Die Sennerin.

Heut’ haben wir Glück. Stundenlang stiegen wir bergauf im schattigen Hochwalde; neben uns in tiefem Graben brauste der Wildbach, Als wir aus dem Walde herauskamen auf schattenlose Matten, da stand die Sonne schon weit im Westen. Kühl wehte schon der Wind über die Schneide her, aus welcher grellbeleuchtete Kalkfelsen hervorstachen, das grüne Alpengras durchbrechend. Ein heiteres Wandern war es zuletzt gewesen, an steilen Grashalden entlang. Über und unter dem schmalen Steige standen mächtige alte Fichten vereinzelt umher; einige davon waren zu grauen Baumleichen verwittert, riesenhaft und knorrig. Ab und zu zog sich ein tiefer Graben durch die Grasfelder hinab und mündete unten in eine weite, waldumgebene Mulde, aus welcher ein kleiner, grüner Tümpel heraufglänzte.

Um eine scharfe Felsenecke ging’s noch zuletzt, dann zwischen Krummholz und Felstrümmem auf einerArt Treppe aus Wurzeln steil empor — und nun stehen wir droben auf der Alm.


Es ist die richtige, sonnige, bayerische Alm. Eine wunderbar hellgrüne, wellenförmige Matte, in einer flachen Mulde gelegen. Ein Drittteil des Gesichtskreises ist von dem weithingestreckten Flachland ausgefüllt, das zweite Drittteil von einem Einblick in waldige Vorberge und tiefschattige Thalschluchten, über welchen in weiterer Ferne weißgraue Kalkzinken und bleiche Schneefelder erscheinen; das letzte Drittteil von einer im Vordergrunde steil ansteigenden Graslehne, die höher oben in einen dunklen Wald von Alpenrosensträuchern und Legföhren, zu oberst aber in einen zackigen Felskamm übergeht. Einzelne häusergroße Felstrümmer, vor undenklichen Zeiten von jenem Felskamm abgestürzt, liegen auf der Matte umher; zwischen ihnen ein paar Almhütten.

Wir sind am Rande des Waldwuchses; vereinzelte hohe Fichten stehen noch auf der Matte. Da es am Holze hier nicht gefehlt hat, sind auch die Hütten aus Holz erbaut. Gemeiniglich sind diese hölzernen Hütten wohnlicher, als die steinernen; obschon man auch unter den letzteren recht hübsche finden kann. Einheitlichkeit zeigt die Baukunst der Sennhütten in Altbayern eigentlich bloß in Bezug auf die Dächer. Die sind überall flach, mit großen Schindeln und Beschwersteinen belegt. Die innere Einrichtung zeigt mancherlei Unterschiede.

Die erste Hütte, die wir heut' finden, ist eine der schönsten zwischen Salzach und Lech. Wie wir näher treten, sehen wir, dass die Holzbalken der Aussenwände, wo sie gegen Regen geschützt sind, eine feine dunkelrote Farbe haben; der Innenraum aber sieht vollends aus wie poliertes Mahagoni. Es ist altes Zirbenholz, das edelste, das in den Alpen wächst — in den Voralpen findet man es kaum mehr. Wollte man die Hütte heute noch aus diesem Holze bauen, so würde sie mehr kosten, als ein vierstöckiges Stadthaus. Vor der Hütte, die an der Stirnseite außer der Tür zwei kleine Fenster zeigt, finden wir auf einer etwa fußhohen gepflasterten Terrasse eine Holzbank und an der anderen Seite der Türe aufgeschichtetes Brennholz. Auf diesem Holze stehen zum Trocknen aufgerichtet die tönernen „Waidlinge“ (Milchschüsseln), die aber bei vielen Almen auch aus Holz sind.

In unsrer Hütte selber isft’s recht behaglich. Die schönen dunkelroten Holzwände machen einen warmen heimlichen Eindruck. Der Herd in der einen Ecke ist über den Boden erhöht und mit sauberen Holzbalken eingefasst. In anderen Hütten fanden wir auch vertiefte in den Erdboden gegrabene Feuerstätten, manchmal mit und manchmal ohne Holzumrandung. Eine zweite Ecke des Gelasses nimmt eine Bank mit einem Tischchen ein. Letzteres ist schon ein ziemlicher Luxus in einer Sennhütte. Außerdem finden wir noch drei Türen in dem Gelass; die eine derselben führt in den Milchkeller, die zweite in den Stall, die dritte in das winzige Schlafgemach der Sennerin. Ein solches besitzt sie aber auch nur in den vornehmsten Hütten; gemeiniglich steht sonst ihr Bett in der einzigen Stube, die zugleich als Küche dient. Immer aber steht dasselbe stark erhöht, oft bis hart an das Schindeldach der Hütte ragend. Unter ihm ist dann ein Raum, in welchem Melkkübel, Trankschäffel und dergleichen untergebracht werden. Zu den wesentlichen Einrichtungsstücken gehört noch die „Kesselreib’n“, ein über dem Herde drehbares Gebälk, an welchem ein mächtiger schwarzer Kessel hängt; ferner das Butterfass und eine Schüsselrahme mit ein paar Tellern und Löffeln.

