I. 07. Einige Bemerkungen über das Schilf (Kamysch) an der Wolga und den Kaspischen Küsten, von Kusmischtschew

(Aus semledjéltscheskaja Gaséta d. i. die landwirtschaftliche Zeitung 1841. No.2.)

„Dieses Schilf wächst an der Wolga-Mündung überall wo der Boden beständig mit niedrigem Wasser bedeckt ist, dagegen niemals an höheren Stellen oder auf trocknen Hügeln; in Niederungen aber welche nicht überstaut werden, nur selten und nur dann, wenn sie nicht weit vom Wasser liegen. Man findet es schon stellenweise bei Zarizyn, aber am häufigsten in der eigentlichen Mündung der Wolga und längs der kaspischen Küsten. Ostwärts von Astrachan bis zur Stadt Krasnoi Jar ist es bei allen Wasserläufen und Inseln, es reicht von dort weiter bis Gurjew, bis zur Emba und südwärts bis zum sogenannten: mertwoi kultuk oder Toten Meerbusen. Von dort westwärts längs der kaspischen Küste, vom Vorgebirge Buruntschuk bis zur Bucht Kotschak, so wie auf den Inseln Kulaly, und um die Uferorte Podgornoe, Morskoe u. a. Südwärts von Astrachan herrscht es an allen niedrigen Uferstrecken und Wasserläufen bis Kisljar und weiter bis zum Fluss Sulak*) bis dass es endlich auf den hohen und trocknen Küsten an der Westseite des Meeres verschwindet und erst in den Niederungen bei den Mündungen des Kura-Flusses, bei der Bucht Kisil-Agatsch, auf der Insel Sara und dem ihr gegenüberliegenden Ufer wiedererscheint.


*) Die Schilf-Büsche oder Schilf-Wälder der Küsten, von Astrachan bis Kisljar, scheinen ans der Ferne schwarz und werden deshalb in jenen Gegenden die Tschern'en (von tschernoi, aja'oe, schwarz) genannt. Die Ausdrücke in den Tschernen sein, durch die Tschernen fahren, sind dort fast ebenso geläufig und in ähnlichem Sinne wie in den Scheeren sein und fahren bei den Baltischen Seeleuten.

. . . . . . Sowohl die periodisch jährlichen, als auch die mehr zufälligen Wasserschwellen scheinen den Schilfwuchs eher zu befördern als zu hindern. An den überstauten Orten beginnt er mit dem Frühjahr und die Halme haben zu Anfang Juni, beim Eintritt der Schwellen durch das Schneeschmelzen in den Quellgegenden der Flüsse, oft schon 10,5 Engl. Fuß Höhe, und einen mit den Fingern noch eben zu umspannenden Umfang erreicht, so dass dann ihre Spitzen stets über dem Wasser bleiben.

Die mit Schilf bewachsenen Untiefen und kleinen Bänke im Meere, werden Kóloki genannt. — Man hat aber bemerkt, dass in den brakischen Gewässern an den nördlichen kaspischen Küsten das Schilf dünner und niedriger ist als in dem frischen Wasser der Flussarme, oder wie man hier sagt, in den Eriki und Ilmenen *).

*) Man versteht unter Erik vorzugsweise eine engere Abzweigung eines Flusses und unter Ulmen eine breitere Seeartige.

Nach Beendigung seines naturgemäßen Wachstums vertrocknet das Schilf und erhält sich den ganzen Winter über in diesem Zustande. Im Frühjahr aber, zu Ende März und Anfang April (alten Stiles oder um die Mitte des April nach neuem), werden diese trocknen Schäfte von den Bewohnern der Umgegend angezündet, damit sie den jungen Nachwuchs an den Wurzeln nicht hemmen. Wenn es gerade windig ist, so verbreiten sich diese Flammen ungemein schnell und werden zu einer, den Ungewohnten fürchterlich scheinenden, Feuersbrunst. In Astrachan sieht man oft des Nachts an 5 bis 6 Stellen des Horizontes den Schein von solchen Feuersbrünsten, und bei frischem Winde bisweilen einen so starken, dass die Straßen davon vortrefflich erleuchtet werden; die Einwohner halten dieses aber durchaus nicht ungefährlich.

