lassen. Dies war Alles, was ich aus ihm herausfragen konnte, bis unser Wagen eine Brücke passierte die durch einen langen Sumpf führte. Diese sogenannte Brücke bildeten rund behauene Balken welche man bereits vor 20 Jahren an den Boden gelegt hatte. Jetzt waren schon die meisten dieser Balken halb verfault oder eingesunken. Wir stiegen alle drei ab, und das Pferd quälte sich, bei jedem Tritt im Morast einsinkend, mit dem Wagen allein hinüber. Endlich kamen wir zu einer Anhöhe, vor welcher unser Pferd von selber stehen blieb. Paul sagte uns, da es oft mit meinem seligen Vater diesen Weg gemacht habe, so sei es schon gewohnt, am Ende der Brücke Halt zu machen. Wir stiegen wieder ein.

Bald schimmerte die Wolga als ein blauer und silberner Streifen durch die dichten Bäume. Die Luft wurde kühler. Wir fuhren an einer kleinen, hart am Ufer stehenden Isba vor. Aus der Isba trat ein Greis, und ersuchte uns, bei ihm auszuruhen; ich aber schlug seine Bitte ab, und ließ Alles schnell aus der Teljega in einen großen Kahn packen. Nach einer halben Stunde glitten wir schon über den Strom. Zwei Hunde die uns gefolgt waren, eilten, die roten Zungen ausstreckend, das Ufer entlang. Ohne sie irgend zu beachten, schwammen zwei Eichhörnchen rasch von einem Ufer zum anderen; die Hunde bemerkten sie, allein es war zu spät.

Peter hielt die geladene Flinte auf seinen Knien, und sah sich, von der Sonne geblendet, vergebens nach allen Seiten um. Plötzlich wurde die Wolga doppelt so breit als vorher; ein anderer Fluss von gleicher Breite halte sich mit ihr vereinigt. In der Ferne kam wieder eine Isba zum Vorschein. — „Hier nimmt das Angeln seinen Anfang," sagte Paul.

Auf seinem gebräunten, runzligen Antlitz erschien ein Lächeln; er blickte mit einem gewissen Wohlbehagen nach den waldigen Ufern und dem seegleichen Fluss. Jetzt erst wurde Paul redselig und quälte meinen Peter und mich mit Anweisungen zum Fischfang. Er stand am Rande des Kahns mit entblößtem Haupt, denn eine Mütze trug er ungern. Die Sonne verbrannte ihn und der Wind verwirrte seine kohlschwarzen Haare, während er das Fischergerät ganz ruhig in Stand setzte.

Unterdes schleppte ich mit Peter Alles aus dem Kahn in die Isba, welche unbewohnt war. Da ich gern unter freiem Himmel bleiben wollte, so machten wir uns auf einer Wiese Quartier. Peter schlug Feuer an.

Wem gehört diese Isba? fragte ich Paul, als er zu uns kam. — Sie ist die meinige. — Wie, die deinige? — Ich baute sie, als ich noch eine Frau hatte. Hier stockte er, und setzte dann kurz hinzu: der verstorbene gnädige Herr hieß mich die Isba hier bauen.

Darauf machte er sich wieder mit den Angeln zu tun, als wollte er das Gespräch nicht fortsetzen. Nach der Mahlzeit ging ich in seiner Begleitung zum Fischfang, während Peter mit der Flinte auf die Entenjagd sich begab.

Paul hieß mich gerade an der „Stelle zum Fischen", wie er sie nannte, niedersitzen und deutete mir flüsternd an, nach welcher Seite ich den Köder werfen sollte. Er selbst ließ sich fünfzehn Schritte von mir entfernt, auf einem Vorsprung des Ufers nieder. Um ihn her war dichtes Gras, aus welchem ein Schwärm von Mücken aufflog und ihm Gesicht und Hände bedeckte; dennoch blieb unser wackerer Fischer fast unbeweglich, bis er einen ungeheuren Barsch aus dem Wasser gezogen halle. Dann schüttelte er die Peiniger von sich und warf die Angel wieder aus. Ich für meine Person hatte kein Glück; kaum dass mein von der Sonne erwärmtes Schwimmhölzchen sich einmal senkte. Nach wenigen Minuten war ich eingeschlafen und erwachte erst, als schon dicke abendliche Nebel über der Wolga hingen, die der Wind so bewegte, dass der dunkle Wald am jenseitigen Ufer bald zu schwimmen, bald zu wogen schien. Ich sah mich um, Paul war verschwunden. Ich ging in die Isba, durchspähte alle Winkel, fand aber niemand.