Auch die Anordnung von Wohnraum und Stall ist nicht immer gleich. Die meisten Hütten sind nur durch eine einzige Querwand in zwei Hälften geteilt, von welchen selbstverständlich die größere für das Vieh, die kleinere für den Menschen gehört. Seltener findet sich die Einrichtung, dass der Stall den Wohnraum als breiter Gang rings umläuft. Der Heuboden ist in den meisten Hütten über dem Stalle angebracht; zu manchen Hütten gehören auch besondere kleine Heustadel.

So die Wirtschaftsgebäude. Und nun die Wirtschafterin selbst, die Sennerin! Eben kommt sie langsam den steinigen Pfad herab, auf dem Kopfe ein Milchschaff, in der Hand ihr kleines, dreibeiniges Melkstühlchen tragend. Wie wird sie sein?

Auch damit haben wir heute Glück. Die Älplerin, auf deren Hausbank wir sitzen, ist jung und sauber, und — was vor allem anzuerkennen — ihr sonnverbranntes Antlitz lacht uns freundlichen Willkomm zu. Wir dachten an dergleichen schon früher; denn schon vor einer halben Stunde, als wir den steinigen Weg heraufklommen, hat sie uns aus der Höhe einen bergfrischen Jauchzer herabgesandt. Man ist nicht allweg auf Almen gut aufgenommen, obwohl jetzt alle jene Hütten, wo häufiger Bergwandrer einkehren, schon halbe Wirtshäuser geworden sind.

Sehr verschieden sind sie aber, die Traudeln und Burgeln, die Greteln und Moideln, die da hausen. Man kann sie finden vom achtzehnjährigen lebfrischen Dirnlein bis hinauf zu Matronen auf der Schattenseite der Fünfziger. Soweit aber bayerische Almsitte herrscht, sind die für Milchwirtschaft bestimmten Almen vom weiblichen Geschlecht bewirtschaftet. Das zieht sich von der bayerischen Grenze hinein bis in den Lungau und Pongau; und noch am Fuße des Dachstein und auf den sonnigen Höhen um Aussee haust die liederfrohe „Schwoagerin“. Denn dort heißt die Alm „Schwaige“. Männliche Arbeitskräfte finden sich hie und da in der Gestalt von Hüterbuben den Sennerinen beigegeben; sie finden sich natürlich auch auf den Rossalmen und den Galtalmen (Almen für Jungrinder), wo es keine Milchwirtschaft gibt; sie finden sich auch in der Person der „Schafler“ in den höchsten, steinigen Weideländereien, die für Kühe zu steril sind.

Die Verwaltung der Kühalmen durch weibliche Kräfte hat den Vorzug größerer Reinlichkeit. Man muss gesehen haben, mit welcher Sorgfalt die Sennerin — wenn sie auch auf ihre eigene Schönheit weniger bedacht sein sollte — um die Reinhaltung ihrer Melkkübel und Milchgefäße sich bemüht. Hartwig Peetz, auf dessen kulturhistorische Einblicke wir uns bei jeder Zeile stützen können, erzählt sogar noch besseres von ihnen, nämlich dass sie jeweils in dem auf Kosten des landwirtschaftlichen Vereins verbreiteten tierärztlichen Handbüchlein zu lesen pflegen. Der Dienst ist nicht leicht, da manche Sennerin bis zu zwanzig Kühen zu versorgen hat, wobei ihr höchstens noch ein Hüterbube behilflich ist. Manche Alm musste verlassen werden, weil sie so traurig, weltvergessen und unheimlich gelegen war, dass sich keine Dirne mehr für den Dienst an solch verwünschtem Orte fand!

