Erste Fortsetzung

In der Ebene fanden wir nun keinen Ort weiter, wo man mit den bescheidensten Ansprüchen hätte „pernoktieren" können, um mich Tantchen I. . . . stedt's Ausdruck von zirka 1760 zu bedienen. Es waren nur recht malerische Erd- oder Düngerhaufen, in denen die genügsamen Bewohner der Ebene mit ihrem sämtlichen Vieh logierten. Die letzte Nacht aber schliefen wir ganz gut in einem reinlichen Molokaner Dorfe (eine Art Quäker oder so dergleichen). Je näher der Grenze, desto trauriger wird die Gegend, nur wüstes Gebirgsland erscheint und einige unschöne, grasbekleidete Berge; die herrlichen Wälder sind zurückgeblieben und nur hier und da stehen Reste einer früher dagewesenen Vegetation. Man fühlte in einem Grenzlande zu sein, wo, wie immer in Grenzlanden, die Kämpfe feindlicher Stämme sich entschieden. Diese Ärmlichkeit der Natur schien mir das Werk von Menschenhänden zu sein. Die Menschheit ist wie das Feuer: sie schreitet nur langsamer einher aber dafür verzehrt sie auch auf ewige Zeiten das Leben der Erdrinde, und hinter ihren Fußstapfen dehnen sich Wüsten wie fühllose Brandnarben aus.

Lieber die Vegetation bemerkte ich noch folgendes: Mitte April näherte sich das Korn in Baku der Reife — (Du weißt dass wir von Achti nicht grade, sondern über Baku nach Tiflis gingen). In Tiflis fanden wir das Korn erst Ende Mai so weit, in Transkaukasien ist das Korn noch mehr zurück; hier an der Grenze ist es erst ein paar Hände hoch und mitten im Juni blühen erst die Frühlingsblumen.


Am Kuban waren die vorherrschenden Tiere Pferde; in Achti (an der Ostseite des Kaukasus) Esel; in Baku Kamele; in Tiflis Maulesel; auf dem Wege nach Eriwan Büffel; hier an der Grenze Ochsen. Man fährt mit Ochsen, das Volk reitet auf Ochsen; Ochsen werden mit Gepäck beladen, selbst die Kühe werden nicht verschont; wenn das so fortgeht, so werden wir noch erleben, Schafe und Ziegen als Zugvieh zu erblicken; wenigstens habe ich schon einzelne Schafe mit Gras beladen gesehen und sie sind auch so kräftig und groß, dass man die List des Ulysses der unter dem Bock des Polyphemus recht in der Wolle saß — nicht unbedingt zu den Fabeln rechnen möchte. Unsere Wohnung, obwohl die beste in der Stadt, war bis jetzt noch nicht im Stande, auf uns einen imposanten Eindruck zu machen. Es ist ein langes, niedriges Haus, am passendsten einem livländischen Kruge zu vergleichen, er besitzt kleine Fenstern und dergl. Türen, und sein Inneres ist mit Modergeruch erfüllt; denn da kein Fundament gelegt zu sein scheint, so hat sich das Gebäude gesenkt und steht daher tiefer als der umliegende Boden; der Regen kann also, wie er es in der ersten Nacht unseres Hierseins wirklich ausführte, unter den Wänden durch in die Zimmer sich begeben, und dazu kommt, dass auch das Dach eine gemütliche Offenherzigkeit erblicken lässt; indes mit Galoschen von Gummi und einem guten Regenschirm empfindet man wenig davon. Die Möbel dieses Hauses haben keinerlei Prätension besser sein zu wollen als der Boden, der sie trägt. Die Nähe des Ararat gibt mir fast das Recht zu behaupten, dass sie noch aus Noahs Arche stammen; sie sind auch merkwürdig durch die Seltenheit, im ganzen Hause zählte ich nämlich nur sechs Stühle, die, nebst ein paar unbeholfenen Tischen, einem äußerst hölzernen Divan, einem wunderbar schmutzigen Schrank und einer Kommode das ganze Ameublement ausmachen. Was letztere anbetrifft, so ist sie von einer so ungeheuerlichen Konstruktion, dass ich fest überzeugt bin, der Tischler muss sie in einem Anfall stillen Wahnsinns konzipiert und in einem Anfall von Raserei ausgeführt haben. Ein jeder russische Arbeiter mit einem breiten Beil, und einer jener riesenmäßigen Balkensägen bewaffnet, hätte was kunstvolleres, gebildeteres zu Stande gebracht. Da ich nun zu diesen Raritäten keine Neigung verspürte, und man alte Möbeln nicht viel rühren und rücken darf, so verzichtete ich auf den Besitz der elenden sechs Stühle, und habe mich mit meinen Kindern asiatisch auf Teppiche gelagert. Anfangs war es mir unbehaglich, aber alles um den Fremden zwingt ihn allmählich in die Sitten des Landes einzugehen. Luft, Nachahmungstrieb, Not, Mangel am Heimländischen oder Unbrauchbarkeit des Vorhandenen sind die Lehrmeister, und ich sitze jetzt schon so gerne am Boden wie eine geborene Asiatin. Wundere Dich daher nicht, wenn uns das Schicksal einmal zurück nach * * hof führt, mich am Boden sitzend zu finden. Wird es doch der heimatliche sein und somit doppelt lieb!