Eine Minute darauf kam Paul mit einer ganzen Ladung Fische aus dem Walde. Ohne ein Wort zu sagen, schüttete er seine Beute vor mir aus, nahm lächelnd den derbsten Fisch in die Hand, wog ihn und legte ihn ganz oben auf.

Du hast ja einen guten Fang getan? sagte ich ihm. — Er gab keine Antwort. — Hast du heute an vielen Stellen gesessen? — Nur an zweien . . . ach nein, Herr, der Fang ist schlecht: es will nichts anbeißen. — Wie so schlecht? was brauchst du denn mehr? — Ich will Ihnen sagen, Herr, die Fische sind jetzt ausgewandert. In dem Jahre, als ich diese Isba baute, da angelten wir, der selige Herr und ich, an halben Tagen je ein Pud (40 Pfund), und Alles nur gegenüber dieser kleinen Isba; denn weiter gingen wir nie.

Paul seufzte hier etwas. Ich freute mich, dass er gesprächiger geworden, und sein Seufzen erregte meine Neugier.

Du sagtest mir, diese Isba sei dein? — Ja, Herr! Und Paul sah etwas nach der Seile und begann darauf, nach dem Himmel zu blicken.

Seht einmal, Herr, wie die Sterne flimmern; es ist als wären sie Funken die vom Stahle fliegen! — Das ist sehr wahr . . . nun aber sage mir: bist du verheiratet oder nicht? — Verheiratet wohl, und doch ohne Weib. — Wo ist sie denn? — Das weiß Gott! . . . über diese Bestien von Mücken! Hier schürte er das Feuer ein wenig.

Ich begriff jetzt, dass für ihn mit Erwähnung dieser Isba und seiner Frau etwas absonderliches verknüpft war. Meine Neugier wurde noch lebhafter. Ich entschloss mich ein Mittel anzuwenden, das in solchen Fällen oft erprobt ist.

Trinkst du Branntwein? — Ach nein, Herr! — Auch nicht an Feiertagen? — Nun, da kann man wohl ein Gläschen leeren! — Wohl, so kannst du's auch jetzt. Trink und mach keine Umstände mehr! — Paul trank.

Wo werden wir denn heute schlafen? frug ich ihn. — Wenn es beliebt, so gehen wir in die Isba; wo nicht, so können wir den Kahn aufs Land ziehen und darunter kriechen. Unter freiem Himmel ist es angenehmer; auch haben wir einen ganzen Schober Heu, und es wird keine Mücken geben. — Warum keine Mücken? — Wir vertreiben sie mit Rauch.

Nach einer halben Stunde war Alles geordnet. Paul schaffte Heu unter den Kahn und ich legte mich nieder. — Willst du noch Branntwein? — Nun, wenn Gnaden erlauben. — Ich goss ihm ein Glas ein.

Du wohnst immer in dieser Isba? frug ich nach einigen Minuten. — Nein, jetzt halte ich mich selten hier auf; aber vor drei Jahren wohnte ich den ganzen Winter hier. — Warum?— Wegen meiner Frau. — Aber du hast ja keine? — Damals hatte ich noch eine. — Und jetzt ist sie tot? — Nein, sie ist nicht tot.

Paul stand auf und schürte schweigend das Feuer. Morgen wird ein prächtiger Tag sein, bemerkte er. — Ich schenkte ihm wieder ein. — Wo ist denn deine Frau, wenn sie nicht gestorben ist? — Das weiß Gott. — Du liebtest sie wohl nicht, da sie von dir gegangen ist? — Warum sollte ich sie nicht geliebt haben, Herr? Aber sie hatte so etwas Wunderliches . . . . Hier versank er eine Minute in Nachsinnen.

Sie war so wunderlich, Herr. Nun, das lässt sich wohl erklären: im Herrenhaus aufgewachsen, könnt es ihr nicht angenehm sein, mit einem Bauer zu leben . . . . Paul verstummte wieder; aber meine Neugier wurde so groß, dass ich nicht schlafen wollte.