Die einfachste almerische Arbeit ist das Austreiben und Heimholen der Kühe. Auch das wird manchmal recht mühsam, wenn sich die Weideplätze etwas entfernt von der Hütte befinden, oder wenn ein Stück Vieh sich im Krummholz verstiegen hat. Mitunter besorgt das ein Hüterbube; aber nicht jede Sennerin hat solchen Knappen. Diese Hüterbuben leisten das Erstaunlichste im Klettern; sie sind das Material, aus welchem späterhin die besten Bergführer erwachsen können; gewöhnlich aber ist ihr Lebensziel ein Holzknecht, Jagdgehilfe oder Bauernknecht. Droben auf der Alm verwildern sie fast gänzlich, sodass die Sennerin, die zwar manchmal Bauerntochter, oft aber nur eine einfache Stallmagd ist, ihrem Hüterbuben gegenüber noch als hochzivilisiert erscheint. Spricht man einen solchen Hüterbuben an, so kann's einem wohl begegnen, dass man aus dem dürren, schwarzbraunen Kerlchen, der einen Blick hat wie ein scheuer Gemsbock, gar keinen menschlichen Laut herauslockt.

Neben dem Überwachen des weidenden Viehes sind andere wichtige Arbeiten das Melken und Buttern, das Bereiten von Käse, dann die beständige Säuberung des Milchgeschirrs. Ab und zu muss auch ein Trank für eine kranke Kuh gekocht werden. Nebenher läuft dann noch die Sorge für den eigenen Nahrungsbedarf, der, so einfach er ist, doch gestillt werden muss. Die schwerste Arbeit ist's aber, wenn die Sennerin ihre Molkereiware hinuntertragen muss zu ihrem Bauern. An der steilen Röthenbachwand, die unter den Teufelshörnern auf den geisterhaften Spiegel des Obersees hinabschaut, traf ich einst eine wackere Dirne mit einer „Kraxe“ auf dem Rücken, der sechzig Pfund Butter und Käse aufgeladen waren. Und da konnte das brave Mädel noch jauchzen, als es mit seiner Last hinter den Felsen des steinigen Weges verschwand. Wenn sie hernach wieder „gen Alm“ steigen wird, trägt sie Mehl und Brod für sich, Salz für ihre Kühe hinauf. Das wiegt zwar nicht so schwer; aber dafür hat sie es weit, weit hinauf zu tragen. Wohlhabenden Bauerntöchtern, die etwa auf der Alm wirtschaften, wird wohl manches erleichtert, indem ihnen der Bauer einen Knecht oder Träger schickt. Lieber als diese Mannsleute, die der Bauer heraufschickt, sind den Almdirndln freilich diejenigen, die von selber kommen — aber das gehört nicht ins Kapitel von der Arbeitsamkeit.

Wenn von den Almen die Rede ist, müssen wir wohl auch des lieben Viehes gedenken. Denn um seinetwillen ist ja die Hütte und die Sennerin da.

Die Weideplätze der bayerischen Alpen werden von zwei Hauptrinderrassen begrast. Die eine dieser Rassen ist germanischen Ursprungs. In unsren Bergen heißt sie Miesbacher Schlag, ist aber nichts anderes als die in ganz Nordtirol, in Pinzgau und Pongau verbreitete Pinzgauer Rasse. Das sind für unsere Berge vortrefflich geeigenschaftete Tiere, stämmig und kurz, zumeist rot, rotweiss, schwarzweiss oder bunt von Farbe. Am häufigsten findet man sie rot, mit weissen Streifen auf dem Rücken — „g'stramt“ — und weißem Bauche. Sie tragen den Kopf schön und haben große, gutmütige Augen. Ein namhafter alpiner Viehzüchter, der Wirt von Gmünd am Tegernsee, hat vor etwa vierzig Jahren begonnen, schwere Rinder aus dem Berner Oberlande, sogenannte Simmenthaler, in der Umgebung von Tegernsee einzubürgern; und diese Fremdlinge, allerdings auch germanischer Abstammung, machten sich auf bayerischem Boden vortrefflich.

Die andere Hauptrasse, romanischen Ursprungs, hat sich aus welschen Landschaften durch Montafun und Vorarlberg nach dem Algäu verbreitet und ist als Algäuer Vieh hochberühmt geworden. Diese Tiere sind weißlich, gelblich, grau oder schwarzbraun, niemals aber bunt. Von Charakter sind auch sie gutmütig; dabei brauchbar zum Zuge und von erstaunlichem Milchreichtum.

So vortrefflich jede dieser beiden Rassen für sich ist: das Untereinanderheiraten derselben liefert ein schlechtes Ergebnis; und jene Landschaften, wo die beiden Rassen aneinandergrenzen, die Werdenfelser Gegend, hat mit ihren hellgrauen und weißen Tieren die geringste Sorte. Es sind eben Mischlinge, zweideutige Naturen, die am schlechtesten werden, wenn sie überdies den Boden des Gebirgs verlassen und an der Isar und Loisach in die Hochebene herabsteigen.