Nun ist alles im schönsten Gleise; die neuen Verhältnisse sind angepasst und sitzen uns, wenn auch eng, doch so, dass man sich zur Not darin bewegen kann. Ich habe in der alten Staatskalesche Visiten bei den Damen der Stadt gemacht, die eben so pünktlich erwidert wurden. Hier an der Grenze der Zivilisation sind wir Europäerinnen darauf hingewiesen wie auf eine Pflicht, fürs erste wenigstens die Formen des abendländischen Gesellschaftswesens in ihrer ganzen Strenge zu beobachten und einzuführen. Wir gaben daher am 31. Juli ein Festival, wo nach den persischen Tanzen des Volks im Freien, ein europäischer Ball im Hause erfolgte, der durch ein hier in dem Umfange noch nicht gesehenes Feuerwerk verherrlicht wurde; es verdient zur Charakteristik hiesiger Zustände angeführt zu werden, dass ein Berichterstatter der Festlichkeit im „Kaukasus" die Vorsorge der Wirte vorzüglich hervorhebt: dass die zahlreichen Gäste alle haben sitzen können!

Nachdem wir unser Standquartier somit eingeweiht und wohnlich gemacht haben, sind wir auf Ausflüge in die Umgegend bedacht. Die zwanzig Werst von hier liegenden Ruinen der alten armenischen Hauptstadt Ani, und das Kloster Etschmiadsin werden von uns nächstens besucht, und sollen den Inhalt meines nächsten Briefes bilden; heute will ich Dir unsern Besuch der „feurigen Esse" beschreiben, der stillen Flammen von Baku und ihrer lauten Anbeter, der Gäber (Gjábri). Wenn Du Dir die Lage des Kaukasus vergegenwärtigest, so wirst Du keiner Karte bedürfen um Dich zu erinnern, dass das Gebirge sich querhin und etwas schräge vom Schwarzen zum Kaspischen Meere erstreckt. Die Südspitze des Kaukasus ragt nun als Vorgebirge Apscheron in das Kaspische Meer hinein, und grade auf dieser Landzunge liegt Baku und siebzehn Werst nördlich von dieser Stadt das indische Feuerschloss der Gäber.

