Zweite Fortsetzung

Hier wohnten von der Bille bei Hamburg bis an die Oder und Lausitzer Neiße und darüber hinaus eine Menge kleiner Völkerschaften deren Namen man größtenteils noch in heutigen Fluss- und Ortsnamen wiedererkennt *). Zwei unter ihnen genossen ein Principat über die andern. Dieses waren die Wilzen oder Welataben, auch Lutizen welche in Brandenburg und bis an die Ostsee herrschten, und die Obotriten nordwestlich von jenen in Mecklenburg, mit der Hegemonie über alle Nachbarvölker, welche den Wilzen nicht gehorchten. Später wird der Name Wilzen nur noch auf vier an der Ostsee wohnende Stämme angewendet. Die Obotriten und Wilzen waren nun erbitterte Feinde; letztere hielten es mit den Sachsen. Karl der Große bediente sich nun der Obotriten um zuerst die Sachsen und nachdem diese bezwungen waren, auch die Wilzen zu unterwerfen und machte Trasiko zum Herrn über alle östlichen Wenden. So hatte Karl der Große den Grund zur Unterwerfung der westlichen und südlichen Slawen gelegt. Er versuchte auch den nördlichen das Christentum beizubringen und stiftete zu diesem Ende für sie das Bistum Bremen. Aber es währte lange und erforderte Jahrhunderte und den kräftigen Willen eingeborener Fürsten um dieses Werk zu vollenden. Denn die Wenden waren zwar von nun an den Deutschen unterworfen und zinspflichtig, aber in Wahrheit eigentlich nur immer so lange als jene siegreich mit ihren großen Heeren im Lande standen. Besonders war dies auch gegen die Dänen der Fall, auf deren Inseln die Wenden aus Wagrien und von der Insel Femern sehr häufig Raubzüge machten wofür sie dann von jenen wieder gestraft und auf eine Zeitlang zinspflichtig gemacht wurden. Hier ist der einzige Punkt, außer dem adriatischen Meere, wo wir die Slawen in jenen Zeiten einige Schulfahrt treiben sehen. Die Uskoken im Süden waren sogar Seeräuber und machten Einfälle in das lombardische Gebiet.

*) S. Helmold Chronica Slavorum.


Der Umstand dass die deutschen Kaiser in der folgenden Zeit aus dem sächsischen Hause waren, hat wesentlich zur Ausdehnung des Reiches gerade nach dieser Richtung und zur Bekehrung und Germanisierung dieser Völker beigetragen, aber weniger taten es die großen Feldzüge als die Marken, welche die Kaiser gründeten. Wir wollen die kleineren davon übergehen und nur die wichtigeren nennen. Zuerst wurden die Einfall der Magjaren, mit welchen sich die Belochrobaten und Sorben verbunden hatten, die Veranlassung zur Gründung der Mark Meißen. Kaiser Heinrich schlug die Magjaren bei Würzen und jagte 928 die Sorben über die Elbe, nachdem sie durch einen Zeitraum von 394 Jahren zwischen dem Gebirge, der Elbe und Saale gesessen hatten. Ihre Festung Gana wurde zerstört und dafür die Burg Meißen an der Elbe, zugleich gegen die Milzener in der Lausitz gebaut. Diese Mark Meißen ist das Stammland des Königreichs Sachsen. Auch die Wilzen besiegte er, besonders die Heveller an der Havel und drang noch weiter vor. 936 gründete er die Mark Nordsachsen oder die Altmark, welche aber erst eine höhere Bedeutung unter den erblichen Markgrafen des Hauses Askanien gewinnt. Noch eine Glanzperiode war den Wenden für das folgende Jahrhundert bestimmt.

Noch in demselben Jahrhundert war die Familie der Babenberger in den Besitz der österreichischen Mark gekommen welche ursprünglich den Avaren abgewonnen war und nun gegen die Magjaren behauptet wurde. Dieses Land dehnte sich immer mehr aus und erweiterte dadurch die Trennung des südlichen Slawenzweiges von dem westlichen, während die deutschen Herren in Steiermark, Kärnthen und Krain für denselben Zweck wirkten. Nur Böhmen, das durch seine Einheit und geschützte Lage besonders begünstigt war, blieb unter seinen slawischen Herrschern von den Deutschen unangefochten. Das Christentum, das schon seit längerer Zeit hier einheimisch war, wurde von hier aus dem polnischen Reiche mitgeteilt, dessen erste christliche Fürsten große Kriegshelden waren. Kaiser Otto III. kam im Jahre 1000 nach Gnesen, der Residenz des Herzogs Boleslaw, erstaunte über seine Macht und Herrlichkeit, schenkte ihm den Königstitel und gründete das Bistum Gnesen. Zum Dank dafür rückte Boleslaw 1002 mit Heeresmacht ins deutsche Gebiet und unterwarf sich die damals noch heidnischen Lausitzen. Zu dieser Zeit hatte das polnische Reich seine größte Ausdehnung nach Westen und wenn es sich darin hätte behaupten können, so würde die Grenze der slawischen Bevölkerung heutzutage wahrscheinlich eine ganz andere sein. Aber Kaiser Konrad nahm dem Sohne Boleslaws, Miecislaw, schon 1029 diese Länder wieder ab. Sie fielen zwar bei den Zerwürfnissen des Reiches unter Heinrich IV. wieder in die Hände eines slawischen Staates, nämlich Böhmens, und blieben mit diesem Staate, freilich mit mehrfachen Unterbrechungen, bis 1526 verbunden, aber Böhmen, als einziger Staat für die Vertretung der slawischen Interessen, war zu schwach. Dennoch verdankte die Lausitz dieser langen Vereinigung mit Böhmen zum großen Teile ihre noch jetzt slawische Bevölkerung, freilich auch die drückende Art der Leibeigenschaft, die sich bei ihnen bis in sehr nahe liegenden Zeiten erhalten hat.