Neben dem Rindvieh spielt in den Bergen das kleine Gesindel der Schafe, Ziegen und Schweine eine ganz untergeordnete Rolle. Das altbayerische Schaf insbesondere erfreut sich einer recht schlechten Behandlung; man verweist es in die Gesellschaft des Schweins und lässt es mit demselben in schlechten Winkeln der Ställe sich herumtreiben; seine Nahrung muss es sich auf den kümmerlichsten Weideplätzen suchen, während das Schwein von der Sennerin zwar auch über die Achsel angesehen, aber doch wenigstens mit Molkereiabfällen gefüttert wird. Die Ziege gilt in Altbayern als das Vieh der armen Leute; doch erscheint im Stalle des Gebirgsbauern ein stattlicher Bock häufig als Luxusgegenstand; er zieht auch mit auf die Alm und erfreut sich dort einer sehr selbständigen Stellung, indem er keinerlei Pflege und Wartung beansprucht. Das Melken würde er sich sogar sehr energisch verbitten, wie er sich überhaupt herrisch aufspielt und am liebsten gleich in einen wilden Gemsbock verwandeln möchte.

So sind es denn nur die Kühe, auf welche sich die ganze Sorgfalt der Sennerin konzentriert. Diese ihre Kleinode aber behandelt sie in ganz mütterlicher Weise. Sie gibt ihnen die zärtlichsten Namen, ruft sie „Glückei“, „Sengei“, „Wachtei“, „Braunelei“ und redet mit ihnen, wie man mit einem vernunftbegabten Wesen spricht. Zur Melkzeit kommen in der Regel die Kühe zur Hütte; den Tieren schweren Simmenthaler Schlags aber muss die Sennerin mit dem Melkkübel bis zu ihrem jeweiligen Weideplatz nachgehen; denn diese würdigen Hornträgerinnen mögen sich in dem Geschäft ergiebigster Milchbereitung nicht durch unnötiges Umherklettern stören lassen. Die angesehenste Kuh der Herde ist die Kranzel- oder Roblerkuh, die eine mächtige kupferne Glocke am Halse trägt. Manchmal haben auch mehrere Kühe die Ehre, Glocken tragen zu dürfen; immer aber ist die Roblerkuh das Leittier; sie geht voran, wenn im Sommer auf die Alm, und wenn im Herbste wieder zu Thal gezogen wird.

Der gründlichste Kenner altbayerischer Sennereiwirtschaft, Hartwig Peetz, spricht es wiederholt aus, dass diese Wirtschaft wohl bis in die grauesten vorgeschichtlichen Tage zurückreicht; bis in eine Zeit, wo das Volk der Alpengaue noch zwischen den Zungen der großen Gletscher hauste, deren Spuren wir heut überall auffinden. Uralte Bergnamen erinnern daran, wie alt eine geregelte Sennerwirtschaft ist. Das Wort Kaser, in den bayerischen Alpen sowohl für Sennhütten als auch für Holzknechtsstuben gebraucht, kömmt keineswegs von Käse, sondern vom lateinischen casa, Hütte, und weist rückwärts in die Tage der römischen Provinzialherrschaft. Die Tüchtigkeit der bajuwarischen und steierischen Sennerinnen war schon den römischen Landbautheoretikern bekannt. Das Vieh, welches in den Anfängen der historischen Zeit in unseren und den benachbarten Tiroler und Salzburger Berglandschaften geweidet wurde, war die bekannte braune Pinzgauer Rasse. Mancherlei Anzeichen weisen darauf hin, dass die eigentlichste Heimat dieses Braunviehes im Duxer Thale zu suchen sei. Ob diese Tiere aber von dem alten Auerwild abstammen, darüber sind selbst die Kundigsten im Zweifel.

Es war Brauch von altersher, dass die Alpenbevölkerung im Sommer mit ihren Rindern auf die Gemeinweide zog. So viel Rinder einer daheim im Winterstall mit eigenem Futter ernähren konnte: soviel durfte er auch zur Almfahrt mitnehmen. Das galt schon zur Römerzeit. Die kärntischen Wenden aber trieben Viehhandel bis weit ins Bayerische herein. In der Zeit des Mittelalters scheint die Grenze der Waldungen höher oben an den Bergen gewesen zu sein; damit mussten auch die Almen etwas höher liegen, als heutzutage. Sie waren unwirtlicher, aber üppiger, als dieselben Plätze heute sind. Butter und Käse von den bayerischen Almen wurden aber nicht bloß in Bayern verspeist, sondern auch von Pinzgauer Händlern gekauft und über den Velber Tauern auf Saumrossen nach Italien gebracht. Die Wege, welche das Vieh auf seine Almen zu machen hatte, waren mitunter mehrere Tagmärsche lang, indem zum Beispiel das Kloster Chiemsee Almen auf dem Jochberge bei Pass Thurn besaß.