Um das Flammenspiel besser zu genießen, wählten wir zur Hinfahrt den Abend, aber mit ihm kam ein dichter Nebel und dieser machte den Weg dahin äußerst halsbrechend. Ein Perser, der russisch verstand, machte den Führer und eilte voraus. Als wir das Ziel erreichten war es schon stockfinster; die Flammen erhoben sich in köstlicher Reinheit zum stillen Nachthimmel und das ganze Feuerschloss war wie von einem Kranze von Wachtfeuern umgeben. Es waren Perser aus der Umgegend, die sich beschäftigten Kalk zu brennen und Brot zu backen — gewöhnlich höchst prosaische Vorgänge — aber ich weiß nicht wie es kam, dass mir an diesen reinen, geheimnisvollen Flammen diese Beschäftigung edler, und so zu sagen, biblisch erschien. Waren es nicht solche schwarze Gestalten, die am Turm von Dabei bauten und Kalk brannten!? Übrigens ist das hier höchst bequem und wohlfeil; man macht eine beliebige Öffnung in den Boden bringt einen Feuerfunken daran, und eine nie versiegende Feuerquelle schlägt wie ein Springbrunnen empor. Hinter diesen Flämmchen und Feuerchen erschien grell beleuchtet die schmutzig weiße Mauer des Schlosses, aus dessen Mitte, aus zwei hohen Säulen die reinsten, klarsten und gewaltigsten Feuerflammen emporstiegen, bald vom Nachtsturm horizontal hingelegt und geschwungen wie Schlangenzungen, bald plötzlich steilrecht erhaben wie zwei Altarlichte und wie diese, den Himmelsdom erleuchtend. Wir fuhren um das Gebäude herum und hielten auf jener Seite, wo keine Feuer der Erde entstiegen, vor dem Tor an. Es regnete fein; unser Führer ging uns anzumelden, und kam gleich darauf zurück mit einem dunkelfarbigen Hindu. Sein Anblick bewegte mich sonderbar, ich vergaß, dass er einer weitverschlagenen Kolonie von wenigen Individuen angehört und ich fragte mich, ob wir denn plötzlich nach Indien verschlagen wären, oder Indien so hoch hinaufgerückt sei? — — Wir traten unterdes in den Hof, in dessen Mitte das tempelartige Gebäude mit den beiden Feuersäulen sieht; in der Mitte dieses kleinen, aber hohen Bauwerks, das weder Tür noch Fenster zeigt, hängen oben im Gewölbe ein paar große Glocken, die der Hindu gleichsam als Einleitung der nun zu schauenden Herrlichkeiten gewaltig ertönen ließ. Es war fast um taub zu werden; der erste Eindruck hatte etwas grauenhaft-schönes; auch die Knaben schienen ungewöhnlich ergriffen; sie fassten an ihre Schaschkas *) und lehnten sich stärker an mich. Außer uns nebst Diener und Dolmetscher war niemand zu sehen als der schwarze Gäber in weißem Turban, langem, braunen, härenen Gewände, und weiß und blau gestreiften Unterkleidern, von denen nur ein ganz schmaler Streifen sichtbar wurde, aber genug, um die schwarzen, nackten Füße hervorzuheben. Seine Züge waren edel, sein Bart lang und schwarz; so stand er da wie ein Geisterbeschwörer, wie der Herr eines Zauberschlosses, der seine dienstbaren Geister herbeiruft. Und die Feuer, als ob sie seinem Befehle gehorchten, loderten beim Schmettern und Geheul der Glocken heller und wie zischend empor; bald war heller Tag um uns, bald umgab uns wieder Halbdunkel, wenn der Wind die Flammen wie Halme hinlegte. Ich sah uns alle der Reihe nach an; ich war die einzige Person, die europäisch gekleidet ging; mein Mann war in seinem langen schwarzen Bart und seiner Tscherkessenkleidung, eben so asiatisch waren die Knaben und die Diener angetan, alle, mit Ausnahme des Hindu, waren bewaffnet und doch war er es, der uns alle durch das Imposante seiner Erscheinung und Umgebung in diesem Augenblicke zu beherrschen schien. Es wurde mir so europafern und Heimweh zu Mute; ich erwartete in jedem Augenblicke etwas Ungeheuerliches mir ereignen zu sehen, das Zusammenströmen von Feueranbetern, und alle Gräuel eines heidnischen und barbarischen Götzendienstes. Als sich aber nun nichts ereignete, weder etwas Schreckliches, noch irgend sonst etwas, so verwandelte sich meine Furcht in einen gewissen Ärger der Täuschung. Indessen forderte uns der Dolmetscher auf, dem Gäber zu folgen, und mit frischer Hoffnung etwas Neues zu sehen, gingen wir vorwärts. Rund um den ganzen inneren Umfang der Mauer sind die kleinen zellenartigen Wohnungen angebracht, die Sekte heißen, ferner Ställe und andere Gebäude. Der Dolmetscher erzählte uns, das Schloss sei von einem reichen, indischen Nabob, der Feueranbeter war, erbaut, und von ihm und seinem Hofstaat längere Zeit bewohnt worden. Die alte indische Herrlichkeit ist nun aber dahin, und nur noch drei Hindu sind die traurigen Überreste glänzender Zeiten. Aber die Natur blieb sich ewig gleich; ob angebetet oder nicht, fuhren die reinen Flammen doch fort zu leuchten, zu wärmen und zu imponieren, und soweit geht ihr Ruhm, dass aus dem fernen Indien jährlich viele Pilger herkommen um zu beten und für sich beten zu lassen, bei der sichtbaren Erscheinung des reinen Urlichts.

