Dritte Fortsetzung

Einer von den wendischen Fürsten, Pribislaw, setzte in seinem Testament den Grafen von Ballenstädt und Anhalt und Markgrafen von Nordsachsen Albrecht den Bären zum Erben von Brandenburg ein. Dies geschah um 1142 und Albrecht der Bär und seine Dynastie der Markgrafen von Brandenburg übernahmen das bisherige Geschäft des nun zerfallenen Herzogtums Sachsen, die Wenden zu unterwerfen und zu vertreiben. Nun ging es an ein Germanisieren. Deutsche Kolonisten aus Sachsen, Thüringen, Franken, vom Rhein und aus Flandern wurden ins Land gerufen und legten Städte und Dörfer an, wobei sie die Wenden durch Stadtordnungen von allen Gerechtsamen ausschlössen. Der Flämming in Wittenberg führt noch heute seinen Namen von den Flämischen und die Namen der Städte Niemegk, Brück, Gräfenhainichen und Kemberg deuten auf Nimwegen, Brügge, Gravenhaag und Cambray. Deutsche Mönche verbreiteten deutsche Sprache und deutsche Bildung; auch die Tempelherren bekamen Schenkungen im Lande. Die slawischen Fürsten der Ostseeküste, aus deren Geschlechte das noch jetzt in Mecklenburg regierende Haus ist, verheirateten sich von nun an nur mit deutschen Prinzessinnen und waren selber die eifrigsten Beförderer dieses Entnationalisierungs -Systems und die Verheerungszüge der Deutschen und Dänen in den häufigen Kriegen erleichterten ihnen das Geschäft eine neue Bevölkerung dem Lande zu geben sehr beträchtlich. Alsbald gewann das Deutschtum einen neuen Angriffspunkt im Bücken der noch in Brandenburg und den beiden Lausitzen wohnhaften Slawen. Schon seit 1025 waren Deutsche nach den unbevölkerten Teilen des Landes geströmt, welches später den Namen Schlesien erhielt. Jetzt wurde, und zwar im Jahre 1163, durch besondere politische Verhältnisse, Schlesien von Polen abgetrennt und selbstständig und die drei ersten Herzoge dieses Landes welche ihre Jugend landflüchtig in Deutschland verlebt halten und in Altenburg erzogen worden waren, brachten ihre Vorliebe für das Deutsche mit. Dem Deutschtum stand zwar hier das Christentum nicht zur Seite, denn die Schlesier waren längst Christen, aber politische Verh?ltnisse; die Eifersucht der schlesischen Herzoge auf ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, welcher von Polen Gefahr drohte, waren die Bundesgenossen des deutschen Wesens und so wurde die Trennung vom Mutterlande immer größer. Durch Erbteilungen vermehrte sich die Zahl der Herzogtümer bedeutend und da sich jeder Herzog seinen deutschen Hof und deutsche Mietstruppen hielt, deutsche Handwerker, Künstler, Mönche, Kolonisten ins Land zog, da allmählich überall deutsches Recht eingeführt wurde, so dürfen wir uns nicht wundern wenn wir nach weniger als zwei Jahrhunderten die größere Hälfte von Schlesien als ein rein deutsches Land wiederfinden. Der Grund zur Deutschheit Schlesiens ist in dieser Zeit seiner Unabhängigkeit, welche von 1163 bis 1335 dauerte, und zwar durch seine eigenen Herrscher aus dem Blute der Piasten gelegt worden. Was später in dieser Beziehung geschehen ist, kann dagegen nur gering angeschlagen werden.