Nicht zu meinem Lobe, Herr, sei es gesagt, hub er wieder an — aber ich liebte sie, das weiß unser Heiland, von ganzer Seele. — Woher war sie? — Seht, Herr, man nannte sie Olga, und sie diente bei unserer gnädigen Frau als Stubenmädchen. Im ganzen Dorfe galt sie für die erste Schönheit. Man freite um sie für den Sohn des Amtmanns. Dieser war aber ein arger Trunkenbold, Herr. Vielleicht hätte die gnädige Frau ihm Olga nicht gegeben, war ihm Olga nicht so gut gewesen. Und man verlobte sie . . . . Paul seufzte tief, dann fuhr er fort: Der Mensch hieß Wanjucha. Am Vorabend seiner Hochzeit war der gnädige Herr nicht zu Hause; da betrank er sich und schlug betrunkener Weise in des Herren Kabinett die Fenstern entzwei. Dafür ließ ihn der Herr nicht heiraten und steckte ihn am nächsten Tag unter die Soldaten. Sie führten ihn ab. Auf dem Hofe kam das ganze Gesinde zusammen und Alle weinten, aber Olga mehr als Alle. Da hing sie an seinem Halse und man konnte sie erst weit im Walde losreißen. Als Wanjucha fort war, suchte ich ihre Gunst wieder zu gewinnen, wurde aber sehr hart von ihr behandelt . . . doch ließ ich von meiner Bewerbung nicht ab und endlich . . . wurden wir getraut . . . Paul seufzte wieder und machte sich wieder mit dem Feuer zu schaffen.

Ich hatte — fuhr er fort — keinen eignen Herd und wohnte damals in einer fremden Isba. Eine ganze Woche ließ mein junges Weib mich nicht zu sich. Bei Tage ging sie in den Schober und heulte in einem fort; die Nacht aber schlief sie im Herrenhaus. Auch bei Tische wollte sie nicht mit mir zusammensitzen und aß abgesondert. Ein Anderer an meiner Stelle hätte seiner jungen Frau dergleichen Dinge bald abgewöhnt; ich aber sagte mir immer: sie wird mit der Zeit von selbst kirre werden. Da sitz ich eines Abends in einem Winkel der Isba und stopfe mein Pfeifchen; sie aber sitzt im anderen Winkel. Und wir sehen einander lange an. — Weißt du was, Paul? sagt sie mir endlich. — Nun? sagt ich. — Wir wollen uns versöhnen. — Das wollen wir; ich habe dir, bei Gott, nichts Böses angetan! — Olga kam jetzt und setzte sich an meine Seite. Ach, wie schön war sie, und noch so jung dazu! Sie umarmte mich.

Ich umarmte sie wieder und wollte sie auch küssen. Da machte sie sich aber schnell los, setzte sich wieder ans Fenster und wir Beide schwiegen von neuem. — Paul, sage mir aufrichtig, ob du mich liebst? frug sie bald darauf. — Bei Christus dem Erlöser, das tue ich mit ganzer Seele und ganzem Gemüte; du aber willst nicht einmal mit mir essen . . . Olga rückte wieder zu mir. — Weißt da was? hub sie von neuem an: wir wollen uns eine eigne Isba bauen und darin zusammen wohnen. — Gut, sagte ich: dir zu Liebe tu' ich Alles! — Ihr wisset, Herr, dass man eine ganze ländliche Isba ohne einen eisernen Nagel zimmern kann; aber in die Isba gehört auch ein Topf und ein Messerchen. So zimmerte ich denn bei Tage an der Isba und fing zur Nachtzeit Fische. Ich wurde damals recht mager; dafür war aber auch das Häuschen in drei Monaten fertig.

Ach, wie klein ist sie? — rief Olga aus, als wir einzogen — dazu sind die Wände gar nicht behauen! Doch habe Dank dafür, setzte sie bald hinzu, und wir küssten uns und aßen an jenem Tage zusammen, und in der ganzen Woche entfernte sie sich kaum einen Schritt von mir. Oft sah sie mir lang ins Auge, und es ist bekannt, Herr, wie das Einem bezaubert. Zuweilen brachte sie aus dem Herrenhause Äpfel oder Pfefferkuchen, setzte sich mir auf den Schoß, und ließ mich aus ihrer Hand essen. Ich aß, obschon ich die Pfefferkuchen nicht liebe. Ein halbes Jahr lebten wir so zusammen und wie Seele in Seele. Es schien mir, als ob sie ihren Wanjucha ganz vergessen hatte.

Nur einmal, als ich spät nach Hause kehrte, da sah ich, wie Olga über einem Briefe weinte. Sie verstand zu lesen und zu schreiben, Herr: ich aber war ein unwissender Mann; daher betrog sie mich auch. Später erst erfuhr ich, dass der Brief von Wanjucha gewesen . . . . Doch ich will Alles in gehöriger Ordnung erzählen.