*) Tscherkessendolche.

Endlich kamen wir vor der Sekte des Derwisches an und folgten seiner Einladung auch hinein; durch eine niedrige Tür und über eine hohe Schwelle, stiegen wir ein paar Stufen hinunter und befanden uns nun in einem kleinen, niedrigen sehr weißen Raum, der statt einer Diele einen festen Boden von Lehm zeigte, und in dessen Mitte ein kleiner gemauerter Altar stand, mit einer Öffnung nicht größer als die Mündung einer Flinte, aus welcher eine leichte, schlanke Flamme emporstieg, die das Zimmer hell erleuchtete. An den Seiten des Altars waren auch andere, kleine Öffnungen. Der Hindu ergriff einen Strohhalm, entzündete ihn an der Flamme und legte ihn an die Öffnung, aus dem sogleich helle Flammen emporschossen; er blies sie aus, legte wieder Feuer an und gleich war wieder die schönste Flamme da. Die Kinder, die nie Gasflammen gesehen haben oder sich wenigstens ihrer nicht mehr erinnern können — betrachteten das alles wie die allerhübscheste Zauberei, und ich dachte an die beiden Eckensteher, von dem der eine zum ersten Male eine Gasflamme erblickte. Höre du, fragte er den andern, da ist ja kein Docht drin, was brennt denn darin? Dummkopf, antwortete der Klügere, det ist ja eben der Witz! — Auf einem zweiten Altar, der, wie der erste, die Höhe eines gewöhnlichen Tisches hatte, lagen und standen die Götzenbilder und Schätze unsers Derwisches. Dieser zweite Altar war an die Außenmauer gelehnt, so dass der Feueraltar zwischen ihm und der Tür stand. Zu ihm führten ganz kleine Stufen, auf die man aber nicht trat. Es lagen vielmehr auf denselben die zu ihren heiligen Handlungen nötigen Schalen, Muscheln und Instrumente. Auf dem Altar selbst standen kleine metallene Götzen, hässlich und jenen chinesischen Bildnissen ähnlich, die sich im chinesischen Saal im alten Palais von Zarskoje-Selo befinden. Neben diesen Figuren lagen zu unserem Erstaunen, Kreuze von verschiedener Form, und Größe. Wir ließen den Gäber durch den Dolmetscher darüber befragen. Die Antwort lautete mit orientalischer Emphase: Es ist Ein Gott und Niemand hat ihn gesehen: daher verehrt ihn jeder auf seine Art und macht sich eine Vorstellung nach seiner Art! — Die Antwort war diplomatisch genug, und wir konnten doch nicht erfahren, wie die christlichen Kreuze hingekommen waren, vielleicht halte er auch die Frage gar nicht verstanden *). Auf dem Altar und seinen Abstufungen lagen noch allerlei schöne, seltene, indische Steine, nach denen die Knaben sehnlich langten, die sie aber trotz unserer glänzenden Anerbietungen, nicht erhalten konnten, denn es waren Andenken aus der fernen Heimat; vielleicht dienten sie dem Priester eben durch ihre Seltenheit als notwendige Zierde seines kleinen Götzenhauses.

*) Zu beiden Seiten des Altars waren viereckige Säulen und die übrigen Wände der halbkreisförmigen Zelle waren mit gemauerten Sitzen umgeben.

Ferner lagen noch verschiedene zu ihrem Götzendienst gehörende Schalen, Klappern, Weihrauchkesselchen, ein paar kleine Lampen, kleine silberne Tellerchen und Teebrettchen. Die Luft war aber erstickend vom Gasdampf und die Hitze war wie in einem Dampfbade; mir verging anfangs die Luft und draußen erst konnte ich mich langsam erholen. Der Derwisch nahm vom Altar rötlich und weiß kandierten Zucker, hielt ihn im Gebete murmelnd seinen Bildern hin, besprengte ihn dann mit Weihwasser und reichte ihn uns auf einen silbernen Teller.