Von Anbeginn war das Vieh nicht bloß auf die Matten über den Bergwäldem, sondern auch in die Wälder selbst getrieben worden. Rechtzeitig erkannte man indessen, dass die Wälder nicht allein durch raubsüchtiges und ungeregeltes Holzschlagen, sondern auch durch die Ausdehnung der Viehweide geschädigt würden. Und so beginnt seit dem sechzehnten Jahrhundert der Kampf zwischen der Staatsgewalt und der viehhaltenden Bauerschaft, in welchem um Wald und Alm gekämpft ward. Schließlich ist in diesem Kampfe der Forstmann Sieger geblieben; den Bauern wurden die Almenrechte durch zahlreiche Verordnungen verringert und in bestimmte Grenzen gewiesen, sodass jetzt das Hirtenvolk und sein Vieh nicht mehr zum Schaden des Waldes hausen darf.

Man kann wohl sagen, dass diese alte Fehde zwischen Wald und Alm nunmehr zu einem Ausgleich gekommen ist. Was von den Almen dabei dem Walde aufgeopfert wurde, sind meistens die dürftigen Aibln (Älplein) gegen die Grenze des Pflanzenwuchses zu an den Gehängen höherer Bergkuppen. Dort ist der Boden dürr und steinig; wer hinansteigt, sieht Gras mit Geröllströmen schon stark vermischt.

So gut wie in den schwäbischen (Algäuer) Alpen ist der Weideboden in den bayerischen Alpen östlich vom Lech bis zur Salzach wohl niemals gewesen, lässt sich auch nicht so gut machen. Wie brauchbar der Weideboden in den Bergen überhaupt ist, darüber scheinen mancherlei verkehrte Anschauungen zu bestehen; wenigstens behaupten recht sachkundige Stimmen, dass die für unsere Grund Steueranlegung vorgenommene Bonitierung der Almgründe durch und durch unrichtig sei. Verbessert haben sich diese Almgründe auch nicht seitdem; aber käsekundige Algäuer Landwirte haben doch behauptet, dass auch bei uns eine schwunghafte Alpenwirtschaft betrieben werden könne.

Die bayerischen Almgründe sind entweder Eigentumsalmen oder bloße Berechtigungsalmen. Für letztere, welche bei weitem die größere Bodenfläche einnehmen, steht das Eigentum dem Staate zu; die Almgänger aber, das heisßt die Herdenbesitzer, haben von altersher das Recht, eine bestimmte Menge Vieh aufzutreiben. Zu den Berechtigungsalmen gehören auch die Mais-Almen, das sind solche Gründe, auf welchen früher Wald gestanden hat, und die hernach eine Zeitlang mit Vieh betrieben werden dürfen. Der Bergwandrer kennt diese Maise wohl: weite Waldlichtungen, mit Stümpfen abgehauener Stämme übersät, besonders erfreulich durch ihren Reichtum an köstlichen Erdbeeren. Wenn Boden Verbesserungen zu erhoffen sind, so ist das natürlich nur auf den Eigentumsalmen zu erwarten.

Im ganzen sind die Almgründe, seit der Geschichtschreiber ihre Benutzung kennt, sowohl an Umfang wie an Güte geringer geworden. Das hindert uns nicht, den Sachverständigen Recht zu geben, wenn sie behaupten, es ließe sich mit Hilfe von Genossenschaftsställen, von sorgsamer Zucht- und Molkereiwirtschaft und von tunlichster Bodenverbesserung auch heute noch ganz Ersprießliches aus den bayerischen Almen gestalten. Und vollständig braucht man bei einer solchen Verbesserung das jauchzende Weibervolk nicht von den Almen wegzuweisen, um es durch prosaische Senner aus der Schweizer Käseschule zu ersetzen. Der wahre Freund der Berge mag dort oben keine Käsefabriken erstehen sehen; aber es würde ihn auch nicht freuen, wenn die Almwirtschaft noch mehr zurückginge. Dafür ist sie ein zu schönes Stück Poesie in unserem vemüchterten Wirtschaftsleben. Wenn man von dieser Wirtschaft nicht reich wird, so wird man doch kraftvoll und gesund, harmlos und frei auf den Almen, und von Herzen gönnen wir dem almerischen Völklein seinen alten Spruch:

Auf der Alm gibt's koa' Sund'!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Arbeitergestalten aus den Bayerischen Alpen
Aufstieg zur Wendelsteinalm.

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