Arbeiterhaeuser

Aus: Ueber Land und Meer
Autor: Architekt Ludwig F. Fuchs (Darmstadt), Erscheinungsjahr: 1909

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Arbeiterhäuser, Wohnungsbau, Sozialwohnungen, Einfamilienhäuser, Doppelhäuser, Reihenhäuser, Mehrfamilienhäuser, Mietshäuser, Baustandard, Wohnungsnot, Sozialer Wohnungsbau, Sozialwohnungen, Bauplatz, Baukosten, Spekulanten, Soziale Aufgabe, Wohnraum, Baupreise, Wohnungswesen, Wohnungsmarkt, Arbeiter, Fürsorge
In der sozialen Fürsorge spielt die Beschaffung von billigen Kleinwohnungen eine Hauptrolle. So gut wie für einen gesunden Geist ein gesunder Körper Vorbedingung ist, ist es wieder für beide eine gesunde Wohnung Voraussetzung. Gesund natürlich im weitesten Sinne. Es genügt noch lange nicht, dass alle hygienischen Forderungen der Neuzeit ihre Verwirklichung gefunden haben: deshalb kann die Wohnung doch frostig und unfreundlich sein. Es ist notwendig, dass sie auch praktisch und anheimelnd ist, kurz, dass sie die Bewohner an sich fesselt.

Der Beweis ist erbracht, dass eine vernünftige soziale Fürsorge, besonders wenn sie in der Familie die Grundlage des Staates sieht, mit in erster Linie das Wohnungswesen berücksichtigen muss, und es ist erfreulich, zu sehen, was auf diesem Gebiet in den letzten Jahren geleistet worden ist. Dürfte es doch kaum noch eine größere Stadt geben, in der nicht größere Mietshäuser, die wenig bemittelten Familien reinliche, wohnliche und billige Unterkunft gewähren, errichtet worden sind. Aber so sehr sie auch willkommen sind, das Ideal stellen sie noch lange nicht dar. Es sind immerhin Mietskasernen, in denen das wichtigste Gefühl niemals aufkommen kann: das Gefühl des eigenen Herdes. Auch machen die Reibereien der einzelnen Familien untereinander den Aufenthalt oft genug zu einer Hölle.

Aber auch die gesundheitlichen Verhältnisse, selbst wenn die größte Reinlichkeit herrscht, sind durchaus nicht immer die günstigsten. Massenansammlungen von Menschen bieten Epidemien stets einen guten Boden. Es braucht ja nur in einer Familie eine Kinderkrankheit auszubrechen, und die „Gemütlichkeit“ ist im ganzen Haus gestört. Die Zinshäuser, die nur vier bis acht Familien Unterkunft gewähren und aus Kleinwohnungen bestehen, kommen den Ideal schon viel näher. Ganz wird es aber nur erreicht von dem Kleinhaus, das eine, zwei, höchstens 3 Kleinwohnungen enthält, deren jede ihren eigenen Eingang hat. Der Errichtung solcher Einzelwohnhäuser stehen nun allerdings große Hindernisse im Wege. Größtmögliche Billigkeit muss die erste Vorbedingung sein. Hierfür hat als erster Grundsatz zu zu gelten: möglichste Terrainausnutzung. Es ist aber sonnenklar, dass der Bauplatz durch ein vierstöckiges Gebäude weit intensiver ausgenutzt wird als durch ein- bis zweigeschossige Häuschen. Also in vertikaler Richtung kann diese Ausnutzung nicht erzielt werden. Es bleibt also nur der Ausweg, das Baugelände selbst zu verbilligen. Leider kommt man da fast immer mit den mehr oder weniger veralteten Bebauungsplanbestimmungen der Baugesetze in Konflikt. So sind zum Beispiel die Breiten der Wohnstraßen, also solcher, die nicht vom Verkehr durchflutet werden, meist viel zu groß vorgeschrieben. Besonders für die Kleinhäuserviertel können dieselben ganz bedeutend verringert werden. Das eingesparte Gelände könnte eine wesentliche Verbilligung der Bauplätze herbeiführen. Allerdings wäre es notwendig, eine durchgreifende Scheidung von Verkehrs- und Wohnstraßen anzuordnen. Auch das Verbot, außerhalb des Ortsbebauplanes zu bauen, gehört hierher. Gerade solches Gelände eignet sich seiner Billigkeit wegen ganz besonders für Kleinhäuser, einzeln und in Kolonien. Eine andere Vorschrift wieder verlangt eine Mindestbreite der Häuserfront, die oft über das Maß des Kleinhauses hinausgeht. Freilich besitzen die meisten Verordnungen so viel Elastizität, dass sie sich bei etwas gutem Willen der guten Sache dienstbar machen lassen, besonders wenn sie so weit gegriffen sind, dass sie die Schaffung besonderer Ostbaustatuten und Polizeireglements zulassen. Immerhin wird eine Regelung dieser wichtigen Gesetze angestrebt werden müssen, und zwar, wie man vorgeschlagen hat, nach dem Staffelsystem. Es wäre für die einzelnen Distrikte der Bauzonen jeweils verschiedene Bauordnungen zu erlassen. Andre für die Villenkolonie, andere für das Arbeiterviertel, wieder andere für das streng zu isolierende Fabrikviertel und so fort.