Indem trat ein zweiter Hindu herein, ein wohlbeleibter, ältlicher Mann mit grauem Kopf- und Barthaar und graubrauner Gesichtsfarbe, denn da er schon seil zwanzig Jahren, wie er sich ausdrückte, im Norden wohnte, so halte sein Teint etwas gelitten. Amintaas, so hieß der Alle, lud uns nun auch in seine Sekte ein, die dreimal größer war als die des Derwisches. In der Mitte, der Tür gegenüber, stand ein eingemauerter großer Kessel, unter welchem ein Gasfeuer brannte. Die längliche Sekte bestand aus drei, gleich großen Abteilungen, die durch niedrige, zwei Arschin hohe Mauern von einander geschieden waren, welche aber in der Mitte Durchgänge darboten. In der mittleren Abteilung stand der Tür gegenüber der Wasserkessel; in der Abteilung rechts stand ein Altar und ein Kochtopf auf einem Dreifuß über einer Gasflamme. Die Abteilung links war mit Teppichen zum Schlafen belegt. Aus den niedrigen Mauern zwischen den Abteilungen strömten nach allen Seilen hin neue Gasflammen. Nachdem wir auch hier die Steine, Schalen und Götzenbilder besehen hatten, die hier reicher und in größerer Anzahl vorhanden waren, fragten sie uns ob sie auch für uns beten sollten. Nach erhaltener Einwilligung wurden nun alle Vorbereitungen zu der Zeremonie getroffen; die große Muschel wurde im Kessel ausgespült, die Schalen wurden auf den Stufen des Altars geordnet, sämtliche Gasöffnungen flammten auf, der kleine Räucherkessel dampfte, die silberne Schale mit kandiertem Zucker stand auf einer Lampe zwischen Glocken, deren Griff zwei hässliche Götzenbilder vorstellte, und die Amintaas ergriff und mit großer Heftigkeit zu schütteln begann. Hinter ihn stellte sich der Andere und schlug zwei inwendig gehöhlte, auswendig mit Buckeln versehene Metallbecken mit gewaltiger Kraft an einander, dazu begleiteten sie sich mit dem unmenschlichsten und ohrenzerreißendsten Geheul, das je menschliche Lungen hervorgebracht haben mögen. Und doch war eine Art Methode in der Tollheit und an einem Piano hätte ich die Kadenz aufschreiben können. Endlich machten sie eine kleine Pause, in der sie vor ihren Bildern sich verneigten, leise murmelten, die Schalen wieder anders ordneten und den Zucker mit Weihwasser besprengten. Mein Mann flüsterte mir ins Ohr: „Sie streuen und weilten" und die ganze Götzenscene aus dem Faust — mit „schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich," trat in lebhafter Analogie vor mein Gedächtnis.

Unterdessen hatten sich die Lungen des alten Amintaas wohl erholt, denn nun ergriff er die gewaltige Muschel, hielt sie mit beiden Hunden fest wie ein Triton, und blies nun mit unglaublicher Macht schmetternde, langgehaltene Töne, wild und unharmonisch, kaum melodische Gestaltung annehmend. Wir glaubten, entweder seine Lunge oder die Muschel müsste zerspringen, der Atem verging mir vom Zuhören, mir wurde schwindlig und plötzlich begriff ich, wo der Ausdruck „Heidenlärm“ herkommt. Lange dauerte diese kannibalische Musik, die den vornehmsten Teil ihrer heiligen Handlungen auszumachen schien. Als ein milderes Finale erschien uns zuletzt ein wilder Gesang, Geklapper, Geklingel und Gemurmel. Endlich war das Konzert aus und wir atmeten froh auf. Amintaas präsentierte uns den kandierten Zucker und mein Mann legte an Stelle dessen zwei Dukaten hin, die mit lebhaften Dankbezeugungen empfangen, und auf den Altar niedergelegt wurden. Wir traten nun wieder unter Gottes alten Himmel, aber die Scene hatte sich verändert; das einsame Feuerschloss wimmelte von Persern, die von ihrer Kalkbrennei herbeigeeilt waren, um nicht sowohl die Hindu, als uns Europäer zu sehen. Perserinnen saßen an verschiedenen kleinen gemauerten Öfen, wo sie an Gasflammen ihre Tscheucks rösteten, platte dünne Brote aus ungesäuertem Teige, die in ein paar Stunden fertig sind. In großer Prozession gingen wir nun etwa hundert Schritt weit vom Schloss zu einem Brunnen, der zugedeckt gehalten war; man deckte ihn los, warf ein Bündel brennendes Stroh hinein, und zischend und sprühend stieg eine prachtvolle breite Feuersäule, wie die schönste Girandole empor — in Funken und Sterne auseinanderstäubend. Leider dauerte der schöne Anblick nur einen kurzen Moment und es bedarf wieder einer Viertelstunde, um hinlänglich Gas zu diesem Experimente sich ansammeln zu lassen. —