Man macht daselbst (in Astrachan) einen sehr ausgedehnten, und dem Holzmangel der Gegend wirksam abhelfenden, Gebrauch von dem Schilfe. Die ausgewachsenen Halme werden für den Winter zur Heizung gesammelt, und auch in allen Ziegeleien bei Astrachan anstatt Holz gebraucht. Es ist dabei sehr zu bedauern, dass man die in diesen Fabriken in bedeutender Masse zurückbleibende Asche des Schilfes nicht sammelt, und entweder zum Seife-sieden oder doch wenigstens zur Düngung benutzt. Eine aus 50 Bunden oder Garben bestehende Fuhre Schilf kostet in Astrachan 1 Rubel 20 Kopeken bis 2 Rubel Banko, und beim Aufkauf im Großen erhält man in runder Zahl 1000 Garben für 25 Rubel Banko. — Fast ein Drittheil der Bewohner dieser Stadt heizt seine Häuser nur mit Schilf, so dass der Verkauf desselben bloß zu diesem Zwecke einen bedeutenden Geld-Umsatz veranlagst.

Es wird aber außerdem in dem Astrachanischen Gouvernement noch zu vielen andern ökonomischen Zwecken verwendet, namentlich zum Bau von abgesonderten Vorrats- oder Geräte-Häusern, von Viehställen, Dächern, Schuppen u. dgl. Auch werden die Gärten und Krautgärten bei Astrachan meistens mit Schilf umzäunt: man vereinigt es zu diesem Zwecke in Bündel, die man durch Eingrabung ihrer Unter-Enden aufrecht befestigt; die oberen Enden werden zu größerer Sauberkeit gleichmäßig beschnitten. Solch ein Zaun bleibt gewöhnlich, unter geringen Ausbesserungen, 6 bis 7 Jahre brauchbar. Mit eben solchen Schilfbündeln werden daselbst auch die Flussufer befestigt und gegen den Wasserangriff geschützt, Wasser-Löcher und Niederungen geebnet und auch meistens die Grundlagen für Aufhöhungen gewonnen, und man macht endlich ebenfalls von Schilf viele kleinere und wichtige Gegenstände, wie z. B. die Schwimmer an den Fischergeräten, und die (Schwimm-) Bündel die unter die Borte der Bote befestigt werden, um ihnen mehr Stätigkeit zu geben u. s. w.

In den Wolga -Mündungen sieht man selten Schilf mit Bach- oder Sand-Weiden zusammen wachsen, es scheint aber dass es den Boden für diese Bäume vorbereitet, indem der Ton, der Schlamm und allerhand triftiges Zeug, welche in die Schilfbüsche gespült werden, dort allmählich zu Grunde gehen, das Schilf selbst verdrängen und ein, jenen Bäumen höchst zuträgliches, Erdreich bilden. Solche Übergänge haben häufig stattgefunden, und viele Einwohner zeigen Örtlichkeiten die früher ganz ausschließlich mit Schilf bedeckt waren, jetzt aber schon jungen Weiden-Anwuchs besitzen."

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Über die Stelle welche die hier erwähnte Pflanze im Systeme einnimmt, sind folgende Zeilen eines in Gurjew am Kaspischen Meeres im April 1833 von Herrn Lessing an mich geschriebenen Briefes von Interesse:

„Was den kamysch betrifft, so kann ich Ihnen versichern, dass er an diesem Ausflusse des Ural ins kaspische Meer durchaus nichts anderes ist als Phragmites. Da es aber jetzt noch keine blühenden Zweige gibt, so kann ich allerdings noch nicht mit Bestimmtheit sagen, dass es Phragmites communis, Trinius sei. — Dieses ist jedoch wahrscheinlich." E.