Eine neue und sehr wichtige Niederlassung von Deutschen bildete sich an den östlichsten Küsten der Ostsee, zwar in der Mitte litauischer und finnischer Völker, aber doch in der unmittelbaren Nähe der Slawen. Dies war der deutsche Ritterorden in Preußen und Liefland, welcher von 1228 an (in Liefland schon seit dem Anfange des Jahrhunderts) sein Bekehrungsgeschäft mit dem Schwerte so nachdrücklich führte, dass noch vor Ablauf des Jahrhunderts ganz Preußen erobert und christlich war; nach und nach wurde es auch deutsch, besonders durch die vielen und großen Kreuzheere, welche zur Unterstützung der Ritter aus Deutschland herbeizogen und nach beendetem Kampfe sich häufig in dem verödeten Lande oder auf ihrem Rückwege in Pommern und den Marken niederließen, wo sie dann die Slawen verdrängten. Aber auch über viele slawische Länder dehnte der Orden seine Herrschaft aus und es gab eine Zeit wo seine Macht von der unteren Oder bis an den finnischen Meerbusen reichte. Er unterdrückte und verbot in seinem Gebiete die alle preußische Sprache und wird die slawische gewiss nicht begünstigt haben. Der durch die große Macht des Ordens erzeugte Übermut seiner Glieder, der an die Stelle ihrer früheren Begeisterung für die Religion trat, für die sie endlich nichts mehr zu tun hatten, als alle Heiden bekehrt waren und das Anwachsen der polnischen Macht durch die Vereinigung dieses Reiches mit Litauen, wodurch das langgestreckte und schmale Ordensgebiet überall von Feinden umgeben wurde: dies waren die Umstände welche den Untergang des Ordens herbeiführten und auf eine Weile dem Slawismus einen Triumph bereiteten.


Wir kehren nun nach Böhmen und Mähren zurück, wo slawische Völker auf üppigerem Boden und von der Natur ringsumher durch vortreffliche Bollwerke geschützt, unter ihren eigenen Fürsten sich bisher gegen alle fremden Eingriffe behauptet hatten. Da musste einer ihrer größten Könige ihnen gefährlich werden. König Ottokar, derselbe, welcher später während des Interregnums in Deutschland seine Macht auf eine Zeit über die Erbländer der Babenberger, bis ans adriatische Meer ausdehnte, hatte im Jahre 1255 einen Kreuzzug nach Preußen geführt. Es wurde dabei Sameland erobert und die Stadt Königsberg gegründet, die von ihm ihren Namen bekam. Dieses Kreuzheer, welches aus allerlei Deutschen bestand, soll Ottokar auf seinem Rückwege in den Sudeten, und zwar an den Quellen der Oder, angesiedelt haben*), also im östlichsten Winkel des auf unserer Karte angegebenen schlesischen Busens und im Angesicht der Karpaten, in deren Hochgebirge in der Zips schon hundert Jahre früher eine bedeutende deutsche Kolonie Platz gegriffen halle. Ottokar tat dies nicht aus Zufall, sondern, wie wir bald sehen werden, nach einem wohl erwogenen Plane. Er hatte eine deutsche Erziehung genossen und war daher ein großer Freund der deutschen Sprachen und Sitten und des deutschen Volkes, obwohl er viele Kriege mit demselben führte. Er tat nun das Seinige um auch seine, bisher von fremden Einflüssen verschont gebliebenen Länder zu entnationalisieren und dazu war ihm sein um diese Länder sonst sehr verdienter Bischof von Ollmütz, Bruno von Schauenburg, ganz vorzüglich behilflich. Dieser zog Deutsche nach Ollmütz und auf seine Güter und legte bei Gotzenplotz in Oberschlesien, bald nach 1241, wo die Mongolen das Land verheert hatten, neun deutsche Dörfer an, welches, nach Meinert, die älteste urkundlich bewiesene Ansiedlung von Deutschen im Riesengebirge ist. Ottokar hatte schon als Markgraf von Mähren Pfälzer in dieses Land gezogen. Als König wies er den Deutschen eine Vorstadt in Prag an, baute die Städte Zittau in der Lausitz und Budweis in Böhmen und bevölkerte sie mit Deutschen, gab die Ellenbogner, Trautenauer und Glazer Gegend den Meißnern und Thüringern, ja versprach ihnen, wenn er siegte, ganz Böhmerland ihnen in ewigen Besitz zu geben. So angestrengte Bemühungen, die nachher noch von den luxemburgischen Königen fortgesetzt wurden, würden, auch trotz der dichteren Bevölkerung und der abgeschlossenen Lage des Landes, endlich das slawische Element auch hier bis auf die letzte Spur vertilgt haben, wenn nicht der spätere Hussitenkrieg und die nationale Regierung Podiebrads und seiner Nachfolger fast Alles wieder rückgängig gemacht hätten. Wurde doch noch 1615 die deutsche Sprache in Böhmen förmlich verboten. So ist dieses Land nebst Mähren das einzige, welches der großen Rückflut der Deutschen unter ihren Kaisern seit Karl dem Großen bis Rudolph von Habsburg und von da ab den Versuchungen seiner eigenen Herrscher widerstehen konnte, Dank seiner größeren politischen Einheit und dem höheren geistigen Leben, das sich zuweilen darin bemerkbar machte.