Somit war der Besuch beendet, wir setzten uns bei strömendem Regen in den Wagen, und hundertmal in Gefahr umgeworfen zu werden, mit den zwei schlafenden Knaben auf dem Schoß, kam ich todmüde nach Mitternacht in Baku an. Es war gerade die Osternacht. Alle Einwohner waren in den Kirchen, die Glocken tönten feierlich durch die Nacht und ich hätte gern dem christlichen Gottesdienst beigewohnt, aber die Kinder mussten zu Bett gebracht werden, und ich selbst war mehr tot als lebendig. Am nächsten Morgen, ich saß mit den Kindern auf dem Sofa, trat ein langer, hagerer, greiser Hindu herein, festlich in einem weißen Talare gekleidet und reichte mir auf einem silbernen Teller, weißen und rosenroten Zucker. Er war der dritte und vornehmste Priester aus dem Tempel der Gäber und zum Osterfest nach Baku gekommen. Wir nahmen einige Körner von seinem Zucker, und ich legte ihm einen Silberrubel hin. Als er noch seine Danksagung machte, kam mein Mann und sagte ihm teils auf tartarisch, teils auf russisch und teils pantomimisch, dass wir gestern Abend bei seinem Tempel waren und hatten beten lassen.

Sogleich fragte er begierig, wie viel wir dafür geschenkt hatten und als er die Summe erfuhr, bat er sich einen Zettel aus; die andern würden ihm sonst nichts abgeben!

Diese Misere missfiel mir unsäglich, und wir schickten den Alten bald fort, ohne in sein Verlangen zu willigen, denn die beiden Schreihälse von gestern schienen uns die zwei Dukaten mit vollem Recht sich verdient zu haben. Später erfuhren wir, dass die Gaben der Reisenden immer Prügeleien und Zank im romantischen Feuerschloss hervorriefen, und das alles verleidete mir die Erinnerung an das schöne Naturschauspiel. Und doch, ist es denn die Schuld dieser armen Einsiedler? müssen sie nicht habsüchtig werden und, um zu leben, ihre ihnen gewiss heiligen Gebräuche profanieren?*) Sie arbeiten nicht, denn sie haben weder Feld noch Garten; das einzige, was einer Vegetation ähnlich sah, waren gemauerte Kästen im Hof des Tempels, die mit Gartenerde gefüllt waren und in denen einige Sträucher und Pflanzen wuchsen; Reste aus den Blumengärten aus der Zeit jenes oben erwähnten indischen Nabobs, der vergeblich versucht hatte, auf diesem von Gras imprägnierten Feuerboden, Anpflanzungen zu machen. Indes machte ich zu meinem Schaden doch die Bemerkung, dass hier wenigstens Gras wuchst; denn als wir zum Feuerborn gingen, wurden meine Schuhe im Grase vollständig nass.

Für Menschen scheint die Gasluft nicht schädlich zu sein, wenigstens waren die Priester der Gäber, die hier sämtlich seit langen Jahren wohnen, wahre Löwen von Gesundheit.

*) Diese fast naive Bemerkung, scheint auf Italienische und viele andere Europäische Priester mindestens ebenso gut gemünzt, wie auf die guten Gjábri. D. Herausgeber.