Ich frug meine Frau, warum sie so sehr weinte, und tröstete sie; aber Olga ging aus, und kam erst am anderen Tage zum Essen wieder. Es war mir recht kummervoll zu Mute. Wir setzten uns an den Tisch; sie aber als nichts. Den Tag darauf kam sie gar nicht zum Essen. Ich wurde endlich erzürnt. Warte nur, dacht ich, wenn du von mir weggehst, so geh ich auch von dir weg. Es nahte die Winterzeit. Ich ging zum Gutsherren und hat um Erlaubnis, für den ganzen Winter Fische für seine Tafel fangen zu dürfen. Dann baute ich an derselben Stelle wo wir gegenwärtig sitzen, eine Hütte, und ließ mich eine Woche lang zu Hause nicht sehen. Zuletzt überwältigte mich die Unruhe. Einmal fühlte ich solchen Kummer um Olga, dass ich wie ein kleines Kind weinte. Eines Sonntags ging ich, als war' es zufällig an meiner Isba vorüber, und Olga lag am Fenster. Sobald sie mich bemerkt hatte, zog sie den Kopf zurück. Ich machte mir Gedanken und ging hinein.

Liebe Hausfrau, sagt’ ich, gib mir einen Feiertags-Imbiss! — Was für eine Hausfrau bin ich dir? — Nun zürne nicht, wir wollen uns versöhnen. — Ich will keine Versöhnung, sagte sie und ging hinaus.

Eine Zeitlang war ich in Gedanken versenkt: dann begab ich mich zum geistlichen Vater, erzählte ihm Alles und bat ihn, sie, wenn es möglich wäre, zur Vernunft zu bringen. Darauf verschloss ich alle meine Vorräte und ging wieder an die Wolga. Es war in der Hütte zu kalt geworden; da kam mir der Gedanke, hier diese Isba zu bauen. Ich baute und fischte; aber Olga wollte mir nicht aus dem Kopfe. Dennoch gewann ich es über mich, zwei Monat lang nicht vor ihren Augen zu erscheinen; nur dann und wann kam ich heimlich ins Dorf und beobachtete sie hinter einem Winkel der Isba. Immer wartete ich, ob sie wohl zu mir kommen oder jemand an mich schicken würde Endlich beschloss ich, von ihr Abschied zu nehmen.

Ich trete in die Isba und finde sie leer. Es war kalt darin wie auf dem Hofe. Die Nachbarn meldeten mir, Olga wohne schon lang bei der gnädigen Frau. Ich ging in das Herrenhaus, um nach ihr zu fragen, wurde aber nicht vor sie gelassen. Jetzt stellte ich mich der Freitreppe gegenüber und wartete, ob sie wohl einmal heraus kommen würde. Dies geschah wirklich gegen Abend, aber sobald sie mich erblickt hatte, kehrte sie um, als hätte sie etwas vergessen. Am nächsten Tage versuchte ich es wieder und harrte aus bis in die Dämmerung. Da kam Olga plötzlich aus einem Winkel auf mich zu. Lebewohl! sagte sie. — Wohin gehst du denn? frug ich.

Wir gingen mit einander in den Garten des Gutsherrn. Olga neigte sich zu mir, küsste mich, und schlüpfte dann eilig durch eine Hinterpforte. Ich wollte ihr nach, allein sie verschwand in einem Gehölze.

Ich stand noch nachdenklich da, als ich plötzlich vom Gutsherren den Befehl erhielt, sofort an die Wolga zu gehen. Dies geschah und ich verlebte dort die ganze Zeit der Großen Fasten. Am Feiertage kehrte ich heim, aber mit dem Vorsatz, nach meiner Frau gar nicht zu fragen. Auf der Gasse des Dorfs spielten die Kinder und Jungfrauen; ich wich ihnen aus, wie einer der kein gutes Gewissen hat! Ich ging gerade auf die Isba des Dorfrichters zu, und mein Herz klopfte mir, dass ich es schlagen hörte. In der Isba saß niemand als die alle Viehmagd.

Du suchst gewiss dein Weib? frug sie mich. — Ja, sagte ich und zitterte dabei. — Die hat Wanjucha zu sich gelockt, Landsmann: seit gestern ist sie fort.