*) S. Meinert, Beschreitung des Kuhländchens. Pelzel, Geschichte von Böhmen u. Versuch einer Geschichte der Deutschen in Böhmen.

Der Schutz, welchen die Böhmen durch die Lage und Beschaffenheit ihres Landes genossen, war auch bei den südlichen Slawen, die schon seit dem Ende des achten Jahrhunderts in politische Nichtigkeit versunken waren, beträchtlich wirksam. Sie mögen sich in Steiermark bald anfangs hinter die natürlichen Grenzen zurückgezogen haben, innerhalb deren sie gegenwärtig wohnen. Krain ist noch ganz wendisch, mit Ausnahme des Fürstentums Gotischee, in welchem sich, rings von Slawen umgeben, eine alle deutsche Kolonie findet. In Kärnthen wo die Völker vor der Hand noch durch keine natürliche Grenze geschieden sind, werden die Slawen wohl auch bald bis ans Gebirge zurückgewichen sein, obwohl die österreichische Regierung nichts Wesentliches zu ihrer Beeinträchtigung tut.

Ganz anders aber wie mit dem süddeutschen Gebirgslande steht es mit der norddeutschen Ebene, wo man überall zu Wasser und zu Lande umgangen werden konnte und nur Sümpfe die allmählich austrockneten für einige Zeit einigen Schutz boten. So haben sich die Lausitzer erhalten, die ihren Namen selbst diesen Sümpfen verdanken. Die im Allgemeinen große Unfruchtbarkeit dieser Ebene erlaubte nirgends eine dichte Bevölkerung, so dass ihnen um so leichter von den Markgrafen ein Strich Landes nach dem andern abgetrotzt wurde. Ihre Industrie war gering und beschränkte sich, nächst dem Ackerbau, auf Leinwandbereitung und Fischfang, besonders Heringsfang. Diese ihre Produkte wurden in ihren Häfen auf normannischen Schiffen versendet. In der Heidenzeit war Arkona einer ihrer bedeutendsten Handelsplätze und es hatten sich daselbst Deutsche und christliche Russen niedergelassen. Am Ende wurde die Stadt von den Dänen erobert und zerstört. Noch jetzt leben Sagen an den Ufern der Divenow und Peene von den beiden großen slawischen Handelsstädten Julin und Wineta, wovon die letztere vom Meere verschlungen worden sein soll, so dass man noch jetzt bei ruhigem Wetter ihre Dächer und Türme auf dem Grunde des Meeres erkennen will. Das Nähere hierüber findet man in Zöllners Reise durch Pommern etc. 1797. Julin mag an der Stelle des heutigen Wollin gelegen haben und Wineta, dessen Spuren die Fischer des Dorfes Damerow auf Usedom (wo das Meer und das Achterwasser eine Landenge von nur 100 Ruthen Breite bilden) auf dem Grunde des Meeres zeigen, hat wahrscheinlich gar nicht da gelegen, sondern ist ebenfalls Julin, wenn nämlich Helmold, bei welchem der Name zuerst erwähnt wird, unter civitas Veneta eine wendische Stadt und nicht eine Stadt des Namens Véneta verstanden hat, wie aus anderen Dingen sehr wahrscheinlich wird. Diese und andere Städte waren in der Mitte des zwölften Jahrhunderts noch heidnisch und misshandelten den Bischof Otto von Bamberg, der sie im Jahre 1124 besuchte um ihnen das Christentum zu predigen. Die Einfalle der Dänen, besonders Waldemar des Ersten in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts führten den gänzlichen Untergang einiger von diesen Seestädten herbei; im folgenden Jahrhunderte waren schon wieder andere blühend und 1284 treten gar die wendischen Städte Wismar, Rostock, Stralsund, Kolberg und Stolpe zur Hanse, welche zuvor nur aus den Städten Lübeck, Hamburg, Bremen, Braunschweig und Greifswald bestanden hatte. Der Handel und die Verbindung mit der Hanse waren gewiss Beförderungsmittel der Germanisation.