Die gleiche übertriebene Bevormundung, wie wir sie oben kennen gelernt haben, erstreckt sich auch auf das Innere der Häuser. Vorschriften über Mauerstärken und Treppenbreiten, wie sie bei Mietshäusern oft gewissenloser Spekulanten Sinn und Berechtigung haben, können bei dem kleinen Eigenhause mit seinen winzigen Verhältnissen direkten Schaden anrichten. Aber wenn das Kleinhaus auch kein Eigenbau ist, sind dennoch keine Vorschriften nötig: hier kann beim besten Willen nicht viel Unglück passieren. Ein anderer Fall. Warum schreibt man eine Stockwerkhöhe von drei Metern allgemeingültig vor, wie das vielerorts baugesetzlich ist? Dem denkenden Zinshaus- und Villenbewohner ist sie meist schon ein Ärgernis. Für den Kleinhausbewohner aber ein ausgerechneter Schaden. Die Arbeiterhäuser der Gartenstadt Hellerau bei Dresden, die auf der Münchner Ausstellung zu sehen waren, hatten sogar nur eine Stockwerkshöhe von 2,30 Metern. Und waren sie nicht das Entzücken aller Besucher? Große Geschosshöhen verteuern aber nicht nur den Bau durch Materialverschwendung, sondern sie verlangen gemäß unseren Bauordnungen auch eine entsprechende Verbreiterung der Straße, da Haushöhe und Straßenbreite in ganz bestimmter Beziehung zueinander stehen müssen. Wie wir oben gesehen haben, kommt die Ersparnis an Straßengelände dem Bauplatz zugute.