Ich verstand jetzt Alles und antwortete nichts. Ich floh aus der Isba in den Wald, warf mich an den Boden und weinte mich satt. Dennoch hoffte ich, sie würde vielleicht wiederkehren . . . . aber nein, sie kam nicht wieder! Der Kreishauptmann suchte sie überall, und der Gutsherr schickte Eilboten nach allen Richtungen: man fand sie nirgends. Sie war jung, Herr; der listige Mensch verführte sie.

Ich ging in meine Isba, wo ich eine Zeitlang mit ihr gewohnt hatte, setzte mich auf die Bank, und ach! wie traurig wurde mir da zu Mute . . . . Auch war es so ein regnerischer Tag . . . . ich kam mir vor, als wär' ich auf Erden allein! Ich legte mich zum Schlafen, aber der Schlaf wollte nicht kommen; so ging ich wieder nach der Wolga ab, und, wie ich jetzt mich erinnere, war ich an jenem Abend im Walde beinahe versunken: hier ist das Moor! . . . . Paul brach in Tränen aus. Er erhob sich vom Boden, stemmte die Arme in die Seiten, und blickte mit einem seltsamen Lächeln lange Zeit ins Feuer, das beinahe erloschen war. Der östliche Himmel rötete sich und die Sterne verschwanden. Ein Frühmorgenwind brachte die weißen Nebel in Wallung, die hoch über der Wolga hingen. In der Luft war es so still, so aromatisch; hin und wieder hörte man nur das Gesumme von Mücken. Jetzt hole ich Brennholz! sprach Paul plötzlich. Er griff nach seiner Axt und ging etwas wankenden Schrittes nach dem Walde: man sah, dass er berauscht war.

Ich legte mich näher ans Feuer und begann einzuschlafen. Aus dem Walde tönten die Schläge der Axt und jeder Schall verweilte gleichsam in der dicken Luft . . . . Plötzlich drang ein lauter Schrei ebendaher zu meinen Ohren. Ich sprang sogleich auf und horchte. Es war Paul, der um Hilfe rief. Zugleich mit dem Walde, auf den ich zulief, begann ein mit faulen Baumstämmen überdeckter Moor. Nach fünf Minuten war ich der Stelle nahe, wo das Geschrei herkam. Was ist dir zugestoßen? rief ich, auf einen ungeheuren am Boden liegenden Stamm steigend, hinter welchem Paul schrie. — Ich bin eingesunken! rief er: schnell! reicht mir eine Stange! Etwa fünf Klafter von mir ab lag ein sehr großer Ast. Ich arbeitete mich durch den Moor bis an die Stelle.

Ach, ich sinke! — schrie Paul wieder — Hilfe! es zieht, es zieht . . . . Ich hob den Ast mit großer Anstrengung auf meine Schulter und wälzte ihn über den Baum, dahin, wo Paul schrie. Allein es war schon zu spät: nur seine Hände sahen noch heraus, und bald waren auch diese verschwunden.

Ein unaussprechliches Grausen ergriff mich. Ich wollte von dem Stamm herabspringen und dem Unglücklichen zu Hilfe eilen, aber das Gefühl der Selbsterhaltung behielt die Oberhand. Entsetzt schaute ich nach allen Seiten: niemand war da. Dicht bei dem liegenden Stamme stand eine dürre Tanne, die Paul ohne Zweifel fällen wollte; denn seine Axt lag daneben. Vermutlich war er von demselben Baumstämme, auf dem ich saß, in das Moor hinabgeglitten.

Und zu diesem Gedanken kam der andre, dass ich eigentlich die Veranlassung eines so unglücklichen Ereignisses gewesen. Das Grausen erfasste mich jetzt noch mehr. Ich lauschte in einer Art Betäubung auf jeden Laut: in geringer Entfernung zwitscherten einige Vögel, und hin und wieder hüpften Eichhörnchen auf den Tannen . . . . Ich sah wohl ein, dass es unmöglich war, Paul Hilfe zu leisten, und kehrte traurig zu unserem Feuer zurück. Da begegnete mir Peter, der unterdes zwei Enten gejagt hatte. Wir rüsteten uns schweigend zur Heimkehr.

Jetzt entfaltete das Morgenrot seine ganze Pracht; rosenrotes Gewölk rötete den Himmel rings umher, und die Wellen der Wolga schimmerten wie flüssiges Gold . . . . Wir Beide ließen uns in der Lodka nieder. Ich war unaussprechlich betrübt.

Mein phlegmatischer Peter blickte eine geraume Zeit in die Ferne, dann auf den Bord der Lodka. Er schüttelte den Kopf, stimmte mir nichts dir nichts ein Lied an und machte sich lebhaft ans Rudern.