Während hier das Deutschtum so immer weiter um sich griff, erlitt es an einer andern vom Mutterlande abgeschnittenen Stelle eine empfindliche Niederlage gegen das Slawentum. Im Jahre 1466 verlor der deutsche Orden seine Unabhängigkeit nach einem dreizehnjährigen Kriege, den er mit Polen geführt hatte und Pomerellen und Teile vom westlichen Preußen wurden mit diesem Staate vereinigt, und für das Übrige musste der Hochmeister der Krone Polen den Huldigungseid leisten. Indessen vermochte eine dreihundertjährige Fremdherrschaft nicht ganz das zu vernichten was die Killer in nicht so langer Zeit fest gegründet hatten und die Ereignisse von 1772 stellten obendrein die Vereinigung dieser Länder und ihre Verbindung mit dem Mutterlande, aber freilich zum Schaden der zwischenwohnenden Slawen wieder her. Außerdem sind durch den Verlauf der Geschichte noch andere Slawen ihrer nationalen Regierungen beraubt worden, was indessen hier nicht weiter ausgeführt werden kann. Das russische Reich schließt in seinen Grenzen die eine Hälfte der westlichen Slawen ein; die andere Hälfte steht unter deutschen Regierungen. Die südlichen Slawen gehören halb zur österreichischen Monarchie und halb zum osmanischen Reich, mit Ausnahme von Serbien das seit dem Anfange dieses Jahrhunderts eine Art Unabhängigkeit genießt. Die Servier waren auch von den südlichen Slawen die letzten die ein unabhängiges und im 14. Jahrhundert sehr mächtiges Reich bildeten, bis auch dieses durch Sultan Murad 1389 nach der Schlacht bei Kossowa zerstört wurde.

Wenn wir nun noch im Allgemeinen einen Rückblick auf die historische Ausbreitung der Slawen nach Westen werfen, so sehen wir sie im sechsten Jahrhundert bis in die Mitte von Deutschland vorgerückt, so dass sich heute in diesem Lande slawische und römische Reminiszenzen fast überall berühren, ja an manchen Stellen, besonders im südlichen Deutschland, sogar decken. Wie die Nordsee heutzutage das deutsche Meer genannt wird, so hieß damals die Ostsee mit Recht das skytnische Meer, denn die ganze deutsche Küste desselben von Schleswig bis Danzig war von Slawen bewohnt. Östlich einer Linie von Schleswig bis Triest war alles slawisch, mit Ausnahme der Donauufer, an welchen erst Deutsche, dann waren, dann wieder Deutsche, dann Magjaren und zuletzt wiederum Deutsche geherrscht und wahrscheinlich auch gewohnt haben, und die dünne grüne Linie welche auf der Karte die westlichste Grenze der Verbreitung des slawischen als herrschenden Volkes angibt, müsste an der Stelle des jetzigen Österreich unterbrochen sein: sie müsste an den äußersten Enden des Böhmerwaldes aufhören und auf dem Grenzgebirge von Salzburg und Steiermark wieder beginnen, dann auf dem Hochgebirge fortlaufend, die Quellen der Drau umgehen, dann dem italischen Grenzgebirge eine Strecke nach Osten folgen und dann westlich vom Isonzo das Meer berühren. Das Isonzotal umschließt die Wenigen, welche dem slawischen Stamme durch das romanische Element entfremdet worden sind. Aber als friedliche Ackerbauer haben die Slaven auch diese Grenze noch weit überschritten. Noch heute findet man in einigen Tälern Oberitaliens, also jenseits des Gebirges, ganze vollkommen slawische Dörfer. In Deutschland ist über diese Linie hinaus wenigstens die Sprache überall verschwunden, nicht aber die Sitten und der eigentümliche Charakter der Slawen. So z. B. an einigen Stellen der Altmark und im Lüneburgischen, wo früher eine sehr zahlreiche slawische Bevölkerung ansässig war, welche noch im zwölften Jahrhundert das benachbarte Sächsische so durch ihre Raubzüge belästigte dass an der Aller Burgen gegen sie erbaut werden mussten. In der Gegend von Lüchow und Dannenberg ist die slawische Sprache erst nach dem dreißigjährigen Kriege ganz verschwunden. Selbst eine Vorstadt der Stadt Lüneburg war slawisch. In den Sitten und Trachten dieser Leute soll noch jetzt Vieles an ihre Abstammung erinnern. Nächstdem ist die Gegend am Main und an der Rednitz in Franken sehr stark mit Slawen bevölkert gewesen, besonders zwischen Nürnberg und Bamberg um Erlangen und Forchheim. Sie kommen in den Urkunden als Main Winidi, Radanz Winidi vor. Die Namen der Flüsse Rednitz, Regnitz und Pegnitz sind ohne Zweifel slawischen Ursprungs. Auch bei Würzburg haben viele Slawen gewohnt. Das Stift Fulda wurde schon im achten Jahrhundert durch den heiligen Bonifacius mit Slawen bevölkert, welche die Wälder ausrodeten und das Land zuerst urbar machten. Selbst in der Grafschaft Hohenlohe und in der Pfalz bei Mannheim und Heidelberg sind Slawen freiwillig aufgenommen worden und wie der Freiherr von Haxthausen (nach Pideritz Chronicon comitatus Lippicae. 1627) anführt, so ist die Stadt Lemgo im Lippischen ganz oder teilweise von Slawen bewohnt gewesen. Noch jetzt soll es daselbst ein Slawentor und eine Slawenstraße, einen Turm der Jüterbock (Morgengott) heißt und ein slawisches Denkmal in Stein geben. Derselbe erwähnt dass in den Örtern Detmold und Brake eine Gegend noch jetzt die Wendenbörde heiße u.s. w.