Auf der vorjährigen „Hessischen Landesausstellung für freie und angewandte Kunst“ in Darmstadt führte der hessische Ernst-Ludwig-Verein eine ganze Kleinwohnungskolonie vor, die namhafte Architekten zu Urhebern hatte und Beispiele aller vorkommenden Typen zeigte. Es waren da zwei Einfamilienhäuser, ein Doppelhaus für zwei Familien und drei Einfamilienhäuser. Sechs hessische Großindustrielle haben die Baukosten, die der Inneneinrichtungen und der Gartenanlagen übernommen. Die Entwürfe stammen von den Architekten Georg Metzendorf, Joseph Rings, Mahr – in Firma Mar & Markwort – Professor Walbe, Professor Olbrich und A. Wienkoop. Unsere Bilder mögen zeigen, wie diesen Architekten fast durchweg eine wirklich künstlerische Durchbildung gelungen ist. Das ist für uns hier die Hauptsache, und es soll nicht an Kleinigkeiten herumgemäkelt werden. Nur auf eines glauben wir hinweisen zu müssen. Es ist die Verwendung von Volkskunstmotiven bei dem Mobiliar, die uns hin und wieder befremden. An den prachtvollen Bauentöpfereien haben wir natürlich nichts auszusetzen. An diese ist dort, wo sie erzeugt werden, jeder, nicht nur der kleine Mann, gewöhnt. Aber wenn schon die künstliche Wiederbelebung der Volkskunst bei Gegenständen für das Landvolk Bedenken erregen muss, so ist die Verwendung dieser Formen beim Arbeiterhaus – und der Arbeiter ist es doch, der hier meist in Frage kommt – erst recht unangebracht. Der Arbeiter steht gemäß seiner sozialen Stellung auf ganz anderem Boden wie die Bevölkerungsschicht, die das hervorbrachte, was wir Volkskunst nennen. Arbeiter und Bauer könnte man fast als Gegensätze bezeichnen, was jeder bezeugen kann, der die Verhältnisse in den Dörfern kennt, wo beide durcheinander wohnen. Dem Arbeiter, als einer modernen Erscheinung, gehört seine eigene Formensprache. Wer diese Sprache versteht, wird besonders an den Zimmern Metzendorfs und Mahrs seine Freude haben.

Die Baukosten dieser Musterhäuser weichen nicht wesentlich ab von den ortsüblichen. Folgende Normen wurden dafür festgesetzt. Das Einfamilienhaus darf nicht mehr kosten als 4.000 Mark, das Zweifamilienhaus höchstens 7.200 Mark. Mit dem Bauplatz, der selbstverständlich ein billiger sein muss, kostet ein Haus 4.500 beziehungsweise 8.000 Mark.

Für das Mobiliar wurden vorgeschrieben:

Küche 141 – 190 Mark
Schlafzimmer 171 – 216 Mark
Wohnzimmer 200 – 260 Mark
Zusammen 512 – 666 Mark

Die meisten Kleinhäuser der Darmstädter Ausstellung bieten für diese Summen sogar vierräumige Wohnungen.

Wir haben gesehen, dass auch auf der Münchner Ausstellung der neue Gedanke Verkörperung gefunden hat. Die deutschen Werkstätten für Handwerkskunst, Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht, Dresden-München, haben hier zwei wohnfertig eingerichtete Arbeiterhäuser für die von ihnen gegründete Gartenstadt Hellerau bei Dresden aufgebaut. Alle Entwürfe stammen von dem bekannten Architekten Professor Richard Riemerschmid in München-Pasing. Das, was die Darmstädter Häuserkolonie so interessant macht, die verschiedenen Auffassungen der Architekten, fehlt also hier, wo nur ein einziger zu Worte kommt. Das tut natürlich der künstlerischen Qualität keinen Abbruch, ebensowenig wie der praktischen. In einer Beziehung scheinen sie uns den wirklichen Verhältnissen näher zu kommen. Sie sehen den Reihenbau vor, das heißt die Aneinanderreihung des gleichen Typs in langer Flucht. Die Einsparung an Heizungs- und Baukosten werden wohl dazu führen, dass der vom ästhetischen Standpunkt willkommenere Einzelbau gegenüber dem Reihenbau zurücktreten muss.

Bezüglich der Preise finden wir folgende Angaben:
Doppelhaus I = 14.500 Mark ohne Grundstück,
entsprechend einer Monatsmiete von 28 bis 30 Mark unter Voraussetzung eines Betrages von 1.200 Mark für Grundstück und Einfriedung.
Haus II, an das sich der gleiche Typus in langer Reihe anschließt, 4.700 Mark ohne Grundstück, entsprechend einer Monatsmiete von 20 Mark unter Voraussetzung eines Betrages von 700 Mark für Grundstück und Einfriedung.