Von nun an tritt uns in diesen slawischen Ländern, mit Ausnahme Böhmens, eine merkwürdige Erscheinung entgegen. Die Fürsten und Großen der Wenden waren, bestochen durch das Rittertum und die höfischen Sitten der Deutschen, teilweise auch durch ihre Erziehung die sie in Klöstern genossen hallen, zu Deutschen geworden und das Bewusstsein und Gefühl der eigenen Nationalität hatte sich in die Brust des gemeinen Haufens zurückgezogen. Jene standen dabei im Bunde mit dem Christentum und der Kirche, diese mit dem Heidentum. So war der Ausgang des Kampfes, der besonders bei Thronerledigungen mit furchtbarer Gewalt ausbrach, unschwer vorherzusehen. Je mächtiger ein solcher wendischer Fürst war, desto größere Fortschritte machte das Deutschtum unter ihm. So vereinigte im Jahre 1047 ein obotritischer Fürst mit Namen Gottschalk der in einem sächsischen Kloster erzogen worden war und in den besten damaligen Heeren in England und bei den Sachsen, Dänen und Normannen seine Kriegsschule gemacht hatte, die wendischen Stämme der Wagrier, Obotriten, Polabinzen, Lingonen, Warnaber, Kissiner, Circipaner, mit einem Wort alle Wenden zwischen der Bille und Peene, wozu später noch Rügen und Pommern trat. Ein Drillel seiner Völker machte er zu Christen, führte deutsche Sitten ein und baute zu diesem Ende Kirchen und Klöster. Er war bei diesem Geschäfte so eifrig dass er sich selber neben die Mönche stellte und ihre Predigten sogleich dem Volke in wendischer Sprache wiederholte. Wenn er auch nicht unabhängig war, denn er stand nicht nur unter dem Kaiser sondern selbst unter dem Herzoge von Sachsen, so war er doch ein mächtiger Herr. Wie schwer sein Arm auf seinen Völkern gelegen haben muss, sehen wir aus seinem Ende und der darauf folgenden Verwirrung des Reiches. Er wurde im Jahre 1066 zu Lenzen von aufrührerischen Heiden erschlagen und für eine Zeit kam die praiHerrschaft über seine Länder wieder an heidnische Fürsten, welche die Anfange des Christentums auf das Wütendste verfolgten. Gottschalks Reich dauerte, wie das mährische, etwa 100 Jahre und zerfiel dann wieder in seine ursprünglichen Bestandteile *). Seit 1131 hat jeder Stamm wieder sein besonderes Oberhaupt. Das zwölfte und dreizehnte Jahrhundert sind für die Verbreitung des Deutschtums und Christentums unter diesen Wenden am wichtigsten. Es ist die Zeit wo alle Lehen in Deutschland erblich geworden waren, und wo die deutschen Völker zugleich eine eigentümliche Auswanderungslust ergriffen halte, welche stellenweise in Überschwemmungen und Hungersnot, aber gewiss auch noch in anderen Dingen ihre Ursache hatte. Die Flut nahm aber diesmal eine entgegengesetzte Richtung wie früher, nämlich nach Osten, ins Land der Wenden. Sie kamen friedlich, teils auf den Ruf von Fürsten, teils ohne das und siedelten sich hauptsächlich in dem, noch ganz unbebauten Erzgebirge und den Sudeten, ja selbst in den Karpaten und in Siebenbürgen an, trieben Ackerbau und gründeten Städte, in welchen sie die aus ihrer Heimat mitgebrachten Gewerbe forttrieben. Besonders wichtig sind in der letzteren Beziehung die flandrischen Auswandrer, denn Flandern und Brabant waren in jener Zeit das, was jetzt England mit seiner Industrie für Europa und für die Welt ist.

*) S. Gebhardi, Geschichte aller wendisch-slawischer Staaten