Nachdem wir so die wandernden Slawen bis an den Rhein begleitet haben, wenden wir uns zu ihren gegenwärtigen Grenzen. Die Karte zeigt uns nun eine mannigfach gekrümmte Grenzlinie, welche in ihrer Entwicklung von der Ostsee bis in die Nähe der Donau weit über das Doppelte der früheren Grenze und wenigstens 250 Meilen beträgt. Das deutsche Schlesien bildet einen großen Busen, der sich zwischen Böhmen und Polen, der Gestalt des Gebirges folgend, weit ins Slawische hineinerstreckt und seinen östlichsten Punkt südöstlich von den Oderquellen und im Angesichte der Beskiden bei Neutitschein und Stramberg in Mähren hat. In dieser Gegend befindet sich der Stamm der Lachen die mit ihrer Mundart einen Übergang des Böhmischen in das Polnische darstellen. Sie wohnen vom Knie der Oder, wo sie sich aus der östlichen Richtung nach Norden umbiegt, bis an das Gebirge, welches dann die Grenze zwischen den beiden Sprachstämmen übernimmt; denn man rechnet die Slawaken in Ungarn zum böhmisch-mährischen Sprachstamme. Ja im Verlauf dieser Grenze auf den Karpaten selbst treten die Deutschen noch einmal trennend zwischen den slawischen Stämmen auf, nämlich in der Zips, die fast ganz von Deutschen bewohnt ist.