An dieser Stelle sei auch auf das nette Streckenwärterhäuschen mit dem hübschen Nutzgarten auf der Münchner Ausstellung erwähnt, das August Blößer mit staatlicher Subvention erbaut hat. Im Erdgeschoss enthält es eine kleine Halle, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und eine Speisekammer. Das Dachgeschoss kann zwei Kammern aufnehmen. Wenn die Erkenntnis, dass auch ein Bahnwärterhäuschen schön sein kann, früher gekommen wäre, würden wir statt mancher Naturverschandelung eine Idylle besitzen. Auch die ästhetische Bereicherung, welche die Kleinhäuser dem Städte- wie Landschaftsbild bringen werden, darf nicht zu gering angeschlagen werden. Das eine derartige Arbeiterkolonie auch einen sozialen und ästhetischen Mittelpunkt haben muss, liegt auf der Hand. Unsere beiden nebenstehenden Abbildungen zeigen solche Zentren der von dem bekannten Architekten Professor Dr. Theodor Fischer entworfenen, von der Firma Ulrich Gminder, GmbH erbauten Arbeiterkolonie Gmindersdorf bei Reutlingen, die in mancher Hinsicht als vorbildlich gelten kann. Vorerst aber ist noch viele unverdrossene Arbeit zur Verbreitung der sozial so außerordentlich bedeutungsvollen Bewegung notwendig, wenn wir auch nicht bezweifeln, dass sie einst zum allgemeinen Durchbruch gelangen wird.

Arbeiterhäuser 01

Arbeiterhäuser 01

01 Arbeiterhaus, Entworfen von Theodor Fischer

01 Arbeiterhaus, Entworfen von Theodor Fischer

02 Streckenwärterhaus, Entworfen von August Blößner, München

02 Streckenwärterhaus, Entworfen von August Blößner, München

02 Streckenwärterhaus

02 Streckenwärterhaus

03 Englische Einfamiliehäuser in Bourneville. Entworfen von W. A. Harvey-Birmingham_

03 Englische Einfamiliehäuser in Bourneville. Entworfen von W. A. Harvey-Birmingham_

03 Englische Einfamiliehäuser in Bourneville. Entworfen von W. A. Harvey-Birmingham

03 Englische Einfamiliehäuser in Bourneville. Entworfen von W. A. Harvey-Birmingham

04 Altes englisches Dorfwirtshaus, dessen Architektur vorbildlich wurde für den Stil der Arbeiterhäuser

04 Altes englisches Dorfwirtshaus, dessen Architektur vorbildlich wurde für den Stil der Arbeiterhäuser

Arbeiterhäuser 02

Arbeiterhäuser 02

06 Wirtshaus in der Arbeiterkolonie Gmindersdorf bei Reutlingen. Entworfen von Theodor Fischer

06 Wirtshaus in der Arbeiterkolonie Gmindersdorf bei Reutlingen. Entworfen von Theodor Fischer

07 Küche mit versenktem Bad in einem englischen Arbeiterwohnhaus

07 Küche mit versenktem Bad in einem englischen Arbeiterwohnhaus

08 Kaufhaus in der Arbeiterkolonie Gmindersdorf bei Reutlingen. Entworfen von Theodor Fischer_

08 Kaufhaus in der Arbeiterkolonie Gmindersdorf bei Reutlingen. Entworfen von Theodor Fischer_

08 Kaufhaus in der Arbeiterkolonie Gmindersdorf bei Reutlingen. Entworfen von Theodor Fischer

08 Kaufhaus in der Arbeiterkolonie Gmindersdorf bei Reutlingen. Entworfen von Theodor Fischer

Arbeiterhäuser 03

Arbeiterhäuser 03

Küche im Hause Mahr

Küche im Hause Mahr

Moderne Arbeiterhäuser_

Moderne Arbeiterhäuser_

Wirtshaus in der Arbeiterkolonie Gmindersdorf bei Reutlingen. Entworfen von Theodor Fischer

Wirtshaus in der Arbeiterkolonie Gmindersdorf bei Reutlingen. Entworfen von Theodor Fischer

Wohnraum und Schlafraum im Hause Mahr

Wohnraum und Schlafraum im Hause Mahr