Manche haben aus der totalen Deutschheit der Sudeten und des Erzgebirges schließen wollen dass sich auf diesen Bergen eine uralte deutsche Bevölkerung erhalten habe, etwa Hermunduren oder dergleichen, die von den nachrückenden Slawen nicht hätten vertrieben werden können. Dem widerspricht aber sehr Vieles. Nur das ist für unsern Zweck zu wissen notwendig, dass die Slawen dennoch nie ins Gebirge gekommen sind, weil es zu rau und unfruchtbar war und es ist erst in sehr später Zeit von deutschen Kolonisten besetzt worden, die sich dann von da aus mit Hilfe neuer Ankömmlinge in die Ebene verbreiteten. Die Slawen mögen überhaupt die Ebenen geliebt haben; in Ungarn mussten sie sich vor den Magjaren in die Gebirge flüchten, die dort wahrscheinlich auch erst sehr spät bevölkert worden sind; im Süden von Europa gibt es freilich keine Ebenen und sie mussten endlich, da sie Widerstand fanden, mit ihren Wanderungen inne halten. In der Lausitz berührt sich freilich der böhmische und polnische Stamm, denn die Oberlausitzer nähern sich mit ihrer Sprache den Böhmen, die Niederlausitzer den Polen, aber das Gebirge verliert an dieser Stelle auch ganz den Charakter eines Grenzgebirges, es ist kein Zug mehr, sondern ein sich verbreitendes, nicht sehr hohes oder unzugängliches Bergland. Dabei bricht die Elbe hindurch und zeigt den Weg. Dies ist auch die Stelle des Gebirges, von der man historisch weiß, dass sie von Slawen bevölkert gewesen ist. In der sächsischen Schweiz und der Gegend von Dresden wohnten die Dalemincier, ein slawisches Volk, nur mit einem deutschen Namen, der wahrscheinlich Talmenschen bedeutet und auf diese Gegend vortrefflich passt, weil wahrscheinlich nur die tiefeinschneidenden Flusstäler dieses Landes damals bewohnbar waren. Denn das Ganze ist ein raues Plateau, das strichweise von den Flüssen bis auf den Grund ausgespült ist. Die in den Tälern stehen gebliebenen Trümmer, wie der Lilienstein, Königstein, Schreckenstein u. s. w., deren Gipfel mit der Hochebene im Niveau liegen, lassen auf den ursprünglichen Zusammenhang schließen.

Zu beiden Seiten des deutsch-schlesischen Busens bildet das Territorium der heutigen westlichen Slawen nun zwei große Halbinseln, die polnische, nämlich das Großherzogtum Posen, und die böhmische, von denen die erstere bei Schwerin an der Warthe, die andere bei Taufs im Böhmerwalde ihr westliches Vorgebirge hat. In der Mitte zwischen beiden findet sich die einzige bedeutende Enklave, die Insel der Lausitz. Eine dritte Halbinsel, welche zwischen deutschen Völkern nach Norden streicht, ist die pomerellische, mit der Wurzel oder dem Isthmus bei Polnisch Krone und dem Vorgebirge Hela. Der Raum zwischen der Grunze des 6. und des 19. Jahrhunderts im Allgemeinen, also das Terrain welches den Slawen im Verlauf der Geschichte von den Deutschen abgewonnen worden ist, beträgt nach einer ungefähren Berechnung 3612 ? M. Da hiervon auf die südlichen Slawen nur etwa 449 ? M. kommen, so haben also die westlichen allein 3163 ? M. Land verloren, ein in der europäischen Staatengeschichte einziges Ergebnis.

Da die Karte, wegen des kleinen Maßstabes, nur im Allgemeinen ein Bild, aber für die spezieller Interessierten keine genaue Nachweisung der Sprachgrenze gibt, so will ich zur Ergänzung nähere Bestimmungen hinzufügen, nach welchen auch auf einer Spezialkarte eine ungefähr genaue Grenze eingetragen werden könnte. Ich muss hierbei, was die Grenze von Litauen an bis zur Warte betrifft, mich auf Dörings ethnographische Karte der preußischen Monarchie beziehen, welche gewiss Fehler hat, aber doch für den preußischen Staat die einzige und also die beste Quelle ist. Ungefähr von der Warte an bis an die Grenze von Mähren ist mir der Gegenstand durch persönliche Ortskenntnis und gesammelte Nachrichten genau bekannt. Von da ab nach Süden sind bei jedem Lande die besten Quellen angegeben, die für den österreichischen Staat größtenteils ganz vortrefflich sind. Auf den Spezialkarten, in welche ich vorher die Grenzen eingetragen habe, sind von mir diejenigen Dörfer, in welchen überhaupt noch slawisch in irgend einem Dialekte gesprochen wird, wenn auch in der Minderzahl, mit ins Slawische gezogen worden, nach demselben Grundsatz, nach welchem ich das Polnische in dem von Polen ganz durchwachsenen und durchzogenen Litauen ignoriere. Es kam hier auf die ursprüngliche Aussäung der Völker an, etwa wie man naturhistorisch Karten über die natürliche Verteilung und Verbreitung der Pflanzen und Tiere zeichnet. Der Vergleich ist um so zulässiger, wenn man bedenkt, dass die Vorfahren dieser Völker doch nicht mit der Landkarte in der Hand ihre Wanderungen angestellt, vielmehr auf höhere Leitung unbewusst Platz gegriffen haben. Die Fehler ihrer Art zu reisen, ihre Unkunde in der Geographie haben sie zum Teil auch schwer gebüßt. Der Ehrgeiz trieb sie zu Eroberungen, in deren Folge sie mit ihrer Eigentümlichkeit in der Nationalität der Unterworfenen untergingen. Wem sind die ruhmwürdigen Völker nicht bekannt, die sich auf diese Weise verfahren haben? Die Goten, Vandalen, Sueven, Alanen, Burgunder , Franken, Longobarden u. s. w. und die Deutschen haben gewiss auf diese Weise nicht weniger von ihrer Nationssubstanz an andere Völker verloren als die Slawen, nur auf andere Art und in früherer Zeit. Die Slawen begingen auf andere Weise dieselben Fehler. Ihre vorgeschobene Stellung in der norddeutschen Ebene, auf solchem Boden, und von Skandinaviern und Deutschen eingeschlossen, war unhaltbar, ganz abgesehen vom Christentum oder vielmehr von ihrem niedrigen Bildungsstande. Anders haben es freilich allezeit die gebildeten Völker gemacht. Rätselhaft bleibt es durchaus, wie die Römer, die gar nicht wanderten, sondern nur eroberten und beherrschten, den Unterworfenen ihre Sprache beigebracht haben. Eine auffallendere Tatsache als die Verdrängung der slawischen Stämme ist es gewiss, dass ganz Gallien nach dreihundert Jahren römisch sprach. Weit weniger auffallend dass die selbst wandernden und mit den Waffen der Welt und der Religion kämpfenden Araber sich so weit verbreitet haben dass die Sprache der wüsten Halbinsel nunmehr vom Senegal bis zum Hindukuh und nach Dekkan und von den Mündungen der Donau bis ins Kafferland einen wohlbekannten Klang hat*). Die Erfolge der Deutschen gegen die Slawen stehen in dieser Beziehung weit unter denen der Römer. Hätten die Römer nicht diesen umgestaltenden Einfluss auf die Sprachen der gallischen und hispanischen Völker ausgeübt und alles in dem Maße gleich gemacht, dass es heutzutage unmöglich ist, zwischen Völkern wie die Spanier, Franzosen und Italiener, deren Schriftsprachen literarisch entwickelt und von einander verschieden sind, in Bezug auf die Sprache des Volkes Grenzen zu ziehen, weil diese an allen Stellen ganz allmählich in die benachbarte übergeht, so dass die Landessprache in der Grafschaft Nizza z. B. so gut für Französisch wie für Italienisch angesprochen werden kann; hätten, wiederhole ich, diese allen Völker ihre Sprachen behalten, so würden wir durch diesen Umstand in Stand gesetzt sein einen tieferen Blick in die Urgeschichte der europäischen Aboriginer zu tun, was doch bei den obwaltenden Umständen fast unmöglich ist **). Bei den neueuropäischen Völkern sind aber die Verhältnisse anders, besonders bei den östlichen. Die Veränderungen, welche durch das neue Staatentum, in welchem die Sprache nur ein geringerer Faktor des Staates ist, eingetreten sind, können wir historisch bis in die Zeiten verfolgen wo die Begriffe Volk und Nation noch identisch waren. Ja da diese Veränderungen hier nicht in dem Maße wie dort bedeutend sind, so eröffnet uns auf diesem Felde der Blick der uns dort versagt war, in der gegenwärtigen Konfiguration der Völkergebiete, eine weite Aussicht in die graueste Vorzeit. Mit Hilfe der in neuerer Zeit so bedeutend gewordenen vergleichenden Sprachwissenschaft sind daher in dieser Beziehung die überraschendsten Resultate zu Tage gefördert worden. Aus dem anscheinend unentwirrbaren Knäuel, in welchen die Völker auf der Erde historisch, unbewusst durcheinander gelaufen sind, löst der Sprachforscher die Fäden, legt sie in eine dem menschlichen Geiste fassliche und wohlgefällige Ordnung und weist nach, was von der Hand der Parze, die das Leben der Völker spinnt, später und was früher gesponnen ist. Der Osten Europas und Asiens sind in dieser Beziehung die wichtigsten Gebiete und es ist für dieses Feld, von der Großmut der russischen Regierung, die schon so außerordentlich viel für die Förderung der Wissenschaften, besonders der Naturwissenschaft und der Ethnographie, tut, noch Großes zu erwarten. Man muss die Völker kennen lernen, und ihre Wohnsitze genau bestimmen um der Methode der Sprach- und Geschichtsforschung zu Hilfe zu kommen.

*) Aber auch nur diesen. Die Landessprachen hat das Arabische nirgends verdrängt, wo sie nicht, wie in Syrien und Palästina, mit ihm verwandt waren. Sch.

**) Überreste der gallischen oder keltischen Sprachen sind: das Bretagne'sche, das Kymrische in Wales (Gales), das gaelische in Schottland und Irland. Bopp hat in neuester Zeit auch über diese Sprachen interessante Forschungen angestellt und ihre Verwandtschaft mit den Indisch-europäischen dargetan. — Das ganz isoliert stehende Baskische in den Pyrenäen ist die wahrscheinliche Muttersprache der alten Hispanier. Sch.


Da diese Forschung empirisch und synthetisch ist, so müsste namentlich auch die Kartographie das Ihrige tun. Aber diese hat bis jetzt noch auf sich warten lassen. Es gibt oder gab bis jetzt noch nicht einmal eine ethnographische Karte von Europa, geschweige denn von anderen Erdteilen. Obermüller hat eine solche so eben in Paris herausgegeben, und obwohl die erste Auflage davon schon vergriffen sein soll, ist doch noch kein Exemplar davon nach Berlin gekommen; wenn dies nicht eine Buchhändlermystifikation von Brockhaus und Avenarius ist, wofür der Umstand spricht dass sich in Frankreich, wegen des geringen Publikums für Karten, nicht leicht eine Auflage einer Karte vergreift, so würde das ein Zeichen für das Bedürfnis sein. Schaffarik in Prag soll mit einer ähnlichen Karte fast fertig sein und von dieser würde gewiss sehr viel erwartet werden dürfen. Es ist demjenigen, der sich mit solchen Gegenständen beschäftigt, nur Unbefangenheit und eine möglichst objektive Auffassung des Gegenstandes zu wünschen. Ein Politiker taugt nicht dazu; er macht die Wallachen und Litauer, wo möglich auch die Griechen zu Slawen, die Elsasser zu Franzosen oder die Wallonen zu Deutschen, welche alle dadurch doch bleiben was sie seit Jahrhunderten sind. Für die Verbreitung der Sprachen gebildeter und herrschender Völker gibt ein Blick auf die politische Landkarte fast genügende Belehrung. Für den ethnographischen Zweck muss die Volkssprache berücksichtigt werden. Das andere lässt sich graphisch auf keine Weise genügend darstellen und verwirrt nur das Bild, abgesehen davon dass es zur historisch-ethnographischen Betrachtung unnütz ist.

Nach dem weiter oben Angegebenen muss also die hier beigegebene kleine Karte beurteilt werden. Unsere Westgrenze wird demnach absolut für das Slawische etwas günstig ausgefallen sein; der Grad der Vermischung ist deshalb, um auch dies zu berücksichtigen, bei der erklärenden Behandlung der einzelnen Provinzen angegeben worden. Wenn sich hier oder da dennoch ein kleines Versehen fände, so wird das mit der Schwierigkeit der Behandlung entschuldigt werden, um so mehr, da hei der Verschiedenheit der Quellen sich nicht ein einziger Maßstab anlegen ließ. Eine solche Arbeit mutete dazu in ihren kleinsten Einzelheiten von einem Einzigen besorgt werden, welches unmöglich ist oder von Solchen, die sich über die Methode vorher verständigt hatten.